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Einige literarische Autoren und Texte sind schon im ersten Kapitel zur Sprache gekommen: Wie gesehen, waren lateinische Sprache und Literatur in der Antike eng miteinander verbunden, insofern die Literatur definierte, was gutes Latein war, und die Basis des Sprachunterrichts darstellte. Sie tut das bis heute - wer Latein in der Schule gehabt hat, kann es bezeugen. Im vorliegenden Kapitel soll nun ein skizzenhafter Überblick über die Entwicklung der lateinischen Literatur von den Anfängen bis in die Frühe Neuzeit gegeben werden. Vorausgeschickt seien einige Bemerkungen zum Literaturbegriff und zur literarischen Praxis dieses mehr als zwei Jahrtausende umfassenden Zeitraums im Allgemeinen.
Die Vorstellung von Literatur, die im alten Rom und in vieler Hinsicht bis zum 18. Jahrhundert herrschte, unterschied sich wesentlich von derjenigen, die uns heute geläufig ist. Für den heutigen Literaturbegriff ist die Idee der Fiktionalität zentral: Literarische Texte sind primär solche, unter deren Autoren und Lesern Einigkeit darüber herrscht, dass sie weder im wörtlichen Sinne wahr noch erlogen, sondern frei erfunden sind. In vormoderner Zeit spielte diese Vorstellung kaum eine Rolle, dafür wurde größtes Gewicht auf die sprachliche Gestaltung gelegt: Ein Text wurde umso höher geschätzt, je sorgfältiger er in dieser Beziehung ausgearbeitet war. Dementsprechend existierte kein lateinisches Wort, das in seiner Bedeutung genau dem heutigen «Literatur» entsprochen hätte. Das etymologisch verwandte litterae, das wörtlich einfach «Buchstaben» heißt, meinte zunächst einmal Bildungswissen, dann alle Texte, die solches Wissen transportierten. Darunter fielen nicht nur Werke ohne buchstäblichen Wahrheitsanspruch, wie sie die heutigen literarischen Kerngattungen Roman, Lyrik und Drama bieten: Der Begriff umfasste auch Erzählungen und argumentative Texte, die darauf abzielten, die Welt faktisch korrekt darzustellen, beispielsweise die Geschichtsschreibung, das Lehrgedicht, den philosophischen Dialog, Sach- und Fachtexte aller Art und zumindest prinzipiell sogar Akten, Urkunden und anderes Verwaltungsschrifttum. Wenn im Folgenden der Einfachheit halber trotzdem immer wieder von «Literatur» die Rede ist, dann in diesem Sinne.
Zwei weitere Aspekte der lateinischen Literatur, die aus moderner Perspektive auffallen, sind ihr Gattungsbewusstsein und die Bedeutung, die der Rhetorik für das literarische Schreiben zukam. Wer sich als Autor in einer bestimmten Gattung versuchte, akzeptierte ihre (selten ausdrücklich formulierten, meist impliziten) Regeln, bediente sich ihrer kanonischen Bauformen und Motive und setzte sich mit denjenigen Werken auseinander, in denen sie als vorbildhaft verwirklicht galt. Ein kaiserzeitlicher Epiker schrieb beispielsweise im Metrum des Hexameters, eröffnete sein Werk mit einem Proömium, schilderte Schlachten, Zweikämpfe und Seestürme und bezog in irgendeiner Weise Stellung zu Vergils Aeneis, dem unumstrittenen Gipfelpunkt der römischen Epik. Die antike Rhetorik, welche sich seit ihrer Erfindung im klassischen Griechenland zur vermutlich durchdachtesten und differenziertesten Anleitung zum überzeugenden Sprachgebrauch entwickelt hatte, die es je gab, stellte ihm zu diesem Zweck ein umfangreiches Arsenal an Methoden und Techniken zur Verfügung. Ursprünglich nur als Theorie und Didaktik der mündlichen Prosarede konzipiert, kam sie spätestens seit der Zeitenwende auch in jeder Art von Literatur einschließlich der Dichtung zum Einsatz.
Das bisher Gesagte impliziert, dass Literatur damals in höherem Maße als lehr- und lernbar galt als heute und auch tatsächlich mehr Wissen und Können voraussetzte, das man im Unterricht erwarb. Was die lateinische Literatur betrifft, so musste nicht nur die Kenntnis der literarischen Klassiker und des rhetorischen Systems, sondern seit der Spätantike auch die Sprache selbst in der Schule gelernt werden. Da es keine staatlich verordnete Schulpflicht gab und der Unterricht nur selten umsonst war, schloss dies breite Bevölkerungsschichten weitgehend von der literarischen Produktion aus: zum einen alle, die zu arm waren, um Schulgeld zu bezahlen, zum anderen die Frauen, die seltener lesen und schreiben lernten als die Männer und nach dem Ende der Antike meist keinen Lateinunterricht erhielten.
Einigen Frauen gelang es zwar, diese Bildungshürden zu überwinden und als Autorinnen hervorzutreten: Aus der Antike kennen wir etwa die adelige Römerin Sulpicia (wohl um die Zeitenwende), von der sich sechs kurze Liebesgedichte erhalten haben, und die fromme Egeria (spätes 4. Jahrhundert), die einen ausführlichen Bericht von ihrer Pilgerreise ins Heilige Land hinterlassen hat. Was das Mittelalter betrifft, kann man an Hrotsvit von Gandersheim (um 935-nach 973) denken, die mit erbaulichen Dramen eine Alternative zum beliebten, aber moralisch bedenklichen Komiker Terenz schuf, sowie an Herrad von Landsberg (1125/30-?95), die eine reich bebilderte Enzyklopädie mit dem einladenden Titel Hortus deliciarum («Garten der Genüsse») verfasste. Es ist kein Zufall, dass beide Nonnen waren, also der wichtigsten lateinischsprachigen Institution der Zeit angehörten, der Kirche. Bei den zahlreicheren neulateinischen Autorinnen spannt sich der Bogen von Dichterinnen wie der englisch-böhmischen Adeligen Elisabeth Johanna Weston (1582-?1612) oder der geistreichen römischen Seifensiedertochter und Epigrammatikerin Martha Marchina (1600-?42) bis hin zu Wissenschaftlerinnen wie der Physikerin Laura Bassi aus Bologna (1711-?78), die in ihrer Heimatstadt als weltweit erste Frau eine Universitätsprofessur erhielt. Doch so eindrucksvoll diese und andere Ausnahmen auch waren - sie blieben trotzdem Ausnahmen. Aufs Ganze gesehen war die lateinische Literatur eine Männerdomäne.
Die erste Mittelmeerkultur, die eine umfangreiche Literatur hervorbrachte, war die der Griechen. Diese begannen schon im 7. Jahrhundert v. Chr. damit, Dichtung wie die homerischen Epen schriftlich aufzuzeichnen, und taten bald darauf dasselbe mit Prosatexten. Hierzu wurden verschiedene Materialien, hauptsächlich aber Schriftrollen verwendet, die aus den Fasern der in Ägypten kultivierten Papyruspflanze hergestellt wurden. Ein «Buch» (griechisch biblos, lateinisch liber) meinte in der Antike den Inhalt einer solchen Rolle, der mit um die fünfzigtausend Schriftzeichen eher einem heutigen Buchkapitel entsprach. Der Pergamentcodex, der ein Buch in unserem Sinne war und umfangreichere Texte fassen konnte, setzte sich erst in der Spätantike durch. Das in China erfundene Papier kam gegen Ende des Mittelalters nach Westeuropa. Für Notizen und Entwürfe wurden gerne mit Wachs überzogene, wiederbeschreibbare Holztäfelchen verwendet.
Die griechischen Dynastien, die sich nach den Alexanderzügen außerhalb des Mutterlandes etablierten, insbesondere die Ptolemäer im ägyptischen Alexandria und die Attaliden im kleinasiatischen Pergamon, sammelten systematisch die literarische Hinterlassenschaft der vergangenen Jahrhunderte, weil ihnen in der Fremde ihre Herkunft besonders wichtig wurde und sie sich als Hüter der griechischen Kultur profilieren wollten. Durch diese Sammeltätigkeit bildete sich erstmals die Vorstellung einer griechischen Literatur im Sinne eines als große Einheit gedachten Textcorpus heraus. Die intensive Beschäftigung mit dem umfangreichen Material (die berühmte Bibliothek von Alexandria dürfte einige hunderttausend Rollen beherbergt haben), seine Ordnung und Katalogisierung gaben diesem Corpus eine innere Struktur und brachten die Philologie als wissenschaftliche Disziplin hervor.
Als die Römer begannen, die Magna Graecia und den östlichen Mittelmeerraum unter ihre Kontrolle zu bringen, kamen sie immer öfter mit griechischen literarischen Texten in Berührung und empfingen von diesen Anregungen, die sie begierig aufgriffen. Zuvor waren in Rom nur Texte für den praktischen ...
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