Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Mami, liebe Mama, hilf mir doch,
hilf mir doch, Mami, liebe Mama .
(Gebet einer ungläubigen Waise)
Sonntags früh am Morgen sind auf der Straße nur Straßenkehrer, Männer, die sich aus dem Haus der Geliebten schleichen, und junge Kirchgängerinnen unterwegs. Und Hundebesitzer.
Teso ist Hundebesitzer.
Vor zehn Jahren hatte Teso bemerkt, dass ihm die Haare ausfielen und er dick wurde. Das gefiel ihm gar nicht. Ein Glatzkopf und Fettwanst. Teso fand das unerträglich.
Teso probierte alles Mögliche aus, aber nichts half - das ausgefallene Haar kam nicht wieder. Deshalb rasierte er sich den Kopf blank.
Zur Bekämpfung des Übergewichts kaufte sich Teso einen Hund, in der Hoffnung, dem Tier zuliebe früh aufzustehen und viel herumzulaufen, wenn nicht sogar herumzurennen. Aber auch dieser Plan ging nicht auf: Zum Hundebesitzer avancierte seine Frau. Sie nannte die russische Spanielhündin Peppi »Schatzi«, umsorgte sie liebevoll und ging natürlich auch mit ihr spazieren. Trotzdem wurde Peppi innerhalb kürzester Zeit sehr dick und dermaßen faul, dass Spaziergänge ihr keine Freude mehr machten.
Teso seinerseits hatte an Peppis Anblick keine Freude mehr. Als seine Frau schwanger wurde, keimte in ihm die Hoffnung auf, sie würde sich von der Hündin trennen wollen, aber nein - Mamis Liebling wurde nicht aufgegeben. Selbst die Geburt des zweiten Kindes tat der Liebe zu der Hündin keinen Abbruch, und so lebten sie also: Teso, seine Frau, die hoch aufgeschossene Tiniko, die kleine Lisiko und die dicke, faule und vom Grauen Star geplagte Peppi.
Dieser Morgen war für Teso ein Graus. Die »großen Mädels« waren zur Erholung ans Meer gefahren und hatten ihm Lisiko und Peppi dagelassen, die die Großmutter am Abend zu sich ins Sommerhaus mitnehmen sollte. Teso redete sich gut zu: Ein Tag, was ist das schon, das halt ich schon aus, aber dennoch war er irgendwie angefressen. Nicht, dass er Lisiko nicht lieb gehabt hätte, und mit Peppi kam er auch zurecht, aber trotzdem .
Es dämmerte und Peppi begann an der Tür zu winseln.
»Sie wird sich schon gedulden«, dachte sich Teso, der in den frühen Morgenstunden sehr schlecht geschlafen hatte.
Peppi war da anderer Meinung und nervte einfach weiter. Teso stand auf. Ehe er ein sauberes Hemd gefunden, die Schnürsenkel gebunden und die Hundeleine aufgetrieben hatte, war auch Lisiko aufgewacht. Sie kam in den Flur, stellte mit einer für ihr kindliches Alter und Aussehen ungewöhnlich tiefen Stimme klar, sie wolle ebenfalls Gassi gehen, und hatte ihre Schuhe schneller an als Teso.
Was blieb ihm anderes übrig: Teso, Lisiko und Peppi gingen gemeinsam aus dem Haus.
»Wofür brauchst du die denn?«, fragte Lisiko und zeigte auf die Hundeleine.
»Wenn wir unten sind, werde ich sie ihr anlegen«, antwortete Teso, »damit sie nicht ausreißt.«
»Wer, Peppi?« Lisiko musste lachen.
Teso warf einen Blick auf die Hündin.
Auch wieder wahr, dachte Teso, aber zu leichtfertig wollte er doch nicht sein. »Ich mache sie trotzdem dran«, erwiderte er.
Lisiko zuckte nur mit den Schultern.
Allzu weit kamen sie nicht: Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vor einem dreistöckigen Haus, das wie durch ein Wunder noch stand, hockte sich Peppi unter eine alte Akazie.
Teso wandte sich ab. Irgendwie war es ihm peinlich.
Nur gut, dass die Straßen noch leer sind und mich niemand sieht, dachte er.
Da stand also Teso, musterte das Haus und dachte nach; dann kam ihm der Gedanke, dass er an jenem Morgen irgendwie auf andere Art dachte, nämlich »in Worten«, wie er seiner Frau später erzählte:
»Bald wird es einstürzen. Oder sie reißen es ab. Wenn sich jemand drum kümmern würde, wäre es eigentlich ganz hübsch. Aber es kümmert sich keiner drum . Also wird es einstürzen.«
»Papa!«
Teso schreckte aus seinen Gedanken hoch.
Lisiko stand an einem Fenster, klammerte sich mit den Händen ans Gitter und schaute hinein.
Das war Teso noch peinlicher.
»Geh da weg, Mädel!«, rief er und eilte zu ihr.
»Papa, schau mal!« Lisiko ließ nicht vom Fenster ab. »Papi, da liegt eine Frau! Wie hingeworfen! Au weia, die sieht ja aus, schau mal, Papi!«
Gleich beim Betreten des Hauses war Wato klar, dass er in einen Schlamassel geraten war. Die Wohnung unterschied sich in nichts von den Wohnungen anderer Mordopfer - die Frau war getötet worden, was sonst! Trotzdem beschlich ihn ein irgendwie ungutes Gefühl.
Ich hätte auf Nato hören sollen, dachte Wato, in der Türkei hätte mich kein Schwein ans Telefon gekriegt .
Die Wohnung hatte keinen Vorraum: Man öffnete die Tür und stand gleich in einem langen, niedrigen Zimmer. Wato war gesagt worden, sie sei offen gewesen. Das Schloss hatte seinen Namen ohnehin nicht verdient: Jeder, der sich einigermaßen damit auskannte, hätte es mit einem Messer öffnen können.
Im Zimmer stand ein verglaster Bücherschrank, alt und erbarmungswürdig: Vorn fehlte ihm ein Fuß, stattdessen waren Bücher darunter geklemmt. Wato hockte sich hin, kniff ein Auge zu und las: Lion Feuchtwanger.
In der Mitte des Zimmers ein runder Tisch, auf dem Tisch ein weißes Tischtuch, darauf ein Tablett mit Obst und irgendwelchem Krimskrams.
Dazu später, dachte Wato, der noch am Bücherschrank stand.
Die Uhr tickte. Es war eine alte, billige mit Pendel, obendrauf zwinkerte eine Katze mit den Augen: tick-tack, tick-tack. Eines der Uhrgewichte in Tannenzapfenform fehlte, an seiner Stelle hing ein Vorhängeschloss.
Die Sonne fiel hell durch zwei vergitterte Fenster ins Zimmer. Offenbar hatte das Kind von dort hereingeschaut. Auch an diesem Morgen war es schon sehr heiß. Auf den Fensterbrettern standen unzählige Blumentöpfe, in manchen befanden sich Blumen, in anderen allerlei Kram - Besteck, Papierrollen und ähnliches.
Dazu später.
Auf einem abgenutzten Samtsofa neben der Eingangstür lagen Kissen und ein genauso abgenutztes Buch, »Alice im Wunderland«, eine alte Ausgabe - so eine hatte auch Wato als Kind besessen, nur nicht gelesen.
Am Fenster stand ein Sessel, darauf ein Haufen Bügelwäsche. Zwischen den Fenstern hing ein gerahmtes Foto.
Dazu später, dachte Wato.
Dort wollte er sich erst mal noch nicht umsehen. Rechterhand, bei einer der Türen, die aus dem Zimmer führten, waren die anderen Männer zugange. Die Vorstellung, dort hinzugehen, machte ihm Angst.
Gleich als er aus dem Auto gestiegen war, hatte Sergo ihm erklärt: »Sie ist mit einem Bügeleisen ermordet worden. Man hat ihr den Schädel eingeschlagen. Das Bügeleisen lag noch da.«
Wato hatte Angst vor Blut. Nein, nicht direkt Angst vor dem Blut an sich. Eher wurde ihm beim Anblick von Blut schlecht, und davor hatte er Angst.
Ich muss kotzen, dachte Wato, und schon wurde ihm übel.
»Hier.« Sergo reichte ihm eine Mappe, auf deren altem Pappumschlag »Schnellhefter« stand. Wato klappte sie auf. Es waren sehr schöne Buchstaben; für das erste Wort, die Überschrift, war besondere Sorgfalt aufgewendet worden:
»Testament.«
Bei Sergos vielsagendem Blick wurde Wato noch flauer im Magen. Er versuchte, nicht zur Seite zu schauen, durchschritt das Zimmer, öffnete die Tür des kleinen Schlafzimmers, stellte sich ans Fenster und begann zu lesen.
In Anbetracht dessen, dass mein Bruder, Dimitri M., ein beispielloser Nichtsnutz ist (sagt ihm das unbedingt) und ich mir sicher bin, dass ihm weder der Hunger- noch der Kältetod droht, in Anbetracht dessen, dass seine im Stillen mein Ableben herbeisehnenden Kinder, Nichtsnutze wie ihr Vater, mir ebenfalls völlig egal sind, sowie in Anbetracht dessen, dass der Mensch (in diesem Falle ich, Elisabeth M.) sterblich ist, zumal, wie ein wunderbarer Mann (oder wer auch immer) einmal gesagt hat, wider Erwarten sterblich ist, schreibe ich ein Testament. Wer es genau wissen will, wird feststellen, dass ich höchstpersönlich schreibe (siehe als Vergleich meine handschriftlichen Notizen in den Büchern) und meines Erachtens bei klarem Verstand bin und völlig nüchtern - als Beweis findet ihr in meinen Papieren ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass mich einen Monat vor Verfassen dieses Schriftstücks ein Hund gebissen hat, mir was gegen Tetanus und noch allerhand anderes Dreckszeug verpasst wurde und ich mich deshalb, selbst wenn ich wollte, nicht betrinken kann.
Aus obigen Gründen konstatiere ich hiermit: Da laut Gesetzgebung meines Landes 25 (fünfundzwanzig) Prozent meines Eigentums meinem nächsten, wenn auch fiesesten Verwandten zustehen, gebt (oder lasst geben - wie ihr wollt) meinem Bruder, Dimitri M., nach meinem Ableben das in meinem Besitz befindliche Sommerhaus in Nigosa, dessen Dokumente ihr ebenfalls in den Papieren findet; den Notar aber, der ihm vermutlich Haus und Hof überschreiben wird, beauftrage ich, nach Abschluss der Formalitäten zu Dimitri M. zu sagen: »Erstick dran, du Lump!«
Das übrige Eigentum, all mein Hab und Gut, vermache ich Alexander Todua, welcher mein Leben zu einem Fest gemacht hat, Nigosa sowieso hasst und ihm deshalb nicht nachtrauern wird.
Wo und wie ihr mich begrabt - mir scheißegal.
Hochachtungsvoll,
Elisabeth M.
Dazu Datum und »Tbilissi«. So eine Idiotin, dachte Wato, das hat mir gerade noch gefehlt.
»He, wo soll's denn hingehn?«, hörte er Sergo brüllen, und dann hagelte es Schimpfwörter.
Ein Junge stürzte ins Zimmer. Als er Wato erblickte, postierte er sich am Kopfende des Bettes.
Noch so ein Idiot, schlussfolgerte Wato.
Der junge Mann, oder eher Junge, hatte auf den ersten Blick nichts Auffallendes an...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Adobe-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Adobe-DRM wird hier ein „harter” Kopierschutz verwendet. Wenn die notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen, können Sie das E-Book leider nicht öffnen. Daher müssen Sie bereits vor dem Download Ihre Lese-Hardware vorbereiten.Bitte beachten Sie: Wir empfehlen Ihnen unbedingt nach Installation der Lese-Software diese mit Ihrer persönlichen Adobe-ID zu autorisieren!
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.