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Der Dativ übt sich am effektivsten, wenn man etwas mit jemandem teilt, am besten Freude oder positive Emotionen. Und wenn es die nicht gibt, dann ein Stück Kuchen.
Heute ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Dieser Feiertag entstand als Initiative sozialistischer Organisationen in der Zeit um den Ersten Weltkrieg im Kampf um die Gleichberechtigung. Auf Vorschlag der deutschen Sozialistin Clara Zetkin wurde der erste Frauentag am 19. März 1911 gefeiert. Am 8. März des Jahres 1917 kam es in Sankt Petersburg (dem damaligen Petrograd) zur Revolution, die aufgrund des zu diesem Zeitpunkt im Zarenreich noch verwendeten julianischen Kalenders auf den 23. Februar fiel und deshalb Februarrevolution heißt. Ein paar Jahre später wurde in Moskau der 8. März als internationaler Gedenktag ausgerufen, um die Rolle der Frauen in der Februarrevolution zu würdigen. Seitdem wird dieser Tag in Russland groß gefeiert: Erstens hat man an dem Tag frei, zweitens bilden die Frauen laut Statistik die Mehrheit der russischen Bevölkerung, drittens kann jeder, der einen Blumenladen besitzt, ausgerechnet an dem Tag seinen Jahresumsatz machen. Jeder Mann, der an diesem Tag ohne Blumenstrauß nach Hause kommt, verurteilt sich selbst zum Tode. Schon im Kindergarten üben die Jungen fleißig die Lieder und Gedichte für ihre Mütter und alle Mädchen, ihre potenziellen Ehefrauen. Sie wissen ganz genau, dass sie nicht nur etwas vorsingen, sondern etwas für sie basteln und ihnen Blumen schenken müssen. Ab der Volksschule wird der Staffelstab vom weiblichen Lehrpersonal übernommen, um den Jungs die Gewohnheit, Blumen zu schenken, weiter anzutrainieren. Spätestens im Alter von sechzehn Jahren ist das Blumen-schenken-Gen beim männlichen Teil der russischen Bevölkerung so gut programmiert, dass keine Steuerung von außen mehr nötig ist: Der Selbstschutzinstinkt führt alle Männer am 8. März ins Blumengeschäft. Dieser Tag wird bei den Männern genauso groß gefeiert wie bei den Frauen. Meistens fangen die Groß- und Kleinbetriebe schon einen Tag vor dem eigentlichen Feiertag und noch vor Arbeitsbeginn an zu feiern, damit man sich am Feiertag vom Feiern erholen kann.
Am 8. März geht es heutzutage ums Schenken: Man schenkt Blumen und Aufmerksamkeit. Schenken ist wie geben, geben entspricht dem lateinischen dare und der Dativ kommt von diesem dare. Im Russischen entspringen das Wort für Geschenk - podarok - und das Verb schenken - darit' - der lateinischen Sprache.
Info für die Muttersprachler:
Der Dativ gehört in der Grammatik zu den Kasus. Die Funktion des Dativs ist es, den Empfänger des Gegebenen zu bezeichnen. Den Dativ verwenden wir nach bestimmten Verben und Präpositionen. Die Kontrollfragen lauten Wem? oder Was? Wenn wir die Begriffe Gabe oder Begabung näher betrachten, dann wird uns klar, dass es bei diesen Wörtern ums geben geht.
Blumen gehören in Russland zum 8. März wie das Bier zum Oktoberfest, der Krampus zum Nikolausumzug, die Ziachkiachl mit Kraut zum Weihnachtmarkt in Tirol, der Stau zum autofreien Tag im Außerfern - und selbstgebackener Kuchen zu jedem anderen Anlass, zumindest in unserer Ortschaft. Ob zum Geburtstag, auf dem Flohmarkt oder am Elternsprechtag in der Schule: Ein selbstgebackener Kuchen gehört einfach dazu. Wenn Ausländer hier Teil der Kultur und Gesellschaft werden wollen, dann sollten sie selbst einen Kuchen backen und ihn mitnehmen, egal wo sie hingehen. Kuchen bedeutet für mich feiern und sich freuen. Was wohl am Elternsprechtag gefeiert wird, ist mir immer noch ein Rätsel. Es ist wahrscheinlich so: Wenn du ein braves Kind hast, mit dem das System zufrieden ist, dann kaufst du dir ein Stück Kuchen als Belohnung. Wenn du ein einzigartiges Wesen hast, das nicht ins klassische Schulsystem passt, dann iss ein Stück zum Trost. Wie dem auch sei: Kuchen bedeutet auf jeden Fall teilen. Teilen heißt geben. Geben gehört zum Dativ. Geben ist wichtig, und noch wichtiger ist die Person, mit der man etwas teilt - selbst in der Grammatik steht das Dativobjekt vor dem Akkusativobjekt: Wer gibt wem was?
Da das Thema ohnehin schon anstrengend ist, möchte ich im Kurs niemanden mit meiner Backkunst überfordern und besorge stattdessen einen selbst gekauften, selbst gebrachten und fast selbst geschnittenen Streuselkuchen. Also, wir feiern heute. Zu meiner Unterstützung kommt aus dem ehemaligen sozialistischen Lager die Teilnehmerin Tina aus Georgien. Sie feiert den Frauentag auch und freut sich über alle Pronomen, den Dativ und den Akkusativ. Hauptsache, sie hört heute: "Alles Gute zum Frauentag!"
Die Konstruktion Ich wünsche dir viel Spaß/viel Glück/viel Erfolg! funktioniert heute besonders gut. Bei jedem Ich wünsche dir . seitens der Männer blühen die Damen auf. Je mehr sie aufblühen und sich mit Das ist nett von dir!/Das ist lieb von dir! bedanken, umso mehr Motivation und Energie haben die Herren, ihnen noch etwas zu wünschen, und zwar eine gute Fahrt/eine sichere Reise/schöne Ferien - einfach alles, was in der nächsten Aufgabe steht und zur ersten nicht besonders gut passt.
Wir versuchen ein Kompliment mit einer Einladung zu kombinieren: Diese Frisur steht dir gut. Darf ich dich zu einem Kaffee einladen? Merkwürdigerweise lassen sich die Damen lieber zu einer Bratwurst als zu einem Kaffee einladen. Sie reagieren fröhlicher, wenn sie Wurst hören als Kaffee, vielleicht liegt es einfach an der Uhrzeit: Es ist 19 Uhr 10. Bei den Männern liege ich auch total falsch: Die meisten laden den Partner öfter zu einem Eis ein als zu einem Bier, obwohl beide Nomen denselben Artikel haben und sie nicht das Wort auswählen, bei dem sie weniger Fehler im Dativ machen, sondern wirklich das, was ihnen besser schmeckt. Meine Idee mit dem Kuchen scheint mir langsam nicht mehr so sensationell zu sein, besonders nach dem nächsten Gespräch, in dem die Kursteilnehmer Fragen stellen sollen, was und wem schmeckt:
"Pommes schmecken mir gut."
"Kartoffeln schmecken mir gut."
"Schmeckt dir der Kuchen?"
"Nein, Spaghetti finde ich lecker."
"Ja, aber Wurst finde ich lecker."
Mir und dir sind noch in Ordnung. Ihm, ihnen, euch, ihr sind die magischen Geräusche, die kaum einer hört und kaum einer sich schnell merkt. Man muss gleichzeitig die Personenanzahl, das Geschlecht und das Pronomen definieren und die richtige Form im Dativ nennen - und das auch noch mit einem Gesprächspartner: "Ich wünsche dem Freund viel Glück. Ich wünsche er ..., nein, es, nein, ihm viel Glück. Ich lade äh dir, nein . dich ein. Danke, das ist nett von du ... äh ... dir."
Und doch . der Kuchen! Während sie alle die Gespräche üben, packe ich langsam die weißen Pappteller und die Becher aus und schleiche aus dem Kursraum in den Gang zur Theke, hole den selbst versteckten Kuchen und das selbst mitgebrachte Messer zum Schneiden.
"Kann ich, können wir dir helfen?", höre ich hinter mir. Neugierige Augen schauen mich gespannt an.
"Ja, klar, das ist sehr freundlich von euch", antworte ich wie die Stimme aus der Hörübung Einladung zum Essen. Mohammed schneidet. Mahmud hält den Unterteller fest, die anderen verteilen die Pappteller. "Ich gebe dir ein Stück", fange ich an und reiche Tina ein Stück. "Jetzt du, Tina. Wem gibst du den Kuchen?"
Sie hält den Kopf aufrecht, stellt sich gerade hin - die typische Vorbereitung auf die Antwort in einer sowjetischen Schule. "Ich gebeee ihm den Kuchen", sagt sie und zeigt auf Ayle.
"Ich gebe euch den Kuchen", sagt Ayle und schaut Fatma und Amrak an.
"Ich ... äh ... esse nicht am Abend", sagt Fatma verlegen. Sie heiratet bald und möchte abnehmen. Wenn sie abends im Deutschkurs ist, dann freut sie sich, weil sie weder kochen noch essen muss.
"Ich schenke ihr Kaffee und nehme mir den Kuchen", reagiert Amrak schnell.
"Schmeckt dir der Kuchen?", frage ich Mahmud, der eher Wurst und Spaghetti mag, aber sein Stück hinter der Theke ganz schnell aufgegessen hat.
"Sie, nein, er schmeckt mir sehr gut", antwortet er dankend.
Die ganze Gruppe brummt vor sich hin, wer wem was gibt und was dafür bekommt. "Sehr nett von dir!", ruft Tina und klatscht vor Freude. Den ersten Teil des Gesprächs habe ich versäumt, aber anscheinend ist es nett gewesen, darum freut sie sich, dass sie es nicht nur gelernt hat, sondern gleich in einem passenden Zusammenhang gebrauchen kann. Alle sind immer total begeistert, wenn sich außerhalb des Kurses eine Situation findet, in der sie das sagen können, was sie gerade gelernt haben. Immer wieder fasziniert sie die Tatsache, dass es dieselbe Sprache ist: die, die wir im Training üben, und die, die "normale" Menschen draußen sprechen.
Amrak dreht die Runden um die Theke und wiederholt aufgeregt bei jedem Schritt: "Alles Guteee zum Frauentag, ich wünsche dir viel Glück ... aha, alles Guteee zzzumm Frauentag, aha, so, ich wünsche dir viel Glückkk!" Es schaut so aus, als würde er den Satz mit einem gewissen Ziel lernen, und zwar nicht nur für ein Gespräch im Kurs - er hat eindeutig weitgehende Pläne...
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