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Kapitel 1
»Schön!«
Regen trommelte auf das Dachfenster, als Carolin Ahrens das soeben gehörte einsilbige Wort erst einmal verdauen musste. Sie presste den Telefonhörer ans Ohr und starrte auf die erste Seite ihres Manuskripts.
S.C.H.Ö.N. Schön. Mehr hatte ihre Lektorin Anette Bach über die erste Hälfte ihrer Geschichte nicht zu sagen. Dieser Gedanke und der Geruch nach frisch gestrichenen Wänden des Arbeitszimmers trugen dazu bei, dass Carolin ganz schwindelig wurde. Sie hatte mehr erwartet als dieses nichtssagende Wort. Schön war, dass Prinz Harry und Meghan den kleinen Archie bekommen hatten. Oder dass der Mai bisher doch nicht so trocken war wie im letzten Jahr. Ein schöner Roman . das war in etwa so wie Marmelade, die man immer noch essen kann, wenn man den Schimmel abgekratzt hat. Dennoch wollte sich Carolin nicht unterkriegen lassen.
»Und wie findest du die Idee, dass die Protagonistin sich dazu entscheidet, den Traum ihrer Selbstständigkeit zu begraben?«, fragte sie und hörte das sprichwörtliche Eis unter ihren Füßen knacken.
Anette zog seufzend Luft ein, was als Antwort genügt hätte. Eilig schob sich Carolin ein Lakritzbonbon in den Mund.
»Das finde ich . nett«, antwortete die Lektorin, zündete sich mit einem Klick! eine Zigarette an und blies den ersten Rauch aus. Die beiden Frauen arbeiteten nun seit einigen Jahren eng zusammen - jede wusste, was die andere tat, auch wenn sie gerade nur telefonierten. »Wirklich nett.«
Carolin schluckte mehrmals kräftig, wobei ihr das Bonbon beinahe in den Rachen gerutscht wäre. Nett? Nett war fast noch schlimmer als schön. War ihr Manuskript wirklich so schlecht, dass die Lektorin keine konkreteren oder gar blumigeren Worte dafür finden konnte?
Normalerweise entfachte Anette ein Feuerwerk an Lobpreisungen über ihre Arbeit.
»Sie könnte allerdings auch für ihre Selbstverwirklichung kämpfen, oder?«, fuhr die Lektorin fort. »Es wäre schon ziemlich stark von ihr, David und seiner Spielsucht den Kampf anzusagen. Stell dir vor, dein Partner würde euer Erspartes bei Pferdewetten und damit deine beruflichen Chancen verspielen - würdest du das hinnehmen?«
Carolin dachte über das Gesagte nach und ärgerte sich über die Tatsache, dass Anette recht hatte. Ihre Romanheldin gab zu schnell auf.
»Keine Sorge, Caro. Da ist auch schon ganz viel Gutes in deinem Manuskript. Besonders gefällt mir die Szene, in der Ella mit ihrer Mutter spricht. Sehr warmherzig. Und dann der erste Kuss zwischen Ella und ihrem alten Schulfreund auf dem Schiff - toll. Ich war so froh, als sie ihn getroffen hat.«
Carolin wagte aufzuatmen. In Anettes Stimme klang keinerlei Ironie mit.
»Dass sie sich allerdings so schnell wieder auf David einlässt . das klingt für mich nicht plausibel. Für meinen Geschmack sabotiert die Protagonistin zu oft ihr eigenes Glück.«
»Macht sie gar nicht«, gab Carolin ungewollt patzig zurück. Sie verzog das Gesicht, als hätte sie sich mit einem Hammer auf die Finger gehauen. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. »Ich meine«, setzte sie neu an, ». vielleicht hast du ja recht. Ich dachte nur, es wäre gut, wenn .« Ja, was eigentlich? Unsicher zupfte sie an der dunkelblonden Haarsträhne, die sich aus dem Zopf gelöst hatte. Es war also passiert. Zum ersten Mal seit acht Jahren war Carolins größte Fürsprecherin mit dem Werk ihres Schützlings unzufrieden. Sie hatte es geahnt, seit Monaten schon hatte Carolin sich mit Zweifeln und dem Gefühl gequält, dass ihre Leistung dieses Mal nicht ausreichte. Weder beim Schreiben noch beim späteren Durchlesen ihrer Zeilen hatte Carolin die Geschichte richtig gespürt. Sie fand die Sprache plump, die Bilder langweilig, und an Logik mangelte es auch. Irgendetwas stimmte mit dem Text also nicht - aber was?
»Ich würde es gut finden, wenn Ella Pläne schmiedet, wie sie allein mit dem Baby zurechtkommen kann. Sie hat doch ihre Mutter an ihrer Seite. Und diesen tollen Freund aus Kindheitstagen! Das hat so viel Potenzial«, fuhr Anette fort. »Du brauchst Gefühl. Knistern. Das vermisse ich ein wenig, Caro. Aber wir kriegen das hin, keine Sorge.«
Das Wir war zwar lieb gemeint, aber Carolin wusste, dass sie allein den Roman retten musste. Und dass Anette es von ihr erwartete.
»Mir fehlt der typische Carolin-Ahrens-Stil. Dieses Süße, das gleichzeitig tiefgründig ist. Deinen feinen Humor, die flotten Dialoge, wie der zwischen Ella und ihrer Oma. Da habe ich herzlich gelacht, Caro, so großartig ist er. Ich will mehr davon. Mehr Carolin, verstehst du?«
Sie hatte sich Anettes Anmerkungen auf einem Block notiert und umkringelte den letzten Satz mehrfach. Mehr Carolin. Wenn's nur das war . Sie musste schlichtweg schreiben wie immer, ganz einfach. Carolin holte so tief Luft, dass die Buchstaben auf dem Bildschirm vor ihren Augen verschwammen wie Tinte, die man mit Wasser beträufelt hatte. Ständig war sie darum bemüht, die Menschen um sich herum zufriedenzustellen, sodass sie gar nicht mehr gewusst hatte, wie es war, es nicht zu schaffen. Diese Erkenntnis verunsicherte Carolin umso mehr, und sie fragte sich, was das wohl über sie aussagte. War es gut oder schlecht, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse hinter die der anderen stellte? Carolin war sich nicht sicher. Und es machte sie traurig, dass sie offensichtlich so wenig auf ihren eigenen Standpunkt hielt.
»Du sagst ja gar nichts«, sagte Anette und fügte in mütterlichem Tonfall hinzu: »Auch, wenn es dir gerade schwierig scheint, bin ich sicher, du schaffst das.«
»Ich könnte ihren Freund von früher schon eher einführen«, schlug Carolin lahm vor, erhob sich und öffnete das Velux-Fenster nur einen Spaltbreit, damit es nicht reinregnete. Sie brauchte frische Luft. Niedergeschlagen ließ sie den Blick über den Garten schweifen, in dem sich bereits braungraue Pfützen gebildet hatten, auf deren Oberfläche unerbittlich dicke Regentropfen einschlugen. Die weißen Blüten der Jasminsträucher wirkten farblos und ausgefranst, und auch die Verbenen ließen die pinkfarbenen Köpfe hängen. Die Pflanzen sahen genau so aus, wie Carolin sich fühlte.
»Prima Idee!«, freute sich Anette. »Siehst du, ein paar Handgriffe, und die Sache läuft.«
Mutig geworden straffte Carolin die Schultern. »Wie würdest du es finden, wenn er Ella dabei hilft, ihr Geld zumindest teilweise zurückzubekommen, und sie sich darauf einlässt, obwohl sie normalerweise keine Kämpfernatur ist?«
»Genau! Sie hat ja jetzt auch Verantwortung für das Baby. Ella muss sich ganz untypisch verhalten, sich überwinden. Das macht die Leserin neugierig. Viele wünschen sich insgeheim vielleicht mal, etwas zu tun, was sie sich normalerweise nicht trauen würden, oder?«
Carolin neigte den Kopf und dachte über Anettes Worte nach, doch je mehr sie versuchte, sich an Situationen zu erinnern, in denen sie selbst andere mit ihrem Verhalten überrascht hatte, desto schneller wuchs in ihr die Gewissheit, dass sie sich in den letzten Jahren durchweg erwartungsgemäß verhalten hatte. Im Job: zuverlässig, loyal - in der (Ex-)Beziehung: beständig und treu. Mit der Frisur: schulterblattlange Naturwellen - in der Wahl ihrer Urlaubsorte: flaches Land, bloß keine Berge.
»Eine Sache noch.« Anette räusperte sich, und Carolin stellte sich vor, wie sie sich in ihrem Bürostuhl zurücklehnte, die Beine übereinanderschlug und genüsslich an der Zigarette zog, das Fenster trotz der wenig frühlingshaften Temperaturen sperrangelweit offen. »Hast du mal darüber nachgedacht, den Schauplatz der Geschichte zu verlegen?«
Carolin stöhnte innerlich auf. Nicht das auch noch! »Du meinst, Köln ist nicht der richtige Handlungsort?«, fragte sie.
»Ich weiß, du bist mit dieser Stadt verbunden, weil du dort aufgewachsen bist und da wohnst«, sagte Anette, deren Tonfall keinen Zweifel daran ließ, dass ein dickes Aber folgen würde. »Aber das erwartet die Leserin. Wäre es nicht reizvoll, ihr diesmal etwas anderes zu bieten?«
»Etwas anderes?« Das war's. Schluss, aus. Das Manuskript, an dem Carolin fast neun Monate geschrieben hatte, würde niemals veröffentlicht werden. Zu viele offene Handlungsstränge. Kein roter Faden. Langweilige Charaktere. Eine Protagonistin, die sich selbst sabotierte. Und jetzt auch noch ein falscher Handlungsort. Sie blinzelte. All die Momente, in denen sie sich zusammengerissen, sich wieder und wieder die Fanpost durchgelesen hatte, als brauchte sie einen Beweis für ihr Können, schienen nichts wert zu sein . Stopp. Energisch atmete sie durch. Carolin Ahrens warf die Flinte nicht ins Korn, früher nicht und jetzt schon gar nicht. Nicht umsonst hatte sie etwas, wovon viele Kollegen träumten: Sie lebte vom Schreiben.
»Einen Ortswechsel also«, brachte sie bestimmt hervor und öffnete Google Maps. »Was genau schwebt dir denn vor?«
»Lass deine Geschichte spielen, wo du dich wohlfühlst, Caro. Ganz egal. Nur nicht in Köln. München wäre auch eher schlecht, genau wie Hamburg oder Berlin. Such dir etwas Neues, ja? Etwas Besonderes.«
»Etwas Besonderes«, wiederholte Carolin. »Bekommst du.«
Carolin verabschiedete sich, und Anette sprach ihr ein letztes Mal Mut zu. Natürlich! Wäre doch gelacht, wenn Carolin die Talfahrt nicht locker für einen Aufschwung nutzen würde. Dumm nur, dass sie sich in diesem Moment genauso leer fühlte wie die Tüte Lakritzbonbons auf ihrem Schreibtisch.
Die Buchhandlung Zehnpfennig...
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