Schweitzer Fachinformationen
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Prolog
Sommer 1989
Manchmal entsteht Liebe aus einem Blick. Einem Lächeln, einer Berührung. Vielleicht aus einem Wort. Oder, so wie in Cleos und Christians Fall, mit einem Fußball, der gegen Guido Schmiderskis Stirn prallte. Blicke und Gesten geraten womöglich mit der Zeit in Vergessenheit, die Erinnerung an diesen Tag jedoch wird niemals verblassen .
Es war der erste Sommerferientag, an dem Cleo auf der großen Wiese hinter dem Spielplatz Radschlag üben und Blumen pflücken wollte. Weil die Mittagssonne am wolkenlosen Himmel glühte, band sie sich die blonden Haare zum Zopf und schnappte sich den Roller, den sie von ihren Eltern zum neunten Geburtstag bekommen hatte. Während sie ihn durch den Rosenweg steuerte, an dessen Ende sich der Spielplatz befand, hoffte Cleo, dass Guido Schmiderski diesmal nicht dort sein würde. Sie hatte ihn noch nie leiden können, da es ihm einen Heidenspaß bereitete, seine Mitschüler zu schikanieren und sich über ihre Schwächen lustig zu machen. Cleos Sommersprossen eigneten sich hervorragend dafür. Früher hatte sie sich darüber nie Gedanken gemacht - sie waren eben da. Aber nachdem Guido angefangen hatte, sie deswegen zu ärgern, war sie eines Morgens mit roten Flecken im Gesicht in der Schule erschienen. Die hässlichen Sprenkel auf Nase und Wangen ließen sich einfach nicht wegrubbeln. Immer wieder hoffte sie, Guido würde von ihr ablassen, sich zum Beispiel Annekathrin mit ihrer festen Zahnspange vorknöpfen oder Tobias, der ständig Hochwasserhosen trug - auch wenn dieser Wunsch gemein war. Doch inzwischen hatte er sie erst recht auf dem Kieker. Cleo bemühte sich redlich, ihm aus dem Weg zu gehen, was kaum möglich war, weil er in der Parallelstraße wohnte, sodass sie sich jeden Morgen begegneten. An jedem verdammten Schultag.
Cleo spürte, wie die Sonne auf ihren Schultern brannte. Sie stieß sich mit dem Fuß vom flirrenden Asphalt ab. Bitte lass Guido nicht da sein, flehte sie das Schicksal stumm an und fragte sich, ob es jemals einen Tag in ihrem Leben geben würde, an dem sie keine Angst mehr vor ihm hätte. Natürlich war alles Hoffen sinnlos, denn Guido lungerte quasi pausenlos auf dem Spielplatz herum, oder er spielte Fußball mit einem seiner Kumpel. Diesen Sommer hatte Cleo ihn häufig mit Christian aus der 4c gesehen, den sie aus dem Kindergarten kannte und der ihr damals schon unheimlich gewesen war. Mit seinem hellbraunen Augenpflaster gegen ein schielendes Auge, der Brille und den zerzausten blonden Haaren hatte er auf sie stets wie ein Pirat gewirkt, und die waren ja bekanntlich keine liebenswerten Zeitgenossen. Mittlerweile konnte er zwar prima gucken, und die Brille war er auch los; lächeln konnte Christian jedoch immer noch nicht. Wenigstens hatte er sich nie an Guidos Attacken beteiligt.
»Hey, Schimmelpilzgesicht!«, dröhnte eine wohlbekannte Stimme hinter der Ligusterhecke, an der Cleo gerade vorbeifuhr.
Mist, sie hatte nicht aufgepasst. Guido sprang aus der Hecke, um ihr den Weg abzuschneiden, doch Cleo wich ihm geschickt aus, den Blick stur geradeaus gerichtet.
»Los, hinterher!«, rief Guido jemandem zu, der sich offensichtlich noch hinter der Hecke befand.
Von hier aus blieb ihr nur noch, auf den Spielplatz zuzurollern, der sich am Ende der Sackgasse befand, denn umkehren war keine Option. Warum war sie bloß ohne ihre Freundin Toni hergekommen, die kein Problem damit hatte, sich mit Jungs zu prügeln, und in deren Gegenwart sogar Ekel-Guido weich wie Toastbrot war? Cleo hörte die schnellen Jungsschritte hinter sich. Vor Angst hätte sie am liebsten geweint, aber sie beherrschte sich, um nicht noch mehr Hohn auf sich zu ziehen. In Augenblicken wie diesen konnte sie Guido nicht bloß nicht ausstehen, sie hasste ihn sogar. So, so sehr. Ihm reichte es nicht, andere mit Worten zu attackieren, sondern er hob bei den Mädchen auch zu gern die Röcke hoch. Und da Cleo heute Shorts trug, war ja klar, dass er sie auf andere Weise ärgern würde.
Sie erreichte das Ziel als Erste, sprang von ihrem Roller, ließ ihn gegen den Holzzaun kippen und betrat den Spielplatz. Zum x-ten Mal nahm sie sich vor, sich nicht von Guido einschüchtern zu lassen, ballte die Hände zu Fäusten und wandte sich um. Guido grinste, während Christian Abstand hielt und Cleo mit diesem merkwürdigen Blick anstarrte. Ganz so, als sähe er durch sie hindurch.
Cleo stemmte die Hände in die Hüften, obwohl sie sich viel lieber unsichtbar gemacht hätte.
»Lass mich endlich in Ruhe!«, forderte sie, doch ihr Gegenüber entblößte nur einen abgebrochenen Zahn und zeigte mit dem Finger auf sie.
»Dumme Gans.«
Sie streckte Guido die Zunge heraus und lief an der Wippe und am Sandkasten vorbei zur Spielwiese. Sie wusste selbst, wie wenig eindrucksvoll ihre Reaktion gewesen war, aber sie hatte sich immerhin nicht einschüchtern lassen. Nicht offensichtlich zumindest.
»Ich habe da noch ein paar Spinnen für deine Haare!«, rief ihr Guido hämisch nach. »Los, Chris, fangen wir sie.«
»Nee«, hörte sie Christian sagen, und Cleo wunderte sich, dass er überhaupt sprechen konnte. Bisher hatte sie seine Stimme noch nie gehört. Sie klang irgendwie . weich wie Schokoladenkuchen und warm wie Kakao. Richtig nett, obwohl er ja nur ein Dreibuchstabenwort gesagt hatte. Und er in Wahrheit total doof war.
»Hey, wir wollen doch Fußball spielen, und zwar ohne die.«
Um ihre Angst zu überspielen, schlug Cleo konzentriert mehrere kunstvolle Räder und malte sich dabei aus, wie sie sich an Guido rächen würde. Und zwar so, dass er sich genauso schlecht fühlte wie die, denen er wehgetan hat. Sie fragte sich, was die anderen Jungs an ihm fanden. Christian zum Beispiel - warum hing er bloß ständig mit dem blöden Guido rum?
»Buh!«, machte der plötzlich und versperrte Cleo den Weg. Diesmal hatte sie keine Möglichkeit zu reagieren. Sie verlor prompt das Gleichgewicht und kippte um. Unter ihren Handflächen spürte sie das von der Hitze getrocknete Gras und fühlte sich klein wie eine Ameise, vor allem als Guido sich über sie beugte. Flink rollte sie sich zur Seite und rappelte sich auf.
»Schimmelgesicht, mach 'ne Fliege, wir wollen Fußball spielen, und das ist 'ne Sache zwischen Männern. Stimmt's, Chris?«
Christian antwortete nicht. Er guckte nur. Die Hände in die Taschen seiner Bermudas gesteckt, wirkte er völlig unbeteiligt. Als Guido ihn zu sich winkte, rührte er sich immer noch nicht.
»Pass auf, Schimmelgesicht«, sagte Guido nun wieder an Cleo gerichtet. Er grinste dabei, wie Blödis nun mal grinsten. »Ich zähle bis zehn, und du verziehst dich.« Tatsächlich legte er eine Hand über die Augen. »Los, troll dich!«
Cleo wich einen Schritt zur Seite, um an ihm vorbeizulaufen. Sicher sein konnte sie sich zwar nicht, dass er sein Angebot ernst meinte, trotzdem erschien es ihr klug, die Flucht zu riskieren. Ein letztes Mal musterte sie Guido, der soeben den Mittelfinger seiner freien Hand hob. Blödmann!
Plötzlich, wie aus dem Nichts, zischte etwas an Cleo vorbei. Etwas Schwarz-Weißes, Rundes. Der Fußball prallte mit voller Wucht gegen Guidos Stirn, der aufheulte, taumelte und auf dem Hintern im Gras landete. Ungläubig sah Cleo von ihm zu Christian, der nach wie vor schwieg und sie anguckte. Und sie guckte zurück. Auf einmal rauschte es in ihren Ohren, und Guidos Gejammer wurde ganz leise. Ihr Herz machte einen merkwürdigen Hüpfer, mehr noch als vor drei Wochen bei ihrer allerersten Eins in Mathe. Während sie sich ansahen, verstrichen die Sekunden, wurden zu Stunden, aus Tag wurde Nacht und umgekehrt. Es war verrückt. Schließlich zuckte Christian die Achseln und wandte sich zum Gehen.
»Boah, was soll das? Mensch, tut das weh!«, winselte Guido, der mittlerweile auf dem Rücken lag. Cleo hatte kurzzeitig ein schlechtes Gewissen, weil man Leuten, die in Not waren, doch helfen musste. Nicht sehr nett von Christian, seinen Freund abzuschießen und dann zu verschwinden. Aber obercool und megamutig! Sie rannte los und erreichte ihn auf Höhe der Wippe. Ohne ein Wort zu sagen, marschierten sie zuerst nebeneinanderher, während Cleo fieberhaft nach dem ersten Satz suchte. Was sagte man jemandem, der den größten Feind ausgeknockt hatte? Und dessen Haut ganz warm war, was Cleo merkte, als sich ihre Arme berührten.
»Prima Schuss«, war das Erstbeste, was ihr einfiel. Sie erreichten den Zaun, an dem Cleos Roller lehnte. »Jedenfalls . danke. Ich wusste gar nicht, dass du so gut schießen kannst. Eigentlich habe ich noch nie jemanden gesehen, der so gut ist. Nicht mal Jürgen Klinsmann.«
Während Cleo plapperte wie ein Wasserfall, stoppte Christian abrupt und betrachtete sie. Braun. Seine Augen waren braun. Normalerweise achtete Cleo nicht auf solche Details wie Augen. Bei Hunden schon, aber nicht bei Jungs. Und eigentlich . wirkte Christians Blick aus der Nähe gar nicht mehr so finster.
»Warum hast du das gemacht?«, wollte sie wissen.
»Vielleicht gefallen sie ja . anderen«, waren seine allerersten Worte an Cleo.
»Hä?« Verwirrt verzog sie das Gesicht.
»Deine Sommersprossen. Die mein ich«, sagte Christian.
Die dummen Dinger. Cleo berührte mit den Fingerspitzen ihre Wange. Die fühlte sich ziemlich warm an.
Christian hatte während ihres kurzen Wortwechsels kein einziges Mal weggesehen, nicht wie sonst. Eine Haarsträhne fiel in seine Stirn. Sie war schön. Die Strähne. Und die Stirn.
»Willst du mit mir . Eis essen gehen?«, fragte er unvermittelt und mit hoffnungsvollem Blick. »Ich habe noch drei Mark fünfzig. Das reicht für...
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