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Kapitel 1
August 2017
Als Emma Matthies aus dem Kerpener Amtsgerichtsgebäude trat - einem rechteckigen Klotz aus roten Ziegeln, der so nüchtern und zweckmäßig wirkte, wie man sich ein Gerichtsgebäude eben vorstellte - , wehte ihr ein schwüler Lufthauch durch die brünetten Locken, der sich so gar nicht nach dem anfühlte, was sie erwartet hatte: Freiheit, Erleichterung. Als wollte sich das Wetter über sie lustig machen, blies der Wind dunkle Gewitterwolken über die Stadt, die ersten seit Beginn der Hitzewelle vor über zwei Wochen. Unschlüssig, was sie mit dem angebrochenen Tag anfangen sollte, an dem sich alles und nichts für sie geändert hatte, strich Emma über das Sommerkleid mit dem tiefen V-Ausschnitt. Beim Kauf hatte sich das sündhaft teure Teil genau richtig angefühlt, um Jan zu zeigen, was er in Zukunft verpasste. Während sie sich in der Umkleidekabine vor dem Spiegel hin- und hergedreht hatte, war der Wunsch in ihr aufgekeimt, er möge die Trennung bereuen. Sollte er doch sehen, was er nie wieder anfassen durfte - ihren Po zum Beispiel, der in diesem Kleid besonders gut zur Geltung kam. Aber für Reue hatte Jan neuerdings selten etwas übrig, sonst wäre er wohl kaum völlig unverfroren mit seiner Neuen zur Scheidung aufgekreuzt, dem letzten offiziellen Termin, den er und Emma miteinander teilten. Ein klitzekleines bisschen Wehmut war eigentlich nicht zu viel verlangt, nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, dachte Emma.
Anscheinend doch. »Geschafft«, hörte sie Jan nämlich in diesem Augenblick hinter sich erleichtert sagen.
Um sich nichts anmerken zu lassen, zauberte sie das professionelle Lächeln auf ihr Gesicht, das in ihrem Beruf als Immobilienmaklerin über Erfolg oder Misserfolg entscheiden konnte. Immerhin hatte sie all das überstanden, was Jans Neue noch vor sich hatte. Sie war den Mann los, der irgendwo auf ihrem gemeinsamen Weg seinen Familiensinn verloren und die Lust auf andere Frauen entdeckt hatte. Ihre Nachfolgerin stöckelte geradewegs ins Unglück hinein. Als Jan und Wie-war-noch-mal-ihr-Name sich zu ihr gesellten, wagte Emma zum ersten Mal, das neue Traumpaar genauer zu betrachten.
Die elf Jahre jüngere Frau lächelte verlegen, ihre Augen strahlten jene Zuversicht aus, die Emma mit fünfundzwanzig auch noch gespürt hatte. Damals, als sie, die frischgebackene Maklerin, Jan eine Wohnung im Kölner Severinsviertel vermittelt und er sie aus Dank zum Essen eingeladen hatte. In den darauffolgenden Wochen hatte er ihr Blumen geschickt, sie in teure Restaurants ausgeführt und seiner Familie vorgestellt, womit er Emma bewiesen hatte, dass er es ernst mit ihr meinte. Lediglich drei Monate hatte Jan gebraucht, um sie davon zu überzeugen, dass er der Eine war, ohne den sie nicht mehr leben mochte.
Sie räusperte sich. Der Drang, das arme Mädchen zu warnen, verflüchtigte sich und ließ ein eigentümliches Gewirr aus Mitleid, Gewissensbissen und Schadenfreude zurück.
»Bleibt nur noch eines. Meinen Wohnungsschlüssel, bitte.« Fordernd hielt sie Jan die geöffnete Hand hin.
»Wohnungsschlüssel?« Er kratzte sich verwirrt am Kinn.
»Du hast schon richtig verstanden. Ich möchte meinen Schlüssel zurückhaben«, erwiderte Emma, und mit einem Mal stieg Wut in ihr auf - ein Gefühl, das sie bisher erfolgreich verdrängt hatte. Sie atmete tief durch. »Gib mir den Schlüssel, und du bist mich für immer los.«
Jan schnippte mit Daumen und Mittelfinger. An seine Freundin gewandt, sagte er: »Ich wusste doch, irgendetwas hatte ich vergessen.« Er zuckte die Achseln. »Sorry, Ems.«
Sorry, Ems, äffte Emma ihn in Gedanken nach. Sie konnte den Spitznamen, den er ihr verpasst hatte, nicht mehr hören. Wer wollte schon genannt werden wie ein Fluss? Sie musterte Jan unverhohlen. Zugegeben, er sah ganz passabel aus mit seinen einundvierzig, fast genauso wie damals vor elf Jahren, als sie sich kennengelernt hatten. Sein blondes Haar war voll und ohne jeden Grauschimmer, er wirkte jung und dynamisch. Ein Herzensbrecher. Denn genau das hatte er getan, als er sich zum ersten Mal in einem fremden Bett Schrägstrich auf einer fremden Autorückbank herumgetrieben hatte: Er hatte Emmas Herz gebrochen. Und es war seitdem nicht wieder verheilt, sosehr sie es sich auch gewünscht hätte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, reckte stolz das Kinn und sagte: »Fahren wir also rasch bei dir vorbei, dann haben wir es hinter uns.«
»Lisa und ich wollten zur Feier des Tages jetzt eigentlich essen gehen«, entgegnete Jan mit einem leichten Anflug von Unsicherheit in der Stimme, die Emma sofort ausnutzte.
»Erst den Schlüssel, dann kannst du machen, was du willst. Du wolltest doch frei sein.«
»Frei«, wiederholte er und schien, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, die Bedeutung dieser kleinen Silbe erst jetzt zu begreifen. Er setzte das provokante Grinsen auf, das sie früher so sexy an ihm gefunden hatte - bis zu seinem ersten Seitensprung. Kurz überschlug sie im Geiste, wie hoch die Strafe wohl ausfallen würde, wenn sie ihren Exgatten im Brunnen am Fuße der Treppe ertränkte. Oder ihn an Ort und Stelle vor den nächsten Bus schubste. Vielleicht half es auch, auf ein Wunder in Form eines Blitzschlags zu hoffen - zack bum!, Problem gelöst.
Emma seufzte und schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr etwas Besseres ein.
»Weißt du was? Behalte ihn.«
Überrascht klappte Jans Unterkiefer nach unten, und Wie-auch-immer riss die Augen auf. »Echt jetzt?«
Emma winkte ab. »Ein Schlüssel mehr oder weniger, was macht das schon?«
»Wow, so locker kenne ich dich gar nicht.«
»Du weißt einiges nicht von mir«, gab Emma zurück, setzte ein strahlendes Gewinnergesicht auf, eigentlich Jans Spezialität, und zwinkerte ihm obendrein noch zu.
Die arme Lisa - Mist, jetzt hatte sich Emma den Namen doch gemerkt - wurde weiß wie ihre Rüschenbluse und hakte sich bei Jan unter.
»Meinst du nicht, Emma sollte ihren Schlüssel zurückbekommen? Alles andere wäre doch irgendwie . komisch.« Sie kicherte nervös. Anscheinend hatte die Ahnungslose noch nicht bemerkt, dass die gesamte Situation »irgendwie komisch« war. Emma würde ihrem Partner - gesetzt den Fall, es gäbe irgendwann wieder einen - die Hölle heißmachen, sollte er jemals auf die wahnwitzige Idee kommen, den Wohnungsschlüssel seiner Ex behalten zu wollen. Unvorstellbar!
»Ach, weißt du«, sagte Emma jovial, »Jan sieht das nicht so eng. Meine Wohnung, unsere Wohnung .«
»Du hoffst wohl, dass ich dich überraschend besuche.« Jan lachte, während Lisa sichtlich verstört blinzelte.
»Ich bewundere dich für deine Fantasie«, flötete Emma und hob ihm dabei demonstrativ das Dekolleté entgegen. Eine billige Masche, aber immerhin etwas, mit dem sie Lisa gegenüber punkten konnte. Ziemlich traurig, schoss es ihr durch den Kopf, dass man sich mit sechsunddreißig, also in der viel zitierten Blüte des Lebens, mit derartigen Problemen herumplagen musste. Eigentlich sollte sie in diesem Augenblick das Mittagessen für einen Haufen Kinder zubereiten, die hungrig aus der Schule heimkamen, so wie Jan und sie es sich vor einer Ewigkeit ausgemalt hatten. Zu spät. Geschäftsmäßig hielt sie ihm die Hand hin. »Alles Gute für dich.« Sie nickte Lisa zu. »Für euch.« Kurz erwog sie, Jan um den Hals zu fallen, um Lisa den Rest zu geben, aber die konnte nun wirklich nichts dafür, dass er ein derart schäbiges Exemplar von einem Ehemann abgegeben hatte. Nun war er ihr Ex - der Titel stand ihm, fand Emma.
Souverän schritt sie die Stufen hinunter und bog nach rechts in Richtung Parkplatz ab, als sie jemand plötzlich rücklings am Arm packte. Bereit, den Angreifer mit Händen und Füßen in die Flucht zu schlagen, fuhr Emma ruckartig herum.
»Jan!«, stieß sie atemlos hervor. »Musst du dich um Himmels willen so anschleichen?«
Er hob unschlüssig die Schultern. »Ich wollte nur sichergehen, dass du okay bist.«
»Bisher hatte ich nicht das Gefühl, dass dir mein Wohl sonderlich am Herzen gelegen hätte.«
»Zugegeben, es ist eher . unglücklich mit uns gelaufen.«
»Unglücklich.«
»Na ja, jedenfalls sollst du wissen, dass ich dir niemals wehtun wollte.« Er schluckte. »Dieser Drang nach Ablenkung . Natürlich war es nicht okay, was ich gemacht habe, aber wenn man lange Zeit immer mit derselben Frau zusammen war . Und dann der Druck, endlich ein Kind zu bekommen, und die Enttäuschung - Monat für Monat. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns zu weit voneinander entfernt hatten, und dann die Sache mit dem . Na, du weißt schon. Du hast doch bestimmt auch .«
»Was denkst du eigentlich von mir?«
»Dann hast du also nie mit einem anderen .?«
Sie starrte ihn bitterböse an. Allein die Annahme, sie hätte ihn betrogen, kränkte Emma.
»Oh Mann.« Jan rieb sich den Nacken. »Trotzdem hoffe ich, dass wir noch Freunde bleiben können. Nachdem wir die Scheidung schon so unspektakulär über die Bühne gebracht haben.«
»Ich denke nicht, dass wir uns je wiedersehen sollten.«
Jan senkte kurz den Blick, dann sah er Emma geradewegs in die Augen. »Es tut mir ehrlich leid. Alles. Ich weiß nicht, an welchem Punkt es mit uns schiefgelaufen ist. Und warum. Wir beide, das war immerhin . Und ich wollte dich nie verletzen, das musst du mir glauben«, stammelte er hilflos.
Meine Unfähigkeit, dich zum Vater zu machen, ist der Grund. Aber anstatt mit mir zu kämpfen, hast du dich zurückgezogen und fremde Frauen gevögelt, hätte Emma am liebsten geschrien. Doch all diese Worte würden nichts...
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