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Die Titanic war das größte Schiff ihrer Zeit und der Stolz der englischen White Star Line. Das mit Kohle betriebene Dampfschiff war das zweite von drei Schiffen der Olympic-Klasse, einer besonders luxuriös ausgestatteten Schiffsklasse, die White Star von der Werft Harland & Wolff in Belfast bauen ließ. Die Titanic war für den regulären Liniendienst zwischen Southampton und New York (über Cherbourg und Queenstown oder Plymouth und Cherbourg) bestimmt. Am 10. April 1912 trat sie ihre Jungfernfahrt nach New York an, erreichte jedoch nie ihr Ziel. Am 14. April gegen 23.40 Uhr kollidierte sie ungefähr dreihundert Seemeilen südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und sank nach zwei Stunden und vierzig Minuten. Über 1500 Menschen verloren bei dem Untergang ihr Leben; die rund 700 Überlebenden, viele von ihnen auf Jahre traumatisiert, wurden in den Morgenstunden des 15. April von dem britischen Schiff Carpathia aufgenommen.
Der Untergang der Titanic gilt als die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten. Das ist Unsinn. Seit 1912 sind zahlreiche größere Schiffe mit jeweils mehreren tausend Passagieren gesunken. Und selbst wenn man die Verluste in Kriegszeiten als «Kollateralschaden» der allgemeinen Kriegssituation ausklammert: Wer fragt nach den knapp 4400 Toten der philippinischen Fähre Doña Paz, die am 20. Dezember 1987 nach einer Kollision mit einem Öltanker innerhalb von zwei Stunden sank? Die Frage, warum ausgerechnet die Titanic so berühmt geworden ist, wird in Literatur und Medien seit Jahrzehnten erörtert. Eine Verkettung besonderer nautischer Umstände, eine sich verdichtende Konstellation gesellschaftlicher Konflikte auf beiden Seiten des Atlantiks, eine Verklärung des Untergangs, die noch vor dem Versinken des Hecks begann – all dies hat dazu beigetragen, dass der Untergang der Titanic zum Schiffsunglück schlechthin geworden ist, zum Symbol für den Hochmut einer zukunftsgläubigen Zivilisation, aber auch für Edelmut, Mitmenschlichkeit und Aufopferung.
Um die Titanic hat sich ein Mythos entwickelt, der aus der Kultur des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist. Die Titanic war ein Schiff wie unzählige andere im harten Wettkampf um Passagiere, Geld und Renommee. Ausgerechnet ihr Untergang auf der Jungfernreise hat sie herausgehoben und zu einem Sinnbild für eine vergangene, bessere Welt gemacht. Dieser Mythos entstand nicht von ungefähr: Die Fakten und Ursachen der Katastrophe wurden verschleiert und beschönigt; dahinter standen die Interessen eines Konzerns und seiner Führung. Der Mythos machte aus dem Unglück eine Erzählung von Heldentum und tragischem Schicksal – ein Trost für die Hinterbliebenen und eine ewige Mahnung an die Lebenden.
Die Realität ist nüchtern: Sie folgt den Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs, der technologischen Entwicklung und nautischer Professionalität. Die Atlantikschifffahrt war im frühen 20. Jahrhundert ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, da sie im Passagier- und Güterverkehr die einzige Verbindung zwischen Europa und Amerika darstellte. Die White Star Line stand in harter Konkurrenz zu anderen Reedereien; vor diesem Hintergrund entstand die Idee der Olympic-Klasse – noch größere und noch luxuriösere Schiffe, um sowohl die Masse der Emigranten als auch die zahlungskräftige Oberschicht anzuziehen. So spiegelte die Titanic schon in ihrer Konstruktion die Klassen der Gesellschaft – ein Luxushotel mit mehreren Stockwerken, klaren Schranken zwischen den verschiedenen Klassen und deutlichem Abstand zwischen Personal und Passagieren. Die Titanic verkörperte das Selbstbewusstsein einer fortschrittsgläubigen, optimistischen westlichen Gesellschaft. Ein Schiff als Symbol für die Gesellschaft seiner Zeit – sein Untergang ein Fingerzeig Gottes?
In Wirklichkeit war die Titanic überhaupt keine Sensation – bis sie im Atlantik versank: Das öffentliche Interesse an der neuen Luxusklasse war auf das erste Schiff gerichtet, die Olympic, die 1911 ihre Jungfernreise antrat und mit Jubel in New York begrüßt wurde. Die Jungfernfahrt der Titanic war fast schon Routine – natürlich unter der Erwartung der White Star Line, dass sie die Leistung ihres Schwesterschiffs möglichst noch übertreffen würde. Ebenso selbstverständlich setzte der Konzern die besten Kräfte für diese erste Reise ein: erfahrene Offiziere, denen die Routinen auf dem nahezu identischen Schwesterschiff bereits vertraut waren. Sie wussten, wo auf den Atlantikrouten die Gefahren lagen und wie das Schiff in diesen Gebieten zu führen war. Ebenso wussten sie, wie man im Falle einer unerwarteten Situation zu reagieren hatte. Das Handeln der Offiziere im Augenblick der Kollision war vorbildlich. Dennoch ging die Titanic innerhalb von weniger als drei Stunden unter – obwohl sich andere Schiffe in vergleichbaren Situationen mehrere Tage gehalten hatten. Viele Rettungsboote verließen nur mit der Hälfte ihrer Kapazität das Schiff; die 1500 übrigen Menschen hatten im eiskalten Wasser keine Chance. Die Verkettung unglücklicher, aber auch von menschlichem Versagen geprägter Umstände ist komplex. Zwei offizielle Untersuchungen, die von April bis Juli 1912 in New York und London stattfanden, sollten die Ursachen des Unglücks und die Frage der Schuld klären. Sie haben eine Vielzahl an Informationen über die Gründe und den Verlauf des Untergangs festgehalten. Viele Details aber blieben offen und sind bis heute Gegenstand für Spekulationen und Verschwörungstheorien. Fakten wurden verzerrt oder bewusst verschleiert, um eine Haftung der White Star Line auszuschließen.
Demgegenüber entstand innerhalb weniger Tage ein Mythos um die Umstände des Untergangs, der aktuelle Zeitfragen aufnahm und aus der Katastrophe ein Plädoyer für konservative Wertvorstellungen machte. Europa und die USA befanden sich in einer Zeit des Umbruchs: Arbeiterunruhen, rassistische Ausschreitungen, die Einforderung von Frauenrechten – das Establishment antwortete darauf mit einem Wort: «Titanic!» Die Ritterlichkeit der reichen Passagiere und die Professionalität der Crew «bewiesen» die Überlegenheit eines Wertesystems, in dem weiße Männer angloamerikanischer Herkunft «von Natur aus» das Sagen haben. Und der protestantische Gott, geehrt durch den «Choral am Ende der Reise», gab seinen Segen dazu. Natürlich nicht, ohne die Besinnung auf die wahren Werte in einem Zeitalter hemmungslosen Fortschrittsglaubens und menschlichen Hochmuts anzumahnen. Die Titanic war das ideale Thema für Presse und Publizistik – vor allem aber griff das junge Medium Film das Potenzial auf, das in der spektakulären Katastrophe lag. Bereits am 14. Mai 1912, exakt einen Monat nach der Katastrophe, kam der erste Titanic-Film ins Kino: Saved from the Titanic, mit der Schauspielerin Dorothy Gibson als Star, die den Untergang der Titanic überlebt hatte. Insgesamt zehn Spielfilme um den Untergang der Titanic entstanden im Zeitraum von 1912 bis 1997. In ihnen wird das Geschehen in vielfacher Weise für die jeweiligen Fragen der Gesellschaft aufbereitet, von einem NS-Propagandafilm über ein amerikanisches Melodram der fünfziger Jahre bis hin zu der großen Romanze von James Cameron. Im Verein mit zahlreichen Titanic-Romanen und -Gedichten zeichnen sie ein populäres Bild der Katastrophe, in dem es immer wieder um Liebe jenseits von Klassenschranken und Tod geht.
Einen entscheidenden Impuls für die Entwicklung und weltweite Verbreitung des Titanic-Mythos gab die Veröffentlichung von Walter Lords Buch A Night to Remember im Jahr 1955 – einerseits der erste Versuch, den Stunden des Untergangs mit Hilfe von Zeugenaussagen dokumentarisch auf den Grund zu gehen, andererseits die endgültige Festlegung des Titanic-Mythos auf die nostalgische Trauer um eine verlorene, bessere Welt. Lords Bestseller wurde zur «Bibel» der Titanic-Forschung und löste eine wahre Lawine von historischer und pseudohistorischer Beschäftigung mit dem Unglück aus. Die neue Welle des Titanic-Kults gipfelte in der Entdeckung des Wracks im Jahr 1985, um das seitdem ein wahrer Totenkult entstanden ist. James Camerons Welterfolg Titanic (1997) lebt von der Faszination des Unterwassermausoleums, vom Kontrast zwischen hochmoderner Hightech und nostalgischer Traumwelt, in der zuletzt allein die Liebe zählt. Mit diesem Film scheint das letzte Wort gesprochen – gleichzeitig boomt der Titanic-Kult wie nie zuvor. Internet und Computersimulationen öffnen ungeahnte Möglichkeiten in der virtuellen Welt; demgegenüber bieten Museen, Gedenkstätten und die Position des Wracks ideale Ziele für den Titanic-Tourismus.
Der Titanic-Mythos hat geradezu religiöse Dimensionen. Die Opfer sind die Märtyrer, die Überlebenden die Heiligen, Lords Buch ist die Bibel, die historischen Orte sind Pilgerstätten – und das Wrack ist der nahezu unerreichbare Tempel. Der Untergang der Titanic ist ein Stück Geschichte, nachprüfbar bis in die Details der Biographien von Passagieren und Crew – und er ist ein Stück Paradies, entrückt in eine ferne Vergangenheit und in geheimnisvolle Tiefen.
Die Titanic 1912 im Dock von Southampton....
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