Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein strahlender Sommermorgen. Ich hatte sehr gut geschlafen und spürte eine tiefe Befriedigung aufgrund der Diskussion mit meinen neuen Freunden. Je näher ich dem Goethehaus kam, desto stärker wurde allerdings meine Beunruhigung wegen der gestohlenen Gegenstände. Vom Parkplatz in der Puschkinstraße lief ich links hinauf zum Goethehaus. Die anderen warteten bereits. Wir gingen hinein und mischten uns auf ausdrücklichen Wunsch von Martin Wenzel unter die Touristen, später wollten wir uns dann in seinem Büro im Erdgeschoss treffen.
Wir nahmen den normalen Besuchereingang, der vom Goethemuseum aus durch eine Seitentür in den Innenhof des Goethe-Wohnhauses führt. In der Mitte des Hofs, der wie ein breit gezogenes U geformt ist, blieb ich stehen. Der kleine Brunnen plätscherte wie eh und je und gab mir das Gefühl von Unvergänglichkeit. Das gleichmäßige Geräusch des fließenden Wassers mochte glauben machen, der Brunnen sei seit Goethes Zeit nie zum Stillstand gekommen.
Wir wandten uns dem Vorderhaus zu und betraten es durch den zum Hof gelegenen Eingang des Haupttreppenhauses. Durch diesen Eingang kamen zu Goethes Zeiten die Besucher, die mit der Kutsche anreisten. Der Kutscher fuhr durch das linke Tor in den Hof, hielt in der Mitte des breiten Us, die Gäste stiegen aus und der Kutscher verließ das Anwesen durch das rechte Tor - für die damalige Zeit sehr komfortabel. Das große, breite Treppenhaus, das Goethe nach seiner ersten Italienreise gemäß einem italienischen Vorbild einbauen ließ, wirkt noch heute sehr imposant. Es war Ende des 18. Jahrhunderts das einzige dieser Art in ganz Weimar. Von hier gelangt man in die erste Etage. Bevor ich in Goethes Gemächer eintrete, bleibe ich normalerweise auf dem obersten Treppenabsatz stehen und genieße den Blick in dieses ganz besondere Treppenhaus. Nicht so heute - der Sinn stand mir nicht danach. Ohne den >Salve<-Gruß auf der Türschwelle zu beachten, betrat ich den Gelben Saal. Dieser Raum stellt den Mittelpunkt des Hauses dar. Hier pflegte Goethe größere Gesellschaften zu geben. Bei der Vorstellung, wie Goethe hier mit seinen Freunden tafelte, überkam mich wieder dieses Gefühl der Unvergänglichkeit. Unterstützt wurde dieser Eindruck von der Art der Präsentation im Goethehaus: Nirgendwo hingen Hinweisschilder oder Erklärungstafeln, das gesamte Haus war so belassen, als sei der Hausherr nur eben kurz weggegangen.
Wenzel führte uns diskret zu einer Tür direkt neben der Büste des >Zeus von Otricoli<. Das kleine Esszimmer war durch eine Leine abgetrennt, die Besucher durften es nicht betreten. Da wir uns unauffällig verhalten sollten, gingen auch wir nicht hinein. Ich beugte mich über die Leine und blickte unwillkürlich nach links. Vier Bilder sollten eigentlich an dieser Wand hängen, doch links unten fehlte eines. Unter den >Eichen im Willingshäuser Wald< klaffte ein großes Loch. Es wirkte wie eine Verletzung. Ich hob meine Hand in dem Bestreben, etwas zu tun, und ließ sie sofort wieder sinken. Im Moment konnte ich nichts tun - noch nicht. Neben der hässlichen Lücke hing ein dilettantischer Zettel mit der Aufschrift: >Bucht von Palermo und Monte Pellegrino, Christoph Heinrich Kniep, 1788, Federzeichnung, aquarelliert. Zur Zeit in der Restaurierung.<
Ich saugte den Anblick und die Stimmung in mich auf, ohne auf die vielen Menschen zu achten, die das Goethehaus durchströmten. Ich wollte mich ganz auf den Ort und die Tat konzentrieren und stellte mir vor, ich sei der Täter. Wie konnte man ein Bild aus einem Raum stehlen, durch den sich täglich Hunderte von Leuten bewegten? War er ein eiskalter Profi, der nur das Geld sah, oder ein Fanatiker, nervös, darauf bedacht, seinen Traum wahr werden zu lassen? Und welchen Traum? Ich spürte, dass sehr viel Arbeit vor uns lag, doch ich spürte auch den unbändigen Willen, dieses Rätsel zu lösen. Wie ein Fußballspieler nach dem Gegentor: jetzt erst recht!
Als eine Gruppe französischer Touristen mit einer laut sprechenden Führerin in den Gelben Saal trat, wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen. Ich ging weiter durch das Büstenzimmer - auch Brückenzimmer genannt - in Richtung Garten. Vom Gartenzimmer aus wandte ich mich nach links in Christianes Gemächer. In ihrem Vorzimmer blicken Goethe und seine Frau von zwei großen Kreidezeichnungen auf die Besucher herab, nicht jovial oder überheblich, nicht historisch oder altklug wie in einer Ahnengalerie, nein: sympathisch und familiär, wie ein ganz normales Ehepaar, das ab und zu einen kleinen Streit austrägt, sich aber ansonsten liebt und achtet. Man meint sogar, eine gewisse körperliche Anziehungskraft zu spüren. Einige Kunstexperten streiten bis heute darüber, ob das weibliche Porträt tatsächlich Christiane darstellt.
Aus Christianes Wohnzimmer war das nächste Exponat verschwunden: >Goethes Gartenhaus von der Rückseite, Goethe, 1779/80, Graphit, Feder mit Tusche und Bister, blaue Wasserfarbe.< An der Wand zum Garten, direkt neben >Auf einem Sofa schlafende Christiane Vulpius<, hatte es gehangen. Ein von Goethe selbst gemaltes Bild - das hatte den Dieb interessiert. Warum? Sein Garten war Goethe immer wichtig gewesen - er war ein Naturforscher, noch viel mehr aber ein Naturliebhaber. Insofern hatte dieses Bild eine sehr persönliche Bedeutung für Goethe. Hatte es damit zu tun? Doch in der Vitrine in Christianes Wohnzimmer waren mehrere handgeschriebene Stücke von Goethe ausgestellt, die womöglich persönlicher waren. Die hatte der Dieb nicht mitgenommen. Etwa die beiden Versionen des Gedichts >Gefunden<, in dem Goethe seine Christiane mit einer Blume vergleicht.
Gefunden
Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümlein stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt es fein:
»Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?«
Ich wurde von einer fülligen Frau beim Lesen unterbrochen. Sie drängelte sich mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein zwischen mich und die Vitrine, so als meinte sie, ich hätte lang genug dort gestanden.
Warum hatte ihn dieses Gedicht nicht interessiert, diese intimen, zu Papier gebrachten Gedanken? Vielleicht wollte er keine Gewalt anwenden, wollte die Vitrine nicht aufbrechen?
Die Zeichnung des Gartenhauses war technisch gesehen am leichtesten zu stehlen, sie hing ungesichert an der Wand und jeder Besucher hatte freien Zugang zu diesem Raum.
Ganz im Gegensatz zu dem Fußschemel. Das Sterbezimmer durfte niemand betreten. Vom Schreibzimmer aus konnte man lediglich in das Sterbezimmer hineinsehen, das durch ein hüfthohes Gitter und Lichtschranken gesichert war, ebenso wie Goethes Arbeitszimmer.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag. Dieses allseits bekannte, ja vertraute Bild von Goethes Sterbestuhl mit dem davorstehenden Fußschemel war zerstört. Der Fußschemel war verschwunden, ja er fehlte so sehr, dass ich mir die Qualen vorstellen konnte, die Goethe im Todeskampf aushalten musste, da er nicht wusste, wo er seine schmerzenden Füße hinlegen sollte. Ich konnte den Anblick nicht länger ertragen und ging hinunter ins Erdgeschoss.
Wir trafen uns in Wenzels Büro, dort wo früher Goethes Wirtschaftsräume waren. Es kam mir vor wie der Übertritt in eine andere Welt. Moderne Büromöbel, Aktenschränke aus Metall, Telefon, Fax - irgendwie hatte ich darauf im Moment keine Lust. Ich sah auf die Uhr und beschloss, jetzt Hunger zu haben.
»Meine Herren, es ist bereits nach eins und mein Magen knurrt, wie wär's mit einem netten kleinen Mittagessen?«
»Aber das geht doch nicht, Herr Wilmut«, jammerte Wenzel, »wir müssen das unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprechen!«
Benno überlegte. »Ich könnte nebenan im >Weißen Schwan< fragen, ob wir das kleine Kaminzimmer bekommen, da sind wir völlig ungestört.«
»Klingt gut«, fand Dorst, »ich hoffe nur, der Kamin wird nicht befeuert.«
Wir gingen die wenigen Schritte zum >Weißen Schwan< und während Benno drinnen die Situation prüfte, warteten wir drei draußen im Schatten der Bäume. Nach kurzer Zeit winkte er uns hinein. »Eigentlich ist das Kaminzimmer werktags geschlossen, aber .« Benno war kein Selbstdarsteller.
». aber für den Stadtrat macht man eine Ausnahme«, vollendete ich.
»Ja, ja.« Er winkte ab.
Ich war sehr froh über diese Ausnahme. Im Kaminzimmer war es schön kühl, das Interieur sehr alt, ähnlich dem im Goethehaus, was mich zum Nachdenken anregte. Ich bestellte Schweinebraten, Thüringer Klöße und ein Ehringsdorfer Urbräu. Während des Essens diskutierten wir lebhaft über die zu erfolgenden Maßnahmen, nur kurz unterbrochen von dem Kellner und dem Chefkoch, der uns seine Aufwartung machte.
»Siggi, erzähl uns doch zuerst einmal, was die Kripo bisher unternommen hat, beziehungsweise woran ihr arbeitet«, bat Benno.
»Nun«, begann der Hauptkommissar, »zunächst haben wir, wie bereits erwähnt, die Spur ins Internetcafé verfolgt - ohne Ergebnis. Ein Kollege kontrolliert den Hersteller der Alarmanlage, eine Firma >DomoTech< in Leipzig. Das läuft noch. Die Anlage wurde 1992 installiert. Gestern Nachmittag habe ich von Herrn Wenzel die Liste der Angestellten des Goethemuseums bekommen, die überprüfen wir gerade, Kommissar...
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