Schweitzer Fachinformationen
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»Pack dich, du Dalcher! Du Dollmann! Wage nicht, mich mit deinem Dreck schmutzig zu machen!«
Johanna blickte sich vorsichtig um. Die Stimmung unter den Königsteinern war an diesem Tag ungewöhnlich gereizt.
Hinter ihr stand ein korpulenter Mann in Kaufmannstracht. Er wölbte die Brust, um die Goldketten auf seiner roten Schecke zur Schau zu stellen; dabei wirkte er schon lächerlich genug, weil er wegen der ausladenden Samtkappe den Kopf in den Nacken legen musste, um überhaupt nach vorne blicken zu können. Johanna gelang es nicht ganz, ihr Lachen zu unterdrücken.
Gleich darauf bedauerte sie, seinen Ärger aufs Neue angefacht zu haben.
»Verschwinde in die Gilergasse, du Hund!« zischelte er seinem ersten Opfer zu, dem Rubingräber von Königstein, der erschrocken beiseite rückte, so gut, wie es in der dichtgedrängten Menschenmenge überhaupt möglich war. »Du stinkst!«
Johanna musterte den Schimpfenden nachdenklich. Seltsam, dass einer, der diese Ausdrücke der Gosse beherrschte, ein angesehener Kaufmann sein sollte. Wahrscheinlich war er nach der Pest reich geworden und im Gefolge der neuen Burgherren nach Königstein gekommen. Hier war vieles anders geworden, seitdem sie den Burgmannenhof ihres Vaters hatte verlassen müssen, um für die Zisterziensermönche zu arbeiten.
»Da kommen sie endlich. Wird aber auch Zeit«, führte der Kaufmann seinen Monolog selbstbewusst fort und reckte den Hals. »Schließlich hat der Herr von Falkenstein eine unterhaltsame Hinrichtung ankündigen lassen.«
Niemand antwortete ihm, aber er erntete böse Blicke; den Abtrittsäuberer hatten die Umstehenden dagegen in ihren Schutz genommen.
Der Karren, auf dem der Bader und seine Magd saßen, schwankte heran. Das leise Gebet des Mönches, der ihn begleitete, wurde übertönt vom Murren der Zuschauer. Im zunehmenden Lärm fand Johanna endlich die Möglichkeit, sich unauffällig bei der jungen Frau, neben der sie gerade stand, nach den Delinquenten zu erkundigen. »Warum sollen die beiden denn gehängt werden?«
Die Magd legte erschrocken einen Finger über die Lippen und zog Johanna zu sich heran. »Du bist wohl nicht von hier? Es ist seit Tagen Stadtgespräch. Einer der Ritter des Herrn Philipp von Falkenstein behauptet, er wäre im Bad bestohlen worden. Die Reiberin und ihr Meister sollen es gewesen sein.«
»Und? Waren sie es nicht?« flüsterte Johanna, überrascht von dem skeptischen Ton der Frau und ihren feindseligen Blicken, die dem reichen Kaufmann galten.
»Niemand weiß es. Der Bader kann jedenfalls nicht beweisen, dass er es nicht war.«
Johanna nickte, bedankte sich höflich und begann, sich durch die Menschenmenge zu drängen, die die Straße zum Stadttor verstopfte. Sie hatte ganz bestimmt den Weg von Eppstein nach Königstein nicht auf sich genommen, um Zeugin einer Hinrichtung zu werden. Eigentlich sollte heute Markttag sein, und sie wollte sich nach Ysop-Blättern umschauen, um ihre Vorräte an Heilkräutern aufzubessern.
Aber Johanna kam nicht gegen die breiten Schultern der Männer an, die zum Richtplatz strömten.
»Die Falkensteiner sind doch alle gleich«, brüllte einer von ihnen. »Dieser Philipp ist nicht besser für unsereinen als der Burgmann Lienhart, der Herr lasse ihn in seinem Kerker verrotten! Tod allen Reichen!«
Johannas Herz klopfte wild. Der Mann starrte ihr mit einer Wut ins Gesicht, als ob er genau wüsste, dass sie die Tochter des Ritters Lienhart war, und sich auf der Stelle an ihr schadlos halten wollte.
Aber sein Blick irrte ab und saugte sich an jemandem anderen fest, der ihm mehr Echo zu versprechen schien. Johanna atmete erleichtert aus und beschloss, sich vom Menschenstrom mitnehmen zu lassen. Es war an diesem Tag wohl gescheiter, niemandem einen Vorwand für Tätlichkeiten zu liefern. Ohnehin würde der Markt wahrscheinlich überhaupt nicht abgehalten werden.
Im Kielwasser der zornigen Männer geriet sie dicht vor das hölzerne Podest, auf dem neben dem Galgen der Hackblock aufgestellt war. Beinahe meinte sie, das Blut riechen zu können, das über die Jahre in das Holz eingesickert war.
Inzwischen war auch der Karren an der Hinrichtungsstätte angekommen. Der Scharfrichter wartete schon. Er rührte keine Hand, als sein Knecht den Delinquenten herunterzerrte.
Der Bader, den Johanna als kräftigen und stets gutgelaunten Mann in Erinnerung hatte, war nur noch ein grauer Schatten. Bevor sie in den Zisterzienserhof von Eppstein geschickt worden war, hatte sie in Königstein gelebt, und die Badestube kannte sie, solange sie sich erinnern konnte. Noch nie hatte es mit diesem Bader Ärger gegeben; er galt als ehrlich.
Er taumelte und hielt sich am Karren fest. Sein Blick irrte einen Augenblick umher, bevor er sich auf seine Holzpantinen senkte. Der Bader hatte aufgegeben.
Die Reiberin war seine Tochter; von ihr hatte Johanna sich gern den Rücken schrubben lassen, bis er glühte, und dabei ihren respektlosen Sprüchen zugehört. Niemand hätte ihr übertriebene Ehrfurcht vor den Herren dieser Welt nachsagen können.
Sie hatte sich nicht geändert. Sie stieß dem Knecht die gefesselten Fäuste ins Gesicht und sprang ohne Nachhilfe vom Wagen. Den betenden Mönch starrte sie mit wildem Blick an.
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, erhöhte nur seine Lautstärke ein wenig.
Sein Begleiter in der Kutte eines Novizen sah ihn offenbar bedroht. Er schob seine lange Gestalt zwischen den weißgekleideten Zisterzienser und die Bademagd. Johanna stockte der Atem, als sie ihn erkannte.
Thomas, ihr Halbbruder! Lienharts Bankert!
Der zukünftige Mönch, der sie beschuldigt hatte, verantwortlich für die Hinrichtung seiner Großmutter zu sein, machte sich jetzt selbst zum Teil einer Hinrichtungszeremonie.
Immer mehr beschlich sie die Ahnung, dass es nichts anderes war. Der bestohlene Ritter war gewiss nicht allein im Bad gewesen; die Ritter pflegten Bäder gemeinschaftlich aufzusuchen, um stundenlang zu zechen, zu fressen und sich mit willigen Frauen zu amüsieren. Und es war einfacher, sich für einen Diebstahl an einem Bader zu rächen, als den Täter unter den Rittern zu suchen.
Thomas war so eifrig bei der Sache wie ein Gaukler, der einen Mönch mimt. Eindringlich redete er auf die Bademagd ein, so leise, dass Johanna nichts verstehen konnte. Dann versuchte er, das Mädchen zum Gebet auf die Knie zu zwingen.
»Hau ab, du Hanswurst von stinkreichen Klöstern und Fürstenhöfen«, schrie die Badertochter und spie Thomas einen Batzen Speichel ins Gesicht.
Neben Johanna kam Gelächter auf, das sich in Wellen durch die Zuschauer fortpflanzte. Die junge Frau warf die Arme im Triumph in die Höhe und lachte geschmeichelt. Getragen vom Wohlwollen der Königsteiner hob sie einen Fuß und trat dem Novizen kräftig zwischen die Beine. Er jaulte auf wie ein Hund.
Das schadenfrohe Gebrüll in Johannas Nähe kannte keine Grenzen. Sie legte die Hände über die Ohren. Dummerweise lenkte ihre Geste Thomas' Aufmerksamkeit auf sie. Johanna zuckte unter dem lodernden Hass in seinen Augen zusammen. Thomas war gegen Demütigung empfindlicher als die meisten Menschen. Er schien Johanna für alle Schicksalsschläge verantwortlich zu machen, auch für diese Erniedrigung, deren Zeugin sie, ohne es zu wollen, geworden war. Die Zeit hatte nichts geändert.
Die neuen Gerichtsherren auf der Burg hatten einen Schreiber geschickt, der mit gleichgültiger Miene seine Nase mit der Spitze einer Gänsefeder kitzelte, während er die letzten Vorbereitungen des Scharfrichters beobachtete.
Auch die Königsteiner hatten sich wieder beruhigt und verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit, wie der Mann fachmännisch und gelassen überprüfte, ob die Schlinge leicht auf dem Tau glitt. Als alles zu seiner Zufriedenheit ausfiel, drehte er sich um und schlenderte zum Hackblock hinüber.
Dort nahm er das breitschäftige Beil aus der Hand seines Knechtes entgegen, prüfte die Schneide mit dem Daumen und wartete darauf, dass ihm der Bader vorgeführt wurde.
Die diebische Hand des Verurteilten fiel ohne lange Vorbereitungen mit einem dumpfen Geräusch auf die staubige Erde. Das Blut spritzte in einem dicken Strahl aus dem Armstumpf. Der Henkersknecht stützte den bewusstlosen Bader geschickt hoch und hielt mit der anderen Hand den zuckenden Unterarm in die Höhe, damit alle ihn sehen konnten.
Johanna wandte den Kopf ab. Offenbar waren diese beiden Männer Meister ihres Faches. Es machte die Sache noch viel unbarmherziger.
Und dann vergaß sie die blutige Hinrichtung. Unerwartet sah sie die Frau, nach der sie so lange suchte: die Amme Ketten, die Johannas Töchterchen Gesche im Auftrag ihrer skrupellosen Stiefmutter Katherine vor ihr versteckte. Johanna hatte nach der Kettin geforscht, wann immer sie aus dem Zisterzienserhof entwischen konnte, aber bisher vergeblich.
Ohne auf die Leute Rücksicht zu nehmen, begann Johanna sich durch die Menge zu arbeiten, die sie jetzt bereitwillig durchließ. In der Nähe von Ketten blieb sie stehen. Sie zupfte sich das grobe braune Kopftuch weit über die Stirn, ohne die Amme auch nur für einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Jetzt hieß es warten, bis die Hinrichtungen beendet waren. Dann musste sie Ketten nur folgen und würde möglicherweise heute noch Gesche in die Arme schließen. Ungeduldig ballte sie die Fäuste.
Ein Seufzer aus vielen Kehlen beendete die Hinrichtungen. Wie eine Flutwelle begannen die Zuschauer nach Königstein zurückzuströmen und nahmen Johanna mit. Sie...
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