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Bremen im Jahr des Herrn 1234
Teufelsanbeter und Ketzer! So stellt sich der Papst unser Land vor!«
Okka nickte. Sie kannte den Text, jeder in der Familie tom Dieke kannte ihn. Das päpstliche Schreiben Vox in Roma über die vermeintlichen Ungeheuerlichkeiten in Deutschland war ihrem Vater zur Leidenschaft geworden. Zuweilen sprach er über nichts anderes.
Tjard tom Dieke wischte gedankenlos Krumen vom Tisch. »Es wurde zwar schon im Jahr des Herrn 1233 geschrieben, aber auch jetzt, ein ganzes Jahr später, hat es seine Gültigkeit nicht verloren. Der Heilige Vater bezweckt damit etwas. Ich möchte wissen, was.«
Okka winkte mit der gebotenen Ehrerbietung ab. »Von einer Säule würde daraufhin rückwärts ein schwarzer Kater steigen. Auch dieser wird von allen Anwesenden auf das Hinterteil geküsst«, zitierte sie mit Spott in der Stimme. »Wer wird denn solchen Unsinn glauben, Vater? Welcher Bauer würde den Hintern von Tieren küssen? Wer auch nur einmal bei seinem Vieh stinkende Kotreste aus dem Fell bürsten musste .«
Vater Tjard, über die vielen Kämpfe, die er als Bauer gegen adelige Herren hatte führen müssen, frühzeitig grauhaarig geworden, seufzte tief. »Kind, du weißt nicht, was du redest! Im Papstpalast kennen sie die Tiere, die du meinst, nicht. Auf die Festtafeln kommen Kraniche, die nach dem Kochen mit einem Federkleid geschmückt werden, egal, von welchem Vogel, nur prachtvoll muss es sein. Und Wolle sehen sie ausschließlich brennend in den vergoldeten Schnäbeln der Pfauen, wenn die beim Bankett vermeintlich feuerspeiend hereingetragen werden.«
Okka, die hier im Haus kein Kopftuch trug, lachte derart, dass sich ihre hellblonden Flechten lösten und ihr über die Schultern herabfielen. Auch Reuke, ihr Bruder, grinste über beide Ohren. »Vater, wollt Ihr damit sagen, dass nach Ansicht der Geistlichen in Rom die Wolle auf den Zungen von Pfauen wächst?«
Der Vater nickte. Das Licht von der Feuerstelle beleuchtete sein Gesicht nur schwach, aber Okka konnte doch sehen, dass er nun selbst schmunzelte. »Man sollte es fast meinen, so wenig, wie sie vom kargen Leben der Menschen wissen, die ihre Nahrung selber beschaffen müssen.«
»Ich werde allen Geistlichen aus dem Wege gehen, Vater«, versprach Okka listig blinzelnd und kam wieder auf den Beginn der Diskussion mit dem Vater zurück. »Ich möchte endlich einmal wieder auf den Markt. Es ist schon so lange her, dass ich in Bremen war.«
»Zieh es bitte nicht ins Lächerliche«, versetzte Tjard. »Du weißt so gut wie wir alle, dass die Priester seit der Fastensynode vor zwei Jahren unser Stedingerland verlassen haben. Die stellen natürlich nicht die Gefahr dar, die auf den Straßen lauert! Auf unseren Wegen treibt sich vielmehr fremdes Kriegsvolk herum, und das fackelt nicht lange.«
»Wir wissen es, Vater«, bemerkte Reuke gelangweilt und strich sich seine kinnlangen, hellblonden Haare hinter die Ohren. »Ihr predigt nicht schlechter als ein Priester.«
»Im Übrigen sind die Priester noch gefährlicher als einfache Krieger«, setzte Tjard seine Ermahnungen fort. »Also außerhalb der Familie weiterhin kein abfälliger Ton über Rom oder die Kirche! Ganz gleich, mit wem ihr sprecht. Auch bei uns gibt es Spitzel, wie ich vermute. Es ist eine sehr menschliche Eigenschaft, sich auf diese Weise Vorteile zu verschaffen.«
»Erzbischof Bernhardt soll neulich im Land gesichtet worden sein«, erinnerte sich Okka. »In bewaffneter Begleitung, wie immer. Dann gehe ich eben .«
»Was sagst du? Woher hast du dieses Gerücht?«, unterbrach ihr Vater sie mit angespanntem Gesichtsausdruck.
Okka zuckte verblüfft die Schultern. Dass ein Erzbischof, der gleichzeitig Graf war, sich gelegentlich auf seinen Besitzungen aufhielt, hatte sie für normal gehalten. Ihr Vater anscheinend nicht. Er war beunruhigt. »Ich hörte zwei alte Mägde darüber sprechen, Luecke heißt die eine, die gehörte mal zu Hiskes Gesinde. Sie ist von dieser frömmelnden Art .«
Wieder unterbrach er sie. »Das spielt jetzt keine Rolle. Was genau haben sie gesagt?«
»Dass es eine Sünde sei, wie verlassen unsere Kirchen sich jetzt ausnähmen. Sie vermissten die Gewänder der Priester und ihren getragenen Gesang. Aber Seine Heiligkeit, unser Erzbischof Bernhardt, sei jetzt wieder da, und alles würde besser. Mehr weiß ich nicht. Ich hielt es für dummes Zeug von geschwätzigen Weibern. Seine Heiligkeit!«
»Wenn es stimmt, ist es kein dummes Zeug, sondern sollte uns argwöhnisch machen«, murmelte Tjard nachdenklich. »Dann liegt wieder etwas in der Luft. Ich werde mich selbst umhören.«
Reuke zog eine Grimasse, und Okka konnte sich denken, warum. Der Vater witterte in letzter Zeit überall Gefahren. »Was erwartet Ihr denn nach zwei Kriegen, die wir Stedinger gewonnen haben, Vater? Der Erzbischof und alle, die auf seiner Seite waren, haben sich blutige Nasen geholt und sollten daraus gelernt haben, sich hier nicht mehr blicken zu lassen.«
»Und wir haben vierhundert Mann verloren .« Tjard knirschte mit düsterer Miene mit den Zähnen. »Die Gegenseite könnte daraus leicht folgern, dass auch wir gelernt haben und nicht noch mehr Männer opfern können. Wir Stedinger sind ein kleines Volk.«
Dass er jetzt abgelenkt war, passte Okka hervorragend. »Der Friede währt nun schon ein halbes Jahr, Vater. Wir können uns doch nicht zeitlebens darauf einrichten, dass ein neuer Krieg droht, und uns im eigenen Weideland zu Gefangenen machen!«
»Nun, du bist jung, ich kann dich verstehen.«
Der Vater, ein stämmiger Mann mit von der Arbeit breiten Schultern, versank anscheinend in Nachdenken über seine eigene Jugend, was Okka einige Augenblicke Luft verschaffte, um zu überlegen, welche Taktik ihr jetzt am besten zum Erfolg verhelfen konnte. Sie wollte gar nicht auf den Markt, sondern war fest entschlossen, die städtischen Großkaufleute aufzusuchen. Es musste unter ihnen einen geben, der ihre unvergleichliche Feinwolle zu schätzen wusste. Die würde sie doch nicht einem der gräflichen Aufkäufer in den Rachen werfen! Die strotzten von Primitivität und hatten keine Ahnung von Wolle. Aber sie dachte gar nicht daran, dem Vater den Grund für ihren dringenden Wunsch zu erklären. Die Schafe waren ihre Verantwortung, abgesehen vom Wollverkauf, aber auch darauf war sie sehr stolz. »Wenn Ihr so gut wärt, Vater, mir als Begleitung Galt für einen Tag zu borgen, kann mir überhaupt nichts passieren.«
»Galt! Ausgerechnet«, schimpfte Vater Tjard, schon im Nachgeben. »Eigentlich brauche ich meinen Großknecht selber dringend. Du erhältst die Erlaubnis nur, weil du tollkühn genug bist, sonst ohne Begleitung zu gehen. Von wem du das wohl hast?«
»Ja, von wem wohl?«, neckte Okka ihren Vater und umarmte ihn stürmisch, statt sich mit einem Knicks zu bedanken. »Alle Männer dieser Familie sind so.«
»Eben. Die Männer!«, warf Mutter Taalke ein, die am anderen Ende des Hallenhauses den Hühnern Eischalen vorgeworfen hatte und jetzt leise zum Flett, dem Wohnbereich, zurückgekehrt war. Die Hände in die Hüften gestützt, betrachtete sie kopfschüttelnd ihre Tochter. »Wir Frauen sind meistens etwas klüger. Bei dir habe ich meine Zweifel.«
Okka schnitt eine Grimasse ins Wams ihres Vaters hinein. Die Mutter sollte ihr die Widerspenstigkeit nicht vom Gesicht ablesen können.
Am nächsten Morgen wanderte Okka los, begleitet von Galt, einem maulfaulen Riesen aus der sächsischen Urbevölkerung des Stedingerlandes, der mit unverbrüchlicher Treue zu den friesischen tom Diekes stand. Deren Familie war unter dem Hollerrecht vor rund hundert Jahren eingewandert, um bis dahin unbewohnbares Land urbar zu machen. Galt würde es zu schätzen wissen, wenn Okka ihn trotz ihres für gewöhnlich übersprudelnden Mundwerks in Ruhe ließ. Also hing sie ihren Gedanken nach, während sie auf dem niedrigen Deich entlang der Ochtum Richtung Bremen wanderten.
Im Augenblick dachte sie an die Schafe ihrer Herde, deren Wolle von der der gewöhnlichen Heidschnucken abwich. Seitdem sie sich als mannbare Frau betrachten durfte, kümmerte sie sich um die Herde, anfangs noch von ihrem Vater beraten, welchen Bock sie mit welchem Schaf paaren sollte, dann zunehmend in eigener Verantwortung. Tjard war darüber nicht unglücklich gewesen, hatte er doch zusammen mit seinem Sohn Reuke - Okkas zwei Jahre älterem Bruder, der schon einundzwanzig war - mit den Feldern und den Kühen genug zu tun. Hinzu kamen die kriegerischen Handlungen, denen sich alle Männer von Ehre seit Jahren immer wieder widmen mussten.
Es ging um die vielen Zwingburgen, die Edelherren und Grafen im Stedingerland errichten ließen, um die rechtmäßigen Eigentümer, die Bauern, unter ihre Knute zu zwingen. Immer wieder wurde aufs Neue gebaut, und immer wieder griffen die erzürnten Landleute Burgen und angeschlossene Klöster an und schleiften sie.
Zum Teil waren die hohen Herren dem Erzbischof hörig, zum Teil lagen sie mit ihm in Fehde. Und diese trugen sie auf dem Land der Stedinger aus, die sich gegen alle wehren mussten.
Die Stedinger waren, seit sie ihr Land urbar gemacht hatten, fast abgabenfrei, beabsichtigten dies auch zu bleiben und mussten sich daher in regelmäßigen Abständen gegen den Adel der Umgebung wehren, der sich diesen neu geschaffenen Reichtum einverleiben wollte. Die tom Diekes gehörten zu den wichtigsten und vornehmsten Verteidigern der bäuerlichen Rechte, und darauf war Okka stolz. Da es schon längere Zeit keine Auseinandersetzungen mehr mit den Burgbesatzungen gegeben hatte, schien im...
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