Schweitzer Fachinformationen
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Von der Burg Alt-Lubika blickte Luder, asketischer Prediger des Herzogs Heinrich, über die tiefen Wälder des Ostens. Vor kurzem erst war er zum Priester geweiht worden, trug seitdem das härene Gewand auf bloßem Leib und aß kein Fleisch. Er war überzeugt, daß er von Gott gerufen worden sei, den Barbarenvölkern das Evangelium zu predigen.
In der Nähe der Mauer hockte schwer atmend die alte Frau, die er beim Werfen von Orakelstäben ertappt hatte, mitten im christlichen Lübeck.
Luder ging zu ihr hin und stieß sie mit dem Fuß an. »Du«, sagte er mit metallischer Stimme, »Weib, ich werde eure blutigen Opferstätten, die Eichen und die Götzenbilder zerstören. Christus wird siegen.«
Hodica sah auf. Sie verstand und sprach Sächsisch. Aber nicht einem christlichen Priester gegenüber. »Zcerneboch, der derselbe wie euer Teufel ist, soll es dir vergelten«, sagte sie. »Vergießt ihr nicht Blut an eurem Altar? Und was sind das für Götter, die du mir da anpreist? Den einen sieht man nicht - der andere hängt hilflos an einem Balken. Bei Svantevits vier Köpfen - ein Gott mit vier Köpfen ist mächtiger als einer mit einem einzigen! Aber ohne Kopf?« Sie lachte verächtlich. »Behalte du deinen Stammesgott - ich behalte meinen!« Luder verstand sie nicht, aber er hörte die Widerspenstigkeit in ihren Worten. Diese Abwehr, dieser blinde Kampf der unverständigen Menschen gegen Gott Vater und Sohn waren es, die sein unterkühltes Blut immer wieder zum Sieden brachten. Er hob die Faust gegen die Frau und schrie: »Mit Stumpf und Stiel werde ich eure Götter ausrotten!«
Die Frau erhob sich, säuberte flüchtig ihren Rock. Dann warf sie dem Priester einen kalten Blick zu und verließ den Burghof.
Der Blick der Slawin fraß sich durch das Herz des sächsischen Priesters und traf die Mauer des verfallenden Turms hinter ihm. Steine kollerten herab.
Das war der Teufel.
Luder schürzte seine Soutane und begann zu laufen. »Euch selbst muß man ausrotten, damit eure Götter sterben«, kreischte er hinter ihr her.
Hodica, mittlerweile am Fuß des Burgbergs angekommen, inmitten von Händlern und Bauern, die von oder zur Travefähre strömten, drehte sich um und sah dem fremden Priester entgegen. Sie konnte nicht fortlaufen, das Stechen in ihrer Brust kam immer öfter und gegenwärtig zusammen mit einem wilden Pochen ihres Herzens. Sie streckte ihm die gespreizten Finger wie einem wilden Wolf entgegen, um ihn zahm zu machen. Wie versteinert blieb er stehen. »Dein Kleid und deine Hände werden vor Blut triefen, wenn du vor deinen Gott geladen wirst«, keuchte sie und griff sich an die schmerzende Brust. »Deine Kinder bis ins zehnte Glied wird man an ihren blutigen Händen erkennen. Gewalt werden sie säen, und durch Gewalt werden sie umkommen .« Langsam sackte Hodica zwischen die Karrenspuren auf der Straße.
Der Priester wagte sich nicht näher heran. Während die Lübecker die Frau in einem dichten Kreis umstanden, schritt Luder wie benommen davon. An diesem Tag hatte die slawische Vielköpfigkeit über die christliche Dreifaltigkeit gesiegt.
Ymme Emeken, Tochter des Kaufherrn Albert Emeken zu Lübeck, wurde am selben Februartag siebzehn Jahre alt, an dem Lothar Conti im Jahre 1198 des Herrn zum Papst gekrönt wurde. »Gott hat mich über die Völker und Königreiche gesetzt, um auszureißen und zu vernichten, aber auch um aufzubauen und zu pflanzen«, verkündete Lothar Conti, als Stellvertreter Gottes nunmehr Innozenz III., in seiner ersten richtungweisenden Rede, aber davon wußte Ymme nichts. Sie wußte auch nicht, daß sie vom Ausreißen und Vernichten mehr zu spüren bekommen würde, als ihr lieb sein konnte.
Heute hatte sie ganz andere Sorgen. Zur Feier ihres siebzehnten Geburtstags aus dem Kloster nach Hause entlassen und erst vor wenigen Minuten angekommen, verbarg Ymme sich hinter dem dichtgewebten braunen Vorhang des Fensters ihres Elternhauses und starrte durch die Dunkelheit hinunter auf die Straße. Sehen konnte sie niemanden. Aber sie hatte das Gefühl, daß die Sache mit Everard noch nicht ausgestanden war.
Everard Scharpenberg entstammte einer adeligen Familie und versäumte nie, lauthals darauf hinzuweisen. Aber er war nur der fünfte Sohn in einer Reihe von sieben und hatte dazu noch vier Schwestern, die standesgemäß zu versorgen waren. Bargeld war bei den Scharpenbergs knapp. Sich selber innerhalb der reichen Kaufmannsschicht von Lübeck standesgemäß zu versorgen, hatte Everard deshalb für das zweckmäßigste gehalten. Aus verschiedenen Gründen paßte gerade Ymme Meeren ihm gut.
Ymme, nicht nur auf den slawischen Namen ihrer Großmutter getauft, sondern auch mutig und widerspenstig wie ihre Urgroßmutter, hatte seinen Antrag kurz und bündig abgelehnt. Als sie durch die Klosterpforte von Preetz getreten war, hatte Everard ihr den Weg versperrt und sie zum drittenmal im Abstand von wenigen Wochen gebeten, seine Frau zu werden, worauf sie wortlos zu ihrem Pferd geeilt und in scharfem Galopp nach Hause geritten war.
Er war zurückgeblieben. Sein unzufriedenes Lachen hatte sie noch im Ohr, und es ängstigte sie.
Ymme lauschte nach unten. Die Eltern unterhielten sich leise und ein wenig beunruhigt. Es war keine leichte Sache, die Ehre einer adeligen Verbindung auszuschlagen. Aber sie würden ihre Tochter nicht zwingen.
Auf der Straße dröhnten Hufschläge, und Ymme zog den Fensterrahmen mit dünngeschabter Ochsenhaut ein wenig auf. Es war ein feuchter Februarabend, ungewöhnlich, fast beängstigend warm, und graue Schwaden wäßriger Luft krochen auf das Fenster zu. Sie sah nur einen Schatten von Mann und Pferd.
Der Reiter mußte in eine der schmalen Seitenstraßen hinter Sankt Marien oder zur Fronerei abgebogen sein; das Geräusch ebbte ab und wurde vom Nebel verschluckt. Erleichtert atmete Ymme auf und begann sich wieder auf den morgigen Tag zu freuen, den sie in Ermangelung eines richtigen Namenstags festlich begehen würde.
Summend stieg sie die Treppe hinunter.
»Eines weiß ich gewiß: Selbst wenn Volrad sonst nichts zu berichten gewußt hätte - was ich mir gar nicht denken kann -, zum Geburtstag seiner Schwester hätte er geschrieben«, sagte der Vater mit besorgter Stimme.
Während Ymme ihre Eltern mit einem tiefen Knicks grüßte und dabei die Augen ihrer bekümmerten Mutter suchte, mußte sie ihm im stillen zustimmen. Ihr Bruder hatte es nie versäumt, sie zu umarmen oder ihr einen mündlichen oder schriftlichen Gruß zum Geburtstag zu schicken. Aber galt das auch für einen jungen Mann, der versuchen wollte, Geschäfte ganz neuer Art zwischen Lombarden und Dänen anzubahnen?
Kyne Emeken streifte ihre Tochter, die äußerlich ihrem Mann nachschlug, innerlich aber ihr selber, mit einem zärtlichen Blick und nickte. Dennoch sagte sie zuversichtlich: »Briefe können verlorengehen, selbst wenn man mehrere mit verschiedenen Überbringern befördert. Wir wollen auf Gott vertrauen, daß er unseren Volrad stets behütet.« Albert Emeken, der Kaufmann, der wie so viele Kaufleute auf den Ruf des Herzogs hin aus seiner sächsischen Heimat nach Lübeck eingewandert war und der so hellhaarig war wie seine Frau dunkel, zog wortlos die Augenbrauen hoch. Seine Frau, die ihm die spöttischen Gedanken vom Gesicht ablas, lächelte ein wenig. »Ja«, sagte sie dann in eigensinnigem Ton, »Gott erwartet viel von uns, wie der Bischof stets betont, wenn er uns Altlübecker von der Kanzel besonders ins Auge faßt. Ich darf dann wohl auch etwas von ihm erwarten!« Albert lachte von Herzen und umarmte seine Frau, die er nach so langer Zeit immer noch wie am ersten Tag liebte. Für einen Moment schienen seine Sorgen verschwunden. »Gott ist kein Kaufmann, Kyne. Hat dir das noch niemand gesagt?«
»Manchmal habe ich den Eindruck«, murmelte Kyne.
Der Vater erwiderte nichts, aber Ymme wußte genau wie er, daß die Mutter unter einer Vergangenheit litt, die nicht ihre eigene war, sondern die ihrer Großmutter Hodica, was jedoch für ein slawisches Herz keinen Unterschied macht.
Kyne war verstummt, und Ymme faßte sie sanft an der Hand. »Mein Geburtstag«, erinnerte sie leise, denn es wurde Zeit zu besprechen, welche Vorbereitungen getroffen worden waren, was noch zu erledigen war und welche Festkleidung sie anziehen sollte. Und dann vor allem: Welche Kaufmannsfamilien und welche ihrer Söhne waren geladen worden? Ymme brannte darauf, endlich zu erfahren, mit wem sich ihr Vater über eine verwandtschaftliche Verbindung geeinigt hatte. All das war schon lange bedacht und geplant und immer wieder verworfen worden, Ymme jedoch nur in groben Zügen durch die Briefe ihrer Mutter bekannt, allerdings ohne die Namen, die Ymme besonders interessierten. Die Nonnen waren berechtigt, die Briefe zu lesen, sie auch zurückzuhalten, wenn es nötig schien, um das Seelenheil ihrer Zöglinge zu schützen. Kyne mochte weder die Nonnen noch deren Neugier und hatte Ymme mehr verschwiegen als mitgeteilt.
Ymme zog ihre Mutter aus dem Vorderzimmer.
Das Haus Albert Emekens war nicht sehr groß und auch nicht so prächtig wie die steinernen Kemenaten, die sich die Strahlendorps und Gossenbodes zwischen Markt und Domkapitel hatten bauen lassen, kaum war die kaiserliche Vogtei fertig geworden. Aber Ymme liebte rauchgebeizte Balken und weißverputzte Gefache - im Gegensatz zu den kalten Steinwänden der Klosterschule, und in dieser Abneigung traf sie sich mit ihrer Mutter, obwohl sie sonst wie ihr Vater gut katholisch war. Frau Kyne sah ihr lächelnd nach und stieg dann hinter ihrer Tochter ins Obergeschoß, das die Familie in seiner ganzen Ausdehnung bewohnte. Keine Ware...
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