HERZLICH WILLKOMMEN IN MÜHLAU
Ich bin fast geneigt, mich im größten Verkehrsfluss mitten auf die Mühlauer Brücke zu stellen, genau ins Zentrum. Es wäre der ideale Platz, um den Blick auf so einiges zu richten, das Mühlau so ausmacht.
Die "alte" Hungerburgbahn, deren Trasse über den Schillerweg geführt hat. Die Bergstation der Seegrubenbahn auf 2.269 Metern Seehöhe, die sich am Katastralgemeindegrund Mühlaus befindet, der sich - für manche sicher etwas überraschend - bis ins Karwendel erstreckt. In unmittelbarer Sichtweite liegen das imposante Badhaus an der Anton-Rauch-Straße, das Kloster ganz oben am Waldesrand, die wildromantische Klamm, die genau genommen eigentlich schon zu Arzl gehört, die alles überblickende Kirche in ihrer typischen Farbgebung, der Trakl-Park, die Haller Straße mit der Rauch-Mühle und die Eisenbahn-Brücke, die wuchtig den immer wieder im farblichen Wechselspiel fließenden Inn überspannt und den Abschluss dieser einzigartigen "Skyline" bildet. So etwas hat nicht einmal New York zu bieten .
Nun, ich verwerfe meinen anfänglichen Gedanken mit der Brückenmitte und bleibe lieber in Sicherheit, abseits einer dieser Innsbrucker Hauptschlagadern, am Gehsteig. Das Buch, das Sie gerade in Händen halten, wäre zu Ende, noch bevor es eigentlich richtig angefangen hätte, weil der Autor seine bereits geschilderten und noch geplanten Ausführungen nicht überlebt hat. Und ehrlicherweise sieht man auch vom Gehsteig aus ganz gut .
Die "Mühlauer Brücke", im Volksmund immer wieder noch ihrer ursprünglichen Konstruktion wegen auch "Kettenbrücke" genannt, steht übrigens unter allerstrengster heiliger Bewachung: Jakobus im Westen sowie Johannes Nepomuk im Osten flankieren nördlich den Bau, wobei zweiterer Patron die eindeutig "bewegtere" Geschichte hat. Er befand sich noch bis 1843 an der "alten" Brücke, stand dann beim Badhaus und gesellte sich 1958 zu seinem Kollegen am Inn - folglich dorthin, wo ein Nepomuk als Brückenheiliger in seinem Tun und Wirken hauptsächlich zu erwarten ist. Doch damit nicht genug: Aufmerksamen Dörferstraßen-Benutzenden wird zudem nicht entgangen sein, dass auch oben im Mühlauer Ortszentrum an der Südseite der Brücke über den Wurmbach ein weiterer Nepomuk seine Zelte aufgeschlagen hat .
In Anbetracht vergangener und aktueller Baustellentätigkeiten und ihrer Begleiterscheinungen im Stadtgebiet tröstet es vielleicht, dass hier die Bevölkerung auch schon vor über 150 Jahren nicht wirklich auskam. Die "Innsbrucker Nachrichten" schreiben am 11. August 1873:
"Wegen Neupflasterung der Pfeilerdurchfahrten an der Mühlauer Kettenbrücke mit Granitwürfeln statt der bisherigen hölzernen, bleibt die Passage über diese Brücke von heute an durch 14 Tage für jederlei Fuhrwerk und Viehtrieb gesperrt."
Doch zurück zum Start: Wo fängt Mühlau denn eigentlich an und wo hört es auf? Greift man doch in der Theorie bis weit über die Nordkette hinaus und tief ins Gewerbegebiet an der Haller Straße hinein. Nun, auf den nachfolgenden Seiten wird der Bogen durchaus kürzer gespannt und zieht den Radius zwischen Inn, Tuffbach, Schillerweg und dem "Scheibenbichl" im Osten .
Das Straßen- und Wegenetz in Mühlau präsentiert sich mal klar strukturiert, mal ein wenig knifflig und herausfordernd - auch im Hinblick auf diverse Steigungen und Engstellen. Der Blick auf die Landkarte verrät es Fachkundigen wie Unvorbereiteten: Vor allem motorisierte Verkehrsteilnehmende sind durchaus immer wieder stark gefordert. Ortskenntnisse, Bergauf- und Abfahr-Künste, eine Prise Coolness und manchmal auch Gottvertrauen erweisen sich schwerpunktmäßig nördlich der Anton-Rauch-Straße als ziemlich vorteilhaft. Für diese Teile Mühlaus schadet es zudem gewiss nicht, anreisende Gäste im Rahmen von Besuchen oder Geburtstagsfeiern, aber auch Lieferdienste von Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs wie Konzertflügel, Terrassenschiebetüren oder Tiroler Vollholzbauernschränken vorab zu informieren. Vorsicht also, es könnte doch ein wenig eng und steil werden. Vor allem auch nach der Feier.
An dieser Stelle ziehe ich den Hut vor allen, die beruflich ihre Schwer- und Baufahrzeuge übers hiesige Asphaltnetz lenken müssen, denn die verkehrstechnischen Gegebenheiten sind hier - wie erwähnt - in vielen Fällen ziemlich herausfordernd .
Überhaupt scheinen sich manche Mühlauer Straßenverläufe und Hausnummerierungen einfachen Erklärungsversuchen zu entziehen - die Josef-Schraffl-Straße macht nach kurzer Zeit einfach so einen ziemlich spektakulären, wenn auch kurzen Steilausflug in Richtung Norden und der Eckenried deucht mitunter schwieriger aufzufinden als Atlantis, El Dorado oder Camelot. Von Taxis bis zu den Sternsingern können da einige ihr ganz persönliches Lied wahrhaftig "singen".
Apropos Gegebenheiten: Das Gefälle in diesem Stadtteil gefällt vor allem im Winter auch nicht immer jedermann - so kann es "da unten" im Tal durchaus noch regnen, während sich ab der Holzgasse bereits zarte Schneeflocken auf den Asphalt zaubern, und die Strecke binnen Minuten zur abenteuerlichen Spielwiese für Autofahrer mutiert. Der ultimative Härtetest für passenden Antrieb und entsprechende Bereifung, oftmals gleichbedeutend mit der Frage: Komme ich heute mit dem Auto noch nach Hause oder nicht . Schneeschuhe und Tourenski wären dann die Alternative. Noch einige Höhenmeter weiter, am Schillerweg, legt sich die weiße Pracht mitunter schon recht hartnäckig auf Kies und Waldboden und bringt damit über 150 Meter beträchtliche Differenz in Richtung Tal zum Ausdruck.
Nebeneffekt dieser Tatsache: Mehrfach zu Fuß oder mit Fahrrad absolvierte Wege im Ort steigern durch diverse Steigungen im Falle auch den persönlichen Fitnesszustand, für den man auf manch letzten Metern allerdings arg schwitzen und schuften muss. Die Abnahme ebenen Geländes steht zumeist in direkt proportionalem Verhältnis zur Höhenlage und so mancher Weg- oder Straßenteil nähert sich - mit einer Portion Augenzwinkern betrachtet - dem sechsten Schwierigkeitsgrad beim Klettern, der Anlaufspur einer Kleinschanze oder gleicht einem alpinen Testlabor für diverse Fallstudien.
Wenn Sie mich fragen, was meine ersten Erinnerungen an Mühlau sind, kann ich Ihnen sagen: Sie gehen unter anderem auf ein Sagenbuch zurück, das ich im Alter von sieben Jahren unter dem Christbaum fand. Dort findet sich nämlich die Erzählung von zwei Wildschützen, die in Mühlau eine rätselhafte Höhle erkunden, und zumindest in literarisch-geografischer Hinsicht habe ich mich nun selbst, Jahrzehnte später, an die Spuren des Duos geheftet. Mehr dazu im Kapitel "Das ist ja sagenhaft".
Meine Erinnerungen gehen aber auch zurück in die Neu-Rumer Volksschulzeit und den für mich wirklich interessant gestalteten Heimatkunde-Unterricht, so um die frühen 1980er herum. Für die jüngeren Semester unter uns also gefühlsmäßig kurz nach der Entwicklung des Buchdrucks und der Entdeckung Amerikas.
Wir lernten damals allerhand Zweckdienliches über das eigene Bundesland, zeichneten hochkonzentriert Orte und Berge auf Landkarten ein, benannten fleißig Gewässer und hätten uns in Tirol auch relativ problemlos ohne Hochleistungs-Smartphone oder Navigationssystem orientieren können. Im Groben zumindest. Ob das heutzutage auch noch funktioniert? Ich bin zugegebenermaßen ein wenig skeptisch.
In jedem Falle machten wir auf der harten Schulbank Bekanntschaft mit den sogenannten "MARTHADörfern", die sich von Mühlau über Arzl und Rum bis nach Thaur und Absam erstrecken. Und als ich später nach Hoch-Rum übersiedelte und das Gymnasium Adolf-Pichler-Platz in Innsbruck besuchte, kam ich um meinen heutigen Heimatstadtteil schon gar nicht mehr herum. Im Gegenteil. Ich fuhr regelmäßig mitten durch, denn die sogenannte "Dörferlinie D", aber auch der "C" und der "E" lotsten, oftmals mit sogenannten "Einschubwägen", zahlreiche Schülerinnen und Schüler von Montag bis Samstag hinein ins Stadtzentrum und wieder heraus. Ja, damals gab es noch Unterricht am sechsten Wochentag - bis dreiviertel zwölf! Vor allem nach Schulschluss rollten zahlreiche vollbesetzte Busse von der "Kettenbrücke", wo aus dem dortigen Gymnasium noch zahlreich zugestiegen wurde, in Richtung Mühlau. Noch jetzt umweht mich mitunter der sanfte Charme ungepolsterter, wenig flexibler Sitzgelegenheiten und per Kurbel verstellbarer Endhaltestellen-Anzeigen, garniert vom charakteristischen Motorengeräusch und einem epochal geformten Schalthebel. Im Winter suchte man zumeist, falls noch verfügbar, jene Plätze auf, unter denen sich die Heizung befand, und konnte so angenehm gewärmt die Busfahrt genießen.
Zeiten und Sitzkomfort haben sich geändert, was bleibt, ist die immer noch an vielen Stellen von baulicher Eleganz und Geschichte flankierte Konstante der Anton-Rauch-Straße - auch wenn der...