Schweitzer Fachinformationen
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Das Licht an jenem scheidenden Tag war ein beinahe schwärzliches Rot und legte sich wie geronnenes Blut über den dunklen Saum des Abends. Mit den Augen zeichnete ich die schwarzen Rücken der Hügel am Horizont nach. In meinem Rücken wisperten William und der Händler. Sie feilschten um ein Ding, dessen Wesen mir auch auf den zweiten Blick, den ich jetzt über die Schulter warf, verschlossen blieb. Zunächst hatte ich dieses Etwas für die verdorrte Frucht eines Brotbaums gehalten, doch das ergab keinen Sinn, denn darüber verhandelte man nicht mit einem Ernst, als ginge es um Leben oder Tod, man pflückte sie einfach. Auch war der Händler mit Sicherheit kein Obst- oder Gemüsehändler, es sei denn, dazu bedurfte es zweier Leibwächter mit der Statur von Ochsen, und mit Blicken, die alle Ausgeburten der Hölle auf der Stelle in die Flucht geschlagen hätten. Sie waren von Kopf bis Fuß mit Kriegsausrüstung behängt und trugen dieses Sammelsurium an Mordwerkzeugen gewiss nicht nur zum Spaß mit sich herum.
So Furcht einflößend die finsteren Gestalten auch waren, ihr Herr schien auf den ersten Blick das genaue Gegenteil. Klein und schmächtig, wirkte er fast so vertrocknet wie das Ding, um das er und William feilschten. Ja, er erweckte sogar den Eindruck, er könnte bei der leisesten Berührung zu Staub zerbröseln. Er war hässlich wie die Nacht, das Gesicht verschrumpelt wie eine in der Sonne verdorrte Kröte oder eine Dörrpflaume, die auf einen viel zu dünnen Hals gespießt über einem teuren Brokatgewand hin und her wackelte, aus dem links und rechts Ärmchen ragten, als wären es blanke, nur mit Pergamenthaut überzogene Knochen. Fast wollte man meinen, der Reliquienhändler sei selbst eine Reliquie. Allerdings war all dies vielleicht nur willkommene Maskerade. Sein Blick, den er nicht verbergen konnte, flink und wach, sprach nämlich eine ganz andere Sprache und besagte: Nur zu, ihr Leute, glaubt gerne, ich sei ein schwacher alter Mann, bei dem man leicht einen Vorteil erringen kann, glaubt es nur.
»Bei allen geflügelten Dämonen«, knurrte William in diesem Augenblick, »was soll das sein, etwa eine Urkunde? Ich lach mich tot.«
Das Lächeln des Händlers - bestimmt sollte es ein Lächeln sein und kein Zähnefletschen - blieb verbindlich. Zärtlich strichen seine Knochenfinger über das Pergament auf dem Tischchen, das eigens dafür in den Sand gestellt worden war. Neben dem Schriftstück lag jenes undefinierbare Etwas in einer mit Schnitzereien verzierten Schatulle. »Gewiss ist es eine Urkunde, es ist die Urkunde, die nichts anderes bezeugt, als dass diese Reliquie einzigartig und echt ist.«
William schob seinen Kopf ein wenig vor, wobei der Grund für seine zusammengekniffenen Augen weder am trüben Licht des scheidenden Tages noch an der Tatsache lag, dass er nicht lesen oder schreiben konnte. »Was für ein Gekritzel soll das sein?«, fragte er misstrauisch. »Du willst mir doch nicht weismachen, es handele sich dabei um eine Schrift. Es sieht mir mehr danach aus, als ob eine Schar Vögel mit Tinte an den Krallen auf dem Pergament gelandet und darauf herumspaziert sei.«
Der Händler wieherte vor Lachen. Er klang wie ein Pferd, das unsägliche Schmerzen leidet. »Vögel, mit Tinte an den Krallen. Sehr gut! Darauf herumspaziert, natürlich von rechts nach links.« Er prustete und schüttelte sich, dass man Angst um seine dürren Knochen bekam. »Wirklich sehr gut.« Das Lachen erstarb wie mit dem Messer abgeschnitten. »Aramäisch. Wie die Sprache Jesu. Die Schrift ist Aramäisch. Selbstverständlich muss sie das sein.«
»Ha«, machte William. Jeder weiß doch, dass Jesus aus Jerusalem stammte, und dort spricht man hebräisch.«
Der Händler wackelte mit seinem Skelettfinger: »Nur die, die sich für etwas Besseres halten. Und Jesus war ursprünglich gar nicht aus Jerusalem. Außerdem hat mit Sicherheit nicht er diese Urkunde geschrieben, sondern ein dazu Befugter.«
»Ein dazu Befugter?«
»Selbstverständlich. Sieh dir das Siegel an. So etwas steht nur einem Befugten zur Verfügung. Schließlich handelt es sich um ein offizielles Dokument.«
»Aramäisch also.« William wandte sich Hilfe suchend an mich. »Kennst du das? Kannst du das entziffern?«
Ich streifte das Pergament mit einem flüchtigen Blick und schüttelte den Kopf. Meine Aufmerksamkeit war in diesem Augenblich vornehmlich auf eine andere Sache gerichtet, die mich weitaus mehr beschäftigte als das Stück Papier oder die waffenstarrenden Schlächter des Händlers sowie die Tatsache, dass wir uns im fremden Nirgendwo am Ende der Welt in einer Wüste befanden. Es war vielmehr die nachdenkliche Art und Weise, wie William den schmalen Lederbeutel mit unserem letzten Silber in den Händen wog.
»Du denkst doch nicht wirklich allen Ernstes daran -«, begann ich ungläubig, doch Williams verträumter Blick, mit dem er das verschrumpelte Etwas in der Schatulle beäugte, fuhr wie ein kräftiger Windstoß in die Glut meiner schlimmsten Befürchtungen.
»William!« Meine Stimme klang so schneidend, dass die Leibwächter drohend vorrückten und der Händler besorgt die Hände hob, als fürchte er, angegriffen zu werden. Nicht so William. Der wedelte nur in meine Richtung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen, und wandte sich an den Reliquienhändler:
»Und du versicherst mir, beides ist echt? Auch die Urkunde?«
Der gesamte gerippeartige Körper des Händlers signalisierte Entrüstung. »Bei Mohammed, dem Propheten, bei Allah dem Allmächtigen, ich schwöre beim heiligen Mustafa -«
»Warte«, unterbrach ihn William. »Wer ist dieser Mustafa?«
Der Händler zeigte vertrauensvoll seine Handflächen. »Mustafa? Der Schutzheilige aller Reliquienhändler.«
William schüttelte den Kopf. »Es wäre mir lieber, du schwörst auf jemanden, den ich kenne -«
»Einen Moment!« Ich schob mich vor William, denn ich wollte unbedingt an den Verhandlungen teilhaben, die sich für meinen Geschmack in eine gefährliche Richtung entwickelten. »Was soll das werden?« Doch diesmal wedelte William nicht nur, er schob mich entschieden zur Seite. »Du bist jetzt still.«
»Ich schwöre«, grinste der Totenschädel des Händlers, »ich schwöre beim Leben meiner Mutter.«
»Ja, das ist besser.« Williams erklärendes Nicken war für mich bestimmt. »Die Mutter ist das Heiligste für diese Menschen hier. Du würdest nie -«
»William!« Ich gebe zu, meine Stimme klang ein wenig hysterisch. »Unser ganzes Geld für dieses -«
»Es ist einmalig! Es ist das Glied -!«
»Was?«
»Das ist es«, bestätigte der Händler mit theatralischem Ernst.
»Seid ihr alle verrückt geworden? Ihr wollt mir doch nicht etwa weismachen, dieses vertrocknete Ding da ist -«, ich rang nach Worten, »das - das - das ist - Blasphemie«, ich verschluckte mich daran, es auszusprechen, »- Jesus -«.
Da kam mir der Händler gönnerhaft zur Hilfe: »Doch. Genau das ist es.« Sein skelettartiger Zeigefinger senkte sich bedeutungsschwer auf das vertrocknete Brotfruchtartige in der Schatulle herab. »Eine einzigartige Reliquie von unschätzbarem Wert. Die Schatulle«, erklärte er William beiläufig, »ist im Preis natürlich nicht inbegriffen.« Dann wurde seine Stimme noch dramatischer. Die Waffen der Leibwächter, die im scheidenden Licht zu Schatten geworden waren, blitzten dazu wie verheißende Sterne. »Nicht nur, dass es so sicher ist, wie Mohammed auf diesem Berg da gelandet ist -«
»Dem heiligen Felsendom.«
»Genau. Auch die Urkunde bezeugt es. Die unumstößliche Wahrheit ist: Diese Reliquie ist echt.« Wieder folgte eine der Dramatik geschuldete Pause. Dann stieß der Händler den angehaltenen Atem aus, streckte den dürren Brustkorb wie einen Bootskiel vor und verkündete mit einer Stimme, die es verdient hätte, von Posaunenfanfaren begleitet zu werden: »Das Glied des Esels, auf dem Jesus einst durch Jerusalem ritt.«
»So«, sagte ich und blickte vor Kälte zitternd in den Nachthimmel, der so trügerisch schön war, als hätten sich die Schatztruhen aller Könige der Welt mit Edelsteinen, Silber und Gold über schwarzblauem Samt ergossen.
»So, was?«, fragte William.
»So«, antwortete ich, »im Sinne von, wie hilft uns jetzt dieses Eselsglied, für das du unser ganzes Silber verschleudert hast, dabei, nicht zu erfrieren oder zu verhungern oder zu verdursten?«
»In etwa so wie der Beutel mit Silber, mit dem ich den Eselsschwanz bezahlt habe«, erwiderte William zugegebenermaßen nicht ganz ohne eine gewisse Logik. Auch er klapperte mit den Zähnen. Es war bitterkalt. Diese Nacht war von betörender, aber unerbittlicher Schönheit.
»Du hättest lieber zwei Mäntel, Decken, Nahrung und Wasser kaufen sollen anstatt eines Eselsschwanzes«, hörte ich mich sagen. »Oder wenn es schon eine Reliquie sein musste, dann wenigstens die des getrockneten Dungs von diesem heiligen Esel. Dann könnten wir damit nämlich ein Feuer machen und müssten heute Nacht nicht erfrieren. Oder eignet sich das Eselsglied auch für ein Feuer?« Meine Stimme klang verlassen und verloren unter diesem klaren, mit Sternen überzogenen Firmament, das sich so unendlich über uns spannte.
»Das Problem«, erklärte William, »ist ein ganz anderes.«
»Aha. Und welches?«
»Ganz einfach. Du denkst nur an das Jetzt. Natürlich ist es jetzt kalt«
»Ja.«
»Selbstverständlich müssen wir jetzt Entbehrungen auf uns nehmen.«
»Entbehrungen...
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