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Durch Vermittlung seines Cousins Theodor Rocholl hatte Karl Ernst Osthaus von dem ererbten Geld bereits im Frühjahr 1897 für über 2000 Mark Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen von Künstlern der Düsseldorfer Malerschule wie Heinrich Hermanns, Martin Kurreck, Hugo Mühlig, Ludwig Munthe und Rocholl selbst erworben. Dieser dankte ihm überschwänglich und machte dem jungen Sammler Mut:
«Sie haben für eine würdige Sammlung einen vorzüglichen Anfang gemacht. Fahren Sie doch fort, irren Sie nicht bei Franzosen und alten Meistern herum. Ich möchte Ihnen dasselbe zurufen, was ich den wirklichen Geheimräthen hier zurufen möchte, welche das Nationalvermögen verplempern für alte Meister und Fremde: Besinnt Euch, seht um Euch. Wohin Ihr seht, wenn Ihr vorders gesunde normale Augen habt, seht Ihr Talente in allen Variationen in Deutschland.»[1]
Als Vorbild empfahl er ihm die in der Nachbarstadt Barmen (heute ein Teil Wuppertals) im Bau befindliche «Ruhmeshalle», die im Begriff war, eine «bewusste Verbindung von Kunstmuseum und Hohenzollern» zu werden.[2] Der rührige Barmer Kunstverein, wohlhabende Bürger und die Stadt selbst hatten sich zusammengetan, um eine Symbiose aus einer Weihestätte des Kaiserreichs und einer deutsch-nationalen Gemäldegalerie zu verwirklichen. Am 22. März 1897, anlässlich des 100. Geburtstags Kaiser Wilhelms I., erfolgten der erste Spatenstich und die Grundsteinlegung, und Rocholl regte Osthaus an, diesem Vorbild nachzueifern:
«Sie wollten dort im Herzen Westfalens der Kunst ein Heim gründen helfen, in dem richtigen Gefühl, daß dort in der Gegend riesiger Industrien, in der Gegend rastlosen Aufhäufens der Geldsäcke und in der Gegend großer Goldquellen und Reservoirs, - daß dort es gut wäre, wenn die Menschen auf Ideales und Höheres gerichtet würden. Geben Sie den Gedanken nicht auf. Denn wirklich: ein naturwissenschaftliches Museum wird nie den Einfluß auf das Denken und Dichten und Trachten üben, wie eine Bildersammlung, die, wenn sie gut zusammengestellt wird, einen großen Einfluß ausüben muß.»[3]
Die erworbenen Werke der Düsseldorfer Malerschule blieben für die weitere Museumsplanung jedoch nahezu wirkungslos und tauchen 1912 - als der erste Bestandskatalog des Museums Folkwang erscheint - nicht einmal darin auf; mehr noch: Ab 1917 werden Karl Ernst und Gertrud Osthaus versuchen, den Großteil dieser Bilder auf Auktionen abzustoßen, tunlichst darauf bedacht, dass weder ihr Name noch der Zusammenhang mit der Folkwang-Sammlung dabei Erwähnung findet.
Wie schwankend und beeinflussbar Osthaus in Hinblick auf die Ausrichtung des zu gründenden Museums zunächst war, geht aus dem permanenten Wandel seiner Überlegungen in diesen Jahren hervor. Während Rocholl für die Gründung eines Kunstmuseums warb, lud der pensionierte Altphilologe und Naturkundler Johann Hermann Heinrich Schmidt seinen ehemaligen Schüler ein, ihn auf eine Exkursion nach Nordafrika zu begleiten.
Gemeinsam mit Schmidt bricht Osthaus daher im Frühjahr 1898 zu einer Studienreise auf, die vor allem der Erweiterung der von Schmidt begonnenen Käfer-, Insekten- und Mineraliensammlungen dient. Während der gemeinsamen Reise, die von Hagen über Köln, Basel, Bern, Genf, Lyon und Avignon nach Marseille führte, um von dort an Bord des Dampfschiffs «Général Chanzy» nach Algier überzusetzen, führt der 23-jährige Osthaus ein schwärmerisches Tagebuch, das er noch im selben Jahr in einem Hagener Verlag «Als Beitrag zur Kenntnis Nord-Afrikas» publiziert.
Während er den größten Teil der Reise gemeinsam mit seinem Lehrer bequem per Eisenbahn fährt, zwischen Algier und Tunis komfortabel in Grandhotels oder «deutschen Gasthäusern» wie dem Hotel Viktoria in Biskra wohnt und die Altstadt von Algier dankbar mit einer «amtlichen Fremdenführung» erlebt, fühlt Osthaus sich als Abenteurer und Forschungsreisender einer überlegenen Kultur. Die Zeichen und Erfolge der französischen Kolonialverwaltung kommentiert er abfällig: «Welche Tragik, daß der Franzose so viel guten Willen an einen Traum setzt, während unser deutsches Volk, das wie kein anderes zur Weltherrschaft berufen ist, sich alle Mühe giebt, seine Sendung zu verscherzen!»[4]
Wie sehr die Reise auf den üblichen Routen erfolgt, belegen nicht zuletzt die gesellschaftlichen Begegnungen: Im algerischen Constantine treffen Schmidt und Osthaus auf den Augenarzt Carl Theodor von Bayern mit seinem Gefolge. In Biskra begegnen sie dem Königsberger Zoologen und Parasitologen Max Lühe, mit dem Osthaus sich stolz als Teil einer Gemeinschaft aus Naturforschern empfindet. In Biskra und El Kantara ist er dankbar für schwedische «Stammesgenossen», die abends am Klavier ein Stück aus Wagners Tannhäuser anstimmen, und in Tunis besucht er den deutschen Generalkonsul Arthur von Bary und dessen Schwester, die ihn beim Kauf orientalischen Kunstgewerbes beraten.
In der bereits wenige Monate nach seiner Rückkehr nach Hagen erschienenen, gut 40-seitigen Publikation seines Tagebuchs sind die Reisemonate März und April im Stil der Alldeutschen Bewegung, die seine Studienzeit geprägt hatte, «Lenz» und «Ostaring» benannt. Mehr noch, das gedruckte Tagebuch spart nicht an deutsch-nationalen und antisemitischen Floskeln und verdeutlicht die Pole, zwischen denen der junge Osthaus während dieser formative years oszilliert: Zu Beginn seiner Reise, auf der Fahrt Richtung Alpen, erinnert er sich der schwelgerischen Freuden seiner Studentenzeit und bekräftigt die Überzeugung von der Überlegenheit Deutschlands gegenüber den romanischen Ländern und der «Fäulnis des Südens».[5] In Nordafrika jedoch nimmt er die Eigenständigkeit und hohe Qualität des arabischen Kunstgewerbes wahr und fragt sich angesichts des quirligen Lebens in der Hafenstadt Algier: «Was lauert hinter diesem Königsblick voll Schönheit und Leben? Eine Zukunft der Weltgeschichte?»[6]
Doch zunächst stehen die Naturalien im Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses. Mit seinem ehemaligen Lehrer sammelt er Käfer, Muscheln, Eidechsen, Skorpione und Fossilien - Naturformen, deren Formen und Farben für ihn den unumstößlichen Kanon ewiger Schönheit repräsentieren. Neben den Naturalien erwirbt er in Algier und Tunis orientalische Teppiche und «Kunstgewerbe des Orients», Waffen, Silberarbeiten, Gläser, Gewebe und Töpferwaren für seine Sammlungen.
In den ausgewählten Stücken entdeckt Osthaus sowohl Zeichen des Nachlebens der Antike als auch eine lebendige, eigenständige, nicht historisierende Ornamentik. Kunstgewerbe hatte auch schon auf der Hinreise sein Interesse geweckt: In Genf hatte er nicht nur die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität, sondern mit großem Interesse auch das auf Glas und Keramik spezialisierte Musée Ariana besucht, das auf die Sammlung des Schweizer Archäologen und Mäzens Gustave Revilliod zurückgeht. All diese Reise- und Seherlebnisse tragen schließlich zur Reifung seiner eigenen Museumsplanungen bei.
Nach Hagen zurückgekehrt präsentieren Schmidt und Osthaus die erworbenen Schätze stolz den Mitgliedern des naturhistorischen Vereins Westfalens am Rande ihrer Mitgliederversammlung: «[.] während der Pause war den Theilnehmern Gelegenheit gegeben, die zoologischen und ethnologischen Sammlungen der kürzlich von einer wissenschaftlichen Studienreise zurückgekehrten Herrn [.] zu besichtigen.»[7] Hierbei dürfte es sich um die erste von Osthaus arrangierte Ausstellung gehandelt haben.
Theodor Rocholl indes betrachtet das neu erweckte Interesse mit Argwohn. Wenige Tage nach der Präsentation der Erwerbungen der Reise appelliert er an Osthaus, den zuvor gefassten Plan einer Dissertation über die Geschichte der Düsseldorfer oder rheinischen Kunst nicht aufzugeben und am Aufbau einer Gemäldesammlung festzuhalten. Sorgenvoll rät er dem jungen Sammler: «Vergeben Sie sich nur nicht ganz in Steine. Diese sind kalt und haben kein Herz, können auch wenig, auch so wenig zu Herzen sprechen. Doch ein jeder muss für sich stehen, das weiss ich wohl.»[8]
Doch die Leidenschaft für das Kunstgewerbe ferner Länder ist geweckt: Vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erwirbt Osthaus im Sommer 1898 ausgeschiedene Dubletten aus der Sammlung japanischen Kunstgewerbes, und nach dem Ende des Sommersemesters gibt er sein Studium endgültig auf...
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