Schweitzer Fachinformationen
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»Das darf einfach nicht wahr sein! Ich werde niemals rechtzeitig da sein!«, keuchte ich außer Atem.
Energisch presste ich mir die Kopfhörer tiefer ins Ohr und versuchte zum wiederholten Mal, mein Leihfahrrad an der Station abzustellen.
»Kannst du es nicht woanders versuchen?«, fragte meine beste Freundin Yuna mit ruhiger Stimme auf der anderen Seite der Leitung.
Ich hatte sie direkt angerufen, nachdem ich an der rettenden Fahrradstation angekommen war. Da hatte ich allerdings noch nicht gewusst, dass der Mechanismus mich nicht ausloggen wollte. Wenn ich mein Rad jedoch nicht abstellen konnte, kostete mich das Geld, das ich nicht hatte. Denn fast mein gesamtes Erspartes ging für diesen Termin drauf.
Mein Blick wanderte über die Fahrräder, die sich neben mir aufreihten.
»Keine Chance. In Brooklyn benutzt anscheinend jeder sein eigenes Rad. Hier ist alles voll.« Kopfschüttelnd blickte ich auf die Uhr, die schon wieder eine vergangene Minute anzeigte. »Was macht das bitte für einen Eindruck bei Heather?«, murrte ich und ärgerte mich über mich selbst.
Hätte Cason, mein Kollege aus der Bibliothek, nicht seine Aufgaben auf mich abgewälzt, hätte ich noch die letzte U-Bahn vor dem Streik geschafft und wäre pünktlich beim Tattoo-Studio angekommen. So hatte ich allerdings vergeblich am Gleis gewartet und schließlich eines der Fahrräder genommen, die in der Straße gegenüber standen. Normalerweise wäre ich nie auf die Idee gekommen, die fünf Meilen mit dem Rad zurückzulegen. Aber besondere Vorkommnisse erforderten besondere Maßnahmen. Und der Termin bei Heather war es wert, mich abzustrampeln.
Denn ich hatte unfassbares Glück, diese Chance zu erhalten. Die Tätowiererin war nahezu unerreichbar, ein Termin bei ihr zu bekommen wie ein Sechser im Lotto. Der Standort ihres Studios blieb geheim, um ihre Privatsphäre zu schützen. Heather hatte keine Social-Media-Accounts und absolvierte selten öffentliche Auftritte.
Diejenigen, die von ihr tätowiert wurden, sprachen nicht nur von ihrem unglaublichen Talent als Künstlerin, sondern auch von der außergewöhnlichen Wirkung, die die Bilder unter der Haut auf den Betrachter auslösten.
Obwohl die Termine rar waren, hatten sich die Gerüchte über Heather wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Zunächst nur in den Nachtclubs und Bars von Brooklyn, dann in der Kunst- und Musikszene und wenig später in Manhattan. Die sozialen Netzwerke waren voller Spekulationen über die Frau hinter den beeindruckenden Tattoos und wie man seine Chance für einen Termin bei ihr erhöhen konnte. Sogar die Medien berichteten über die Tätowiererin, die einen regelrechten Kult ausgelöst hatte.
Alle sprachen über sie, doch nur die wenigsten durften sie auch wirklich kennenlernen. Es war eine Exklusivität, völlig unabhängig von Geld und Status. Ihre Regeln blieben unklar und New York liebte sie dafür.
Ich liebte sie dafür.
Und deshalb war es unfassbar, dass ich zu dem Termin, auf den ich wochenlang hin gefiebert hatte, zu spät kommen würde.
»Wird schon nicht so schlimm sein. Immerhin hat Heather dich ausgewählt. Da wird sie auch noch fünf Minuten warten können.«
Yuna war wie immer optimistisch, doch für mich stand zu viel auf dem Spiel.
»Okay, hör mir zu«, fuhr sie fort. »Du checkst auf der App noch mal die freien Plätze an den anderen Stationen und fährst dann so schnell es geht dorthin. Wenn du Glück hast, kostet dich das kaum Zeit.«
Sie hatte recht: Ich musste einen kühlen Kopf bewahren. Doch mein Herz pochte hektisch und ich wünschte mir, ich hätte mein Abo fürs Fitnessstudio öfter genutzt. Dann würde mich meine Kondition heute nicht so im Stich lassen.
Auf dem Handy öffnete ich die App und stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Die nächste Station ist nur zwei Blocks entfernt und hat zwei freie Plätze.«
Mit Yuna im Ohr schwang ich mich wieder auf den Sattel und legte die Strecke in Rekordzeit zurück. Nachdem sich das Vorderrad in die Vorrichtung einrasten ließ, leuchtete endlich das ersehnte grüne Licht. Ich hatte es geschafft.
Erst jetzt nahm ich meine Umgebung genauer wahr. Brooklyn war jedes Mal wie ein kleiner Schock. Der Stadtteil war so anders als Manhattan, wo man an nebeligen Tagen nicht einmal die Spitzen der Hochhäuser erkennen konnte. Hier war alles offener, freier und die Luft frischer.
Ich eilte durch die Schatten, die die warme Frühlingssonne auf dem Asphalt hinterließ, schlängelte mich durch die Menschenmassen, die sich über die vollen Straßen schoben.
»Ich wusste, dass du es schaffst«, jubelte Yuna in meinem Ohr. »Die zehn Minuten Verspätung machst du locker mit Smalltalk wett.«
»Bei dem Glück, das ich gerade habe, hat Heather schneller Ersatz für mich gefunden, als dass ich eine Entschuldigung vorbringen kann.«
Halb rennend überquerte ich den nächsten Fußgängerüberweg, ignorierte das Hupen des Autos, das ich dabei ausbremste, und wich ein paar leeren Pizzakartons aus.
War New York schon immer so dreckig gewesen? Ich erinnerte mich nicht. Doch als Kind sah man die Welt ohnehin mit anderen Augen. Sobald man erwachsen wurde, verlor vieles seinen ursprünglichen Glanz.
»Was hatten wir gesagt?« Yunas Stimme holte mich in die Realität zurück.
»Heute beginnt ein neuer Lebensabschnitt«, wiederholte ich augenrollend das, was wir am Abend zuvor gemeinsam beschlossen hatten.
Wir hatten auf meinem Bett gelegen und ich hatte Yuna schwören müssen, dass ich nie wieder auf Aidens Profil klicken würde.
Für mich war es nach unserer Trennung fast schon Routine geworden, am Abend durch seine Fotos zu scrollen. Eine schlechte Angewohnheit, die ich einfach nicht abstellen konnte.
Wie immer hatten meine Finger für einen Moment über dem Display geschwebt, als überlegte mein Gehirn, ob ich bereit für das war, was kommen würde. Den Schmerz, die Sehnsucht und die Scham, weil ich noch nicht über ihn hinweg war. Weil in meinem Herz weiterhin eine tiefe Wunde klaffte, die nicht verheilte.
Sein Profilfoto hatte ich damals in New Haven aufgenommen, als wir davon überzeugt waren, gemeinsam das College zu besuchen. Yale hatte zwar niemals in unserer Reichweite gelegen, trotzdem waren wir für ein Wochenende nach Connecticut gefahren, um uns den Campus anzuschauen. Die Vorstellung, wir könnten eines dieser Paare sein, deren Liebesgeschichte zwischen alten Bäumen und Backsteingebäuden ihre Blütezeit erlebte, war berauschend gewesen.
Doch stattdessen hatte ich es nie aus New York herausgeschafft, während er an die Westküste gezogen war, um ein neues Leben zu beginnen. Und nichts hatte mich darauf vorbereiten können, seinen ersten Post seit Monaten zu sehen.
Mein Herz hatte sich zusammengezogen, bevor mein Kopf überhaupt realisieren konnte, was ich da vor mir hatte.
Sein breites Grinsen, die Frisur verstrubbelter als sonst, von der Sonne aufgehellt. Und neben ihm eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die einen Kuss auf seine Wange drückte.
Ich hatte gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde. Niemand von uns würde ewig single bleiben. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Denn wenn ich die Augen schloss, konnte ich noch immer seine Umarmung spüren. Sie war stets ein Anker gewesen, der mir eine Basis gab, obgleich die Welt um mich herum im Chaos versank.
Ich hatte das Handy sinken lassen und kurz die Augen geschlossen, was mir einen fragenden Blick von Yuna eingehandelt hatte.
Seit meine Eltern auf Weltreise waren, war sie praktisch bei mir eingezogen und behauptete, im Studentenwohnheim nicht schlafen zu können. Doch insgeheim vermutete ich, dass sie mich im Auge behalten wollte, damit ich keine Dummheiten anstellte.
»Mit dem Tattoo wirst du die ganzen letzten Monate hinter dir lassen«, sagte Yuna jetzt am Telefon und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich sah förmlich, wie sich ihre schmalen Lippen zu einem Grinsen verzogen. »Scheiß doch auf die Uni. Wer dir keinen Studienplatz gibt, ist selbst schuld! Du wirst deinen Weg auch so gehen. Dass du den Termin bekommen hast, ist erst der Anfang. Das spüre ich.«
»Endlich ein Traum, der in Erfüllung geht.« Ich nickte zustimmend und ein warmes Gefühl kribbelte in meiner Brust. Doch ich wurde schnell von der Realität eingeholt. »Falls ich irgendwann am Studio ankomme.«
»Wie weit ist es noch?«
»Ich muss die Straße runter und dann nach links.«
Den Weg kannte ich auswendig, seitdem Heather mir die Location geschickt hatte. In der Mail waren außerdem eine Handvoll Dokumente angehängt gewesen, die ich zu unterschreiben hatte und in denen ich versicherte, mich an die strengen Auflagen für den Termin zu halten. Keine Begleitung, keine Fotos und Stillschweigen über das, was im Studio passieren würde. Wenn ich die Regeln brach, kostete mich das nicht nur mein Tattoo, sondern auch eine fette Strafe.
»Du solltest rennen.«
Ich hob die Augenbrauen. Mein Atem hatte sich gerade erst beruhigt und meine Beine zitterten von der Anstrengung der letzten...
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