Ursachen - Wissenswertes zur Osteoporose
Osteoporose ist eine tückische Krankheit. Sie kommt schleichend und über die Jahre, um dann unvermittelt mit dem akuten Frakturereignis zuzuschlagen. Sei es bei einem Sturz auf Glatteis und dem folgenden Handgelenk- oder Unterarmbruch, sei es mit dem Bruch eines Wirbelkörpers beim Anheben des Enkelkindes oder mit einem Schenkelhalsbruch beim nächtlichen Toilettengang. All diese Ereignisse machen aus den Betroffenen im ungünstigsten Fall gebrochene Seelen.
Im Jahr 2019 waren in Deutschland über fünf (!) Millionen Menschen von Osteoporose betroffen, davon 4,5 Mio. Frauen und ca. 1,2 Mio. Männer. Es ereignen sich pro Jahr 831 000 durch eine Osteoporose bedingte Knochenbrüche, das sind 2300 jeden Tag oder 95 Schicksale pro Stunde! Bis zum Jahr 2034 wird sich die Zahl der durch eine Osteoporose bedingten Knochenbrüche auf eine Million erhöhen. Auch in meiner Praxis ist das Frakturereignis einer der häufigsten Gründe, der Patienten mit dem Krankheitsbild Osteoporose konfrontiert. Aber muss es denn erst so weit kommen? Kann man nicht vorbeugend etwas unternehmen, werden Sie berechtigterweise fragen.
Im internationalen Rahmen werden zunehmend die Anstrengungen intensiviert, belastbare Daten und Erkenntnisse über Maßnahmen zur Verhinderung altersassoziierter Knochenbrüche zu erhalten, um faktengestützte Entscheidungsalgorithmen entwickeln zu können. Durch die demografische Wandlung entwickelt sich das Krankheitsbild der Osteoporose zur gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. Leider wird aber in den Industrienationen Gesundheit zunehmend als Kostenfaktor und nicht als Ressource empfunden.
Der Aufbau der Knochen
Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO und Fachgesellschaften für Knochenstoffwechselkrankheiten (Osteologie) handelt es sich bei der Osteoporose um eine systemische Erkrankung des gesamten Skeletts, die durch eine Verminderung der Knochenmasse, dem Substanzverlust, zu einer Verschlechterung des Knochengewebes, dem Strukturverlust, führt, die dann mit dem Versagen der Knochenfunktion, dem Funktionsverlust in Form des Knochenbruchs einhergeht.
Mit den Millionen Betroffenen gehört die Osteoporose zu den häufigsten Volkskrankheiten. Sie ist eine lebenslange Erkrankung, und die Behandlung muss, in welcher Form auch immer, lebenslang erfolgen. »Die letzte Tablette nehmen Sie mit ins Grab«, gebe ich meinen Patienten immer mit auf den Weg. Die Versorgung der Frakturen aufgrund von Osteoporose kostet die Gesellschaft derzeit fünf Milliarden Euro jährlich, Tendenz steigend. Aufgrund der dramatischen demografischen Entwicklung der Bevölkerung in den Industrieländern werden die sozioökonomischen Auswirkungen der Osteoporose enorm an Bedeutung gewinnen.
Eine für den Therapieerfolg entscheidende Tatsache ist die Therapietreue der Patienten. Nach dem ersten Jahr der Osteoporosetherapie sind leider auch heute nur etwa 17 % der Patienten der eingeleiteten speziellen Therapie treu. Hier stellt sich die wichtige Frage: Wie können wir die Bedeutung einer effektiven Therapie der Krankheit Osteoporose für die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten sowie bei den Angehörigen steigern? Wie können wir die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Krankenhäusern, Reha-Kliniken und ambulant tätigen Ärzten entscheidend verbessern? Wie kann die Compliance der Patientinnen und Patienten für die Therapie verbessert werden? Denn nur ein Medikament, das auch tatsächlich eingenommen wird, kann helfen!
Einige Fakten vorweg
Mit über 81 000 Fällen zählt die Schenkelhalsfraktur inzwischen zu den häufigsten Frakturen in Deutschland, und durch den derzeit stattfindenden demografischen Wandel steigt auch die Häufigkeit. Unabhängig von der Art der Versorgung versterben heute etwa 33 % der Patientinnen und Patienten nach einem Schenkelhalsbruch in Deutschland noch im ersten Jahr. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob eine zementierte oder eine zementfreie Hüftprothese oder eine Frakturverschraubung stattfand. Von den Überlebenden kehren 25 % nie wieder in ihre Wohnung zurück! Und jeder Knochenbruch erhöht das Risiko auf weitere Knochenbrüche (Anschlussfrakturen) deutlich. Bei den über 74-jährigen Frauen beträgt die Frakturrate 41 %, bei den Männern 35 %. Aber nur 9 % (!) der Versicherten (Daten von BARMER) mit einem altersbedingten Knochenbruch erhielten innerhalb eines Jahres eine entsprechende Grundlagendiagnostik mittels Knochendichtemessung und nur 18 % eine adäquate medikamentöse Behandlung. Das sind für eine Industrienation beschämende Daten.
Es gehört auch heute noch in meiner Praxis leider zum Alltag, dass Patienten nach einem Oberschenkelhalsbruch oder nach einer Wirbelkörperfraktur aus dem Krankenhaus entlassen werden, ohne auf die Notwendigkeit einer Messung der Knochendichte hingewiesen oder über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Osteoporose aufgeklärt worden zu sein. Diese Zahlen haben sich in den 30 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit zwar leicht verbessert, sind aber immer noch weit von den erforderlichen Zielen entfernt, um einem demografisch begründeten Desaster in den kommenden Jahren zu entgehen. Die Kenntnis und Einstellung vieler klinischer Kollegen zum Krankheitsbild Osteoporose ist sehr zum Leidwesen unserer Patienten weiterhin von Unkenntnis und vielerorts von Ignoranz geprägt.
Hausärzte übermitteln noch viel zu selten notwendige Vorbefunde an die Fachärzte, zu denen sie ihre Patienten zur weiteren Versorgung überweisen. Es verzögert und erschwert die Behandlung der Patienten in unnötiger Weise, wenn die Kapazitäten der Facharztpraxen mit der Herbeischaffung der erforderlichen Vorbefunde beschäftigt sind. Doppeluntersuchungen besonders im Röntgen und Labor sind die Folge. Ein großes Lob muss ich allerdings den Hausärzten in meinem Einzugsbereich aussprechen. In 30 Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit kann man doch einiges optimieren. Es geschieht heute in guter Regelmäßigkeit, dass ich von den Hausärzten die aktuellen Laborbefunde übermittelt bekomme oder dass von mir empfohlene Laboruntersuchungen beim Hausarzt durchgeführt werden.
Unsere Knochenarchitektur
Die Knochenfunktion gliedert sich in die Stützfunktion des Skeletts und die Stoffwechselfunktion des Knochengewebes. Die Stützfunktion ermöglicht dem Menschen den aufrechten Gang und den Schutz der inneren Organe. Zu den Aufgaben des Knochens als Stoffwechselorgan zählen vor allem die Kontrolle und Gewährleistung eines gesunden Kalzium- und Phosphatstoffwechsels, die Speicherung verschiedener Mineralien und die Hormonproduktion. So stellt das Knochengewebe mit 1 kg Kalzium das größte Kalziumdepot unseres Organismus dar. Die Knochen sind Teil des neuro-muskulo-skelettalen Systems und bilden mit den Nerven, den Muskeln, Sehnen, Faszien und Bändern den Bewegungsapparat. Sie geben dem menschlichen Körper eine Form und ermöglichen ihm die Fortbewegung im Raum. Der grundsätzliche Aufbau eines Knochens gliedert sich in die äußere Knochenhaut (Periost), die dicht gepackte Rinde (Kortikalis) und das Innere, ein Netzwerk aus kleinen Knochenbälkchen, die Spongiosa.
Der Aufbau des Knochens
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Um sich den wechselnden statischen Anforderungen im Laufe eines Lebens anpassen zu können, unterliegt diese Knochenarchitektur einem lebenslangen und beständigen Auf-, Um- und Abbau. Dieser als bone modelling bezeichnete Prozess wird physikalisch durch Druck-, Scher- und Zugkräfte getriggert und biochemisch durch mannigfache Signalmoleküle orchestriert. Das Zusammenspiel von Knochenauf- und -abbau muss aufeinander abgestimmt und ausbilanziert sein, da sonst Mineralisationsstörungen folgen können. Die mitwirkenden Signalmoleküle werden durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel im Körper mehrfach kontrolliert. Für den Organismus ist dabei ein ausgewogenes Verhältnis der Konzentration von Kalzium, Phosphat und Magnesium erforderlich. Die Konzentrationen werden u. a. durch die Aktivität des Parathormons, des Kalzitonins und durch Vitamin D eingestellt. Die Konzentration von Kalzium im Blut unterliegt einem streng kontrollierten Regelkreis und erlaubt nur eine geringe Schwankungsbreite. Um Defizite im Serum-Kalzium auszugleichen, dient der Knochen als schnell verfügbarer Kalziumspeicher und auch -lieferant. Deswegen sollten Sie auf eine ausgewogene Ernährung mit Gewährleistung einer ausreichenden Kalziumversorgung achten. Kommt es bei einer über die Jahre zu niedrigen Kalziumzufuhr zu einem Kalziummangel, wird dieser durch die unbemerkte Freisetzung von Kalzium aus dem Knochen kompensiert. Eine Osteoporose ist die sichere Konsequenz. Für den Knochenaufbau sind die Osteoblasten, für den Knochenabbau die Osteoklasten verantwortlich. Die Dirigenten des Orchesters sind die Osteozyten. Sie kontrollieren den Regelkreislauf aus Auf- und Abbau. Dabei stehen die Osteozyten als Schaltzentrale durch ein ultrafeines Kanalsystem miteinander in Kommunikation. Dieses Kanalsystem ist mit einer Endolymphe gefüllt, deren physiologische, durch jede Körperaktivität induzierte Bewegung die biochemischen Prozesse in den Osteozyten auslöst.
Unsere Knochen bestehen aus der Knochengrundsubstanz, dem Osteoid, die zum größten Teil aus dreidimensional vernetzten Kollagenmolekülen gebildet wird. In diese Grundsubstanz werden entlang der Kollagenstränge anorganische Kalziumverbindungen eingelagert, die dem Knochen seine Stabilität geben. Die Ausrichtung der Kollagenstränge und damit auch die räumliche Ausrichtung der Kalziumeinlagerung, Trabekel genannt, folgt strengen physikalischen Prinzipien, die sich aus der Druck- und...