Schweitzer Fachinformationen
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Es ist neun Uhr morgens in Belize City, und ich trinke meine zweite Tasse starken Kaffee. Wir haben die Bohnen zu Beginn unserer Mittelamerika-Kreuzfahrt in El Salvador gekauft, und ihr kräftiges, bitteres Aroma entschädigt mich für den fehlenden Schlaf. Eigentlich beginnt meine Schicht erst jetzt, aber es gab heute Morgen ein Problem im Spa-Bereich der Evrima, sodass mich die Kollegin, die dort die frühen Sauna-Aufgüsse macht, um sieben aus dem Bett geklingelt hat. Nicht, dass ich geschlafen hätte. Dazu bin ich viel zu aufgeregt.
Wie sich herausstellte, war unser Vorrat an Fango-Schlamm zur Neige gegangen, weil eine Gruppe von steinreichen Italienerinnen jeden Morgen und jeden Abend eine Stunde zum Entschlacken im Schlamm baden wollte. Zum Glück waren die Damen mit einem Gutschein für eine kostenlose Kosmetikbehandlung im schiffseigenen Luxus-Beauty-Salon wieder zu versöhnen, und ich versprach, mich direkt um unseren Schlammvorrat zu kümmern. Drei E-Mails später klingelte das Telefon, weil eine unserer Guides für die Landgänge sich krankgemeldet hat. Bis ich Ersatz organisiert hatte, bewegten sich die Zeiger der Uhr auf meinem Schreibtisch unaufhaltsam auf neun Uhr zu. Die Umrechnung in meinem Kopf passiert mittlerweile automatisch. Neun Uhr in Belize City bedeutet, es ist sieben Uhr in New York. Dort, wo der Senior Manager des Ritz-Carlton heute über mein Schicksal entscheiden wird. Wann kann ich wohl frühestens mit dem Anruf rechnen? Würde er es sofort machen, sobald er im Büro war? Oder hat er so viel zu tun, dass erst am Ende seines Arbeitstags Zeit dafür ist?
Und wie soll ich bitte so lange warten?
»Sandra?« Meine Assistentin Agila steckt ihren Kopf zur Tür herein. »Es gibt da ein Problem.«
»Wenn ich doch nur jedes Mal einen Dollar bekäme, wenn jemand diesen Satz sagt.«
Agila grinst. »Wir wären schon längst Millionärinnen.«
»Du sagst es.« Ich greife nach meinem Diensthandy und stehe auf. »Was ist passiert?«
Anstelle einer Antwort winkt Agila mich durch die Tür und stürmt los. Ich werfe noch schnell einen Blick in den kleinen Taschenspiegel, den ich für Notfälle immer in meiner Schreibtischschublade aufbewahre. Unsere Kunden erwarten Perfektion in allen Bereichen, das schließt auch das Auftreten der Mitarbeitenden ein. Trotz meines hektischen Morgens sitzt meine Frisur. Mit ein paar routinierten Handbewegungen lasse ich zwei abtrünnige schwarze Strähnen wieder in meinem Dutt verschwinden, dann springe ich auf und folge Agila. Ich muss mich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten. Die Philippina mag fast doppelt so alt sein wie ich, aber man merkt, dass sie den Großteil ihrer knapp bemessenen Freizeit im Fitnessraum verbringt.
»Es geht um das Bankett heute Abend«, erklärt sie, während sie mich mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit durch die Gänge des Unterdecks führt. Auf der anderen Seite der Bullaugen schimmert das karibische Meer in Azurblau, aber ich habe heute kein Auge dafür.
»Das Bankett für Miss Penelopes Geburtstag?«
»Genau.«
Penelope ist die Tochter des amerikanischen Immobilien-Tycoons Mike Severide, der eine halbe Etage nur für seine Familie gebucht hat und seiner Tochter zum sechszehnten Geburtstag eine unvergessliche Party schenken möchte. Mir schwant Böses. »Was ist damit?«
Agila ignoriert meine Frage, biegt scharf rechts ab und öffnet eine unscheinbare Tür neben dem Aufzug für Angestellte.
»Wo gehen wir eigentlich hin?«
»In die Kombüse. Marco hat gesagt, das musst du selbst sehen.«
Der Gang, den sie mich entlangführt, ist schmal und schummrig beleuchtet. Die Wände sind nicht verputzt, und auf dem Boden liegen ein paar einsame Verpackungen und eine Kiste Schrauben. Mein Gehirn knüpft die nötigen Verbindungen und kommt zu dem Schluss, dass wir uns in einem der Gänge befinden, den die Werftarbeiter beim Bau der Luxus-Yacht benutzt haben. Selbst nach einem halben Jahr auf dem Schiff bin ich mir sicher, dass ich diesen Bereich noch nie betreten habe. Nichts deutet daraufhin, dass man auf der anderen Seite der Wand einen großen Flur mit weichem Teppich und prunkvollen Lampen vorfindet, der zu Suiten führt, in denen eine Nacht ein ganzes Monatseinkommen kostet.
Bevor ich Agila weiter befragen kann, kommen wir an einer kleinen Tür an. Durch das Holz höre ich Töpfe klappern und Wasser rauschen. Sie reißt die Tür auf, und Sekunden später betreten wir die große Kombüse der Evrima, in der schon das Mittagessen für unsere knapp dreihundert Gäste vorbereitet wird. Das grelle Licht der Leuchtstoffröhren spiegelt sich in den Edelstahlwänden und lässt mich blinzeln.
»Dios mío, es ist eine Katastrophe!«
Ich fahre herum. Ein breitschultriger Mexikaner kommt auf uns zugeeilt, einen großen Topf in der Hand und einen finsteren Ausdruck im Gesicht.
»Marco, was ist denn pass.«
»Señorita Meerbach, sehen Sie sich das an!«
Anstelle einer Antwort hält er mir den Topf unter die Nase, und ich verstehe sofort, was er meint: Fauliger Gestank steigt zu mir auf und frisst sich innerhalb von Sekunden in meine Nasenschleimhaut. Ich springe einen Schritt zurück und atme ein paarmal tief durch, um meinen Würgereiz unter Kontrolle zu bekommen. »Was zur Hölle ist das?«
»Das ist vergammeltes Ziegenfleisch, aus dem ich heute Abend eine klassisch mexikanische Birria zubereiten soll. Ich bin zwar ein Sternekoch, aber das geht nicht, Señorita! Es geht nicht. Erst recht nicht, wenn mir drei Leute fehlen.«
»Es fehlen drei Leute? Wieso das denn?«
»Mikaela, George und Prisha sind krank«, schaltet sich Agila wieder in die Unterhaltung ein, ihr Notizbuch aufgeklappt. »Es geht gerade offenbar die Grippe um.«
Die anderen Mitglieder der Küchencrew haben nach und nach aufgehört zu arbeiten, um unserem Gespräch zuzuhören. Sie sehen mindestens so verzweifelt aus wie Marco selbst.
»Es ist eine Katastrophe! Mr. Severide wird eine Beschwerde einlegen. Und über mich hat sich noch nie jemand beschwert!«
Ich kann Marcos Verzweiflung verstehen. Denn wenn Mr. Severide etwas zu beanstanden hat, wird das nicht nur ein schlechtes Licht auf ihn werfen, sondern auch auf mich. Und Clarice Biles von der Reederei könnte es sich noch mal überlegen, ob sie mir ein Empfehlungsschreiben ausstellt. Das kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.
»Mikaela hat angeboten, dass sie trotzdem arbeitet, wenn ihr Fieber bis heute Abend runter ist«, sagt Agila vorsichtig. Ein Dutzend hoffnungsvoller Augenpaare wendet sich mir zu.
Ich atme einmal tief durch und sortiere meine Gedanken. »Kommt nicht infrage. Sie ist krank, sie soll sich erholen. Wir kriegen das hin. Als Erstes setze ich mich mit dem Fleischlieferanten in Verbindung. Das Geld bekommen wir zurück, so viel steht fest. Dann überzeuge ich die Severides davon, dass es ganz viele wunderbare mexikanische Gerichte ohne Fleisch gibt, die sich für die Party ihrer Tochter eignen. Und danach schaue ich in den Dienstplan, ob ich dir heute Abend jemand anderen abstellen kann. Vielleicht können die Kollegen vom Bordcafé aushelfen. Zur Not stelle ich mich selbst in die Küche, und du erklärst mir, was zu tun ist. Okay?«
Marco nickt wie ein Soldat, der gerade seinen Marschbefehl erhalten hat. »Sí, Señorita. So machen wir es.« Zur restlichen Küchencrew sagt er: »Ihr habt sie gehört! Also los, an die Arbeit.«
Um uns herum bricht wieder das ganz normale Chaos einer Bordkombüse aus. Ich schieße mit meinem Handy Fotos vom vergammelten Ziegenfleisch und mache mich dann auf den Weg ins Bordcafé. Während ich die Treppen hochsteige, tippe ich bereits eine böse E-Mail an den Fleischlieferanten und scrolle danach durch eine Liste mit vegetarischen Alternativen und Fischgerichten, die ich den Severides vorschlagen könnte. Mr. Severide ist nicht unbedingt ein einfacher Charakter, aber ich bin noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt. Genau das ist schließlich die Aufgabe einer Hotelmanagerin: Sicherzustellen, dass alle Passagiere eine unvergessliche Zeit an Bord haben. Und darin bin ich verdammt gut.
So gut, dass ich diese Beförderung einfach bekommen muss.
Als ich auf dem Oberdeck ankomme, schicke ich per WhatsApp Genesungswünsche an das erkrankte Küchenpersonal, dann schlüpfe ich durch den Personaleingang ins Bordcafé. Eine Viertelstunde später ist der Dienstplan so angepasst, dass Marco heute Abend drei Extra-Kräfte aus dem Café zur Seite gestellt bekommt, und sein erster Vorschlag für ein vegetarisches Ersatzmenü ist auf meinem Handy eingegangen. Mit dem befriedigenden Gefühl, schon vor dem dritten Morgenkaffee eine Katastrophe abgewendet zu haben, schlendere ich zurück zu meinem Büro. An Deck ist es noch relativ leer, also nehme ich ausnahmsweise den langen Weg über das Oberdeck. Die meisten unserer Gäste sind nach dem Frühstück noch mal auf ihre Zimmer gegangen oder verbringen den Tag mit einem Landgang in Belize City. Ich nutze die Gelegenheit, um einen Moment an der Reling stehen zu bleiben und den Blick schweifen zu lassen. Wir liegen gut zwei Meilen vor dem Hafen der Stadt, der für ein Kreuzfahrtschiff von der Größe der Evrima zu flach ist. Über dem glitzernden Wasser des karibischen Meeres erheben sich Hunderte Häuser mit bunten Fassaden rechts und links des Flusses, der die Stadt in zwei Teile teilt. Die ersten Tenderboote sind bereits unterwegs und bringen Passagiere und Waren vom Hafen zur Evrima und zurück. Heißer Wind streicht mir durch die Haare und zerrt an meinem Dutt. Trotz der tropischen...
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