Schweitzer Fachinformationen
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Weihnachten. Das Fest der Liebe und der Familie.
Der Duft von Tannennadeln mischt sich mit dem Aroma von Gänsebraten, während eine endlose Playlist klassischer Weihnachtslieder durch die Räume hallt. Es ist das berühmteste Fest der Welt, gefeiert von Millionen - und seine Ursprünge? Sie liegen in einer kurzen Geschichte, die Teil der meistgelesenen Anthologie der Menschheitsgeschichte ist.
In derselben Sammlung, nur einige Kapitel vorher, findet sich noch eine andere weltbekannte Erzählung: die Geschichte von Moses. Dem ersten Menschen, der - technisch betrachtet - Daten aus der Cloud auf ein Tablet heruntergeladen hat. Befehlszeilen, gemeißelt in Stein. Vom höchstpersönlichen Administrator des Universums.
»Du sollst nicht töten.«
So lautet eine dieser Regeln.
Und ausgerechnet dieses Gebot, klar und unmissverständlich in die Grundsätze des Lebens gemeißelt, wird seither immer und immer wieder gebrochen.
Wie wird dann die Stube glänzen
von der großen Lichterzahl!
Juliane Kellermann liebte alles an Weihnachten.
Die Lichterketten, die sie immer früher aufhängen will, kaum fähig, den ersten Advent abzuwarten. Die kunstvoll gestaltete Innendekoration, die jedes Jahr ein neues Motto hat. In jedem Raum warten Adventskränze und Kalender, zwei, manchmal drei. Herrnhuter Sterne, Schneeflocken aus Sprühschnee an den Fenstern und Kerzen in schier unzählbarer Vielfalt - von zierlichen Teelichtern bis zu wuchtigen Stumpen. Der Weihnachtsbaum, ein perfekt geformter, teurer Vertreter seiner Art, wird spätestens ab dem zweiten Advent aufgestellt. Gehegt, gepflegt und in seinem Glanz bewahrt, steht er, fast trotzig, bis weit in den Januar hinein.
Doch in diesem Jahr kommt alles anders.
Pünktlich zum Totensonntag hat Juliane die Außenbeleuchtung installiert. Am darauffolgenden Abend lässt sie die Lichter das erste Mal erstrahlen. Ihre Augen funkeln wie die eines Kindes, während ein Lächeln über ihr Gesicht zieht. Die Lichterketten blinzeln warm und einladend - ein leuchtendes Versprechen. Zufrieden zieht sie den Stecker, nur um ihn an die Zeitschaltuhr anzuschließen. So, wie sie es jedes Jahr tut. Noch ist alles wie immer.
Das Drama beginnt erst, als sie ins Haus zurückkehrt.
Julianes Mann, Lothar, ist auf Geschäftsreise, und die beiden leben allein in ihrem modernen Eigenheim auf dem Frankfurter Riedberg. Die Nachbarn munkeln später, der Tod habe im Marzipan gelauert - eine teuflische Mixtur aus Aprikosenkernen und Bittermandeln. Amygdalin, das heimtückische Gift, liest sich in seiner chemischen Struktur wie der altbekannte Ruf des Weihnachtsmannes: »HO, HO, HO«.
Doch von Juliane Kellermann hört man nur ein leises, endgültiges »OH? OH! OOOOOH.«.
Sie röchelt ein letztes Mal und bricht zusammen, während Lothar sich auf seiner Geschäftsreise ins Fäustchen lacht - oder besser: ins Haar seiner viel jüngeren Geliebten. Seine »Geschäftstermine« klingen ebenfalls nach langen OH-Lauten, wenngleich aus anderer Motivation.
Was niemand ahnt, nicht die Polizei und auch nicht Lothar: Ich habe alles gesehen. Jede Bewegung. Jede Geste, die er glaubt, verbergen zu können. Von hier aus, von meiner Warte, habe ich freie Sicht auf alles.
Alles schläft,
einsam wacht .
»Ich bin zu Hause!«
Jeden Abend dieselbe laute Verkündung, obwohl es völlig unnötig ist. Seine Ankunft ist unverkennbar: das scheppernde Rumpeln, wenn der Wagen über die Bordsteinkante holpert. Das Brummen des Motors, das vor dem Garagentor verharrt, bis dieses sich träge öffnet. Seine Schritte hallen zwischen Garage und Waschküche. Die Türklinke im Flur wird so vorsichtig heruntergedrückt, als fürchte er, sie könnte explodieren - nur um die Tür anschließend so heftig ins Schloss zu knallen, dass der Kunstdruck von Salvador Dalí an der Wand zittert.
»Hallo. Wie war dein Tag?«
»Ach, frag nicht.«
Natürlich frage ich. Es gehört sich so. Ich beweise Interesse. Aber dass er die Frage abwiegelt, grenzt an Unhöflichkeit.
»Mensch, ich habe Hunger. Was ist denn noch da?«
Er wirkt blass. Nicht nur wegen der dunklen Jahreszeit; da ist noch etwas anderes. Sein Atem geht schwer, und ich fühle mich verpflichtet, mich zu kümmern. Schließlich habe ich den ganzen Tag auf ihn gewartet.
»Es ist noch Lasagne von vorgestern da. Die sollte mal weg.«
»Hmm. Oder wir bestellen was beim Chinesen?«
»Das geht natürlich auch. Ich kann -«
»Nein, lass mich mal machen. Wo ist die Karte?«
»Die haben wir nur online. Soll ich -«
»Nein, ich mache das selbst!« Sein Atem wird flacher. »Leg du lieber ein bisschen Musik auf. Aber nicht diesen Weihnachtsscheiß.«
»In Ordnung.«
Solche Gespräche sind es, die in Psychologiebüchern analysiert werden. Dialoge, bei denen Höflichkeit in Gleichgültigkeit kippt. Luxuriös verpackte Leere, wie eine glatte, hohle Nuss, die ein hungriges Eichhörnchen enttäuscht zurücklässt.
Drei Stunden später schläft er auf dem Sofa, die chinesischen Essensreste auf dem Couchtisch. Ich schalte den Fernseher aus. Er grunzt im Schlaf. Irgendwann wird er ins Schlafzimmer wanken, das Licht anknipsen und sich am Bettpfosten den Zeh stoßen. Fluchend wird er sich ins Bett werfen und sich beschweren, dass er nun wegen des schmerzenden Zehs und des grellen Lichts nicht einschlafen kann.
Ich sortiere meine Gedanken.
Juliane Kellermann. Treue Ehefrau. Heute ist ihre Dankesanzeige in der Zeitung.
Es ist so schwer, einen geliebten Menschen zu verlieren.
Es ist wohltuend, so viel Anteilnahme zu empfangen.
Für alle Worte und Gesten herzlichen Dank!
Gezeichnet von Lothar Kellermann.
Diese Floskeln brennen sich ein. Lothars Dank an die Anteilnahme der Nachbarn wirkt beinahe rührend.
Drei Wochen sind seit dem besagten Abend vergangen. Am Montag vor dem ersten Advent rollen die Einsatzfahrzeuge an. Notarzt, Rettungswagen, Polizei - und schließlich der Leichenwagen. Seitdem ist Lothar Witwer. Allein zu Hause.
Nun ja, allein, wenn man von seinem Besuch absieht. Völlig skrupellos und ohne einen Hauch von Pietät holt er sich seine junge Geliebte ins Haus. Lachend, plaudernd, unberührt von Julianes Tod. Das Zimmer, in dem einst weihnachtlicher Kerzenschein flackerte, hat nun eine andere Atmosphäre. Schamlos.
Aber ich bin ja auch noch da.
Lothar ahnt nicht, dass seine Tage gezählt sind. Doch er hat nun mal ein fundamentales Gebot gebrochen:
Ich kann ihn nicht daran hindern. Und ändern kann ich es auch nicht mehr. Aber ich weiß etwas, das Lothar nie verstanden hat:
Jede Sünde fordert ihren Preis.
Auch an Weihnachten.
Schlaf,
in himmlischer Ruh
Nein. Ich habe nicht gesehen, wie Lothar das Gift verabreicht. Im Rückblick hätte ich es vielleicht bemerken müssen. Aber rückblickend ist man immer ein Genie. In der Gegenwart steht man dagegen an einer Weggabelung mit unzähligen Abbiegungen, und der Rest ist pure Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Auch als ich sie zusammenbrechen sehe und das verzweifelte »HO, HO, HO« rückwärts aus ihrer Kehle keuchen höre, stehe ich vor einer solchen Entscheidung. Meine Wahl: den Notarzt rufen. Er kommt zu spät. Juliane hat keine Chance.
Das war abzusehen, aber nichts zu tun, ist für mich keine Option.
Dass auch die Polizei anrückt, ist ebenfalls keine Überraschung. Noch vor drei Wochen habe ich gehofft, dass sie den wahren Grund für den Tod einer kerngesunden, achtunddreißigjährigen Frau finden würden. Doch schon das erste Gespräch der Beamten macht diese Hoffnung zunichte.
»Blausäure. Typisch.« Der erste Beamte, ein kleiner, rundlicher Mann mit einer Vorliebe für große Gesten, tritt vor die Haustür. Er zieht ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, lässt es mit einem schnellen Schnippen aufklappen und fischt eine heraus. Als er sie anzündet, blitzt kurz ein goldener Zahn im Schein der Außenbeleuchtung auf. »Das Weihnachtsgift.«
»Glaubst du wirklich?« Der andere, ein langer, schlaksiger Typ mit so schmalen Schultern, dass sie unter seiner Jacke fast verschwinden, duckt sich unbeholfen unter den tief hängenden Tannenzweigen. Seine markante Hakennase ist das unübersehbare Zentrum eines Gesichts, das den Eindruck macht, als wäre es nicht oft mit komplexen Überlegungen gefordert worden. Seine Stimme ist tief, doch langsam und gedehnt, als müsste er die Worte erst mühsam zusammenfügen. »Sie wurde vergiftet?«
»Sie hat sich vergiftet. Mehr hab ich nicht gesagt.« Der Kleine bläst den Rauch seitlich aus und weist mit einem kurzen Nicken auf das Haus. »Schau dir das an. Hochmodern, technikvollgestopft, Eins-a-Lage. Keine Kinder. Und dann das Auto vom Typen - der druckt sich das Geld doch praktisch selbst.«
»Was hat das Haus mit ihrem Tod zu tun?« Der Lange zieht die Stirn kraus, als hätte er schon beim Aussprechen gemerkt, dass er die Antwort wohl nicht verstehen würde.
»Mann! Du kapierst wirklich gar nichts.« Der Kleine boxt ihm mit einem leichten Schmunzeln in die Rippen, aber der Stoß ist stärker, als es nötig gewesen wäre. »Typisches Szenario: Der Mann macht sich für diesen Luxus kaputt, und die Frau? Eine gelangweilte, depressive Tante, die sich mit Yoga und Naturkost die Zeit vertreibt. Und dann - Weihnachten. Überall kocht es über. Entweder sie hat sich absichtlich die Überdosis gegeben, oder das...
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