Schweitzer Fachinformationen
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Für die Arbeit hatte ich durchschnittliche Witze abgeliefert. Sie waren so langweilig, dass ich sie selbst direkt nach der Abgabe vergessen hatte. Irgendetwas mit Olaf Scholz' Cum-Ex-Vergesslichkeit und lausige Kommentare über Markus Söders Döner-Content auf seinem TikTok-Kanal. Niemand stand symbolisch so sehr für die Fetischisierung des Döners wie der bayerische Ministerpräsident.
Normalerweise wäre ich genervt von meiner schlechten Arbeitsleistung. Aber heute Nacht hielt mich etwas anderes wach. Es war dieser verfluchte Satz, an den ich nicht aufhören konnte zu denken. Ich war gefangen in einem deutschen Gedankenkarussell, auf dem man ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf grinsenden Bratwürstchen, eisgekühlten Bierdosen, Hitler im Vierfüßlerstand, hüpfenden Fußbällen und Vollkornbroten reiten konnte. Statt ulkiger Karussellmelodien lief im Hintergrund ein deutscher Schlagerhit mit der Refrainzeile: »Wir sind hier immer noch in Deutschland.«
Warum nur kam ich nicht davon los? Dieser Satz war ja keine rhetorische Naturgewalt oder irgendetwas, was ich nicht schon x-mal gehört hatte: zum Beispiel, wenn ich mit türkischen Kolleg*innen in meiner Muttersprache redete und ein deutscher Kollege halb ironisch sagte, dass man gefälligst Deutsch sprechen solle, weil man ja immer noch in Deutschland sei. Oder wenn der Nachbar nervte, weil man seinen Rasen um einen Zentimeter kürzen sollte, weil man ja, genau, immer noch im gottverdammten deutschen Großreich .
»Wir sind hier immer noch in Deutschland!« hatte ich wahrscheinlich öfter gehört als irgendwelche Witze über meinen Namen. »Canberk Köktürk? Wohl eher Champignon Kacktürke!«
Warum wollte mich dieser Satz heute so plötzlich nicht mehr loslassen? Lag die Antwort vielleicht in mir selbst? Oder lag sie in Deutschland?
Wie ließe sich Deutschland überhaupt definieren?! In erster Linie stand Deutschland für meine Heimat, die mir wöchentlich mindestens eine Identitätskrise bescherte. Ich hatte mich in diesem Land nie wirklich zu Hause fühlen dürfen. Doch in letzter Zeit wurde die Lücke in meinem Herzen - dort, wo ein wohliges Gefühl liegen sollte - immer größer, obwohl ich mich jeden Tag mehr assimilierte.
Mich hielten die Gedanken wach. Mein Bett stand in meinem Büro, weshalb ich den am Fenster stehenden Aschenbecher riechen konnte. Weil ich zu faul gewesen war, meinen Laptop zuzuklappen, erhellte der Bildschirmschoner den ganzen Raum. Es war ungemütlich und die nächtliche Hitze drückte. Die Gedanken kamen immer wieder, egal, wie oft ich mich von den Umständen meiner Schlaflosigkeit ablenken wollte. Ich begann wieder von vorn. Drei, zwei, eins: Die Rechtsextremen bekamen immer mehr Zustimmung und das trotz oder wegen ihrer offensichtlicher werdenden rassistischen Politik. Egal, was für ein Skandal über die AfD herauskam und egal, als was der Verfassungsschutz die Partei einstufte - sie fanden bei der deutschen Bevölkerung Gehör. Denn die Rechtsextremen waren nicht alleine mit ihren Wünschen. Die Konservativen zeigten unter der Herrschaft von Friedrich-Pascha-Merz durch rechtspopulistische Politik und Rhetorik ihr wahres Gesicht, sodass Angela Merkel im Rückblick wie eine Slay-Democratic-Communist-Queen erschien. Frei nach Franz Josef Strauß' Spruch »Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben« rissen die christlichen Volksparteien besoffen, niemals stoned, ihre ach so wichtige Brandmauer Stück für Stück ein. Meine größte Sorge: Es gab nur ein einziges linkes Gegenangebot in der sonst so MITTIGEN (RECHTEN) deutschen Parteienlandschaft. Und damit meine ich nicht die wandelnde Hufeisentheorie Sahra Wagenknecht. Wenn bereits die Grünen in den Augen der Konservativen und Rechtsextremen kommunistisch waren - wo in Gottes Namen stand ich dann selbst im politischen Spektrum?
In einem linken Nimbus? Einem linken, schwarzen Loch? Ein Loch, in dem verlorene Steuereinnahmen, der gefledderte Sozialstaat und faire Mietpreise verloren gegangen waren bis in alle Ewigkeit? Eine Ewigkeit, in der die Demokratie nicht nur eine Fassade für ein neoliberales, kapitalistisches Wirtschaftssystem war, aber eigentlich marginalisierte Menschen schützen sollte?
»Wir sind hier immer noch in Deutschland!«
Und was zur Hölle war eigentlich mit den Medien los? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk lud einmal die Woche irgendeinen scheiß Nazi in irgendeine scheiß Talkshow ein, um sie »inhaltlich zu entzaubern« oder die Rechtsextremen vor den Bildschirmen abzuholen. Dabei war das unmöglich, weil sie ihre eigenen Wahrheiten und Narrative mitbrachten. Und wenn sie mal widerlegt wurden, verschanzten sie sich argumentativ in den Widerspruch. Rechtsextreme, Populist*innen und Teile der Konservativen lebten im opportunistischen Widerspruch, damit sie jederzeit als wählbarste Option für das verunsicherte Volk erschienen. Lag dieses ganze Bauerntheater vielleicht doch nur am Überlebensinstinkt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Wenn man heute nett zu den Rechten war, würden sie die Öffentlich-Rechtlichen vielleicht doch nicht abschaffen, obwohl sie es jeden verfluchten Tag behaupteten. Gottverdammt, im Fernsehen sah man mehr Nazis als Kanaken. Das verfickte Gatekeeping innerhalb der weißen Medienstrukturen, das ich in meiner Karriere immer wieder am eigenen Leib hatte spüren müssen!
Es gibt leider keine jährlichen Erhebungen zu dem Thema, aber es ist auch nicht nur eine gefühlte Wahrheit: Eine Untersuchung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen aus dem Jahr 2020 befragte 126 Chefredakteur*innen in Deutschland, ob sie einen Migrationshintergrund hätten. 118 beantworteten die Frage mit Nein. Die restlichen acht hatten einen Migrationshintergrund: Sie stammten aus Österreich, Dänemark, Luxemburg, den Niederlanden, Italien, Rumänien, Irland und Griechenland. Sogar die deutsche Diversität war eurozentrisch, christlich und weiß! Das war angesichts einer Bevölkerung, die zu 26,7 Prozent migrantische Wurzeln hat, fatal. Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt erfasste für das Jahr 2020 26,3 Prozent Rentner*innen. Während die Öffentlich-Rechtlichen diese Zielgruppe im Blick haben und beinhart eine seichte Schmonzette nach der anderen für sie produzieren, spielen Menschen mit Migrationshintergrund weder in Filmen noch in Talkshows eine Rolle und sitzen auch nicht in den Redaktionen. Das eine Viertel der Bevölkerung ist überrepräsentiert, das andere findet in Funk und Fernsehen praktisch nicht statt. Ganz anders die Positionen der Rechtsextremen. Sie wurden vielleicht einfach nur lauter, weil sie jeden Tag in einer Talkshow saßen. Vielleicht könnten neue, interkulturelle Perspektiven die deutsche Bevölkerung »abholen«? Ihnen zeigen, was Sache ist im Land und dass durch Migration keine Gefahr in Verzug ist? Vielleicht war ich aber auch nur naiv in meiner paranoiden, nächtlichen Analyse.
»Wir sind hier immer noch in Deutschland«
Stopp mit der linksgrünen Schwarzmalerei!
Immerhin wurde jedes Mal gegen den Rechtsextremismus und Konservatismus demonstriert, wenn irgendein politischer Tabubruch stattfand. Die Teilnehmenden bastelten sogar lustige Schilder: »AfD-Verbot, weil ich Falafel mag!« Haha! Wow! Wie lange es wohl noch Versammlungsfreiheit geben würde, ohne dass die Polizei einem Fäuste entgegenwarf oder einen Schäferhund an den Hals hetzte, wenn man gegen Rechtsextreme oder am feministischen Kampftag auf die Straße ging. Kriegst du gar nichts mit? Oder würde man eventuell abgeschoben werden, wenn man gegen die Kriegsverbrechen in Gaza auf die Straße ging? Dann doch lieber ein paar kommunistische Memes auf Social Media teilen.
Soziale Medien waren im vergangenen Jahrzehnt sowieso ein Segen. Dort konnten marginalisierte Gruppen endlich ihre Inhalte ohne Gatekeeping produzieren, sich zusammenfinden und über ihre Community hinaus sicht- und hörbar werden. Aber, fuck! Auf Instagram wurde der Faktencheck, wie auch auf X, aufgehoben. Beide Plattformen gehören superreichen Anarchokapitalisten, die mittlerweile offensichtlich den Rechtsextremismus unterstützen oder tolerieren. Hoppla! Beinahe TikTok vergessen, wie so ein Millennial. Der Einfluss dieser App ist bei Jugendlichen enorm groß. Die deutsche Jugend ist hip, die deutsche Jugend ist links oder eventuell auch rechts. Je nachdem, welche Politiker*innen oder Partei gerade trendet oder ob man junge Männer oder Frauen befragt. Die Zukunft klang nach Spaltung.
Apropos Zukunft! Was, wenn wir von wahnsinnigen alten Männern in einen Krieg gezogen werden, die äußere Verteidigung in den Vordergrund rückt und die unsicheren Zeiten von Nazis oder anderen autoritären Kräften ausgenutzt werden? Was, wenn für eine neue Kriegstüchtigkeit die soziale Absicherung in den Hintergrund rückt und die verunsicherte Bevölkerung auf den einen rettenden, völkischen, rassistischen Führer oder die eine Führerin wartet?! Was, wenn die Demokratie sich als vorherrschendes...
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