Schweitzer Fachinformationen
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Wir fuhren mit dem Rad durch Wien. Ich saß auf dem Gepäckträger, mein Liebling hatte eine Zigarette zwischen den Zähnen, die war abgeraucht bis zum Filter, mit den Händen klammerte ich mich an meinen Liebling. Das ist Kino. Manchmal kehrt sich mein Hirn nach außen.
Vor dem Flex setzten wir uns an einen Tisch. Ich schloß meine Augen und tat so, als hätte man mich angeschossen. Meine Hände klebten an der Schußwunde. Ich versuchte aufzustehen, was aber schlecht ging mit einer Schußwunde im Bauch, und ließ mich wieder auf die Bank zurückfallen. Mein Liebling verdrehte die Augen. Er kennt das schon.
Dann war er weg.
Ich wartete.
Er hatte gesagt: »Warte hier!«
Eine Frau mit viel zu großer Jacke, viel zu kleiner Hose, und das Gesicht war unter drei Mützen untergetaucht, setzte sich zu mir an den Tisch.
»Früher«, sagte sie, »hat es besseres Gras gegeben. Ich mag Gras lieber als Shit. Es kratzt nicht so im Hals. Den Shit, den du heute bekommst, kannst du brechen. Früher war er weicher. Er gab soviel her, daß ich mit dem, was vom Shitangreifen an meinen Fingern geklebt ist, einen neuen Joint bauen konnte. Würdest du mitrauchen, wenn ich etwas für einen zusammenbettle? Nur, wenn du möchtest. Ich rauche nicht gern allein. Davon werde ich deprimiert. Ich bin dann im Krieg mit mir selber, wenn ich allein einen Joint rauche. Ich denke dann zuviel. Man müßte auf Knopfdruck das Hirn ausschalten können. Das kann ich nur beim Ficken und da auch nicht richtig. Würdest du mitrauchen?«
Sie hatte eine kratzige Stimme. Wie die Bardamen in den alten Schwarzweißfilmen. Ich spürte wieder die Kugel in meinem Bauch. Ich war die angeschossene Heldin in der ketchupfarbenen Blutlache.
»Ja, würde ich«, sagte ich.
»Du hast ein schönes Tuch auf dem Kopf«, sagte sie.
Ich rückte das Tuch auf meinem Kopf zurecht. Das mache ich immer so, wenn ich ein Kompliment bekomme: Ich betone das Kompliment. Mein erster Freund zum Beispiel sagte zu mir, ich hätte einen schönen Mund. Er war Fotograf. Er machte Fotos von Kerzen. Daraus wurden dann Begräbnis- und Hochzeitskarten gemacht. Er sagte, ich hätte einen schönen Mund, und ich preßte den ganzen Abend meinen Mund heraus. Ich wollte, daß der schöne Mund nach unserem Rendezvous in seinen Gedanken zu einem wunderschönen Mund wird. Das meine ich, wenn ich sage, ich betone das Kompliment.
»Ich habe einen Bewährungshelfer«, sagte sie und zog die unterste Mütze tiefer ins Gesicht. »Ich war im Gefängnis«, sagte sie.
Ich konnte ihre Augen nicht mehr sehen, sie waren vergraben unter den Mützen. Ich unterhielt mich mit einer Nase. Der Mund war hinter ihren Händen. Der restliche Mensch war Vermutung.
»Wegen versuchter Körperverletzung«, sagte sie.
»Aber nur zwei Wochen im Gefängnis«, sagte sie.
»Den Bewährungshelfer habe ich für drei Jahre«, sagte sie. »Einmal im Monat muß ich zu ihm. Er hat gesagt, wenn ich nur ein einziges Mal nicht komme, muß ich wieder ins Gefängnis. Stimmt das? Ich bin schon zweimal nicht gekommen. Ich denke, ich bin ihm wurscht. Hat der eigentlich frei, wenn ich nicht komme?«
Ich zuckte mit der Schulter. Dann war es kurz still um uns herum.
»Was arbeitest du?« fragte ich in die Stille hinein, und gleich nach der Frage kam ich mir wie ein Bewährungshelfer vor. Ich hätte die Frage gern zurückgenommen. Wie bei einem Spiel unter Scheinwerfern mit einer Musik für Richtig! und einer Musik für Falsch! Drei falsche Fragen darf ich stellen, die vierte gilt. Zu gewinnen gibt es eine All-Inklusive-Reise nach Kreta. Eine Reise mit verschwitzten, nach Sonnenöl riechenden Menschen.
»Ich habe Comics, Bücher und Spielsachen im Prater verkauft. Bei dem Würstelstand gleich beim Eingang«, sagte sie. »Jemand hat mir meine Arbeit geklaut. Zwei große Plastiksäcke und eine blaue Tasche, alles voll mit Spielzeug, Comics und Büchern. Am Abend habe ich meine Arbeit immer hinter den Büschen versteckt. In der Nähe von den Gratis-WCs. Einmal hat jemand auf meine Arbeit gebrunzt. Das war auch so ein Schwein. Wer macht das denn, hinter einem Busch auf Spielsachen brunzen, wenn das Klo ganz in der Nähe ist und gratis? Auf jeden Fall waren die Taschen an einem Morgen weg. Ich habe mir gedacht, wer zum Teufel greift denn da hinter die Büsche, um zu schauen, ob Säcke mit Spielsachen dort sind?«
Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte.
»Ich bin mir beobachtet vorgekommen und bin mit einer Paranoia herumgerannt«, sagte sie. »Jetzt ist es mir wurscht. Die Paranoia habe ich noch, aber die Arbeit ist mir wurscht.«
Ich wußte wieder nicht, was ich darauf sagen sollte.
»Ich finde dich nett«, sagte ich schließlich, nur um auch etwas zu sagen. Ich wollte meine Frage nach der Arbeit wieder gut machen.
»Wer hat dich dafür bezahlt?« fragte sie.
Nein, so sagte sie das nicht. Sie sagte überhaupt nichts. Aber sie machte so ein Gesicht. Wir saßen da, und sie sagte nichts. Ich sah sie an, und in meinem Kopf schrieb ich folgendes unter ihr Gesicht:
Ich sagte: »Wofür?«
Sie sagte: »Damit du mich nett findest.«
Ich sagte: »Niemand.«
Sie: »Das ist mir verdächtig.«
Ich: »Warum?«
Sie: »Weil kein Plus für dich herausschaut.«
Ich kam mir schlecht vor. Ganz schlecht kam ich mir wirklich vor. Ich ging aufs Klo, um mir meinen Hintern an der kalten Kloschüssel abzukühlen in der Hoffnung, daß mein Hirn einfriert. Lange bin ich so dagesessen und stellte mir das Klo als Zimmer vor. Ein Zimmer, so klein, daß man stehen muß. Und sich zusammenrollen muß, wenn man schlafen will. Das Denken wird vor der Tür gelassen. Wir haben kein Hirn, wir stehen nur oder rollen uns. Meine Laune drückte ich mit der Klospülung hinunter und ging wieder zu meiner Geschichte zurück.
»Würdest du mitrauchen, wenn ich einen Joint hätte?« fragte sie, als hätte sie nicht schon einmal gefragt. Ich suchte mir einen noch nicht nassen Fleck auf der Bank. Es regnete. Nicht richtiger Regen.
»Ja«, sagte ich.
»Ich gehe mich umschauen. Würdest du auf mein Bier aufpassen?« fragte sie.
Sie ging, und ich saß da mit einer Dose Ottakringer Bier. Was gibt es da zum Aufpassen?
Am Donaukanal sah ich einen Mann. Ich war mir sicher, ihn einen Tag zuvor am Westbahnhof gesehen zu haben. Mit einer Frau, eng umschlungen. Am Donaukanal war er auch eng umschlungen, aber mit einer anderen Frau. Beide Male rauchte er eine Zigarette. Man ist ein Schwein, wenn man sich eine Zigarette bei seiner Frau anzündet und sie bei seiner Geliebten fertig raucht.
»Tut mir leid, aber mit dem Joint schaut es schlecht aus.«
Die Frau mit der viel zu großen Jacke, der viel zu kleinen Hose war wieder da, und das Gesicht war unter drei Mützen untergetaucht.
Ich wollte ihr auch eine Geschichte erzählen.
»Ich möchte dir auch eine Geschichte erzählen«, sagte ich.
»Okay«, sagte sie und setzte sich und tat schon genervt, noch ehe ich das erste Wort meiner Geschichte gesagt hatte.
»Es gab einen Mann im Bregenzerwald. Das ist in Vorarlberg«, sagte ich.
»Ich weiß schon«, sagte sie.
Mich regte das auf. Ich wußte, daß sie bestimmt nicht wußte, daß der Bregenzerwald in Vorarlberg ist, und ich hätte ihr gern eine Fangfrage gestellt, mir fiel aber keine ein.
»Ich weiß nicht, ob er noch lebt«, redete ich weiter. »Der Mann fing an, in der Scheune hinter seinem Haus ein Boot zu bauen. Aus dem Boot wurde ein Schiff mit Kajüte, Küche und Schlafraum. Das Schiff wurde so groß, weil er alle seine Träume hineinbaute, und am Schluß brachte er das Schiff einfach nicht mehr aus der Scheune heraus. Er packte seine Sachen, verkaufte sein Haus und zog in das Schiff. Ein Mann in den Bergen, der aufs Meer möchte. Das Schiff war zu groß und blieb in den Bergen, und vom Deck des Schiffes aus konnte man nicht einmal auf die Berge schauen, weil die Scheune um das Schiff herum war, und in der Scheune waren keine Fenster. Wenn eines Tages die Sintflut kommt und die Welt zum Meer wird und die Scheune auseinanderfällt, dann ist der Mann gerüstet.« ...
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