Schweitzer Fachinformationen
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Mit der hier vorgelegten Nummer 74 der FILM-KONZEPTE nehmen wir, Fabienne Liptay (vom Band 1 an dabei), Kristina Köhler und Jörg Schweinitz - also das Trio, das vom Standort Zürich aus die letzten 22 Bände herausgegeben hat - Abschied von dieser Arbeit und reichen den Staffelstab an ein neues Team in Babelsberg weiter.
Klar war sofort, diesmal sollte nicht nach Gastherausgebenden gesucht werden, sondern wir drei wollen uns nach fünf Jahren Zusammenarbeit mit einem gemeinsam edierten Band verabschieden. Aber um wen sollte es darin gehen? Die Wahl fiel recht schnell auf Daniel Schmid. Uns gefiel der Gedanke, die »Zürcher Zeit« der FILM-KONZEPTE mit einem schweizerischen Filmemacher abzuschließen - und zwar mit einem, dessen starkes künstlerisches Profil für vieles steht, was uns für diese Reihe stets wichtig und attraktiv erschien.
»Schweizer Filmemacher« - das deutet bei Daniel Schmid allerdings ganz und gar nicht auf irgendeine Form helvetischer Selbstgenügsamkeit hin. Schmid ist gerade als Schweizer ein durch und durch europäischer Regisseur, ein Europäer, der indes stark durch sein Land, die Schweiz, und die Landschaft seiner Kindheit geprägt ist. Diese Verf lochtenheit zeigt sich schon an den Orten und Beziehungen seines Lebens. Hatte er doch in den 1960er Jahren in Berlin studiert und den Weg ins »Handwerk«, Filme zu machen, hier gefunden. So entstanden in jener Zeit intensive Kontakte in die Szene des Neuen Deutschen Films, etwa zu Peter Lilienthal, als dessen Regie-Assistent er in die professionelle Filmarbeit einstieg, oder zu Rosa von Praunheim, Rainer Werner Fassbinder und Werner Schroeter, an deren Projekten er vor allem in den 1970er Jahren auf vielfältige Weise mitwirkte. Unter anderem trat er als Schauspieler in Filmen von Fassbinder oder Wim Wenders auf.1 Die breitere internationale Öffentlichkeit wurde schließlich auf ihn aufmerksam, als der junge Bündner mit jüdischen Wurzeln Fassbinders heftig umstrittenes Stück Der Müll, die Stadt und der Tod verfilmte und diesen Film (Schatten der Engel) 1976 am Festival von Cannes zeigte. Kurz darauf sorgte Violanta (1977), frei nach Motiven einer Novelle von Conrad Ferdinand Meyer adaptiert, auch in den Schweizer Kinos für einen wochenlangen Erfolg. Schmid selbst lebte damals (seit Mitte der 1970er Jahre) abwechselnd in Berlin und Paris, wo er an eigenen Projekten arbeitete und wiederum zunächst auch als Schauspieler in Filmen französischer Kollegen, Patrice Chéreau und Pierre Zucca, mitwirkte. Immer wieder inszenierte er - einer frühen Faszination folgend - am Theater Basel und am Zürcher Opernhaus Opern; seine Filme drehte er nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern auch in Italien (Il bacio di Tosca, 1984), Marokko (Hécate, 1982) oder Japan (Das geschriebene Gesicht, 1995) und natürlich in der Schweiz. So international sein Lebensstil und seine Arbeit angelegt waren, so vielfältig sind die Genres, derer er sich bei seiner Filmarbeit auf ästhetisch ref lektierte Weise bediente. Das Spektrum reicht von La Paloma (1974), hier steigert er ausgewählte Formen des filmischen Melodramas ins Extreme, über die berührende »semi-dokumentarische« Beobachtung gealterter Operndiven in einem Altersheim in Milano (Il bacio di Tosca) und die Neulektüre literarischer Klassiker, wie es bei Jenatsch (1987) der Fall war, oder eine Bestandsaufnahme schweizerischer Filmgeschichte für die TV-Produktion Les amateurs (1991), bis zum grotesk-satirischen und zugleich postmodernen Film Beresina (1999), der viel ästhetischen wie politischen Zeitgeist jener Jahre (nicht nur, aber besonders der Schweiz) atmet.
Ein »Realist« wollte Schmid nie sein. Radikale Ästhetik paart sich bei ihm mit der Affinität zu mythologischen (Kino-)Bildern, zu Motiven abgesunkener kultureller Erinnerung, zur großen Oper, aber auch zu Popmusik oder ironisch ausgestelltem Kitsch. Ihn interessieren Figuren, die in ihren Imaginationen und Obsessionen leben; ihre Traumlandschaften nehmen in seinen Filmen Gestalt an,2 und er sucht Einblicke in ihr Empfinden zu entdecken und zu gewähren. Überhaupt, dem Ausdruck tiefer Empfindungen und großer Emotionen begegnen wir in Schmids Filmen immer wieder; meist sind es vielschichtige, mehrstimmige, teils auch ambivalente emotionale Abläufe etwa zwischen Melancholie und Begeisterung, die sich übertragen. Manchmal geht es dabei, wie bei der Beobachtung der alten Opern-Primadonnen, um psychologische Feinzeichnung, feinste Regungen der Mimik und Gestik, vielfach aber auch um große, durchaus konventionelle, ja stilisierte Gesten, die auf kreative Weise aufgerufen und neu gesehen werden. Auch vor den eigenen Traumlandschaften, die schon aus seiner Kindheit stammen, machen seine Filme nicht halt. Sie mischen sich immer wieder ein - etwa wenn in Zwischensaison (1992) die Imagination des Meeres mit seiner Weite, als erinnertes Sehnsuchtsbild beim Blick aus dem Fenster (ähnlich dem des elterlichen Hotels seiner Kindheit) zwischen den Bündner Bergen erscheint.
Noch sein letzter großer Spielfilm Beresina oder Die letzten Tage der Schweiz, der mit seinem satirischen Bezug auf damals aktuelle Entwicklungen der gerade vergangenen 1990er Jahre in seinem Heimatland irgendwie aus der (obschon stets in sich vielfältigen) ästhetischen Linie seiner Werke herauszufallen schien und damit bei der Kritik einige Irritationen auslöste, bleibt indes dem Interesse an Imaginationen treu.
Abb. 1: Daniel Schmid bei der Einweihung des Casinos Montbenon, 1981. Fonds photos institutionnelles, Cinémathèque suisse
Denn worum es geht, das sind nicht die Ereignisse als solche, sondern letztlich wiederum deren Ref lexion in Imaginationen, Bildern, visuellen Fantasien oder Erzählmotiven, die in der Schweiz jener Jahre umliefen; sie werden hier vielfach ins Groteske gesteigert vorgeführt. Die Welt, die sich entfaltet, ist eine eigene; sie steht in den Anführungsstrichen der Ironie, politisch ist sie dennoch - auf einer zweiten Ebene der Ref lexion.
Diese kleine Skizze mag zunächst hinreichen, um anzudeuten, was uns an Daniel Schmid fasziniert und warum wir uns entschlossen haben, ihm knapp zwei Jahrzehnte nach seinem Tod 2006 einen Band der FILM-KONZEPTE zu widmen. Dabei soll es - schon aufgrund des begrenzten Rahmens - nicht um eine Gesamtdarstellung seines Ouvres gehen, für die sich bereits Publikationen finden lassen.3 Ebenso wenig wollen wir Schmid auf ein übergreifendes Narrativ (etwa das des »schweizerischen Regisseurs«) festlegen. Vielmehr mögen die Beiträge des Heftes - bewusst fragmentarisch - ein schillerndes und vielgestaltiges Bild seines Kinos geben.
Ein besonderes Anliegen des Bandes ist es, Schmids Filme aus gängigen auteuristischen oder biografischen Lesarten herauszulösen und stattdessen nach den verschiedenen Netzwerken fragen, in denen seine Filme entstanden, zirkulieren und rezipiert werden. So tritt Schmid in den einzelnen Beiträgen mal als schweizerischer, mal als internationaler Filmemacher ins Bild; er wird natürlich als Beteiligter an der deutschen Filmszene im Umkreis des Neuen Deutschen Films situiert oder auch als queerer Regisseur mit seiner Affinität zu Camp, Pathos und Ironie gelesen - ohne dass er auf eine dieser Perspektiven reduziert werden soll. Zu den Netzwerken in einem weiteren Sinne lassen sich auch die unterschiedlichen Ansätze oder Zugänge und die davon geprägten Perspektiven zählen (Postmoderne, feministische Archivrecherchen, Festival Studies, Amateur- und Gebrauchsfilm u. a.), aus denen seine Filme hier analysiert werden. Unsere Autor:innen bewegen sich aus mitunter weit entfernt anmutenden Richtungen und mit überraschenden Wendungen auf seine Filme zu - und wieder von ihnen weg. Gerade über die dabei in Gang gesetzten Suchbewegungen erinnern sie uns daran, die Auseinandersetzung mit Schmids Filmwerk dynamisch zu halten. Insofern verdichtet sich in der Text-Kompilation des Bandes mit besonderer Deutlichkeit, was wir uns für die FILM-KONZEPTE immer gewünscht und in den Bänden der letzten Jahre in unterschiedlichen Spielformen erprobt haben: das Vorhaben, das monografische Format nicht hagiografisch einzusetzen, sondern die damit verbundenen Fragen von Autorschaft, Werk- und Personalstil auf produktive Weise herauszufordern.
Ein zweiter Schwerpunkt, der in den Beiträgen des Bandes immer wieder anklingt, ist die Suche nach adäquaten Begriffen und Kategorien zur Beschreibung der Filme von Daniel Schmid. Sie lassen sich kaum auf einen ästhetischen Nenner bringen, und schon gar nicht einer Stilrichtung oder Schule zuordnen. In ihnen verschwimmen Wirklichkeit und Traum; Pathos kippt in Ironie, die gravitas des Melodramatischen verwischt mit augenzwinkerndem Schalk. Gerade durch diese (im besten Sinne) »unreinen« Zwischenzonen führt die Auseinandersetzung mit Schmids Filmen immer auch dazu, die ästhetischen Kategorien zu hinterfragen, mit denen wir ihnen beizukommen suchen. Das betrifft auch die intermedialen Vergleiche, die seine Filme selbst aus- und nahelegen - etwa die Nähe zur großen Oper, zum Theater, (etwas komplizierter vielleicht) zur Fernseharbeit und natürlich die filmgeschichtlichen Referenzen.
Ein dritter Fokus richtet sich auf die Art und Weise, wie sich Schmids Filme zu gesellschaftlichen Verhältnissen positionieren. Obschon Filme wie...
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