Schweitzer Fachinformationen
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Vera Baltes lümmelte sich im Liegestuhl und grübelte über den Seelenzustand ihres Ehemanns. Dass er dazu neigte, auch seine Freizeit mit beruflichen Gedankenspielen zu verbringen, war für sie nichts Neues. Aber dass er sich medialen Torturen unterwarf, das war eine Nummer zu viel. Noch nie hatte er »Pott sucht Deckel« eingeschaltet. Schon gar nicht an einem schönen Sommerabend, den er hätte draußen im Garten verbringen können.
»Musst du dir das antun?«, fragte sie laut durch die offene Terrassentür ins Wohnzimmer hinein. Sie nämlich ließ es sich nicht nehmen, samtige Eifelluft zu atmen und die Geräuschkulisse des Fernsehers durch das melodiöse Gezwitscher und Geschnatter eines Starenschwarms zu ersetzen, der sich über den Kirschbaum hermachte. Es klang wie im Urwald, und sie war froh über den gesegneten Appetit der Vögel. Der Baum trug wahre Massen der süßen roten Früchte, und sie hatte weder Zeit noch Lust, stundenlang Kirschen zu entkernen, um sie zu Konfitüre zu verarbeiten. Die Natur sollte ihren freien Lauf haben und das Federvieh sein Festessen.
»Ich muss nicht«, rief Baltes, »aber vor meinen Augen tut sich ein ganz neuer Kosmos auf. Es ist richtig spannend, wie sich Leute heutzutage verlieben.«
»Wieso . Hast du was auszusetzen an der Art, wie wir uns verliebt haben?« Sie legte die Beine übereinander und griff zur Flasche Riesling, die im Weinkühler neben ihr auf dem Terrassentisch stand. Sie goss sich ein Glas ein und blickte an sich herab. Sie war mit fünfzig noch schlank und hatte muskulöse Beine ohne Orangenhaut, vielleicht ein bisschen zu massig an den Waden. Aber sie war zufrieden mit sich. Und mit ihrem Werner. Auch der fiel unter die Kategorie »gut erhalten«. Je älter und grauer er wurde, desto mehr kam der smarte Gentleman zum Vorschein. Dass er weder die Gelassenheit eines Dalai Lama noch den brachialen Sexappeal eines Bruce Willis hatte - nun ja, das hatte sie gleich gewusst, mittlerweile seit einem Vierteljahrhundert. Beide besuchten damals eine Fortbildung zum Thema gewaltfreie Kommunikation der Katholischen Erwachsenenbildung, sie eine junge Sozialarbeiterin und er Anwärter für den gehobenen Polizeidienst.
»Nun ja«, übertönte er den Fernseher, »es wäre subtiler möglich gewesen. Du hast mir in der Mensa das Tablett mit dem Mittagessen aus der Hand geschlagen.«
»Das war ein Versehen, Schatz«, rief sie.
»Ich weiß«, brüllte er zurück. »Aber hier sehe ich, wie perfekt die moderne Balz im Timing ist, nicht so grobmotorisch wie du damals.«
»Wir hatten kein professionelles Script und keine Regieanweisungen«, verteidigte sie sich. »Und jetzt komm endlich her und lass mich nicht allein mit meinem Alkoholkonsum.«
Das mal schrille, mal monotone Fernsehpalaver brach ab, einen Moment lang hörte Vera Baltes nur Stille. Selbst die Stare legten eine Schweigeminute ein, vermutlich tirilierte es sich mit vollen Schnäbeln nicht gut. Werner Baltes trat heraus, er hatte sich aus dem Küchenschrank ein Weinglas mitgebracht und ließ sich in den zweiten Liegestuhl fallen. Genussvoll füllte er sein Glas und betrachtete durch den gelbgrün schimmernden Inhalt den Himmel. »Für die jungen Leute sind solche Exemplare wie wir total aus der Zeit gefallen. Aber du bringst mich immer wieder zum Wesentlichen des Lebens«, seufzte er, »da bin ich bei den Pötten und Deckeln nicht ganz so zuversichtlich. Eben lief die letzte Folge, in der das Mordopfer live zu sehen war, mit seinen Gespielinnen. Irgendwie tun die mir alle leid.«
»Leidtun? Das finde ich überflüssig. Die machen das freiwillig und kriegen sicher gutes Geld dafür.«
Er liebte seine Vera für ihre lakonische Art. Sie redete nicht lang um irgendeinen Brei herum, sie ging die Dinge pragmatisch an. »Garantiert ist das gut fürs Konto. Aber sie kriegen kein Glücksgefühl. Der Dirk Dernhof wirkt in den Aufnahmen nicht reich und beneidenswert. Der ganze Rummel scheint ihn fast ein bisschen genervt zu haben. Es gibt keine einzige Szene, in der er unbeschwert lacht oder wirklich an den Frauen interessiert ist. Im Gegenteil, er dreht sich andauernd weg und redet irgendein ironisches Zeug . was die Damen aber besonders anspornt.«
»Vielleicht ist genau das kalkuliert«, warf Vera ein, »eine Inszenierung des ewigen Rennens, je rarer man sich macht, desto begehrenswerter wird man. Widersprüche machen interessant. Komm mir nicht zu nah und geh bloß nicht weg . Wer das Spiel beherrscht, hat gewonnen und Abhängigkeit geschaffen. Fast jeder kennt das, es lockt die Zuschauer.« Sie hatte das in ihren Familienberatungen oft erlebt. Einige Menschen erlebten Gefühle und Sehnsüchte umso rauschhafter, je schmerzhafter sie enttäuscht wurden. Es war ihre Liebe zum Drama, weil alles andere öde war, viel zu alltäglich und gänzlich unromantisch. Vor allem war es zu alltäglich, um ein Massenpublikum vor den Fernseher zu bannen.
Baltes ahnte, woran sie dachte. Er schüttelte den Kopf. »Dernhof müsste ein verdammt guter Schauspieler gewesen sein. Ich glaube nicht, dass er bei seiner Unnahbarkeit einer Regieanweisung folgte. Auf mich wirkt sein Desinteresse an den Kandidatinnen echt.«
Er hatte die beiden liebeshungrigen Frauen, die in der Mordnacht auf dem Hof waren, noch nicht vernommen. Das war Natalia Subotkas Aufgabe gewesen. Er vertraute seiner Kollegin, und dennoch wollte er sich selbst einen Eindruck machen. Vor allem jetzt, nachdem er sie in filmischer Aktion gesehen hatte. Die blonde Janine, die am Morgen nach der Tat hochhackig aus der Haustür gestürmt war, wirkte in der gesendeten Folge brav und anschmiegsam wie der erotische Traum eines alten Mannes. Doch im wirklichen Leben schien sie die Kuppelei nur als lästiges Mittel zu irgendeinem Zweck zu sehen. Baltes klang ihr Protest im Ohr: »Der hier war schon schlimm genug.« Das hatte sie unmissverständlich gesagt, und auch, dass sie befürchtete, der nächste Landmann auf Freiersfüßen könnte noch schlimmer sein. Eckenbach hieß Janine mit Nachnamen, das wusste Baltes aus der Akte, sie war Friseurin und lebte in Köln. Die andere war vom Typ her der Gegenentwurf, dunkelhaarig, Tita Tetzel, eine Mitarbeiterin der Uni Trier. Mehr wusste er von ihr nicht, und die Performance, die sie auf dem Bildschirm gab, hatte nicht mehr offenbart als eine etwas angestrengt wirkende Frau Anfang dreißig, die den Spagat zwischen frivoler Zickigkeit und demonstrativem Selbstbewusstsein versuchte. Was ihr misslang, wie der Kommissar fand.
Die Stare nahmen ihr hundertstimmiges Konzert wieder auf und stritten sich erbittert um Kirschen, obwohl genügend Früchte am Baum hingen. Beinahe wäre die Türklingel im Getöse untergegangen.
»Erwartest du jemanden?«, fragte der Kommissar.
»Nein . das heißt, doch. Den Paketboten. Meine Bestellung müsste heute eintrudeln.« Vera stellte ihr Glas neben sich auf die Terrassenfliesen und stand auf.
Er blickte an ihr hoch. »Was hast du bestellt? Lass mich raten. Einen sexy Bikini für unseren nächsten Mallorca-Urlaub.«
Sie schüttelte den Kopf. »Falsch. Etwas, das dich noch viel, viel, viel glücklicher machen wird.«
»Die gesammelten Werke von Anselm Grün?«
Sie lachte. »So was liest du doch sowieso nicht.«
»Hältst du mich für so banal, dass ich die Sphäre der Spiritualität nie .«
Es klingelte Sturm. Dingdongdingdongdingdong!
Vera spurtete los. »Ich komme ja schon!«
Baltes sah ihr hinterher und wunderte sich. Seine Gattin war gar keine Freundin des Onlineshoppings. Viel lieber stöberte sie in kleinen inhabergeführten Läden, die es in der nahen Kreisstadt Daun noch gab. Sie wollte sehen, fühlen und riechen, bevor sie etwas kaufte, und dann den erfolgreichen Beutezug mit einem Cafébesuch krönen. Außerdem fand sie die Entsorgung von Ware, die sie bei näherer Betrachtung doch nicht mochte, alles andere als bequem, auch wenn sie kostenlos war. Mit dem Retourenschein herumfummeln, mit Klebeband kämpfen, die ungeliebten Teile zurück in die Verpackung stopfen, zur Paketannahmestelle fahren, einen Parkplatz suchen, mit dem sperrigen Gut unter dem Arm Hunderte Meter laufen . nichts für sie. Er war da ganz ihrer Meinung. Obwohl es gewissermaßen überflüssig war, dass er sich Gedanken über Einkaufsgepflogenheiten machte. Seit er seine langwierige Erschöpfungsdepression samt anschließender Reha überwunden hatte - zumindest war er von seinem endgültigen Sieg über den Burnout überzeugt - und seit er nach einem halben Jahr reduzierter Arbeitsstunden wieder voll im kriminalistischen Saft stand, hatte er sowieso keine Zeit zum Shoppen. Ihm fiel auch nichts ein, was er hätte kaufen wollen. Jedenfalls fast nichts. Wo blieb sie nur?
Er hörte Schnaufen, schwerfällige Schritte, Ächzen, dann ihr »Ich hab's fest im Griff« und ein männliches »Bisschen mehr nach links . nee, rechts, sorry«. Die tiefe Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor. Baltes drehte sich im Liegestuhl zur Terrassentür um und erblickte ein schmales Hinterteil in schlackernden Jeans, sehnige nackte Arme, schmutzige grauweiße Sneaker. Der Mann wuchtete im gebückten Rückwärtsgang ein riesiges braunes Paket durch das Wohnzimmer. Irgendwo am anderen Ende des Schwertransports musste Vera Baltes sein. Der Kommissar hörte ihr schwaches Gurgeln. Er sprang auf und hob das Paketmonster in der Mitte an.
Zur Seite blickend erkannte er den Boten. »Pollmeier, was um Himmels willen schleppen Sie hier an?«
»Ich? Da müssen Sie Ihre Frau fragen«, entgegnete der Lieferant gelassen. »Ich weiß nie, was sich die Leute ins Haus holen. Meinetwegen...
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