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Eine gängige Legende zur Familiengeschichte der Albrechts nämlich lautet folgendermaßen: Bergmann - natürlich, im Ruhrpott - sei Vater Albrecht gewesen, ehe er wegen einer »Staublunge« seinen Beruf habe aufgeben müssen und nur noch hustend und röchelnd am Ofen habe sitzen können. Seine Frau sei daraufhin gezwungen gewesen, einen kleinen Krämerladen aufzumachen, der die Familie aber mehr schlecht als recht ernährt habe, so dass die Kinder Karl und Theo schon früh bittere Not kennengelernt hätten. Dies sei ihr Antrieb gewesen, es später allen zu zeigen - vor allem den Handelsketten, die den kleinen Kaufleuten schon damals das Wasser abgegraben hätten. So weit, so gut. Aber stimmt das wirklich?
Spurensuche in Schonnebeck. Auf der Huestraße, der zentralen Verkehrsachse des Essener Stadtteils, gab es bis Ende November 2020 eine Aldi-Filiale - wenige Tage darauf eröffnete ganz in der Nähe eine völlig neue. Aufmerksame Beobachter konnten im alten Geschäft etwa ab den 1960er Jahren an Warenstapeln Lieferzettel bemerken, die das Kürzel »VST001« trugen - Verkaufsstelle 001. In der Tat war dieser für heutige Gewohnheiten viel zu kleine Supermarkt die Wiege des Aldi-Imperiums - zumindest fast. Denn eigentlich begann die Geschichte des Unternehmens nicht hier, sondern genau nebenan. In der damaligen Mittelstraße 87 eröffnete der Bäckergeselle Karl Albrecht senior im Jahre 1913 ein Brotgeschäft, nachdem er die aus einer alteingesessenen Schonnebecker Familie stammende Anna Siepmann geehelicht hatte. Sicherlich eine gute Partie, denn das neu errichtete Haus in zentraler Lage gehörte ihrer Familie. Und für Albrecht ein veritabler Aufstieg: vom Handwerksgesellen, der »Bergmann« ist Legende, zum Kleinunternehmer, getreu dem Motto: »Ist der Handel noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein.« Ausweislich einer erhalten gebliebenen Rabattkarte gab es bei ihm natürlich Brot und andere Backwaren zu kaufen, aber auch Kaffee, Tee und Konfitüren, Butter, Margarine und Kekse. Ein Geschäft - klein, aber fein.
Schon nach einem Jahr aber mischte sich die große Politik ins private und berufliche Leben der jungen Familie Albrecht. Als die Welt am 28. Juni 1914 von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie durch einen bosnischen Serben in Sarajevo erfuhr, dachte kaum jemand an einen großen Krieg. Dennoch brachte dieses Attentat das Pulverfass Europa zur Explosion. Alle fühlten sich als Angegriffene, keiner als Angreifer. Wie in Berlin begrüßten auch die Menschen in Wien, Paris und London euphorisch den Ausbruch eines Krieges, von dem noch niemand ahnte, wie mörderisch er werden würde. Der Weltenbrand begann mit dem Angriff der deutschen Heere im Westen. Doch der Sturmlauf führte binnen weniger Wochen in einen erbitterten Grabenkampf. Er wurde mit allen Mitteln geführt: Maschinengewehre »mähten« ganze Regimenter nieder. »Feuerwalzen« der Artillerie durchpflügten ganze Landstriche, hochgiftiges Gas kam erstmals zum Einsatz, mit fürchterlicher Wirkung.
Auch Karl Albrecht wurde als Soldat eingezogen. Seine Ehefrau musste den Laden jetzt allein schmeißen. An der sogenannten »Heimatfront« folgte auf die Kriegsbegeisterung tiefe Ernüchterung. Mangelwirtschaft und Hunger bestimmten den Alltag. Seit August 1914 hielt die britische Flotte die deutschen Häfen blockiert - auch, um die Bevölkerung auszuhungern und damit ihren Widerstandswillen zu brechen. In der Folge schossen die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Die wichtigsten Lebensmittel waren nur noch gegen Bezugsscheine oder in öffentlichen Volksküchen zu erhalten. »Wer hamstert, gehört ins Zuchthaus«, spottete der Volksmund, »wer aber nicht hamstert, ins Irrenhaus.« Die Steckrübe, eigentlich als Viehfutter angebaut, musste fehlende Naturalien ersetzen. Auch Klöße, Koteletts oder Pudding wurden mangels Alternativen aus Kohl gefertigt. Es gab Butterersatz aus gefärbtem Quark, Ersatzmarmelade aus Gelatine oder das mit Kartoffelmehl gestreckte sogenannte K-Brot. Dennoch zog der eklatante Versorgungsmangel, besonders im Winter, gravierende Folgen nach sich. Ein ganzes Volk, vor allem dessen unterprivilegierter Teil, nagte buchstäblich am Hungertuch. Bis 1918 starben über 700000 Deutsche an Hunger und Epidemien; es waren mehr, als später im gesamten Zweiten Weltkrieg den Flächenbombardements der Alliierten zum Opfer fielen.
Es gibt keine Aufzeichnungen, wie Anna Albrecht die Herausforderung meisterte, sich in dieser Notzeit über Wasser zu halten. Doch sie hatte Glück, dass Ehemann Karl unversehrt aus dem Feld zurückkehrte - im Gegensatz zu über zwei Millionen anderen deutschen Männern. Auch der Inhaber eines deutlich größeren Tante-Emma-Ladens direkt nebenan war gefallen. Die Albrechts nutzten die Chance, kauften Haus und Geschäft, und waren nun dort angekommen, wo sich bis unlängst die Aldi-Verkaufsstelle 001 befand.
Man lebte jetzt in einer Republik. Der Kaiser hatte abgedankt, der alte Obrigkeitsstaat war gefallen, eine Demokratie westlichen Musters auf den Weg gebracht. Doch der neue Staat trug schwer an seinem Erbe. Rechtsgerichtete Kritiker verbreiteten die Legende von einem »Dolchstoß« der Linken in den Rücken des »im Felde unbesiegten Heeres«. Der sogenannte Friede von Versailles gab dann den besiegten Deutschen die Alleinschuld am verlorenen Krieg. Versailles war objektiv nicht jenes Schanddiktat, als das es im geschlagenen Deutschen Reich empfunden wurde: Der geschmähte Friede von Versailles war eigentlich sogar ein eher milder Friede angesichts der radikalen deutschen Kriegszielpläne 1914. Doch für die Deutschen damals wirkten die Bedingungen der Sieger wie ein Schock. Sie maßen Versailles an den klassischen, maßvollen Friedensschlüssen des 19. Jahrhunderts - und empfanden diesen Frieden als Verrat, ja als verletzendes Diktat. Es waren weniger die materiellen Konditionen, die die Emotionen hochpeitschten, als die moralischen.
1923 stürzten die Nachbeben von Versailles den Staat von Weimar in seine bislang schwerste Krise. Auf die Reparationssumme von 132 Milliarden Goldmark hatte sich das besiegte Land verpflichten müssen. Nach wiederholten Versuchen, bei den Zahlungen alliierte Zugeständnisse zu erwirken, und wegen stockender Sachlieferungen forderte Frankreich jetzt mit Gewalt ein, was die Deutschen angeblich nicht freiwillig herausgeben wollten. Im Januar besetzten belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet, um ihre Ansprüche direkt zu befriedigen. »La Ruhr« - das größte Ballungszentrum Europas - war auch für Frankreich mehr als ein Ort, an dem Kohle abgebaut und Erz verhüttet wurde. Es stellte einen Mythos dar. Wer hier herrschte, bestimmte über die wirtschaftliche Stärke des Deutschen Reichs.
Ein Sturm der Entrüstung ging durch alle Schichten der deutschen Bevölkerung. An ein militärisches Vorgehen war allerdings nicht zu denken in dem abgerüsteten Land. So entschied sich die Regierung zu einem »passiven Widerstand« und rief gemeinsam mit Parteien und Gewerkschaften im Ruhrrevier zum Streik gegen die Besatzer auf. Karl und Anna Albrecht erlebten die Protestaktionen hautnah mit. Zwei Millionen Deutsche gingen nicht mehr zur Arbeit. Die Reichsregierung sah sich gezwungen, den Lohnausgleich zu übernehmen. Die Versorgung der Streikenden, Steuerausfälle - all das verursachte enorme Kosten. Die finanzielle Belastung überstieg die Leistungsfähigkeit des Reiches bei weitem. Der Wert der Reichsmark fiel dadurch ins Bodenlose: Ein Kilo Brot kostete im Dezember 1919 noch 80 Pfennige, im Januar 1923 schon 472 Mark, ein halbes Jahr später fast 3500 Mark, im Herbst waren es dann Millionen und Milliarden.
Diese »Hyperinflation« hatte zur Folge, dass die Gehaltszahlungen sofort in Waren umgesetzt wurden. Am Ende verlor das Geld stündlich seinen Wert. Die Arbeitnehmer schleppten ihr Gehalt in Körben und Koffern durch die Straßen. Auf den Wochenmärkten und in den Geschäften konnte man mitverfolgen, wie auf den Schiefertafeln binnen kurzer Zeit mehrmals die Preise für Gemüse, Kartoffeln, Eier oder Butter erhöht wurden. Bald standen absurde Summen auf den Banknoten, oft nur noch aufgestempelt. Manch ratlose Zeitgenossen tapezierten ihre Wände mit den Geldscheinen oder heizten damit ihre Öfen an. Der Geldumlauf brach zusammen. Hersteller von industriellen oder landwirtschaftlichen Gütern gaben keine Waren mehr heraus, man kehrte zur urtümlichen Tauschwirtschaft zurück, was sich im Alltag aller Bevölkerungsschichten spiegelte.
Rechte und linke Kräfte versuchten jetzt den Umsturz. Während die Kommunisten eine Revolution nach russischem Vorbild forderten, wollten völkische Nationalisten und extrem Konservative aus Industrie, Politik und Militär eine autoritäre Diktatur. Doch Hitlers Putschversuch am 9. November 1923 endete im Kugelhagel der Polizei. Danach gelang es Reichskanzler Gustav Stresemann, die Hyperinflation zu stoppen. Am 15. November wurde eine neue Währung ausgegeben, die »Rentenmark«, im Umtauschverhältnis zu einer Billion Reichsmark. Es war ein radikaler Währungsschnitt. Der Staatsbankrott blieb aus, bald kam der Handel überall in Deutschland wieder in Schwung. Doch um welchen Preis? Die...
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