Schweitzer Fachinformationen
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Wien im August. Mörderische Hitze. Selbst des Nachts kühlte es nicht ab.
Mein Laken war durchgeschwitzt. Meine Haare klebten am Nacken. Ich nahm mir vor, sie demnächst millimeterkurz zu schneiden. Oder sollte ich mir eine Klimaanlage zulegen? Das monotone Geräusch des Ventilators strapazierte meine Nerven. Solche und ähnlich banale Überlegungen hielten mich wach.
Gegen drei Uhr morgens schlief ich endlich ein. Doch mir war kein ruhiger Schlaf vergönnt. Nach kurzer Zeit schreckte ich auf.
Unheimliches Geheule hatte mich geweckt. Leicht benommen starrte ich auf ein rötlich-gelbes Licht.
Ein einäugiger Wolf?
Ich hatte lange keine optischen Halluzinationen mehr gehabt. Früher, vor allem kurz nach dem Tod meines Vaters, träumte ich öfter von Wölfen und sah sogar welche. Eigenartig, dass mir das jetzt wieder in den Sinn kam.
Ich tastete nach meiner Brille am Nachtkästchen. Sie lag nicht dort. Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich mich um.
Die unwirklich klingenden Laute kamen von draußen. Offensichtlich wehte ein starker Wind. Meine Balkontür stand offen. Der dünne Vorhang bauschte sich auf, formte ein seltsames Gebilde.
Das rot-gelbe Auge des Wolfes entpuppte sich als Standby-Licht meiner neuen, sündhaft teuren Stereoanlage.
Kaum war ich wieder weggedöst, klingelte mein Handy. Der digitale Wecker auf meinem Nachtkästchen zeigte zehn nach fünf an.
Um diese frühe Stunde kommen nie gute Nachrichten. Höfliche Menschen rufen zu zivileren Zeiten an.
Ich hob nicht ab.
Das Handy begann erneut zu klingeln.
Ich meldete mich mit: "Doktor Lang", in der Annahme, dass es nur ein sehr verzweifelter Patient wagen würde, mich zu dieser unchristlichen Stunde aus dem Bett zu holen.
"Ich bin's", flüsterte eine jugendliche Stimme. "Du musst herkommen."
"Jonas?"
"Es ist wichtig. Wir brauchen deine Hilfe."
"Was ist passiert?"
"Er ist tot. Jemand hat ihn erstochen."
"Wie bitte? Wer wurde erstochen?"
"Toni."
"Oh, mein Gott!"
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus.
"Was genau ist geschehen?"
"Nicht am Telefon."
"Wo bist du?"
"In der Bar ."
Er hatte "wir" gesagt. War Maya bei ihm?
Bevor ich ihn fragen konnte, legte er auf.
Jonas war der neunzehnjährige Sohn von Maya Marin. Sie war die Geschäftsführerin der etwas heruntergekommenen Blauen Bar in der Wiener Innenstadt. Nicht zu verwechseln mit der schicken Blauen Bar im Hotel Sacher.
Ach, Maya! Dieser wundervollen Frau verdankte ich viele schlaflose Nächte. Ich hatte sie seit drei Monaten nicht gesehen. Unsere leidenschaftliche Affäre hatte nicht lange gedauert. Sie war nicht bereit gewesen, ihr langjähriges Verhältnis mit ihrem Chef Toni Fontana zu beenden. Und ich war wiederum, aufgrund meiner Lebensgeschichte, nicht imstande gewesen, eine Dreiecksbeziehung einzugehen. Daher zog ich einen radikalen Schlussstrich und brach den Kontakt zu ihr ab. Anders hätte ich es nicht geschafft, von ihr loszukommen.
Schmerzhaft erinnerte ich mich an ihre Worte bei unserem letzten Treffen: "Ich bin nicht auf der Suche nach emotionalen Komplikationen. Und ich brauche keinen Mann, um mich komplett zu fühlen. Ich komme gut allein zurecht."
Damals war ich sehr wütend auf sie. Denn sie machte sich selbst etwas vor. Meiner Meinung nach war sie nicht nur finanziell, sondern auch emotional von Toni abhängig gewesen.
Rasch verdrängte ich diese Erinnerungen. Ich liebte Maya, wie ich keine andere Frau je geliebt hatte. Obwohl ich kurz nach der Trennung meine jetzige Partnerin kennenlernte, sehnte ich mich immer noch nach ihr, träumte von ihren schönen grünen Augen, ihrem geheimnisvollen Lächeln, ihren roten Haaren, die in der Sonne glänzten wie Goldfäden, von ihren wundervollen Brüsten und ihren zarten Händen, die kräftig zupacken konnten. Oft stellte ich mir vor, wie ich mein Gesicht in ihrem dichten, lockigen Haar vergrub, meine Hände zärtlich ihre Brüste streichelten.
Ich träumte nicht nur fast jede Nacht von ihr, meine Gedanken waren auch tagsüber ständig bei ihr. Ich hörte ihre erotische Stimme, ihr Lachen und verwechselte auf der Straße jede rothaarige Frau mit ihr. Ich wünschte mir, sie zu küssen, mit ihr zu schlafen .
Erotische Fantasien waren momentan nicht angebracht. Die Realität holte mich zurück aus meinen Träumen. Mayas Sohn benötigte meine Hilfe. Ich sollte mich besser beeilen.
Ohne mich zu duschen oder wenigstens zu rasieren, schlüpfte ich in die Jeans, die ich gestern getragen hatte, und zog ein frisches T-Shirt an.
Beim Zähneputzen ließ sich ein Blick in den Spiegel nicht vermeiden.
Ich fand, dass ich entsetzlich aussah, nicht nur, weil ich unrasiert war. Mein schmales, melancholisches Gesicht war leicht sonnenverbrannt. Meine Wangen waren eingefallen und die dunklen Ringe unter meinen Augen würde meine neue Brille kaum verbergen.
Meine alte Nachbarin Caroline Cecnik hatte gelacht, als sie mich zum ersten Mal mit dieser Nickelbrille sah. Sie meinte, ich würde aussehen wie John Lennon, wenn er mein Alter erreicht hätte.
Mein Fünfziger stand im Herbst bevor. In meinem schwarzen Haar zeigten sich erste graue Strähnchen. Auch die vielen Falten um Augen und Mund ließen sich nicht mehr übersehen. Da ich mit meinem Aussehen noch nie zufrieden gewesen war, schenkte ich all den Anzeichen des nahenden Alters keine besondere Beachtung.
Das Wiedersehen mit Maya nach so vielen Monaten löste eine leichte Nervosität bei mir aus, Zeit für einen Kaffee musste aber sein. Während ich mir einen doppelten Espresso herunterließ, dachte ich an Jonas' Worte.
Toni Fontana, der große Zampano, dem vier Lokale in der Wiener Innenstadt gehörten, war ermordet worden. Das bedeutete: Ich war meinen Rivalen endgültig los.
Schämst du dich nicht, Arthur?
Erschrocken fuhr ich zusammen. Früher hatte ich öfters die Stimme meines verstorbenen Vaters gehört. Seit der Exhumierung und Obduktion seiner Leiche, bei der sich herausstellte, dass er höchstwahrscheinlich eines natürlichen Todes gestorben war, hatte er mich jedoch in Ruhe gelassen.
Meine fixe Idee, dass seine zweite Frau ihn getötet hatte, konnten die Gerichtsmediziner nicht bestätigen. Die Spuren, die ich an seinem Körper erwartete, wurden nicht gefunden. Ein Rest von Zweifel war mir trotzdem geblieben.
Die Exhumierung war eine komplizierte Angelegenheit gewesen. Zahlreiche Genehmigungen mussten besorgt werden. Ein Bestatter und das Einverständnis der Kirche waren vonnöten. Jemand vom Gesundheitsamt musste dabei sein. Sichtschutzwände und Beleuchtung wurden herangeschafft, da der ganze Zirkus nachts vor sich ging, um die Friedhofsbesucher nicht zu sehr zu irritieren.
Zuerst eine Wolf-Halluzination und jetzt die Stimme meines Vaters. Ging der Wahnsinn erneut los?
Im November vorigen Jahres war ich anlässlich des Begräbnisses meines Vaters nach Wien zurückgekehrt. 25 Jahre lang hatte ich keinen Fuß in meine Heimatstadt gesetzt, stattdessen in Berlin gelebt und gearbeitet. Den Kontakt zu meinem tyrannischen und gewalttätigen Vater hatte ich komplett abgebrochen, da ich ihn, ein Jahr nach dem Selbstmord meiner Mutter, an dem ich ihm die Schuld gab, mit meiner Freundin Nadine beim Vögeln erwischt hatte.
Ich hasste es, seinen Namen zu tragen. Ich hasste die Frau, die meine erste große Liebe war, mich betrog und später dann meinen Vater heiratete. Ich hasste es, dieselbe Luft einzuatmen wie die beiden, und übersiedelte in einer Nacht- und Nebelaktion nach Berlin.
Dass Nadine es mit der Treue nicht sehr ernst nahm, spürte nach den Honeymoon-Jahren auch mein Vater, denn Nadine betrog auch ihn, mimte nach seinem unerwarteten Dahinscheiden dann aber die trauernde Witwe.
***
Viertel vor sechs. Ich bestellte ein Taxi. Wer weiß, ob ich an einem Sonntagmorgen unterwegs so schnell eines finden würde. In fünf Minuten sollte es vor meiner Haustüre stehen.
Rasch trank ich meinen Kaffee aus und begab mich auf die Suche nach meiner Geldbörse.
Bevor ich losging, riss ich alle Fenster und die Balkontür auf. Die Luft war abgestanden. Außerdem roch es in der Wohnung nach Marihuana. Meine 85-jährige Nachbarin Caroline hatte mich gestern - wie beinahe jeden Abend - besucht und mit ihren Joints eingenebelt.
Ich hatte die 220 Quadratmeter große Altbauwohnung meiner Eltern in einem der weniger attraktiven Ringstraßenpalais geerbt. Die in die Wohnung integrierte, wenn auch abgetrennte orthopädische Privatordination meines Vaters ließ ich zu einer psychoanalytischen Praxis umgestalten.
Meine Psychoanalyse-Patienten behandelte ich in 45-minütigen Sitzungen, mehrmals wöchentlich. Genau genommen war ich Psychiater, der sich zum Psychoanalytiker weitergebildet hatte. Das bedeutete, ich empfing in meiner Rolle als Psychiater psychisch Erkrankte, die ich medikamentös einstellte. Im Grunde interessierte mich aber nur meine Arbeit als Psychoanalytiker, denn Medikamente zu verordnen war nicht mein Ding.
Manchmal hatte ich es satt, meine durch ihre Neurosen beschränkt einsatzfähigen Patienten zum Funktionieren zu bringen. Ihre Produktivität zu steigern - könnte man aus der Perspektive der Leistungsgesellschaft auch sagen. In solchen Momenten träumte ich von einer Karriere als Barpianist, obwohl mir bewusst war, dass dieser Job kein Honiglecken war. Wahrscheinlich würde es mir...
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