Schweitzer Fachinformationen
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Der Schrei eines Kauzes bringt Unheil. Obwohl der junge Mann in einem Mietshaus in der Praterstraße aufgewachsen war, erkannte er die Vögel an ihrem Gesang. In seiner Kindheit hatte er viele Tage in den Praterauen verbracht.
Durch das winzige Fenster drang schwaches Licht in die halbverfallene Hütte, in der er sich seit Tagen versteckt hielt. Der anbrechende Morgen verkündete den nahenden Frühling. Die Luft war mild. Letzte Nacht hatte er schon weniger gefroren als in den Nächten vorher.
Die Hütte mitten im Wienerwald war mit Brennnesselstauden und Farnen fast zugewachsen. Kein Weg führte dorthin. Um sie zu erreichen, musste man sich durch dichten Mischwald und meterhohes Gestrüpp schlagen.
Kurz nach dem Schrei des Todesvogels vernahm er ein Knacken und Knistern in den Brombeersträuchern. Es war nicht das Geräusch des Windes, der mit den frischen Blättern der Laubbäume spielte, es war auch nicht das Rauschen der Nadelbäume, das ihn nachts oft in den Schlaf begleitete. Er besaß ein ausgezeichnetes Gehör. Deswegen wäre er als Flakhelfer sehr geeignet gewesen. Er konnte die Bomber bereits hören, wenn sie noch kilometerweit von Wien entfernt waren.
Plötzlich bildete er sich ein, Schritte zu vernehmen. Leise Schritte, die vom feuchten Waldboden fast gänzlich aufgesaugt wurden.
Er sprang auf, schob mit den Füßen die zerfledderte Matratze vor die Tür und blickte sich verzweifelt nach einem Gegenstand um, der ihm zur Verteidigung dienen könnte. Es war zu finster, um irgendetwas zu erkennen. Der Mond hatte sich hinter eine Wolke verzogen. Außerdem wusste er, dass sich, außer der Matratze, nur ein Gaskocher, ein bisschen Geschirr und ein paar Lebensmittel in der Hütte befanden. Eine morsche Holzlatte, in der einige rostige Nägel steckten, war das Einzige, das ihm als Waffe zur Verfügung stand.
Er umfasste sie mit beiden Händen. Stellte sich neben die Tür. Wenn der Mann, der ihn töten wollte, die Tür, die nach außen aufging, öffnete, würde er vielleicht über die Matratze stolpern. Dann könnte er ihn mit dem Holzprügel niederschlagen. Hoffentlich kam er allein. Gegen mehrere würde er keine Chance haben.
Der Wind hatte sich gelegt. Stille war eingekehrt.
Im Wald war es jedoch nie ganz still. Die nachtaktiven Vögel und kleinen Nager verrieten sich durch leises Pfeifen und kaum hörbares Rascheln.
Hatte er sich die Schritte nur eingebildet? In letzter Zeit zweifelte er öfter an seinem Verstand.
Warum hatte er nicht einfach mitgemacht, so wie die meisten? Warum hatte er nicht als Flakhelfer weiter gedient? Selbst sie hatte ihn anfangs gebeten, durchzuhalten. Obwohl sie so jung war, wusste sie um die große Gefahr, in die er sich begab, wenn er den Befehl verweigerte.
Er liebte sie, liebte nicht nur ihre großen, graublauen Augen, ihre lustige Stupsnase und ihren sinnlichen Mund, sondern auch ihre Selbstsicherheit, ihren Humor, ihre Warmherzigkeit und Großzügigkeit. Sie hatten einander ewige Liebe geschworen. Weil sie so jung war, hatten sie beschlossen, noch eine Weile zu warten, bis sie sich miteinander vereinen würden.
Sie hatte ihm einige zarte Küsse gewährt. Einmal hatte er ihre kleinen Brüste streicheln dürfen. Davon träumte er jede Nacht, seit er allein in dieser kalten, ungemütlichen Hütte hauste.
Erst gestern hatte sie ihn besucht, ihm eingelegten Karfiol mitgebracht, obwohl ihre Familie kaum noch etwas zu essen hatte. Ihre kluge Mutter hatte letztes Jahr in dem einst prächtigen Garten ihrer Villa ein Feld angelegt, Kartoffeln und anderes Gemüse angebaut, und die ganze Familie damit durch die schlimmen Wintermonate 1944/45 gebracht.
Seine Freundin hatte ihm auch diese Hütte im Wienerwald gezeigt, in der sie sich als Kind versteckt hatte, wenn sie sich von ihren Eltern missverstanden oder schlecht behandelt gefühlt hatte. In diesem beinahe undurchdringlichen Waldstück hatte sie früher mit ihren Freunden Cowboy und Indianer gespielt. Die ersten beiden Winnetou-Bücher von Karl May hatte sie ihm geborgt. Band drei hatte er sich selbst gekauft und versprochen, ihn ihr zu leihen, sobald er ihn fertiggelesen hatte. Karl May zählte nicht zu den verbotenen Autoren, im Gegenteil, die Nazis und vor allem der Führer schätzten ihn sehr. Vielleicht hatte er Band drei deshalb bisher nicht gelesen. Seit sie ihn als Flakhelfer rekrutiert hatten, wurde für ihn die Nacht zum Tag. Während seiner Einsätze am Flakturm in der Gumpendorfer Straße war keine Zeit zum Lesen geblieben. Die Bomber der Alliierten waren meistens nachts oder im Morgengrauen am Himmel über Wien erschienen.
Wieder vernahm er ein Geräusch, das er nicht eindeutig identifizieren konnte. Waren es Schritte eines Menschen oder tappte ein Wildschwein durch den Wald? Er fürchtete sich vor Wildschweinen. Noch mehr fürchtete er die Nazi-Schweine.
Lautlos zuzuschlagen wie die Indianer, war nicht die Stärke der Nazis. Normalerweise griffen sie lautstark blödsinnige Parolen grölend an.
Im selben Moment, als die halbvermoderte Tür der Hütte aufgerissen wurde, ertönte der zweite Ruf des Steinkauzes.
Der Ruf des Todes, dachte er.
Eine unheimliche Schwere ergriff Besitz von seinem Körper. Am liebsten hätte er sich hingelegt und regungslos auf den Tod gewartet. Er war eben kein guter Soldat.
"Komm heraus", schrie der Mann, der vor der Türschwelle stehenblieb, leider nicht über die Matratze stolperte.
Es drang kaum Licht in die Hütte, dennoch konnte er die Umrisse des Mannes erkennen. Und er erkannte ihn an seiner Stimme, dieser leicht hysterischen Fistelstimme, die so gar nicht zu dem großen, kräftigen, blauäugigen Burschen passte.
Sein erster Impuls war, ihn um Gnade zu bitten.
Da er wusste, dass er keine Gnade zu erwarten hatte, begann er, mit der Holzlatte auf die dunkle Silhouette vor ihm einzuschlagen.
Er landete einen Treffer. Sein Gegner heulte auf. Wahrscheinlich hatte ihn einer der rostigen Nägel verletzt.
Die erste Kugel streifte seine Schulter. Er spürte den Schmerz erst ein paar Sekunden später. Der zweite Schuss traf ihn mitten in die Stirn.
Den dritten Schrei des Kauzes hörte er nicht mehr. Seine Seele befand sich bereits auf dem Weg in die Ewigkeit.
Ich bin eine urbane Frau. Für Wald- und Wiesenromantik hatte ich nie viel übrig. Den Wienerwald liebe ich jedoch seit meiner Kindheit.
Meine Freundin und frühere Mitbewohnerin Elvira spielte seit einigen Wochen Bodyguard und Kosmetikerin für eine alte Dame namens Adele Artner, die in einer Villa am Wilhelminenberg wohnte.
Elvira Smejkal war letzten Sommer, nachdem sie ihre Wohnung verloren hatte, zu mir ins Majolikahaus am Naschmarkt gezogen. Ich arbeitete seit einiger Zeit als Privatdetektivin. Elvira und meine Nachbarin Sofia Schanda hatten mir bei meinen bisherigen Ermittlungen immer geholfen. Gemeinsam hatten wir bereits einige Fälle gelöst.
Mit Jahresende hatte Elvira dann auch ihr kleines Kosmetikstudio in der Gumpendorfer Straße aufgegeben. Die feuchten Mauern im Erdgeschoss des Gründerzeithauses mussten dringend trockengelegt, die ganze Hausfassade saniert werden. Der fürchterliche Baulärm hatte alle ihre Stammkundinnen vertrieben.
Elvira stammte aus der Slowakei und war eine findige Frau. Seit sie ihren Laden geschlossen hatte, machte sie viele Hausbesuche, arbeitete schwarz und verdiente im Endeffekt nicht viel weniger als vorher. Versichert war sie allerdings nicht mehr. Hormone und Schmerzmittel, die sie wegen ihrer Rückenprobleme ständig schluckte, musste ich ihr nun besorgen. Mein praktischer Arzt wunderte sich zu Recht über meinen Bedarf an Schmerztabletten und Hormonen. Ich war nach meiner Achillessehnen-OP vorigen Sommer längst wieder imstande, fünf bis zehn Kilometer zu laufen, was ich ihm selbstverständlich verschwieg. Außerdem war ich nicht im Wechsel.
Mir war nicht nur Elvira abhandengekommen, auch meine Nachbarin Sofia hatte sich seit einer Woche nicht mehr bei mir blicken lassen. Sie war die ständigen Auseinandersetzungen mit ihrem Mann leid gewesen. Letztes Jahr hätten sich die Schandas beinahe scheiden lassen. Major Werner Schanda von der Wiener Kriminalpolizei hatte sich bei einer Partnerschaftsbörse im Internet angemeldet. Zu seinem Pech war die erste Frau, mit der ein Date hatte, seine eigene. Sofia war in meinem Auftrag, also aus rein beruflichen Gründen, zu dieser Verabredung gegangen.
Sie hatte ihrem Mann diesen glimpflich verlaufenen Seitensprungversuch nicht verzeihen können. Nachdem sie sich doch wieder versöhnt hatten, schien eine Art zweiter Frühling einzukehren. Der häusliche Friede währte nicht lange. Der nicht enden wollende Winter hatte das Seine dazu beigetragen, dass Sofia ihre Koffer packte und zu Elvira in die Villa am Wilhelminenberg zog.
Sie und Werner hatten sich meistens wegen des leidigen Geldes gestritten. Sofia hatte geplant, eine Krimibuchhandlung zu eröffnen. Der Herr Major war nicht bereit gewesen, einen Kredit für "ihre Spinnerei", wie er es nannte, aufzunehmen.
Sofia hatte schon vorher viel Zeit in der alten Villa am Rande des Wienerwalds verbracht. Adele Artner hatte sie gebeten, ihren beachtlichen Buchbestand zu archivieren. Es handelte sich um sechs- bis...
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