Schweitzer Fachinformationen
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Das Café Opera am Tag war ein völlig anderer Ort als das Café Opera am Abend. Jetzt war es nicht mehr voller Studenten, die Bier tranken, sondern voller Menschen unterschiedlichster Art, sogar älterer Damen um die fünfzig mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen vor sich. Wir fanden im Erdgeschoss einen freien Tisch am Fenster, hängten unsere Jacken über die Stuhlrücken und gingen bestellen. Ich war pleite, so dass Yngve mir einen Café au Lait ausgab, während Asbjørn sich für einen Espresso entschied. Als ich sah, wie ihm das kleine Tässchen gereicht wurde, erkannte ich es wieder, so eins hatte man Lars und mir bei unserem ersten Stopp unmittelbar hinter der italienischen Grenze serviert, wir hatten um Kaffee gebeten und daraufhin diese winzig kleinen Tassen bekommen, die mit einem Kaffee gefüllt waren, der so stark und konzentriert war, dass man ihn unmöglich trinken konnte. Ich hatte ihn in die Tasse zurückgespuckt und den Kellner angeschaut, der mich jedoch ignorierte, es war ja nun wirklich alles in Ordnung.
Asbjørn schien diesen Kaffee jedoch zu mögen. Er pustete auf die schwarzbraune Oberfläche und trank einen Schluck, stellte die Tasse auf den Unterteller und sah aus dem Fenster.
»Hast du schon einmal etwas von Jon Fosse gelesen?«, fragte ich und schaute ihn an.
»Nein. Ist er gut?«
»Keine Ahnung. Er ist einer der anderen Lehrer.«
»Ich weiß, dass er Romane schreibt«, meinte Asbjørn. »Er ist Modernist. Ein westnorwegischer Modernist.«
»Warum fragst du mich nicht, ob ich Jon Fosse gelesen habe?«, sagte Yngve. »Weißt du, ich lese nämlich auch Bücher.«
»Ich habe noch nie gehört, dass du über ihn redest, deshalb bin ich davon ausgegangen, dass du ihn nicht gelesen hast«, erwiderte ich. »Hast du ihn gelesen?«
»Nein«, sagte Yngve. »Aber es wäre möglich gewesen.«
Asbjørn lachte.
»Man merkt, dass ihr Brüder seid!«
Yngve holte seine Zigarettenspitze heraus und zündete sich eine Zigarette an.
»Wie ich sehe, hast du deine David-Sylvian-Marotten noch nicht aufgegeben?«, sagte Asbjørn.
Yngve schüttelte nur den Kopf und blies langsam den Rauch über den Tisch.
»Ich habe mich nach Sylvian-Brillen umgeschaut, aber die Fassung verloren, als ich den Preis gehört habe.«
»Großer Gott, Yngve«, sagte Asbjørn. »Das war dein schlechtester Witz bis heute. Und das will schon was heißen.«
»Ja, da muss ich dir leider recht geben«, erwiderte Yngve und lachte. »Aber von zehn Wortspielen sind höchstens ein oder zwei geglückt. Das Problem ist, dass man durch die ganzen schlechten hindurchmuss, um zu den wirklich guten zu gelangen.«
Asbjørn wandte sich mir zu.
»Du hättest Yngve sehen sollen, als ihm einfiel, dass der Flughafen in Jølster selbstverständlich Astrup heißen muss. Er hat so gelacht, dass er aus dem Zimmer gehen musste. Über seinen eigenen Witz!«
»Der war aber auch verdammt gut«, meinte Yngve und fing an zu lachen. Asbjørn lachte auch. Dann, als wäre ein Schalter umgelegt worden, hörte er auf und war plötzlich für einen Moment vollkommen still. Er zog seine Zigarettenschachtel heraus, ich sah, dass er Winston rauchte, zündet sich eine an und leerte die Espressotasse mit seinem zweiten Schluck.
»Weißt du, ob Ola in der Stadt ist?«, fragte er.
»Ja, er ist schon eine ganze Weile hier«, antwortete Yngve.
Sie unterhielten sich über ihr Studium. Die meisten Namen, die sie erwähnten, hatte ich noch nie gehört, und da mir der Kontext so fremd war, konnte ich mich selbst dann nicht in das Gespräch einschalten, wenn sie auf Filme und Bands zu sprechen kamen, die ich kannte. Ihre Unterhaltung entwickelte sich fast zu einem Streit. Yngve meinte, es gebe nichts, was an sich echt oder authentisch sei, alles sei auf die eine oder andere Art eine Pose, selbst, so lautete sein Beispiel, Bruce Springsteens Image. Seine Bodenständigkeit sei genauso gekünstelt und kalkuliert wie die Exzentrik und die Posen eines David Sylvian oder David Bowie. Sicher, entgegnete Asbjørn, damit hast du natürlich recht, aber das schließt doch nicht aus, dass es tatsächlich Ausdrucksformen gibt, die echt sind. Und bei wem zum Beispiel?, wollte Yngve daraufhin wissen. Hank Williams, antwortete Asbjørn. Hank Williams!, rief Yngve. Der ist doch von lauter Mythen umgeben. Was für Mythen denn? Country-Mythen, sagte Yngve. Mein Gott, Yngve, sagte Asbjørn.
Yngve schaute zu mir herüber.
»In der Literatur ist es genauso. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Unterhaltungsroman und einem Highbrow-Roman, das eine ist genauso gut wie das andere, der Unterschied besteht nur in der Aura, die diese Bücher erhalten und die wird von den Leuten bestimmt, die sie lesen, nicht vom Buch an sich. Es gibt kein >Buch an sich<.«
Über nichts von all dem hatte ich mir jemals Gedanken gemacht und blieb stumm.
»Was ist mit Comics?«, sagte Asbjørn. »Ist Donald Duck genauso gut wie James Joyce?«
»Im Prinzip, ja.«
Asbjørn lachte, und Yngve grinste.
»Aber jetzt mal im Ernst«, sagte er. »Es ist die Rezeption, die das Werk oder den Künstler definiert, womit die Künstler natürlich auch spielen. Unabhängig davon, ob sie nun einen hohen oder niedrigen Status haben, ist alles Pose.«
»Du arbeitest doch als Portier, du solltest es also wissen«, meinte Asbjørn.
»Ach, übrigens, deine Jacke, das ist nur eine Lederjacke«, sagte Yngve.
Sie lachten wieder, und danach wurde es still. Yngve stand auf und holte eine Zeitung, ich tat das Gleiche, und während wir dort saßen und in ihnen blätterten, war ich so aufgedreht angesichts der Tatsache, dass ich mit zwei erfahrenen Studenten an einem Sonntagnachmittag in einem Café in Bergen saß, und dies keine Ausnahme war, etwas, was ich besuchsweise tat, sondern etwas, worin ich mich nun befand und wozu ich gehörte, dass ich kaum in der Lage war zu lesen, was auf den Seiten stand.
Eine halbe Stunde später gingen wir, sie wollten zu Ola, er wohnte in einer der Straßen hinter der Grieghalle, und Yngve fragte mich, ob ich mitkommen wolle, aber ich sagte, nein, ich wolle versuchen, mich ein wenig auf den morgigen Tag vorzubereiten, doch der eigentliche Grund war, dass ich mich so wahnsinnig freute, dass ich es nicht mehr aushielt und alleine sein musste.
Wir trennten uns am Ende des Torgalmenningen, vor einem Straßencafé namens Dickens, sie wünschten mir viel Glück, und Yngve meinte, ich solle ihn anrufen und erzählen, wie es gelaufen sei, ich fragte ihn, ob er mir ein allerletztes Mal etwas Geld leihen könne, er nickte und wühlte einen Fünfziger heraus, und daraufhin hastete ich über den großen, offenen Platz mitten in der Stadt, während der Regen in Böen auf ihn herabgeworfen wurde, denn obwohl die Häuser am Hang noch von der Sonne beschienen wurden, war der Himmel über mir wolkenverhangen und bläulich schwarz.
In meiner Wohnung hängte ich das Bild von John Lennon nicht nur ab, ich riss es vielmehr in kleine Stücke und warf sie in den Papierkorb. Dann beschloss ich, Ingvild anzurufen und sie zu fragen, ob wir uns am nächsten Wochenende treffen wollten, es war eine gute Gelegenheit, ich fühlte mich so leicht, und diese Leichtigkeit schien ein Tor zu ihr zu öffnen, denn auf dem ganzen Weg die langen Anstiege hinauf hatte ich an sie gedacht, als hätte mein Inneres nichts Besseres zu tun, als der Anspannung nach den Stunden mit Yngve und Asbjørn mit noch mehr Anspannung zu begegnen, wenngleich von einer ganz anderen Art, denn während das Unerträgliche im Zusammensein mit Yngve und Asbjørn im Augenblick selbst lag, in dem, was hier und jetzt geschah, war die Anspannung, die ich im Verhältnis zu Ingvild empfand, in völlig anderer Weise auf das gerichtet, was irgendwann in der Zukunft geschehen würde, wenn die Anspannung sich tatsächlich löste und sie und ich ein Paar werden konnten.
Sie und ich.
Der Gedanke, dass dies tatsächlich möglich und nicht nur ein selbstbetrügerischer Traum war, explodierte in mir.
Draußen wurden die Wolken dichter, die Sonnenmomente verschwanden völlig, der Regen klatschte auf die Straße. Ich lief zur Telefonzelle hinüber, legte den Zettel mit der Nummer des Studentenwohnheims auf den Apparat, steckte einen Fünfer in den Schlitz, wählte die Nummer, wartete. Eine junge Männerstimme meldete sich, ich fragte nach Ingvild, er sagte, bei ihnen wohne niemand, der so heiße, ich meinte, dass sie einziehen werde, dies möglicherweise aber noch nicht getan habe, er erwiderte, ach ja, stimmt, eins der Zimmer steht noch leer, ich entschuldigte mich für die Störung, er sagte, das mache nichts, und danach legte ich auf.
Gegen sieben Uhr abends klingelte es an der Tür. Ich ging und öffnete; es war Jon Olav.
»Hallo!«, sagte ich. »Wie hast du mich gefunden?«
»Ich habe Yngve angerufen. Darf ich reinkommen?«
»Ja, klar.«
Ich hatte ihn seit Ostern nicht mehr gesehen, als wir draußen in Førde gewesen und Ingvild getroffen hatten. Er studierte Jura in Bergen, aber was er mir in der nächsten halben Stunde erzählte, ließ mich erkennen, dass er vor allem viel Zeit und Energie in die Umweltschutzorganisation Natur und Jugend investierte. Er hatte eine idealistische Ader, hatte sie immer schon gehabt; in einem meiner Kindheitssommer, den wir beide zusammen bei Großmutter und Großvater in Sørbøvåg verbracht hatten, wir waren damals zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen, hatte ich auf den Fahrradlenker gelehnt mit ihm zusammengestanden und über verschiedene Mädchen in der näheren Umgebung geredet und...
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