Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 1
DIE INSELN DES WERTVOLLEN IM MEER DES BILLIGEN
Das Rot des Billigen
Zu Beginn entführe ich Sie in Ihre Lieblingsstadt. Und dort in eine der umsatzstärksten Shoppingmeilen. Sie finden alle Einzelhändler, die man typischerweise auf Einkaufsstraßen erwartet. H&M ist da, Zara, der Levis Jeansstore, Boss, die Schuhkette Humanic, Esprit, Mango und hunderte weitere Geschäftchen und Geschäfte quer durch alle Branchen. Der übliche Mix. Viele nationale Filialisten und internationale Ketten. Wenige Überraschungen. Wenn Sie eine Einkaufsstraße kennen, kennen Sie mehr oder weniger alle.
Je nach Jahreszeit leuchten die Schaufenster in unterschiedlichen Farben. Wenn Ausverkauf ist, mehrheitlich in Rot, oft in Kombination mit Gelb. Denn Rot ist die Farbe des Billigen, preispsychologisch betrachtet. Früher fanden Sie das Rot zweimal pro Jahr, zum Sommerschlussverkauf und zum Winterschlussverkauf. Heute gewinnen Sie leicht den Eindruck, dass das billige Rot fast das ganze Jahr über dominiert . und das nicht nur in Ihrer Lieblingsstadt.
Unser Gehirn orientiert sich am Besonderen
Doch es gibt sie, die Ausnahmen. Einige wenige, immerhin. Geschäfte, die nicht permanent im billigen Rot erstrahlen. Unternehmer, die sich etwas überlegt haben, anstatt einfach dasselbe zu machen, was alle machen. Etwas Besonderes, etwas anderes, etwas Anders[statt]artiges. Und dadurch für alle, die vorbeigehen, eine starke Anziehungskraft entwickelt. Denn so reagiert unser Gehirn. Es ist ständig auf der Suche nach dem Besonderen, den Ausnahmen. Orientierungsreaktion nennen die Psychologen dieses Phänomen.
Bei der Vielzahl von Umgebungsreizen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, muss das menschliche Gehirn auf Effizienz in der Verarbeitung dieser achten. Es kann sich nicht jedem Reiz ausführlich widmen. Und so werden alle Reize, die dem Gehirn im Ersteindruck bekannt vorkommen, gleich in die Schachtel mit der Aufschrift »Bekannt« getan. Diesen braucht es sich nicht weiter zu widmen, es sei denn sie weisen auf eine Gefahr hin. Denn das menschliche Gehirn ist vor allem auf eines ausgerichtet: auf Lebenserhaltung. Nur gibt es meiner Erfahrung nach wenig Lebensbedrohliches auf einer Einkaufsstraße. Daher fallen alle, vor allem die optischen Reize, die von den bekannten Geschäften ausgehen, tendenziell durch unseren Aufmerksamkeitsfilter. Die Orientierungsreaktion setzt nicht ein. Das Gehirn muss sich nicht orientieren, nicht mit dem Reiz beschäftigen. Es kennt sich aus und kann seine Rechenkapazität für Wichtigeres nutzen.
Die Inseln des Wertvollen
Aber an einigen wenigen dieser Geschäfte bleibt unser Gehirn hängen. Nicht, weil sie gefährlich wären (außer vielleicht für unsere Brieftasche), sondern weil sie anders sind. Eines davon ist das Geschäftslokal der Gebrüder Stich [www.romankmenta.com/preisbuch].
Gebrüder Stitch verkaufen Jeans. »Wie ein paar Dutzend weiterer Läden auf der dieser Straße auch«, werden Sie vielleicht denken ., und das zu Recht. Gebrüder Stitch ist kein Luxuslabel, kein HighEnd-Einkaufstempel. Man gibt sich hier im Gegenteil sehr leger und kumpelhaft. Und doch bezahlen bei den Gebrüdern Stitch die Kunden 260 Euro für die Hose, aber sie können gut und gerne auch 700 Euro für ihre Jeans ausgeben. Rabatte oder Preisaktionen sind Fremdworte. Interessanterweise kommen potenzielle Kunden im Geschäft kaum auf die Idee, nach einem besseren Preis, einem Rabatt zu fragen. Angesichts der zur Schau gestellten Liebe zum Detail, so liegen z.B. im Wartebereich originale Bravo-Zeitschriften aus den 1970er Jahren für die Kunden zum Zeitvertreib aus, der Bedeutung der Qualität und der demonstrativen Kreativität im Produkt und den Prozessen, kämen sie sich beinahe schäbig vor, nach so etwas Banalem wie einem Preisnachlass zu fragen. Es würde das Erlebnis stören, wenn nicht sogar zerstören. Und das will niemand. Auch der Kunde nicht, denn der bezahlt schließlich dafür, und das nicht zu knapp.
Die Kunden warten sechs bis acht Wochen auf ihre Hose. Warum in aller Welt tun sie das, wenn sie tolle Levis-Markenjeans um 89,95 Euro nur drei Häuser weiter erstehen können . oder gar um 49,95 Euro in Aktion? Und, unter uns gesagt, für die meisten Figuren findet sich bei Levis durchaus etwas gut Passendes.
Was macht die Gebrüder Stitch so besonders? Das Unternehmen hat ein Grundgesetz der Branche infrage gestellt, nämlich das, dass Jeans bereits fertig sind, wenn der Kunde das Geschäft betritt. Dieses Grundgesetz gilt nicht bei den Gebrüdern Stitch. Dort werden Maßjeans fabriziert. Zertifiziert organisch. Und nicht nur das. Das allein wäre zu wenig. Diese Unternehmer haben sich wirklich etwas überlegt. Es gibt ein durchgängiges Konzept und eine Menge spannender, ungewöhnlicher und provokanter Ideen. Und das alles perfekt umgesetzt. Durchgezogen auf allen Kanälen . Website, Facebook, YouTube-Kanal, Blog, E-Mails, Geschäftslokal, Mitarbeiter. Mit beinahe pedantischer Detailverliebtheit spricht alles, was Sie von den Gebrüdern Stitch zu sehen, lesen oder hören bekommen, dieselbe Sprache.
Genau das macht die Gebrüder Stitch zu etwas Besonderem, etwas, woran die gelangweilten Gehirne potenzieller Kunden hängenbleiben. Etwas, das die Orientierungsreaktion auslöst. »Was ist das? Was tun die? Ist das interessant für mich?«, fragt sich das Kundengehirn, und schon ist Aufmerksamkeit vorhanden. Die erste und entscheidende Stufe im Verkauf. Und dieses Auslösen der Orientierungsreaktion macht Gebrüder Stitch zu einer Insel des Wertvollen in einem Meer des Billigen.
Ein wenig wie das kleine gallische Dorf in den Asterix- Comics trotzt das Geschäft der Gebrüder Stitch dem anwogenden Meer des Billigen. Doch Sie halten die zweite, überarbeitete Auflage dieses Buches in Ihren Händen. Etliche Jahre sind inzwischen vergangen. Jahre, in denen sehr Vieles geschehen ist. Auch mit der Idee und dem Geschäft der Gebrüder Stitch. Und was ich Ihnen jetzt zu berichten habe, wird Sie möglicherweise enttäuschen oder ein wenig traurig Stimmen. Gebrüder Stitch - die Jeans Maßmanufaktur - gibt es nicht mehr. Wie so vieles andere, ist das Unternehmen Corona (nach eigener Aussage) zum Opfer gefallen. Asterix und Obelix sind von den Römern besiegt worden. Schade, denn vielleicht hatten Sie sich ja bereits vorgenommen Ihr nächstes Paar Jeans dort fertigen zu lassen.
Doch für die Zwecke dieses Buches ist auch dieses Beispiel hilfreich. Erstens bedeutet das nicht, dass die grundlegende Idee - Bestehendes zu hinterfragen - keine gute wäre. Das ist sie nach wie vor. Zweitens führt es auch vor Augen, dass anders sein alleine auch nicht unbedingt erfolgreich macht. Und drittens gibt es doch noch ein Happy End. Die Unternehmer haben sich auf ihre wahren Stärken (neben der Schneiderei) besonnen und flugs eine Beratungsagentur - ants in your pants - auf den Trümmern des Jeansladens errichtet, die für Kunden jene Dinge, die Gebrüder Stitch zu etwas Besonderem gemacht hat, anbietet.
Die Zeit des Billigen
Immer, wenn ich Zeitungen oder Zeitschriften durchblättere, Schaufenster betrachte, Post öffne oder Werbe- E-Mails lösche, gelange ich zum Eindruck, dass wir in einer Zeit des Billigen leben. Überall Preiswerbung, Sonderangebote, Rabattaktionen und Berichte von Preiskämpfen quer durch die Branchen im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Ist das mehr geworden? Ich denke ja. Wachstum ist ein menschliches Grundbedürfnis. So auch in Unternehmen, in der Wirtschaft allgemein. Ziel ist stets, dass es mehr wird. Wachstum um jeden Preis könnte man sagen. Ohne Rücksicht auf die sprichwörtlichen Verluste, wie ich etwas später genauer erläutern werde.
Doch auch in diesem Punkt ist seit der ersten Auflage des Buches sehr viel geschehen. Die kaum spürbaren Preissteigerungen von 1-2 % pro Jahre haben sich binnen einem Jahr in dramatische 8-10 % verwandelt. Manche Unternehmen sahen sich gezwungen die Preise zu verdoppeln. Andere sahen sich nicht gezwungen, haben es aber dennoch gemacht, weil sie der Verlockung nicht widerstehen konnten.
Das Interessante daran ist, dass sich dadurch aber am grundlegenden Spiel wenig, bis nichts geändert hat. Wenn Sie heute durch die Zeitungen blättern, finden Sie immer noch jede Menge Preisaktionen. So gesehen ist alles beim Alten geblieben, nur eben ein oder zwei preisliche Ebenen höher.
Im nächsten Jahr planen wir eine Umsatzreduktion von 7% .
Haben Sie schon einmal von einer Führungskraft bzw. einem Unternehmer gehört »Für nächstes Jahr planen wir eine Umsatzreduktion von 7% und ich erwarte mir von Ihnen allen, dass Sie Ihr Bestes tun, damit wir gemeinsam dieses Ziel erreichen!«? Wenn ja, melden Sie sich bitte bei mir! Darüber wüsste ich gerne mehr. Und verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin selbst gelernter Betriebswirt und mit der...
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