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06. November - Leonhardifahrt
Ich geh mit dir durch dick und dünn, bis ans Ende dieser Welt.
Die Toten Hosen: Bonnie und Clyde
»Schau, da kommt das nächste Gespann!«, rief Gerda. »Sind das die Gaißacher Jungfrauen? Mei, so schöne Haflinger.« Sie packte Manfred am Arm, nach dem Motto: Schau halt endlich hin. Dabei war der Kommissar durchaus aufmerksam. Die vier schwitzenden Pferde, das klingelnde und scheppernde prachtvolle Geschirr mit grünen Bändern, der Gespannführer auf einem der hinteren Pferde im Sattel, der mit Fichtenzweigen und kleinen Blumen geschmückte Truhenwagen, die jungen Frauen, die das Ave-Maria beteten und gelegentlich Zuschauer anlächelten .
Kriminalhauptkommissar Manfred Besener war ein schlanker Mann Anfang 40, blond und etwas verschmitzt aussehend, mit kleinen Lachfalten um die Augen. Ein bisschen wie Terence Hill sah er aus; mit entsprechendem Western-Outfit und Colt wäre er wahrscheinlich als dessen Doppelgänger durchgegangen. Er war zwar schon ein paarmal auf die Ähnlichkeit hingewiesen worden, aber es an Fasching mal drauf ankommen zu lassen - da hatte er keine Ambitionen. Wie ein Kommissar sah er nicht aus, irgendwie. Man weiß ja nie, wie ein Kommissar auszusehen hat, aber zumindest nicht wie ein Westernheld.
Seine Kollegin in Rosenheim, Kriminalhauptkommissarin Gerda Wimmer, war auch seit einem Jahr seine private Partnerin. Ebenfalls blond war sie und einfach umwerfend aussehend, egal, was sie gerade tat oder anhatte. Direkt unangenehm waren Besener die vielen Blicke, die sie auf sich zog. Sie selber schien es gar nicht zu bemerken. In Jeans, weißer Bluse und Pistole am Gürtel oder frisch aus dem Bett mit Druckstellen im Gesicht - es blieb einem die Luft weg. Die ganze Polizeiinspektion Rosenheim kannte die Wimmerin. Die einen vom Sehen, die anderen von den Berichten derer, die sie gesehen hatten. Und er hatte sie an Land gezogen. Oder doch nicht?
»Wann treffen wir den Herbert?«, fragte Gerda, aber sie konnte damit seine Gedanken nicht unterbrechen. Die flossen einfach weiter .
Die hübschen jungen Frauen mit aufwendig zurechtgemachter Frisur, eine lächelte ihn direkt an und nickte. Die Fanni aus Fischbach, mit deren Mutter er mal liiert war! »Schau, das ist die Fanni aus Fischbach, erinnerst du dich? Das sind die Fischbacher Jungfrauen!«, sagte Manfred Besener als Antwort auf die erste Frage von Gerda.
Der Brettlhupfer, der hinten auf dem Wagen mitfuhr, der heruntersprang und die Bremse anzog, weil der Wagenzug zum Stehen kam, die schaukelnde Wagennummer 70 auf dem weißen Kärtchen, fünf platt gedrückte Pferdeäpfel hinter dem Wagen, die entsprechend rochen, überall Leute mit dicken Jacken und Sonnenbrillen, Kinder in Schneeanzügen, Sanitäter, Polizei, Verpflegungsstände .
Es war sonnig, aber saukalt. Minus zwei Grad, und das am 6. November, dem Tag, an dem alljährlich die Tölzer Leonhardifahrt stattfand. Außer, der 6. November war ein Sonntag, dann war sie am Tag drauf. Inzwischen fand die Wallfahrt auch nicht mehr samstags statt, wegen der vielen Alkohol-Touristen.
Dieses Mal war's ein echter Wintertag. Besener hatte seiner Kollegin - oder Geliebten? Partnerin? Gspusi? - im letzten Jahr während des Terror-Alarms hier in Tölz versprochen, ihr das Spektakel romantisch näherzubringen. Leider hatten sie es nicht geschafft, den Wahnsinn rechtzeitig zu beenden, und waren froh, die Terroristen überhaupt alle erwischt zu haben. Die Nacht vom 6. auf den 7. November war dafür dann schon bemerkenswert gewesen. Eigentlich der Beginn der Romanze. Aber vom Leonhardi-Flair hatte sie nichts mitbekommen.
Seitdem - ja . gerade fuhr der Wagen mit der Nummer 72 vorbei. Ein Tafelwagen, voll mit g'standenen Blasmusikanten mit grünen Hüten, die gerade einen aufspielten. »Die Wackersberger Musik!«, hörte er sich sagen.
Seitdem war wenig Zeit für Privatleben gewesen. Die restlose Aufklärung des Falls, die ganzen Berichte, die Inventarisierung der Beweismittel, Schadensgutachten lesen, Kommentare dazu schreiben, Berichte über kaputte Kraftfahrzeuge berichtigen - das alles hatte drei Monate gedauert. Nebenbei hatten sie noch das »Tagesgeschäft« mit erledigt. Fast die ganze Truppe war befördert worden.
Die frischgebackene Kriminalhauptkommissarin Gerda Wimmer kam nur einzelne Stunden pro Woche zu ihren Kollegen, den Kriminalhauptkommissaren Johannes Hinfaller und »ihrem« Manfred Besener, den Rest der Zeit hatte sie anderweitig zu tun. Sie war zusätzlich in der KPI Rosenheim neue Sonderbeauftragte für Kriminalitätsprävention in »Öffis«, also in Bus und Bahn - und Gleichstellungsbeauftragte. Irgendwer ganz oben hatte ihre totale Unvoreingenommenheit erkannt.
Der ganze Arbeitsaufwand war ein Fass ohne Boden. Sie schafften es immerhin, ungefähr zwanzigmal zusammen auszugehen, was auch ein paarmal im Bett endete. Aber eine Beziehung war das nicht. Eher ein . G'spusi trifft's ganz gut, dachte Besener.
Im Sommer dann war seine Mutter in Miesbach plötzlich erkrankt - irgendein saudummer Grippevirus, von dem sie sich nur schwer erholte. Seine Woche in Tölz im letzten Jahr - trotz Leonharditerror - hatte ihn nachdenklich gemacht. Wie gerne wäre er wieder daheim in seinem Miesbach! Als dann die Außenstelle der KPI Rosenheim in Miesbach Leute suchte, setzte er sich mit Johannes Hinfaller, seinem Kollegen, zusammen und unterbreitete ihm seinen Plan: Lass uns als Team nach Miesbach gehen!
Der hatte nur genickt und kurz mit seiner Frau telefoniert. Da die Hinfallers in Irschenberg lebten, wäre der Weg zur Arbeit derselbe. Sie bewarben sich. Zwei Fäuste für ein Halleluja. So sahen die beiden auch aus: Johannes Hinfaller war groß, bärtig und vollschlank, wenn man es liebevoll ausdrückte. Deutlich konvex. Auch wenn er dem klassischen Haudrauf Bud Spencer äußerlich ähnelte, so war Hinfaller doch ein genialer Denker und ein wandelndes Lexikon. Sie ergänzten sich perfekt beim Ermitteln.
Ende September war die Zusage gekommen. Hinfaller sollte neuer Außenstellenleiter in Miesbach werden, Dienstantritt für beide wäre der 2. November. Gerda nahm es gelassen und freute sich für Manfred. Er wunderte sich immer wieder über sie. Eine andere wäre stocknarrisch geworden, sie nicht. Als ob es ihr egal wäre. Dabei schaute sie keinen anderen Mann an. Vielmehr hatte er den Eindruck, Männer seien ihr grundsätzlich völlig egal, sie machte halt ihr Ding. Wenn einer wichtig war, dann am ehesten noch er, hatte er den Eindruck.
Sie waren einfach nicht richtig zusammengekommen. Besser vielleicht, nicht wirklich zusammenkommen als zusammen und wieder Schluss. Er schüttelte den Kopf - ein Scheißgedanke!
Dann noch sein Umzug im Oktober. Von Au bei Bad Aibling nach Miesbach. Eine Wohnung suchen, den Hausrat umziehen, ummelden, der ganze Papierkram. Ein Wahnsinn! Aber jetzt war er angekommen. Ein echter Miesbacher war er wieder. Na gut, er wohnte im Ortsteil Bergham, da hielten sich die Bewohner für etwas Besonderes. Aber im Zeitalter von Globalisierung konnte man auch mal einen Berghamer als Miesbacher bezeichnen, das war grundsätzlich legitim.
Der letzte Wagen war vorbei, die wackelnde Nummer 85 verschwand unter den nachströmenden Menschen. Die Gerda strahlte ihn an. »Toll ist das!« Sie war so hin und weg und verliebt in dem Moment, dass sie ihn unbedingt küssen musste.
Polizeihauptmeister Herbert Schwendner, auch nicht im Dienst, tippte zwei Minuten später den beiden Schmusenden auf die Schulter. »He, ich warte auf euch, und ihr steht's da rum und findet's kein End. Da kann ich lang warten! Außerdem möchten die Kollegen durch!« Er deutete rundherum und hinter Gerda. Dort standen ein Streifenwagen und die beiden Kollegen - weiblich und männlich - grinsten ihnen genüsslich zu. Sie und das Auto wurden von Leuten umströmt wie ein großer Felsen im Fluss. Wieso standen sie mitten auf der Straße? »Habt ihr euch lang nicht gesehen, oder?«, fragte Schwendner. »Na ja«, sagte Besener gleichzeitig mit Gerda, die »Doch!« sagte. Eine halbe Sekunde lang schien sich eine peinliche Pause zu entwickeln. Dann erklärte Besener: »Wir waren da am Gehsteig, dann kam der letzte Wagen, und die Gerda machte einen Schritt da hinüber, dann gab's ein Bussi und dann wären wir fast .« Er fuchtelte zum Gehsteig, zur Straße zu den sich entfernenden Gespannen hinauf.
»Jetz kommt's endlich, da gehen wir jetzt hinauf, zum Tatort vom letzten Jahr, gell! Da gibt's einen Schnaps und ein paar Platzerl von den Weibsbildern.« Schwendner schob die beiden seitlich vor sich her und winkte den Streifenwagen hinter dem Rücken unauffällig weiter. »Seid's aber scho fest zusammen, oder?«, flüsterte er Besener zu. Der machte mit dem Zeigefinger eine Schweigensgeste und zuckte mit den Schultern. Gerda war von dem ganzen Trubel ein bisserl abgelenkt und strahlte vor sich hin.
Die junge Beamtin auf dem Fahrersitz ließ die Scheibe herunter und fragte, als der Streifenwagen ganz dicht vorbeirollte: »Sind Sie wirklich der Besener? Mein Kollege erzählt viel Mist, aber ich habe ihr Gesicht schon mal gesehen in so einem Schulungsvideo.«
»Ja, aber heute im Urlaub«, sagte der. Und ganz plötzlich fragte er grinsend: »Darf ich euren Dienstwagen ausleihen?«
»Wir müssen, äh, dringend - da vorn .« Die Kollegin war gut informiert über Beseners Verschleiß an Kraftfahrzeugen im letzten Jahr, und die Scheibe wurde unter einvernehmlichem Grinsen wieder nach oben gefahren....
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