Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das ist jetzt schon ein Schlamassel, weil man ihn nicht mehr fragen kann, was eigentlich genau passiert ist am Tag der Deutschen Einheit. Einiges kann man sich schon zusammenreimen, anderes halt nicht. Auf besagten Feiertag, der in dem Jahr auf einen Sonntag fiel, wollte Andreas Schmalzner am liebsten verzichten. Er bewirtschaftete in 14. Generation den Schmalz-Bräu, eine Gaststätte in der historischen Marktstraße in Bad Tölz. Trotz der ganzen Griechen, Italiener und Kroaten, die Bad Tölz mit ihren einheimischen Leckereien verwöhnten und die Bayern nicht selten locker links liegen ließen, hatte sich der Schmalz-Bräu bis heute behaupten können. Das einfache Konzept, das bereits Andreas' Großvater erkannt und praktiziert hatte, war inzwischen das am besten gehütete Geschäftsgeheimnis, das nur jeweils vom Chef an den Nachfolger (vom Vater auf den Sohn) übergeben wurde. Erstens: Leiste dir einen hervorragenden Koch und gut aussehende Bedienungen. Zweitens: Halte Maß mit den Preisen. Drittens: Der Service ist heilig. Nur ein zufriedener Gast kommt wieder.
So einfach kann es sein, dachte Andreas. Er war inzwischen ein Geschäftsmann mit leidlichem Talent. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters musste er den Betrieb kurzfristig übernehmen. Zu dieser Zeit war er auf dem besten Wege, Polizeibeamter zu werden, und hatte vom wahren Leben keine Ahnung. Er war fit ohne Ende und hatte sich den Jugendspeck mit viel Mühe wegtrainiert. Ein Frauenschwarm war er trotzdem nicht, da störte die dicke, unansehnliche Schmalzner-Nase, die alle Schmalzners mehr oder weniger stolz vor sich hertrugen.
»Hals-Nasen-Ohren-Schmalz« hatten ihn seine Klassenkameraden lange genannt. Oder »Da Gschmoizne«. Kurz vor dem Abitur dann nur noch »Schmoizä«. Da war man ja schon erwachsen - mehr oder weniger. Das Abi hatte er gerade so geschafft, bis fast zum Schluss war er zwar gern zur Schule gegangen, aber trotzdem nicht wirklich fleißig gewesen. Er musste immer viel in der Metzgerei und im Gasthof helfen, obwohl er lieber Bücher über die Stadtgeschichte und die Besiedelung des Isarwinkels gelesen hätte. Am liebsten war er draußen in der Natur, stieß da aber immer schnell an seine Grenzen, weil er einfach zu dick war. Kurz nachdem er den Führerschein hatte, fuhr er nach Lenggries und wollte zur alten Hohenburg hinauf. Total nass geschwitzt und kurzatmig kam er oben an, dabei waren das nur ein paar Meter! Einige, das wusste er sicher, verlachten ihn immer noch wegen seiner Statur damals. Einer davon saß sich jetzt den Arsch platt bei der örtlichen Polizei. Immer blöd dahergeredet und es nie zu etwas gebracht.
Der Schwendner, der Depp. Sucht sich einen Schwächeren und hackt dann darauf herum.
Ein Trost war es auf jeden Fall, dass es besagter Polizist nie zu etwas bringen würde. Wahrscheinlich nicht einmal zu einer Frau. Na gut, Schmalzner selbst hatte hier auch seine Probleme. Ein paar kurze Beziehungen, die irgendwie alle schiefgegangen waren. Freunde aus der Schulzeit hatte er jedenfalls keine.
Erst bei der Bundeswehr traf er neue Leute, die seine Vorgeschichte nicht kannten. Die Torturen (und das waren sie mit 130 Kilogramm Lebendgewicht) schweißten ihn mit den Kameraden zusammen. In den 18 Monaten bei der Gebirgstruppe schaffte er es, bis auf 110 Kilogramm abzuspecken. Er und seine engsten Freunde beim Bund sangen damals »I bin da Schmalzner« in Anlehnung an das Lied von Georg Danzer vom Doppelgänger »I bin da Danzer«. Es war eine schöne Zeit, trotz der ganzen Entbehrungen.
Da war er auf den Geschmack gekommen und hatte bei der Polizei angeheuert. Ein eingeschworener Haufen, eine respekteinflößende Uniform, den Leuten helfen, gutes Geld verdienen und noch viel mehr sprach für diese Laufbahn statt die eines Metzgers oder Gastwirts. Sogar ein paar seiner Bundeswehrkameraden hatten mitgezogen. Er war erst ein, zwei Jahre dabei gewesen, da starb plötzlich sein Vater an einem Herzinfarkt. »Die Wampn muass weg«, hatte der Arzt immer wieder gesagt, aber der alte Schmalzner hatte es fleißig ignoriert.
Nur mit viel Papierkram konnte er innerhalb von drei Monaten seine polizeiliche Laufbahn beenden. Er hatte das seinem Vater zuliebe gemacht und sich dann aber, soweit möglich, aus dem Betrieb zurückgezogen. Er war Realist. Sein teures, aber gutes Personal hielt den Laden am Laufen. Jetzt hatte er seine alte Figur wieder, na ja, ein wenig mehr davon, und war eine stattliche bayerische Erscheinung. Ein gestandenes Mannsbild halt. Eine zur Nase passende Frau gab es immer noch nicht.
Die alten Träume waren immer noch da - aber alles hinzuschmeißen und irgendwo neu anzufangen, dazu war er zu feige. Er fühlte sich in der Pflicht, den Betrieb, der seit Jahrhunderten im Familienbesitz war, weiterzuführen.
Demnächst musste er einen Nachfolger organisieren, am besten auch gleich noch adoptieren. Die Schmalzner-Linie musste weitergehen und er wurde nicht jünger! Mangels Nachkommen ging es vielleicht nur so. Seine Verwandtschaft war überschaubar, da gab es keine geeigneten Kandidaten.
Trotz der mangelnden Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe war er der Chef. Feiertag oder Sonntag hin oder her, er war trotzdem unentbehrlich und hatte erreichbar zu sein. Der Erfolg gab seiner Unternehmensführung recht. Heute musste er im ersten Untergeschoss das Mauerwerk besichtigen. Zwei Wochen Dauerregen hatten am Samstag plötzlich einen großen feuchten Fleck an der Ostwand hervorgerufen, ausgerechnet da, wo das große Weinregal stand.
Der Küchenchef hatte den Fleck bemerkt und sich zuerst nichts gedacht. Sonntag früh um acht war der Fleck bereits stark angewachsen. Das war dann seinem Personal nicht mehr geheuer und der Chef wurde informiert. Schmalzner kam sich eh oft genug wie der Hausmeister vor.
Ausgerechnet der Olaf musste den Fleck bemerken. Er ist schließlich mein Küchenchef und ich nicht sein Hausl. Warum war ich nicht selber im Keller zu der Zeit? Der Olaf, der gut aussehende, sportlich braun gebrannte Depp. Dem die feschen Bedienungen immer nachschaun, sogar während sie mit mir, DEM CHEF!, reden. Und aus Osnabrück is er aa no. Der Preiss, der. Ich müsste mal wieder mehr Sport machen.
Er musste handeln. Gleich früh um sieben ging er die ausgetretenen Steinstufen in den Keller hinunter. Er musste aufpassen, wo er hintrat, denn die wenigen Lampen spendeten nur unzureichend Licht. Und wenn er gerade an einer vorbei war, wurde es merklich dunkler, weil er mit seiner Körperfülle (klein war er auch nicht gerade) fast den ganzen Gang einnahm.
Der recht große Kellerraum wurde dominiert von zwei dicken Säulen, die den Raum in der Mitte zu jeweils einem Drittel abstützten. Dass es noch zwei handgeschlagene Kellergeschosse darunter gab, wussten wenige. Das weiche Gestein im Untergrund machte solche Bauten möglich, danach wurden die Keller mit reichlich vorhandenem Quelltuff ausgemauert. Durch die vielen Löcher im Gestein hatte es Eigenschaften wie ein natürlicher Ziegel: wärmeisolierend und sehr stabil. In diesen Kellern ließ sich früher das Bier in den Holzfässern besonders lang lagern, indem man im Winter Eis hinunterbrachte, das oft im August noch nicht ganz geschmolzen war. Die Münchner zahlten Höchstpreise für den Tölzer Gerstensaft damals. Sie konnten in der Stadt im Sommer nicht so viel beziehungsweise wochenweise gar nichts brauen, weil das Bier nicht ausreichend gekühlt werden konnte. Die Flöße fuhren täglich und die Tölzer wurden wohlhabend. Der sechste Schmalzner, ein Gotthold, baute zu dieser Zeit großzügig auf der vom Markt abgewandten Seite an: einen großen Saal im Erdgeschoss, darüber Wohnraum für viele noch folgende Generationen. Der Markt, die »Marktstraße«, sieht heute immer noch so aus wie damals. Sie verläuft vom Isarufer (Isarbrücke) nach Osten den Berg hinauf, gesäumt von zwei parallelen Reihen Häusern, die so gut wie keine Lücke frei lassen. Freilich gab es seit damals kleine Aufstockungen, öfter ein neues Pflaster und so weiter . Gebrannt hat es ja auch immer wieder mal oder ein Haus in der Reihe musste einer neuen Straße weichen. Zum Beispiel wurde für die Hindenburgstraße zum neu angelegten Bahnhof Anfang des 20. Jahrhunderts ein Haus aus der südlichen Reihe herausgerissen. Gabriel von Seidl, der berühmte Baumeister, hat ebenfalls einige Gebäude in Bad Tölz umgestaltet. Auch dem hat es offensichtlich im Oberland gefallen.
Zurück zum Gotthold. Während seiner Zeit wurde ein Großprojekt in Tölz abgeschlossen: Zu beiden Seiten der Marktstraße gab es in den Kellern der Häuser einen durchgehenden Gang, in denen vierspännige Pferdefuhrwerke passieren konnten. Sie fuhren an der Isarbrücke hinein und kamen oben am Kahnturm wieder heraus. Fast jedes Haus hatte einen Kellerzugang. So bekamen die Bürger nicht mit, wann oder wie die Waren geliefert wurden. Natürlich war das auch der zwielichtigen Gestalten wegen gemacht worden. Der moderne Andreas Schmalzner schüttelte den Kopf und vertrieb den Gotthold aus seinen Gedanken und damit auch die Träume der - interessanten, aber gewiss beschwerlichen - alten Zeiten.
Um 8 Uhr, als der Kochlehrling anfing, schnappte er ihn sich und verdonnerte ihn zum Weinregal-Ausräumen. Bei der Gelegenheit konnte er gleich was lernen über den Umgang mit den edlen Tropfen und die Systematik der Ablage.
Schmalzner, der schon immer historisch interessiert war, kam an diesem frühen Sonntag gleich wieder ins Schwelgen und dachte an diesen Gang, als er die feuchte Stelle inspizierte.
Genau hier muss es gewesen sein. Ich höre schon beinahe die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.