Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Weiden ist eine Vorzeigekleinstadt: Die Wirtschaft brummt, von den Lady-Lions gibt es Charity-Barbecues für Flüchtlinge, die Oberschule ruft eine Leistungsinitiative in den MINT-Fächern aus, die Tennisjugend gewinnt das Landesfinale, und mit dem neuen Schuljahr prangt von jeder Wand ein Antidrogenplakat der Champions mit dem Slogan: »Geh ans Limit! Ohne Speed!«. Benedikt Jäger und seine Kumpels Vince und Prechtl sind nicht nur mittendrauf zu sehen, sie stecken auch mittendrin in dieser schönen Welt, die alle Abgründe vertuscht: Die Nächte feiern sie exzessiv im »Butterhof«, wie sie ihre Schulleistungen am neuen Evaluierungssystem vorbei vor den erfolgsgierigen Eltern verbergen, steht in den Sternen. Und dass die Lady-Lions ausgerechnet Crystal-Mäx, den Unterweltkönig und berüchtigten »Butterhof«-Betreiber, mit einer Finanzspritze beim Bau von Flüchtlingswohnungen unterstützen, macht die Lage noch unübersichtlicher ... Anarchisch und pointensatt im Hochgeschwindigkeitsrausch erzählt, getragen von bitterbösem Humor - ganz großes Tennis!
Kapitel 1
13. September
Heute war der beste erste Schultag ever. Weil ich nämlich nicht in der Schule war. Statt im Unterricht zu sitzen, bin ich Ballon gefahren. Hundert Prozent legal sogar. Ich hätte nie gedacht, mal was Gutes über Heckmann zu sagen, weil er als Coach ja ein Totalausfall ist, aber auf sein Wort ist Verlass. Vor dem Landesfinale im Sommer hat er zu uns gesagt: »Jungs, wenn ihr den Titel holt, dann hebt ihr zum Schulstart ab« - und heute war Schulstart, und wir hoben ab. Vince meint, dass Heckmann die Ballonfahrt aus eigener Tasche bezahlt, weil er wegen uns bald befördert wird, aber das glaube ich nicht. So eine Fahrt kostet locker 500 Euro, und so viel Geld wirft nicht mal der dümmste Lehrer zum Fenster raus. Das Geld stammt bestimmt aus dieser Champions- oder Performancekasse oder wie auch immer die Kasse heißt, die die Fürstenberg letztes Jahr eingeführt hat, um öffentliche Spitzenleistungen für die Schule zu belohnen. Und ein 4 : 2 gegen die Oberhachinger Internatsficker, die auf ihrer Tennisbase täglich zwölf Stunden trainieren . definitiv Spitzenleistung. Öffentliche Spitzenleistung im Quadrat.
Jedenfalls: die Ballonfahrt. Die war top. Umso mehr, weil sie um ein Haar ohne uns stattgefunden hätte. Erst konnten wir nämlich den Startplatz nicht finden. Der Ballon sollte auf einer Wiese bei Auerbach starten, aber kaum waren wir aus Weiden raus und fuhren auf die B 470, zog Nebel auf. Frühnebel oder Bodennebel - so viel und so dichter Nebel jedenfalls, dass Heckmann den Schulvan auf 40 km/h runterbremsen musste. In den Kurven sogar auf 20. Und selbst das war noch flott. Trotz der Nebelscheinwerfer, die so aggressiv ins Weiß reinblendeten, konnte man kaum die Mittelstreifen erkennen, und obwohl wir durch den Manteler Forst fuhren und ringsherum Millionen von Tannen wuchsen, habe ich die ganze Fahrt über keinen einzigen Baum gesehen.
Bartels, der vor mir auf der Mittelbank saß und ziemlich Höhenangst hat, maulte dauernd rum, dass in der Suppe da draußen eh kein Ballon starten würde und wir besser gleich umkehren und zur Schule zurückfahren sollten. Prechtl verpasste ihm daraufhin ein paar Kopfnüsse der Marke Schädelbasisbruch, und Vince starrte wie hypnotisiert aus dem Fenster und murmelte in einer Tour: »Leben im Nebel, Life is evil, aha.« Für die Uhrzeit, es war höchstens Viertel nach sieben, gar kein so schlechter Spruch.
Ohne Jirí, der wie üblich vorn auf dem Streberplatz neben Heckmann saß, hätten wir die Ballonwiese vermutlich nie entdeckt. Aber Jirí hat Adleraugen. Als wir zum dritten Mal am Auerbacher Ortsschild vorbeikommen, streckt er plötzlich den Arm aus und ruft: »Herr Heckmann, da drüben, ich sehe was.« Keiner von uns anderen konnte auch nur das Geringste erkennen, Heckmann reißt trotzdem das Steuer rum und fährt Jirís ausgestrecktem Arm hinterher. Wir rumpeln durch den Straßengraben, dann querfeldein über eine Wiese, und während unten die Gräser am Bodenblech kratzen, wird es tatsächlich heller. Erst sind nur Schemen zu erkennen, doch dann taucht ein Ballonkorb aus dem Nebel auf.
Der Korb steht im feuchten Gras und wird von den Scheinwerfern eines Pick-ups angestrahlt, der am Rand eines Feldwegs parkt. Um den Korb herum patrouillieren zwei von Kopf bis Fuß in Camouflagemontur gekleidete Typen und zerren an Seilen, die sich nach oben im Dunst verlieren. Ein dritter Camouflagetyp steht im Korb und befingert ein kanonenrohrdickes Metallteil über seinem Kopf. Mit jedem Meter, den wir näher kommen, sieht das Ganze verbotener aus. Eher nach Schleuserbande oder Waffenschmuggel, aber ganz bestimmt nicht nach Schulausflug. Umso mehr, weil die Typen schwarze Gesichter haben. Also, die sind nicht angemalt, sondern naturschwarz sozusagen. Was an sich völlig in Ordnung ist. Ich bin null Prozent ausländerfeindlich, aber in dem lichtzerfressenen Dunst leuchten die Gesichter irgendwie extradunkel und wirken extrem bedrohlich auf mich.
Ich stoße Vince an und will ihm was sagen, aber plötzlich bricht draußen ein Fauchen los. Als würden tausend Katzen im Chor um die Wette fauchen, so ein Fauchen ist das, und dazu schießt eine Stichflamme aus dem Metallteil raus. Jedes Lagerfeuer ein Witz dagegen. Die Flamme schießt baumhoch in die Luft, wird auf halber Strecke von der Ballonhülle geschluckt, die im Nebel jetzt blutrot aufglimmt und wie ein riesiges, todbringendes Alienherz über uns wabert, und obwohl wir im Van sitzen, angeschnallt und alles, reißen wir instinktiv die Arme vors Gesicht.
»Alter Schwede«, flüstert Prechtl, als der Brenner wieder erlischt, »ist ja voll Irak da draußen«, und Vince sagt: »Und wir haben auch noch die Pussy-Anzüge vom Fehr an.« Womit er leider ins Schwarze trifft. Wir alle, sogar Heckmann, tragen wegen des Fototermins nachher die Trainingsanzüge von Sport Fehr. Und die sind rosa. Schweinsrosa, auf dem Rücken steht in goldener Schnörkelschrift Kepler-Gymnasium Weiden - Tennis-Landeschampions, und was die Armeetypen darüber denken werden, weiß ich genau: nämlich, dass wir ein Haufen verweichlichter Tennispinkel sind, denen man am besten jeden Knochen im Leib einzeln bricht, bevor man sie nach Guantanamo verschifft.
Wir starren wie gelähmt zur Scheibe raus, und keiner rührt sich vom Fleck. Auch Heckmann, der sonst immer einen auf großer Antreiber macht, tut keinen Mucks. Erst als der Typ im Korb über die Brüstung klettert und mit seinen Kampfstiefeln auf uns zumarschiert, zieht er den Zündschlüssel ab.
»Ja, also«, sagt er, »dann mal auf in den Spaß.«
Er sagt das mit einer Stimme, als würde er seine eigene Hinrichtung verkünden, stößt aber trotzdem die Fahrertür auf. Wir tun es ihm nach, und in dem Moment, in dem ich raus auf die Wiese trete, das feuchte Gras an den Knöcheln spüre und die kühle Luft einatme, ändert sich meine Laune. Und zwar komplett. Ich bekomme schlagartig Lust, in den Korb zu klettern und wie Rauch in die Luft zu steigen, und daran kann nicht mal der Kampftyp was ändern, der sich jetzt vor uns aufbaut. Der will aber auch gar nix daran ändern, im Gegenteil. Statt uns anzupflaumen, dass wir zu spät sind, schlägt er die Hacken zusammen und salutiert vor uns.
»Master Sergeant Jack Conley«, ruft er mit strahlendem Perlweiß-Grinsen, »Second Stryker Cavalry Regiment, aba sagt's Käpt'n Jack zu mia.«
Wir glotzen ihn an wie den Heiligen Geist persönlich, weil mit einem Schwarzen, der Käpt'n Jack heißt und Oberpfälzer Dialekt spricht wie höchstens noch meine Oma, hat keiner gerechnet. Selbst Vince, den so gut wie nichts aus der Fassung bringt, glotzt mit offenem Mund. Käpt'n Jack merkt das auch, oder vielleicht kassiert er öfter solche Blicke, jedenfalls erzählt er uns, dass er auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr stationiert war, als Kampfhubschrauberpilot, und seit seiner Pensionierung Ballonfahrten organisiert. Die beiden Typen, die auf der Ladefläche des Pick-ups jetzt Sachen verstauen, sind offenbar seine Söhne und heißen Jim und Troy. Käpt'n Jack sagt noch, dass sie mit dem Aufrüsten des Ballons leider nicht auf uns warten konnten, wir aber optimales Wetter haben. In den höheren Luftschichten, sagt er, weht eine Brise aus West, sodass wir mit ein bisschen Glück genau über Weiden fahren. Dann klatscht er in die Hände und ruft: »Pack mers, Boys, rein in den Korb.«
Heckmann öffnet die Heckklappe des Vans, wir schultern unsere Tennisbags und laufen zum Korb. Als Erstes klettern Vince und ich rein, und dann ist Prechtl an der Reihe. Er will gerade sein Bein über die Brüstung schwingen, da sehe ich es: Es tropft aus seiner Bag. Wobei tropfen die Untertreibung des Tages ist: Unten, wo die Bag zugezippt ist, genau zwischen den silbernen Reißverschluss-Schiebern, leckt ein richtiges Rinnsal raus. Fuck, denke ich, hoffentlich sieht Käpt'n Jack das nicht. Prechtl hat nämlich geladen. Ein halbes Dutzend Wasserbomben. Präserbomben, um genau zu sein. Mit Wasser und Tomatensaft zum Bersten gefüllte Präservative, die er, wenn wir erstmal tausend Meter über der Erde sind, über allen möglichen Dörfern und Straßen und Marktplätzen runterfeuern will. Mindestens eine von den Bomben muss bei dem Geholper über die Wiese geplatzt sein, und das ist natürlich suboptimal.
Noch suboptimaler ist aber, dass auch der Käpt'n das Rinnsal bemerkt.
»He, du«, sagt er, »wart mal, du tropfst.«
Prechtl schaltet auf taub und klettert weiter, aber so leicht lässt sich der Käpt'n nicht ignorieren. Er drückt Prechtl eine Hand auf den Oberschenkel, sodass er, ein Bein im Korb, das andere draußen, rittlings auf der Brüstung zu sitzen kommt. Wie ein aufgebocktes Galionsschwein hockt er da mit in der Luft baumelnden Beinen und quetscht sich auf den Baststreben die Eier ab, aber das ist jetzt sein geringstes Problem. Der Käpt'n will nämlich, dass er die Bag aufmacht. Aus einer seiner hundert Uniformtaschen zieht er sogar einen Lappen und hält ihn Prechtl hin, zum Trockenmachen, und Prechtl sagt: »Wird erledigt. Da drüben beim Van.«
Er springt wie eine Ziege vom Korbrand, und in dem Moment macht es Klick beim Käpt'n. Man kann regelrecht sehen, wie hinter seiner Stirn die Warnlichter angehen. Das Grinsen bröckelt aus seinem Gesicht, er zieht die Brauen zusammen und sagt: »Was is'n da ausglaufen?«
Prechtl: »Bestimmt bloß meine Capri-Sonne.«
Käpt'n Jack: »Schau nach.«
Prechtl: »Mach ich ja. Drüben beim Van.«
Käpt'n Jack: »Hier machst die Bag auf. Aber dalli.«
Vince und mir krampft schon halb der Kiefer vor Lachen, nur Heckmann steht wie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.