Schweitzer Fachinformationen
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»Hey Puppe!«, »Wie viel kostest du?« oder »Geiler Arsch!« - das alles sind Sprüche, die Menschen täglich auf der Straße hinterhergerufen werden. Meist trifft es Mädchen und Frauen oder diversgeschlechtliche Personen. Vielleicht musstest du dir auch schon solche Sachen anhören. Vielleicht hat dir niemand geholfen oder etwas dagegen gesagt. Vielleicht hat sogar jemand dieses Verhalten mit einem »Ist doch nichts passiert!« verharmlost oder entschuldigt. Aber auch Worte sind Belästigung! Betroffene fühlen sich durch solche Sprüche häufig verunsichert, bedroht und nicht zuletzt entwertet und hilflos. Viele sind noch sehr jung, wenn sie zum ersten Mal belästigt werden. Oft denken sie, es sei ihre eigene Schuld und sie wären ganz allein damit. Aber das stimmt nicht!
?Ich war 15, es war mein erster Arbeitstag in einer Bäckerei und ich war total aufgeregt. Ich hatte lange überlegt, was ich anziehen wollte, und mich für ein Kleid und Schuhe mit Absätzen entschieden.
Ich erinnere mich genau an den Weg von der New Yorker U-Bahn-Station zur Bäckerei - zu Fuß eine Strecke von etwa zehn Minuten. Mir kam es so vor, als ob jeder Mann, an dem ich vorbeiging, irgendeine Bemerkung äußerte.
Ein Mann sagte >good morning< und musterte mich von oben bis unten. Der nächste sagte >hello beautiful<, wieder ein anderer kommentierte nur >sexy<. Und so ging es weiter. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit diesen Äußerungen bombardiert wurde. Ich fühlte mich sehr unwohl.
Ich fing an zu überlegen, ob irgendetwas mit mir nicht stimmte. Vielleicht war mein Kleid zu kurz? Oder vielleicht machte ich irgendwas, was diese Kommentare provozierte? Ich dachte, es MUSS an mir liegen. Was bringt diese Männer dazu?
Ich war verwirrt und völlig überwältigt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, ob ich mich bedanken sollte. Uns wird beigebracht, dass wir uns für Komplimente bedanken sollen. Aber ich habe mich bei diesen Äußerungen unwohl gefühlt und konnte sie überhaupt nicht einordnen.
Ich brauchte eine Weile, um wütend zu werden.?
Name Sophie Sandberg
Pronomen sie/ihr
Beschreibung Sophie macht als Straßenkünstlerin und Aktivistin für Geschlechtergerechtigkeit auf Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam.
Auch Sophie Sandberg war noch minderjährig, als sie ihre erste Erfahrung mit belästigenden Sprüchen machte. Doch erst Jahre später erkannte sie die gesellschaftlichen Strukturen hinter diesem Problem und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Als Studentin an der New York University bekam sie die Aufgabe, ein Thema auf Social Media zu dokumentieren. So kam sie auf die Idee, den Instagram Account @catcallsofnyc zu gründen, um gegen das sogenannte »Catcalling« zu kämpfen.
Aber was genau ist eigentlich Catcalling? Im engeren Sinne bezeichnet man damit unerwünschte, meist unhöfliche und abwertende Äußerungen von völlig fremden Menschen im öffentlichen Raum - häufig eindeutige sexualisierte Äußerungen oder Anspielungen. Manche denken, dass verbale Belästigung »nicht so schlimm« sei, weil die belästigte Person dabei körperlich nicht zu Schaden kommt. Aber Catcalling sorgt für Unsicherheit und Angst - und immer wieder bleibt es nicht bei Worten. Auch körperlich übergriffiges Verhalten, zum Beispiel unerwünschte Berührungen, zählt im erweiterten Sinne zu Catcalling. Der Begriff bezeichnet also allgemein Belästigung im öffentlichen Raum - egal, ob verbal oder körperlich.
Aber was können wir gegen Catcalling tun? Zunächst einmal brauchen wir dringend Aufklärung und Austausch zum Thema Belästigung in der Öffentlichkeit. Denn nicht jede:r weiß, dass Catcalling passiert - weil nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen sind und weil nicht darüber gesprochen wird. Und genau das zu ändern ist das Ziel der Catcalls-Gruppen auf Instagram.
?Zwischen meiner ersten Erfahrung mit Catcalling und der Gründung von @catcallsofnyc vergingen einige Jahre, in denen ich immer wütender wurde.
Ich war so genervt von diesen Bemerkungen. Es machte mich wütend, dass sie mich zum Schweigen brachten, und es machte mich wütend, dass Catcalls mir das Gefühl vermittelten, ich sei ein Objekt. Es machte mich wütend, dass ich mich jedes Mal wie gelähmt fühlte.
Die Belästigungen hörten einfach nicht auf. Catcalling war (und ist) ein fortwährendes alltägliches Problem - aber niemand redete darüber! Ich musste irgendwie einen Weg finden, etwas zu tun.
Mir geht es nicht darum, bestimmten Menschen die Schuld an Catcalling zu geben. Ich hatte zwar zuerst die Idee, Fotos von Catcallenden zu machen und sie öffentlich bloßzustellen. Aber dann wurde mir klar, dass es zu kurz greifen würde, das Verhalten Einzelner anzuprangern, da Catcalling ein gesellschaftliches Problem ist.
Um dieses Problem anzugehen, müssen wir darüber sprechen: über die Erlebnisse von Betroffenen, über dieses Verhalten, und zuallererst darüber, dass es Catcalling gibt. Dazu möchte ich mit @catcallsofnyc aufklären und eine Diskussion anstoßen.?
Catcalls of NYC ist ein Instagram Account, der Aufmerksamkeit auf Belästigung im öffentlichen Raum lenkt. Dafür sammelt Sophie Catcalls, die ihre Follower:innen erlebt haben. Diese Vorfälle schreibt sie dann genau dort, wo sie sich ereignet haben, in großen Kreidebuchstaben auf die Straße, sodass jede:r, der:die dort vorbeigeht, sie sehen kann - zumindest bis zum nächsten Regenguss.
Außerdem macht sie Fotos von den angekreideten Catcalls und teilt sie auf Instagram, zusammen mit den Geschichten, die dahinterstecken. So hält sie fest, was alltäglich auf den Straßen New Yorks gesagt und getan wird. Sophies Ziel ist es zu zeigen, was genau Catcalling ist, wie vielen Menschen es passiert und wie problematisch es ist.
Mit @catcallsofnyc möchte ich Betroffenen die Möglichkeit und den Raum geben, ihre Erlebnisse mit anderen zu teilen und sich so nicht länger allein fühlen zu müssen. Der Instagram Account ist für mich eine Community, in der Erfahrungen geteilt und gelesen werden können. Hier kann genau der Austausch stattfinden, den ich damals gebraucht hätte.?
Sophie möchte, dass die Betroffenen sich nicht fragen müssen, was sie falsch machen, sondern durch den Austausch mit anderen erkennen können, dass sie nicht daran schuld sind, wenn sie in der Öffentlichkeit - oder irgendwo anders - Belästigung erleben. Denn das Problem ist das Verhalten der Menschen, die catcallen.
Ankreiden ist übrigens kein neues Phänomen: Schon im frühen 20. Jahrhundert haben Frauenrechtskämpfer:innen Kreide-Graffiti genutzt, um das Wahlrecht zu erlangen.
Aber Catcalling ist nicht nur in New York ein Problem, sondern weltweit: Auf 6 Kontinenten, in 51 Ländern und an rund 300 Orten kämpfen junge Menschen für einen gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Raum (Stand Dezember 2021). Mit dabei sind zum Beispiel Catcalls of London, Catcalls of Cairo und Catcalls of Delhi, aber auch Universitäts- und Schulgelände wie Catcalls of Sussex Uni oder Catcalls of Fort Hamilton High School.
Seit Februar 2019 gibt es die Bewegung mit Catcalls of Berlin und Catcalls of Bremen auch hier - und mittlerweile hat Deutschland mit 121 Orten die meisten Accounts weltweit. Alle Accounts stehen im ständigen Austausch miteinander über nationale und internationale WhatsApp-Gruppen und Zoom-Gespräche. Aus Catcalls of NYC ist so die intersektional-feministisch arbeitende Chalk-Back-Bewegung erwachsen, die seit 2020 auch eine internationale Non-Profit-Organisation mit Sitz in New York ist. Chalk Back Deutschland ist eine offizielle Untergruppe von Chalk Back Inc. und seit 2022 auch ein eingetragener Verein.
Im Glossar findest du Definitionen von Begriffen, die du vielleicht noch nicht kennst.
»Chalk Back« ist ein Wortspiel mit dem englischen Ausdruck »talk back«, nämlich Widerworte geben. »Chalk« bezeichnet dabei die Art und Weise, wie diese Widerworte gegeben werden - in Kreidebuchstaben!
Unter diesem QR Code findest du die Instagram-Namen aller Accounts und Karten dazu, wo es sie überall gibt (Stand Dezember 2021).
Sophies Beispiel zeigt: Wir jungen Menschen haben die Macht, gesellschaftliche Probleme anzugehen, die uns in unserem Alltag begegnen. Wenn du auf der Straße belästigt wirst, musst du dich nicht länger hilflos oder allein fühlen. Du kannst den Catcall einsenden und von deiner Erfahrung berichten. Du kannst Teil einer internationalen Bewegung werden, die aktiv gegen sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum kämpft. In diesem Buch kannst du die Erfahrungen, Gedanken, Ratschläge und Mut machenden Worte von anderen...
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