1 Thanatologie
G. Zimmer
1.1 Begriffsdefinition Tod
1.1.1 Grundbegriffe um Sterben und Tod
Definition:
Die Thanatologie ist die Wissenschaft, die sich mit den Ursachen und Umständen des Todes beschäftigt.
Definition:
Sterben ist ein Vorgang, der durch den progressiven Ausfall der Vitalfunktionen gekennzeichnet ist und bis zum Erreichen des Individualtods fortschreitet. Tod ist ein Status.
1.1.2 Todeszeichen
Todeszeichen
Synonym: Signum mortis
Todeszeichen sind optisch sichtbare Zeichen, die der ? Feststellung des Todes dienen.
Für die zuverlässige Feststellung des Todes muss mindestens 1 sicheres Todeszeichen vorhanden sein.
Merke:
Sichere Todeszeichen sind:
Daneben gibt es mehrere Zeichen, die nicht mit voller Sicherheit für einen Tod sprechen und deshalb auch auf einen ? Scheintod zutreffen könnten. Unsichere Todeszeichen dürfen deshalb nie alleinige Grundlage für eine Todesfeststellung sein.
Unsichere Todeszeichen sind (Merkwort ABRAHAM):
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Abkühlung und Blässe der Haut
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Bewusstlosigkeit
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Reflexlosigkeit (Areflexie)
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Atemstillstand
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Herz-Kreislauf-Stillstand, fehlender Puls
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Augenreaktion fehlt; weite, lichtstarre Pupillen, Hornhauttrübung
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Muskelatonie.
1.1.3 Chronologie des Todes
Der zeitliche Ablauf gliedert sich in die beiden großen Phasen Agonie (Sterben) und intermediäres Leben. Die Dauer der Phasen ist stark variabel und abhängig von der Todesursache und anderen Umständen. Außerdem sind für den Status Tod unterschiedliche Formen definiert: Scheintod, Hirntod, Individualtod sowie klinischer, endgültiger und biologischer Tod.
Chronologie des Todes
Abb. 1.1 Vereinfachte Darstellung der Todesformen und -phasen. Die Zeitachse ist nicht absolut oder skaliert, da die Dauer der Phasen je nach Todesursache und Umständen variiert.
Mit dem Einsetzen unsicherer Todeszeichen, ausgelöst durch ein Trauma oder eine schwerwiegende Erkrankung, beginnt der Sterbevorgang mit der Absterbephase Agonie.
Klinischer Tod (Herz-Kreislauf-Stillstand): Er tritt ein, wenn der Körper nicht mehr durchblutet wird, sodass auch die Atmung zum Erliegen kommt. Jedoch sind hier zunächst nur unsichere Todeszeichen vorhanden. Der Zustand des klinischen Tods ist potenziell reversibel (kardiopulmonale Reanimation, CPR).
Irreversibler Hirnfunktionsausfall (IHA, früher: "Hirntod") bezeichnet den irreversiblen, kompletten Funktionsausfall des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Hierfür muss eine schwere primäre (z.B. Trauma, Blutung) oder sekundäre (z.B. infolge einer Hypoxie) Hirnschädigung vorliegen.
Individualtod: Der Tod des Individuums tritt gleichzeitig mit dem irreversiblen Aussetzen aller Hirnfunktionen ein. Er markiert den Übergang von der Agonie in das intermediäre Leben (Supravitalphase), die Phase, in der die einzelnen Zellen nacheinander absterben. Während des intermediären Lebens lassen sich postmortal bestimmte Reaktionen am Körper des Verstorbenen auslösen, die ? supravitalen Reaktionen.
Endgültiger Tod: Diagnose wird von einem Arzt gestellt ( ? Todesfeststellung), wenn wenigstens ein sicheres Todeszeichen vorhanden und eine Reanimation nicht mehr möglich ist.
Biologischer Tod: Mit dem Tod der letzten Körperzelle endet das intermediäre Leben und man spricht vom biologischen Tod.
1.1.4 Scheintod
Scheintod
Synonyme: Vita reducta, Vita minima
Der Scheintod beschreibt einen Zustand während der Agonie, in dem der Mensch leblos erscheint, welcher jedoch potenziell reversibel ist. Verschiedene Ursachen können hierbei die erkennbaren Vitalfunktionen so stark reduzieren, dass sie nicht mehr wahrnehmbar sind.
Mögliche Ursachen sind (A-E-I-O-U-Regel):
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Anämie, Alkohol, Anoxie (v.a. bei CO-Intoxikation)
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Epilepsie, Elektrizität inkl. Blitzschlag
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Injury/ Verletzung (Schädel-Hirn-Trauma, Schock)
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Opium (Betäubungsmittel, zentral wirkende Medikamente)
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Urämie, Unterkühlung und andere metabolische Komata.
Es liegen also unsichere, aber keine sicheren ? Todeszeichen vor. Deshalb besteht beim Verdacht auf Scheintod Reanimationspflicht.
1.1.5 Plötzliche und unerwartete Todesfälle
Definition:
Von einem unerwarteten Tod spricht man, wenn dieser innerhalb von 24 h nach Beginn einer Symptomatik eintritt.
Etwa 10-15% aller Todesfälle treten plötzlich und unerwartet auf. Das akute Geschehen ohne entsprechende Anamnese erfordert immer die Abgrenzung von gewaltsamen Todesfällen (Unfälle, Suizide, Tötungen).
Bei der Leichenschau können sich Hinweise auf die Todesursache auch aus der Auffindesituation ergeben. Eine sichere Klärung ist nur über eine Obduktion möglich.
1.2 Leichenveränderungen
Leichenveränderungen
Synonym: Leichenerscheinungen
Mit dem Eintreten des Individualtods verändert sich der Zustand des Leichnams graduell. Verursacht werden diese Leichenveränderungen durch verschiedene Einflüsse der Umgebung auf den Leichnam oder postmortal ablaufende Stoffwechselprozesse in noch nicht abgestorbenen Zellen .
Leichenveränderungen dienen der ? Feststellung des Todes, da sie sichere ? Todeszeichen sind. Je nachdem, wie stark sie ausgeprägt sind, lassen sich außerdem Rückschlüsse auf ? Todeszeitpunkt und ? Todesursache ziehen.
Vitale Zeichen:
Definition:
Reaktionen auf unterschiedliche Einflüsse, die zu Lebzeiten entstanden sein müssen, da sie durch eine nur zu Lebzeiten vorhandene Gewebereaktion bedingt sind.
Vitale Zeichen erlauben die Unterscheidung zwischen postmortalen Veränderungen und zu Lebzeiten gesetzten Schädigungen.
Tab. Beispiele für vitale Reaktionen
vitale Reaktion
beispielhafte Befunde bei Obduktion
Ausblutung
blasse Organe, schwache bis fehlende Leichenflecke; streifige subendokardiale Blutungen (Ätiologie unklar)
Schockzeichen
Schocklunge, Schockniere, Verbrauchskoagulopathie
...
CO-Hb-Werte > 10% (bis 15% bei starken Rauchern)
hellrote Totenflecke, hellrotes Blut, lachsrote Muskulatur