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Adalbert Klingler (1896-1974). Handpuppenspieler. Zürich. Alter Ego: Kasper. Sprache: Zürichdeutsch.
Es sind nüchterne Koordinaten eines Künstlerlebens, die in diesem Buch durch die persönlichen Erinnerungen von Regula Klingler-Spörri an ihren Grossvater und Taufpaten mit Leben gefüllt werden. Es sind aber auch die Lebensbeschreibungen des Puppenspielers Adalbert Klingler mit seiner Co-Identität Kasperli, Chaschper oder Chasperli, die eine lebenslange Symbiose zwischen Kasper und Künstler eindrucksvoll offenlegen. Gelegentlich verschwimmen die Grenzen. Who is who?
Aber nähern wir uns zuerst diesem Phänomen. Stichwort: Handpuppenspiel. Kaspertheater ist ein Theatergenre, das nach seiner Hauptfigur bezeichnet wird, und Kasper ist eine Handpuppe. Damit sind Protagonist und Spieltechnik definiert. Spielorte waren in der früheren Vergangenheit vorzugsweise Jahrmärkte.
Eine skizzierbare Entwicklungslinie beginnt vor ungefähr dreihundert Jahren im Schauspielertheater. Mit der Erfindung der Figur des «Hanswurst» gelang es dem Volksschauspieler Joseph Anton Stranitzky (1676-1726), zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Wien eine äusserst populär werdende Theaterfigur zu setzen.
Hanswurst war mit gelber Hose, roter Jacke und grünem Hut optisch sofort erkennbar und hatte die Eigenschaften schlagfertig (verbal und handgreiflich), obszön und höchst vital. Damit avancierte die Theaterfigur schnell zum Volkshelden und sein Darsteller zum Liebling der Erwachsenen. Stranitzkys Nachfolger übernahmen die Charakteristika der Figur und variierten den Namen, ohne die Substanz zu verändern. Hundert Jahre später begann mit Johann Joseph La Roche (1745-1806) der Rückzug der Kasperl-Larifari-Figur von der Schauspielbühne.
Mitte des 19. Jahrhunderts feierte Kasperl Larifari im Münchner Marionettentheater von Josef Leonhard Schmid (1822-1912) seine Auferstehung als Protagonist im Kindertheater. Kasper war also im Puppentheater angekommen. Zwar sah Kasperl Larifari aus wie sein menschliches Vorbild vor hundertfünfzig Jahren und war mit gelber Hose, roter Jacke und grünem Hut als Markenzeichen sofort erkennbar. Als Bartträger war Kasperl Larifari auch noch eindeutig als Mann wahrnehmbar. Lediglich die Grösse hatte sich verändert, denn aus dem lebensgrossen Schauspielermenschen ist eine zwanzig Zentimeter grosse Marionette geworden. Erst im 20. Jahrhundert kam es zur nächsten Mutation: Die Marionette als Spieltechnik wird ersetzt durch die Handpuppe.
Der wienerische Hanswurst
So lässt sich also die Metamorphose vom derben Schauspieler-Hanswurst als Jahrmarktsattraktion - männlich, obszön, vital - zum liebenswerten Kasper für Kinder - frech, forsch, aber brav - zusammenfassen. Immerhin hatten die Pädagogen im Laufe des 20. Jahrhunderts noch viel vor mit dem Kasper, Kasperl oder Kaspar. Von nun an sollte er in unterschiedlichen Funktionen auftauchen: als Erziehungsmittel, als Bildungsangebot oder mit dem Prädikat «künstlerisch wertvoll» versehen.
Der Schweizer Kasperli: Wo lässt er sich verorten? Unsere Zeitrechnung beginnt mit Adalbert Klingler. Aber was war davor und was kommt danach?
Kasperl Larifari
Bleiben wir im deutschsprachigen Raum. Österreich hat den Hanswurst zum Kasperl Larifari mutieren lassen und in Deutschland wurden die Jahrmärkte von Puppenspielerdynastien bespielt. Bühnen und Handpuppen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Erst mit Max Jacob (1888-1967) trat eine Puppenspielerpersönlichkeit in den Vordergrund, die mit den Hohnsteiner Puppenspielen auch zu einer international wahrgenommenen Grösse wurde.
Ursprünglich aus der Wandervogelbewegung hervorgegangen, vergrösserte sich das Ensemble zu einer «Kasperfamilie», bestehend aus einer arbeitsteilig agierenden Truppe. Die Jahrmärkte als Spielorte wurden verlassen und der Schwerpunkt verschob sich bald zugunsten pädagogisch wertvoller Spiele. Damit war das Kaspertheater der Hohnsteiner Puppenspiele eindeutig als Kindertheater gesetzt.
Hohnsteiner Kasper von Max Jacob
Max Jacob war nur acht Jahre älter als Adalbert Klingler und er ist die einzige überregional bekannte Künstlerpersönlichkeit der Zeit, deren künstlerisches Werk bis heute nachwirkt.
Aus diesem Umfeld heraus begann Adalbert Klingler zu arbeiten. Seine frühesten Begegnungen mit dem Kasper alias Giuppin italienischer Burattinai (Puppenspieler) gehen zurück auf das Jahr 1901.
Der fünfjährige Adalbert musste erfinderisch sein, um ins Hinterzimmer der Trattoria zu gelangen. Dort aber sah er eine andere Wirklichkeit, eine wunderbare Welt tat sich auf und begeisterte das Kind. Von nun an war es um ihn geschehen. War er nun verhext oder infiziert vom Puppenspielervirus? Aber vom Wunsch, Puppenspieler zu werden bis zu seiner Verwirklichung war es noch ein weiter Weg. Als Erstgeborener hatte sein Vater konkrete Vorstellungen vom Werdegang seines Sohns: Schneider sollte er werden! Die Schnittmenge zwischen Anzüge für Menschen nähen oder Puppen einkleiden war denkbar gering und so begann eine Odyssee zwischen Broterwerb und Lebenstraum.
1928 heirateten Hilde Endres und Adalbert Klingler, aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Irmgard, Adalbert junior, Werner und Lilo.
1933 begann die Arbeit von Adalbert Klinglers Künstler-Kasperli-Theater bei der Zürcher Gartenbau-Ausstellung Züga und ein erster Schritt in die erwünschte Richtung war gesetzt. Es folgten 1939 die Landi 39, die Schweizerische Landesausstellung in Zürich, und von 1939 bis 1945 ein Engagement im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung mit Soldatenbetreuung. Ab 1946 stellte sich der definitive berufliche Aufbruch in ein neues Zeitalter ein: der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888-1962) engagierte Adalbert Klinglers Künstler-Kasperli für den Park im Grüene in Rüschlikon jeweils für die gesamte Sommersaison. Adalbert Klingler war dort angekommen, wo er sich immer hingeträumt hatte. Aber ohne die tatkräftige Unterstützung seiner Frau und später auch seiner Tochter wäre der Erfolg ein Traum geblieben. An dieser Stelle setzt auch die Kindheitserinnerung von Regula Klingler-Spörri an, wenn sie sich an die Kasperlivorstellungen ihres Grossvaters erinnert, die sie backstage erlebte und die sie bis heute ganz persönlich berührend begleiten.
Lebens- und Arbeitsbegleiterinnen und -begleiter anderer Art waren für Adalbert Klingler auch Persönlichkeiten wie Traugott Vogel (1894-1975), ein guter Freund vergangener Tage, vertraut und doch per Sie distanziert geblieben. Auch Klara Fehrlin (1895-1985), Schweizer Malerin, Bildhauerin, Puppenschnitzerin und Marionettenspielerin in St. Gallen. Mit ihr verband ihn eine Freundschaft mit intensivem Briefwechsel. Oder Carl Fischer (1888-1987) mit seinem kunsthandwerklichen Umfeld. Sie begannen Puppenköpfe zu schnitzen und setzten Akzente im Bildnerischen . um nur einige wenige zu nennen.
Mit Adalbert Klingler wurde das Handpuppenspiel zum künstlerischen Kasperlitheater, das - wie seine Vorgänger - im Freien spielte, aber die Schwerpunkte anders setzte. Die Zielgruppe waren eindeutig Kinder; sie sollten eine gute Weltsicht erlernen können. Später bekam das Erzieherische deutlich mehr Gewicht durch die Arbeit an Schulen und durch die damals modern werdende Verkehrserziehung mit dem Kasper. Mit dem Eindringen der Pädagogik ins Puppentheater veränderte sich die Zielsetzung des Kindertheaters wieder einmal. Spiel durfte kein Selbstzweck sein und Freude verbreiten, sondern musste sich einer erzieherischen Funktionalität unterordnen. Aus kleinen Kindern gute Menschen machen war die Devise. In den 1950er-Jahren und später entstanden dann Verkehrserziehungsprojekte und Anleitungen zum Zähneputzen, die via Puppentheater und seinen Protagonisten vermittelt wurden. Aber glücklicherweise konnte sich das Kaspertheater auch aus dieser Fessel gut befreien, womit wir wieder bei der Frage wären: Was kommt nach Adalbert Klingler?
Gioppino/Giuppin mit den drei Kröpfen (diese Puppen tragen grosse Kröpfe, da sie in einer bergigen Umgebung «leben», in der es sehr an Jod mangelt)
Therese Keller (1923-1972 in Münsingen) ist sicher die Schlüsselfigur und Lichtgestalt des Schweizer Handpuppentheaters, auf die sich viele nachfolgende Puppenspielerinnen berufen. Therese Keller war Kindergärtnerin und Allrounderin. Sie entwickelte ihre Geschichten selbst, schuf ihre Figuren und Dekorationen und spielte in unterschiedlichen Schweizer Dialekten.
Margrit Gysin (* 1949 in Liestal) lernte bei Jacques Lecoq in Paris, im Kindergärtnerinnenseminar in Bern und später kam noch Heilpädagogik dazu. Mit dieser breit aufgestellten Ausbildung zwischen Kunst und Therapie bespielt die charismatische Figurenspielerin bis heute Figuren und...
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