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Niemals hätte ich mir das früher vorstellen können, aber jetzt weiß ich es. Das sind keine kitschigen, aber nie wahr werdenden Erzählungen aus Frauenromanen und ihren erst recht kitschigen Verfilmungen im deutschen Fernsehen, bei denen ich sofort wegschalten muss, weil dieses Gesülze hält ja kein Mensch aus. Jedenfalls kein Mann. Nein, das gibt es wirklich, dieses Ankommen, Sich-zu-Hause-Fühlen, diese beglückende Zweisamkeit, die Romantik, die Zärtlichkeit, dieses Einander-Wollen!
Ich erkenne mich kaum wieder! Dass ich einmal im Bett liegen und jemandem anderen am Kopfpolster nachspüren würde, noch einen Hauch vom Duft der anderen Person festhalten möchte, hätte ich nie im Leben von mir selber gedacht. Aber jetzt liege ich hier in den zernudelten Laken, auf denen wir die vergangenen Stunden verbracht haben, aneinandergekuschelt wie zwei schlafende Kätzchen.
Sonjas leicht vom Schweiß der Nacht verschwitzte Bettdecke habe ich an meinen Körper und zwischen meine Beine gepresst, meinen Kopf auf ihrem Polster, die Nase eingetaucht wie in ein Parfümflakon, damit ich noch die letzten Reste von ihr erschnüffeln kann von dort, wo eben noch ihr dichtes, lockiges Haar gelegen ist.
Der Spruch stimmt also doch, dass man Dinge loslassen, weglassen, aber vor allem zulassen muss. Zulassen, was für ein seltsam doppeldeutiger Begriff! Man kann das Herz zu lassen und damit nichts an sich heranlassen. Oder man kann etwas zulassen und damit das Herz öffnen, so wie mir das passiert ist. Diese deutsche Sprache mit ihren zehntausenden Wörtern hat schon seltsame Eigenheiten! Bei Zulassen ist mir das bisher nie aufgefallen, dass es das Öffnen und zugleich sein Gegenteil, das Verschließen bedeutet. Mein Lieblingsbeispiel für die Unlogik war ja immer "unwirsch", eine Verneinung von etwas, das es in seiner Bejahung im Sprachgebrauch überhaupt nicht gibt. Im Duden gibt es "wirsch" sehr wohl. Und es heißt absurderweise dasselbe wie unwirsch.
Sonja, was für ein schöner, warmer Name! Ich mag ihr Haar so sehr! Es ist immer gepflegt, ihre Locken glänzen wie poliert. Man will andauernd drüberfahren über diese kupferfarbene Mähne, sie in den Fingern halten, ihr Apfelshampoo riechen, sich in ihrem Haar verlieren wie überhaupt in der ganzen Frau. Wahrscheinlich gibt mir dieses Haar so sehr das Gefühl, als wäre ich endlich zu Hause, weil es mich in meine Kindheit zurückversetzt. Angeblich ist die ja prägend fürs ganze restliche Leben, besonders die Gerüche. Und der Geschmack von Essen. Und Musik natürlich auch.
Mit der Musik hatte ich Glück. Denn kaum war ich der Kindheit entwachsen, verdrängten die Beatles und die Stones dieses ländlich-liebliche österreichische Ziehharmonika- und Geigengesäusel und das Marschmusik-Umtata wenigstens aus dem damals sensationellen, neu gegründeten Radiosender Ö3. Das kann sich ja heute kein Mensch mehr vorstellen, was das für uns Junge bedeutet hat! Da hat sich ein Fenster zur Welt aufgetan in diesem muffigen Wien!
Für mich war Ö3 eine Erlösung, für die Mutter gar nicht. "Dreh die Negermusik leiser!", hat sie mit fader Regelmäßigkeit in Richtung meines Zimmers gekeppelt, weil sie den "langhaaraten Engländern" und all der anderen "Wumm-Wumm-Musik" absolut nichts abgewinnen konnte. "Nur Wumm-Wumm!", hat sie gesagt. "Und was soll das für ein Text sein, yeah, yeah, yellow submarine?", hat sie die Pilzköpfe nachgeäfft und deren Refrain kritisiert, als wären die Refrains der deutschen Schlager zwingend sinnstiftender. Uns Jungen haben die Engländer gefallen. Für mich waren sie überhaupt das erste Zeichen, dass der alte Nachkriegsmief aus dem faden Österreich langsam verschwinden und sich neue, freiere Lebensweisen bis zu uns nach Wien-Landstraße durchschlagen würden.
Die Mutter ist eben ganz anders aufgewachsen, in einem Österreich, das es ja gar nicht gab. In der Ostmark haben sie die Leute mit patriotischem Zeug betrommelt und wenn es hoch herging mit Walzerklängen. Die "Lili Marleen" mit ihrem für mich bis heute so berührenden "Vor der Laterne, vor dem großen Tor", das die schöne Marlene Dietrich berühmt gemacht hat, hat die Mutter erst nach dem Krieg so richtig kennengelernt, mehr oder weniger zeitgleich mit mir. Weil die Lili Marleen galt unter den Nazis eine Zeit lang sogar als "wehrzersetzend", das haben ja nur der Wehrmachtssender Belgrad und dann die alliierten Sender für die Soldaten gespielt, die voller Heimweh waren. Und solche Sender hat man bei meinen Großeltern nie gehört. Die waren zwar nicht gerade fanatische Nazis, aber Mitläufer waren sie schon, wie fast alle damals.
Von den Großeltern weiß ich so gut wie gar nichts. Der Opa war Uhrmacher. Der ist stets im Hinterzimmer von seinem kleinen Laden gesessen, mit einer Lupe aufs rechte Auge gepresst, und hat gekrümmt wie ein alter Ast Uhrwerke repariert. Geredet hat der nicht viel, schon gar nicht über die Politik oder die Kriegszeit. Die Oma war Hausfrau. Immer hatte sie so ein ärmelloses, geblümtes Hauskleid an. "Das schont das andere Gewand. Das bleibt dann länger gut", hat sie gesagt und die Achseln gezuckt über die bescheidenen Verhältnisse, in denen sie leben musste. Sie war aus Böhmen, aber deutschsprachig, keine Tschechin. Geredet hat sie ansonsten kaum je, nur gelächelt, jedenfalls mich angelächelt. Und sie hat sehr gute böhmische Süßspeisen fabriziert. Mohnnudeln hat sie am liebsten gemacht und manchmal auch Milchreis mit Zimt obendrauf.
Zimt hat weihnachtliche Stimmung erzeugt. Wenn ich mir heute vorstelle, wie ich mich als Kind über die drei, vier Mandarinen zum Nikolo gefreut habe, das versteht ein junger Mensch ja gar nicht mehr! Das ganze Jahr über gab es keine Mandarinen oder Orangen und auch an Zitronen kann ich mich nicht erinnern. Nur im Advent hat es für uns Zitrusfrüchte gegeben. Die Mutter hat mir zum Nikolo immer ein rotes Sackerl hergerichtet, da waren Mandarinen drinnen, Erdnüsse und ein Schoko-Nikolo. Für uns Kinder waren das damals ganz tolle Geschenke. Wenn man das heutzutage einem Kind erzählen würde, das täte einen anschauen, als spräche man vom ärmsten Dorf in Afrika.
Die Lieblingssendung von der Mutter im Radio war der Heinz Conrads. "Griaß eich die Madln, servas die Buam", ich hör's bis heute, wie er damals jeden Sonntagmorgen die Hörer begrüßt hat. Dann den Kranken Mut zugesprochen und dann ging es los mit den raunzigen Heurigenliedern und den anderen Wienerliedern, wo es dauernd ums Sterben geht. Irgendwann hat mir ein Sprachforscher, ein sehr fähiger Autodidakt, erzählt, dass es in Wien 50 Wörter und Umschreibungen für den Tod gibt, so viele wie in keiner anderen Sprache. Von "er hat die Patschen g'streckt" über "er schaut sich die Erdäpfel von unten an" bis zu meinem absoluten Favoriten "er hat den 71er g'nommen".
Als ich das neulich beim Kaffee den jüngeren Kollegen erzählt habe, haben die nur geschaut wie ein Autobus und nichts verstanden. "Na, was ist der 71er?", habe ich um Antwort heischend gefragt. Aber es kam nichts. "Eine Straßenbahn! Und wo führt die hin, diese Straßenbahn?" Große Augen haben's gemacht. "Na? Zum Zentralfriedhof fährt diese Straßenbahn!", habe ich selbst die Antwort gegeben, im Tonfall eines Lehrers für geistig Minderbemittelte. Komisch, was die Jungen alles nicht mehr wissen heutzutage. Jung und Alt verstehen einander nicht nur wegen des Altersunterschieds nicht, sondern auch wegen der schönen wienerischen Sprache, die ausstirbt, genauso wie die Wiener Kaffeehäuser, wo es eben nicht chillig, sondern gemütlich ist.
Beim Wort chillig gehe ich ja innerlich die Wände hoch. Was für ein dämliches Wort! Wie wohlig klingt doch faulenzen oder abschalten oder entspannen! Aber, um ehrlich zu sein, nicht alles ist so blödsinnig, was die Jungen mit der Sprache anstellen. Fernschimmeln, zum Beispiel, finde sogar ich witzig. Natürlich musste ich mir den Begriff erst erklären lassen von der Sally. Die mischt uns Alte ganz schön auf in der Zeitung mit ihren Ideen und ihrer Sicht auf die Welt und auch mit ihrem Neusprech. "Fernschimmeln, das ist, wenn du nicht in deinem üblichen Lokal abhängst, sondern anderswo", hat sie mir erklärt und sich wie immer ein bisserl mokiert über mich alten Knochen. "Und abhängen tut nicht nur das Rindfleisch beim Fleischhauer, gell, sondern auch der Mensch. Capito?"
Vom Heinz Conrads hat die Sally sicher noch nie gehört. Ich war ja noch ein Bub, als der berühmt wurde, und ich kann mich erinnern, dass ich bei einem seiner ständig gesungenen Lieder, dem "Schuster Pockerl", immer feuchte Augen gekriegt habe. Die Mutter auch. Der "Schuster Pockerl" war wohl das Symbol schlechthin für diejenigen, die die Politiker heute die "kleinen Leute" nennen. Arm und...
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