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Wer in den Fünfzigerjahren bei der Staatssicherheit inhaftiert ist, lernt den Terror der noch jungen Geheimpolizei kennen, die ganze Palette ihrer Brutalität.
Brutal ergeht es zum Beispiel dem Eisenberger Kreis in der gleichnamigen ostthüringischen Kleinstadt. Im Sommer 1953 wird er von Oberschülern gegründet: Zum einen sind sie empört, dass Mitglieder der Jungen Gemeinde verfolgt werden. Zum anderen stehen sie unter dem Eindruck des niedergeschlagenen Aufstands am 17. Juni 1953.
Der neuerliche Wahlschwindel der SED im Oktober 1954 veranlasst die Schülergruppe schließlich, den langen Diskussionen Taten folgen zu lassen. Sie stellt ein handgeschriebenes Plakat her. Darauf steht:
"Deutscher! Was hat die bisherige bolschewistische Herrschaft gebracht? Entziehung der freien Meinungs-Äußerung, der Versammlungs- und Pressefreiheit, des Streikrechts. Immer noch kriegsmäßiges Kartensystem, HO-Wucherpreise und rücksichtslose Ausbeutung. Willst du das alles noch länger mit ansehen? Deshalb stimme mit deinen verlässlichen Arbeitskameraden gegen die sog. Nationale Front!"
Im Schutze der Dunkelheit kleben die Schüler einige Exemplare dieses Aufrufs an Hausmauern der Stadt.
Einige Wochen später klettern sie nachts in das Heimatmuseum, um aus dem Ersten Weltkrieg stammende Waffen zu entwenden. Allerdings finden sie keine brauchbaren Stücke, lediglich zwei Vorderlader aus dem frühen 19. Jahrhundert lassen sie mitgehen. Zusätzlich gelangen sie in den Besitz einer alten Pistole aus dem Bestand eines der Väter, der als Förster tätig war. Sie wird gut versteckt und niemals verwendet. Diese Aktionen zeigen die fließende Grenze zwischen Abenteuerromantik und politischer Aktion.
Das Beispiel des Eisenberger Kreises macht Schule. Schon Jahre zuvor sammelt sich an der Leipziger Universität eine kleine Gruppe demokratisch gesinnter Studenten um Herbert Belter von der gesellschaftspolitischen Fakultät. Belter stößt sich an der geistigen Bevormundung und zunehmenden Ideologisierung im Universitätsalltag und hat bald etliche Anhänger. Die Gruppe erstellt und verteilt 1950 auf dem Gelände der Universität Flugblätter, die sich gegen die bevorstehenden ersten Wahlen zur Volkskammer der DDR am 15. Oktober 1950 richten. Diese aber sollen nicht, wie in der Verfassung von 1949 vorgeschrieben, "nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts" stattfinden, sondern als sogenannte Blockwahl mit einer Einheitsliste und zuvor festgelegter Sitzverteilung. Gegen diesen offensichtlichen Verfassungsbruch protestieren die Leipziger Studenten mit Flugblättern und systemkritischen Publikationen. Auch Flugblätter des RIAS werden verteilt und Informationen über die politischen Repressionen im sowjetisch beherrschten Teil Deutschlands wiederum an den RIAS geliefert. In den ersten Oktobertagen 1950 werden Herbert Belter und neun seiner Mitstreiter von der deutschen Volkspolizei verhaftet und dem sowjetischen Geheimdienst überstellt. Der Belter-Gruppe aus Leipzig wird im Januar 1951 der Prozess gemacht: Belter selbst wird zum Tod durch Erschießen verurteilt. Ihm soll vor allem zum Verhängnis geworden sein, dass er im Sommer 1950 den Journalisten Gerhard Löwenthal in West-Berlin besucht hat - einen der studentischen Mitgründer der Freien Universität Berlin. Löwenthal ist zugleich Redakteur der RIAS-Sendereihe "Studenten haben das Wort".
Im April 1951 wird das Urteil in Moskau vollstreckt. Die meisten anderen der Gruppe erhalten 25 Jahre Straflager.
Überall in der DDR regt sich jugendlicher Widerstand. So versucht eine Gruppe von Schülern der Karl-Marx-Oberschule im thüringischen Altenburg, in die Lügen des Rundfunks einzugreifen. Denn die kommunistischen Führer fordern nicht nur Gehorsam, sondern auch Jubelbekundungen der Massen und demonstrative Begeisterung für sich und ihre Maßnahmen: So feiert am 21. Dezember 1949 die "ganze fortschrittliche Menschheit" den 70. Geburtstag von Josef Wissarionowitsch Stalin, dem "Generalissimus", dem "größten Genius unserer Epoche", dem "Vater aller Werktätigen". Auch alle Werktätigen der DDR, alle Schüler und Studenten jubeln mit. Die Huldigungsrede des DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck in der Berliner Lindenoper wird auf allen Sendern des DDR-Rundfunks ausgestrahlt. Das will die Schülergruppe aus Altenburg nicht hinnehmen: Sie versucht mit einem selbstgebastelten Sender, der über ein paar Kilometer Reichweite verfügt, von einem Dachboden aus die Übertragung des Festaktes zu stören.
Die Sicherheitsorgane fahnden nach den Mitgliedern und Sympathisanten der Gruppe. Einige können in den Westen fliehen, die anderen werden im März 1950 gefasst und den sowjetischen Sicherheitsorganen ausgeliefert. Die Altenburger Widerstandsgruppe um den Neulehrer Wolfgang Ostermann hatte nicht nur die Rundfunkübertragung der Festveranstaltung zu Stalins 70. Geburtstag gestört, sondern auch Klebezettel mit einem aufgemalten "F", dem Anfangsbuchstaben von "Freiheit" verteilt. Sie hatte RIAS gehört und Kontakte zur "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" in West-Berlin aufgenommen.
Neunzehn Mitglieder der Altenburger Gruppe werden im Mai 1950 vom Sowjetischen Militärtribunal in Weimar verurteilt. Zwei Neulehrer, Wolfgang Ostermann und Siegfried Flack, sowie der Schüler Hans-Joachim Näther werden zum Tode durch Erschießen verurteilt. Dem Schüler Ludwig Hayne gelingt zunächst die Flucht nach West-Berlin. Er wird jedoch vom Staatssicherheitsdienst dort gekidnappt, in das Gefängnis der Volkspolizei am Alexanderplatz verbracht und von dort an den sowjetischen Geheimdienst ausgeliefert. Dort wird auch der Schüler zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wird im April 1951 in Moskau vollstreckt, da ist der Näther neunzehn Jahre alt.
Etliche mutige Studenten, die nicht auf der kommunistischen Linie liegen, aber das Vertrauen ihrer Kommilitonen genießen, werden in Moskau erschossen. So der liberale Leipziger Studentenratsvorsitzende Wolfgang Natonek und der Jura-Student Arno Esch, der aus dem Memelland stammt. Letzterer studiert an der Rostocker Universität Jura und Politik, wirkt asketisch und ist doch rhetorisch hochbegabt. Bald ist er sehr einflussreich in der Studentenschaft und rückt in den Zentralvorstand der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) auf. Im Nebenamt arbeitet er als Redakteur der parteieigenen Norddeutschen Zeitung.
Den angehenden Juristen bewegt die künftige staatsrechtliche Struktur Deutschlands. Wohl wissend, dass in den Länderverfassungen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von Gewaltenteilung keine Rede sein kann, hat Arno Esch die Absicht, über Fragen der Verfassungsgerichtsbarkeit zu promovieren. Hinter verschlossenen Türen erläutert er politischen Freunden sein Konzept einer "Radikal-Sozialen Freiheitspartei", die dann zur Wirkung kommen soll, wenn nach dem Abzug der Roten Armee auf dem Gebiet der SBZ eine freie Parteienbildung möglich sein wird. So die Pläne des Studenten Arno Esch.
Die SED-Landesjustizabteilung Mecklenburgs sieht in dem unerschrockenen und klugen cand. jur. Arno Esch "als Wissenschaftler und ebenso als Richter" jedoch eine Gefahr. Kurz nach Gründung der DDR wird Esch mit einem Dutzend weiterer Liberaldemokraten von Angehörigen der "K5", der politischen Abteilung der Kriminalpolizei in der SBZ, verhaftet und den sowjetischen Sicherheitsorganen übergeben. Fast alle werden in Moskau erschossen, auch Arno Esch. Die übrigen begnadigen die Sowjets zu 25 Jahren Lagerhaft.
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Nichts von der Brutalität in der Erwachsenenwelt bekommen wir kleineren Kinder mit. Seit Februar 1953 sind mein um ein Jahr älterer Bruder und ich in einem Kinderheim untergebracht, von dem wir nicht wissen, dass es unmittelbar an die Dresdner Staatssicherheit angeschlossen ist. Für ein ganzes Jahr. Vermutlich wollen die Genossen bei der jüngsten Generation ausprobieren, wie früh man mit Gehirnwäsche beginnen kann. Damit das bei uns klappt, gibt es im Erdgeschoss das Stalin-Gedächtnis-Zimmer, das eigentlich ein sehr großer Raum ist. An einer Wand hängt das Bild von Stalin, der gütig lächelt. Um ihn herum Kunstblumengestecke und Fahnen.
Nach dem Frühstück und vor dem Abendbrot marschiert jede der drei Gruppen ins Gedächtniszimmer, um "Väterchen Stalin", wie er heißt, unsere Selbstverpflichtungen vorzutragen, mit denen wir wiedergutmachen wollen, dass unsere Eltern für das Böse sind, also gegen Frieden und Sozialismus. Die Erzieherinnen, denen öfter die Hand ausrutscht, schreiben unsere Selbstverpflichtungen auf kleine Zettel, die sie mit Wäscheklammern auf Leinen in Stalins Nähe befestigen.
Die Geschichte dazu erfahre ich von meinen Eltern, als ich eine Jugendliche bin und sie sicher sein können, dass ich sie nicht in der Schule erzähle: Im Februar 1953, an einem Samstag, wollen sie zum Tanzen fahren. Sie gehen zur Straßenbahn und drängen sich, da die Bahn voll ist, aufs Trittbrett. Die Bahn fährt los, ein weiterer Mann kommt und wirft, um selbst einen Platz zu bekommen, meine Mutter runter. Sie fällt auf die Straße. Mein Vater, wütend, drückt dem Anderen die Faust ins Gesicht.
So weit, so schlecht. Doch die Geschichte nimmt eine politische Wendung: Da es sich bei dem "anderen" um einen Polizisten handelt, hat mein Vater die Staatsmacht angegriffen - dafür kommt er...
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