Schweitzer Fachinformationen
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Nora
Sie saß an dem alten Holztisch im Hof unter der grüngoldenen Krone der Buche, die nur einzelne Sonnenstrahlen durch das dichte Laub dringen ließ. Sie lehnte sich zurück, saß einfach da, die Hände entspannt auf den Oberschenkeln, ihr Kopf war angenehm leer. Die Wärme auf ihrer Haut, Sonnentupfer hinter den geschlossenen Lidern, die Stille um sie herum, der prickelnde Geschmack auf ihrer Zunge . Zufrieden. Wann hatte sie das zum letzten Mal gedacht? Ich bin zufrieden. Sie nahm noch einen Schluck aus dem Sektglas, strich dann über das unbehandelte Holz des Tisches. Warm und rau fühlte es sich an. Die Äpfel in einem Korb vor ihr besaßen ein fast unwirkliches, knackig frisches Grün. Die Stühle ringsum waren Flohmarktfundstücke, bunt zusammengewürfelt, kirschrot, himmelblau und flaschengrün lackiert. Eine Idylle wie ein Postkartenmotiv. Sie stand auf, überlegte kurz, ob sie die neue Kamera holen sollte, machte dann nur einen Schnappschuss mit ihrem Handy.
Johannes kam aus dem Schuppen, trug eine Feuerschale und einen runden Rost, Marlis folgte ihm mit einem dreibeinigen Gestänge.
»Was habt ihr denn da?«, fragte Nora.
»Einen alten Grill. Muss nur sauber gemacht werden«, meinte er.
»Ich zieh mich noch schnell um, bin gleich wieder da.« Marlis warf ihrem Mann eine Kusshand zu und ging vergnügt ins Haus. Johannes holte eine Stahlbürste und einen Handfeger und machte sich ans Werk. Nora sah ihm zu. Er war vollkommen in seine Aufgabe vertieft, schien in sich hineinzulächeln. Das Leben auf dem Land tat ihm gut. Die Arbeit mit den eigenen Händen. Er hatte Nora erzählt, dass er das in seinem Architekturbüro am meisten vermisste.
Schon bald verteilte sich der Geruch nach brennender Holzkohle im Hof. Marlis kam zurück, eine Kette mit bunten Papierlampions in der Hand.
»Schau mal, was ich besorgt habe! Wie früher beim Kindergeburtstag.« Sie trug nun ein karamellfarbenes Wickelkleid. Um die Schultern hatte sie ein dunkelbraunes Webtuch geschlungen, das zu ihren Haaren passte.
»Hey, du siehst toll aus«, sagte Nora.
Marlis legte die Hände auf die Hüften. »Findest du? Ich war etwas unsicher, als ich es gekauft habe.«
»Nein, steht dir richtig gut.«
»Danke!«
Draußen hupte ein Wagen. Nora blickte durch das offene Hoftor. »Da kommt Alex.«
Er stieg aus und winkte ihnen zu. Es würde ihr erstes Grillfest werden, seit sie gemeinsam auf den Hof gezogen waren. Der Umbau des baufälligen Gebäudes unter Johannes' Regie war abgeschlossen, die Wohnungen waren eingerichtet. Er hatte den klotzigen Zaun um den Vorgarten entfernt und zu Kaminholz verarbeitet, Marlis ihren Traum vom romantischen Cottage-Garten umgesetzt und Lavendel, Katzenminze und Rosen angepflanzt. Zusammen waren sie und Nora über die Trödelmärkte gezogen auf der Suche nach ein paar dekorativen Schmuckstücken. Das hölzerne Wagenrad. Eine Gießkanne mit Patina. Eine antike Zinkwanne, die Marlis bepflanzt hatte.
Alex öffnete den Kofferraum. »Gibt's hier einen starken Mann, der mir mal helfen kann?«, rief er.
»Warte!« Johannes ließ die Zeitung, mit der er Luft in die Glut gefächelt hatte, auf den Boden fallen und ging hinaus. Gemeinsam trugen sie einen sperrigen, offensichtlich schweren Karton in den Innenhof, setzten ihn vorsichtig ab.
»Was ist das, um Himmels willen?«, fragte Nora.
»Alexanders neuestes Geheimnis«, sagte Johannes.
»Ein Gasgrill.« Alexander strahlte. »Das Modernste, was du derzeit kriegen kannst.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und da wir ja öfter Leute einladen wollen, hab ich gleich das größere Modell genommen.«
»Du kommst leider zu spät, mein Lieber.« Johannes klopfte ihm auf den Rücken. »Riechst du nichts? Die Kohle glüht schon.«
Alexander blickte zu dem dreibeinigen Gestell. »Was ist das denn für ein vorsintflutliches Ungetüm?«
»Der lag doch hinten im Schuppen.«
»Egal, ich hab den Gasgrill extra besorgt, und nun will ich ihn auch ausprobieren.«
Auf Johannes' Stirn bildete sich eine senkrechte Falte.
»Wir könnten doch beide benutzen«, schlug Nora beschwichtigend vor.
»Genau.« Marlis nickte. »Fleisch und Würstchen haben wir genug.«
»Ich pack ihn mal aus. Du wirst vor Neid erblassen«, sagte Alex zu Johannes.
Der verzog den Mund. »Ach, darum geht's dir?«
»So ein Quatsch! Komm, du brauchst was zu trinken.« Alexander goss ihm und sich ein Glas Prosecco ein. Sie stießen an. Johannes' Stirnfalte glättete sich, doch Nora sah, wie er die freie Hand zur Faust ballte, sie dann in die Hosentasche steckte.
Alexander vertiefte sich in die Bedienungsanleitung. Er runzelte die Stirn. »Wie soll das bitte gehen? Wohin gehören denn diese langen Schrauben hier?«
Johannes blickte ihm über die Schulter. »Vielleicht zur Sicherung hier an den Seiten. Ja, ich wette, das passt.«
»Stimmt. Du bist der Beste.« Alex nahm noch einen Schluck, sah Johannes an. »Sei mir nicht mehr böse. Und mach endlich deinen rostigen Schwenkgrill aus. Der räuchert uns hier ein.«
»Sorry, das ist wahr.«
Alexander zwinkerte ihm zu. »Weißt du noch? Im Tiergarten, mit den Mädels aus dem dritten Semester? Wir waren pleite, ich hatte die Idee, statt Steaks Maiskolben und Paprikaschoten mitzunehmen. Aber für das Essen hat sich sowieso niemand interessiert.«
»Du meine Güte, ja!« Johannes' Lächeln wirkte bemüht.
Während er sich abwandte und die Holzkohlenglut löschte, verschwand Marlis im Haus. Sie brachte Teelichte in bunten Gläsern und Servietten mit, verteilte sie auf dem Tisch. Dann inspizierte sie den Blätterhimmel der Buche. »Ich dachte, wir hängen die Lampionkette hierhin, das sieht sicher romantisch aus, wenn es dunkel wird.«
»Mach dir nicht so viel Arbeit. Wir sind doch unter uns«, meinte Nora. Wenn Marlis sich endlich mal hinsetzen würde! Mit ihrem Aktionismus machte sie die ganze Stimmung kaputt.
»Ich möchte aber, dass alles perfekt ist. Und außerdem bekommen wir gleich noch Besuch.«
»Wie meinst du das?«
»Ich hab Diana Wolf eingeladen. Und unseren Nachbarn.«
»Warum denn das? Wir hatten doch .« Nora suchte nach den richtigen Worten. »Wir wollten zusammen feiern, dass endlich alles fertig ist, nach den Monaten mit den Handwerkern, mit Staub und Dreck und Lärm auf der Baustelle. Es sollte unser Einweihungsfest sein.«
»Das ist es doch auch«, sagte Marlis.
»Aber warum hast du Fremde dazu eingeladen?« Nora gelang es nicht, den vorwurfsvollen Ton aus ihrer Stimme zu verbannen.
»Was heißt denn Fremde? Das sind unsere Nachbarn. Es ist nur höflich, sie zum Einstand auf ein Glas hereinzubitten.«
»Entschuldige. Du hast ja recht.« Nora gab sich einen Ruck. »Es wird bestimmt nett.« Sie wusste selbst nicht, warum sie so empfindlich reagiert hatte. Was sprach dagegen, ein paar Leute kennenzulernen? Früher hätte sie sich darauf gefreut, wäre neugierig gewesen, was das für Menschen waren. Zugezogene? Großstädter wie sie selbst? Oder alteingesessene Dorfbewohner? Doch im Moment war ihr alles zu viel. Wenn etwas nicht nach Plan verlief, fühlte sie sich gestresst.
»Du meine Güte, Nora, mach nicht so ein Gesicht.« Marlis hängte die Lichterkette kreisförmig in die Äste. »Vielleicht will ich ja ein bisschen angeben mit dem Hof. Ist das so schlimm?« Sie lachte fröhlich.
Nora ging zu Alexander. »Hast du gewusst, dass Leute aus dem Dorf kommen?«, fragte sie leise.
»Ja, Marlis hat es vorhin erwähnt. Wer denn eigentlich?«
»Die Ärztin von gegenüber, Diana Wolf. Und der Bauer vom Nachbarhof.«
»Dieser düstere Typ? Wie hat Marlis denn das geschafft? Mich hat er bisher kaum gegrüßt.«
»Mich auch nicht.«
Alexander legte seinen Arm um Noras Hüfte und zog sie an sich. Er berührte mit den Lippen ihr Haar und flüsterte in ihr Ohr: »Marlis hat eben ihren ganz eigenen Charme.«
Nora lächelte, dann kicherten sie beide gleichzeitig los wie zwei Kinder, die sich verschworen hatten.
Marlis brachte das Fleisch und die Würstchen auf einem Tablett. Alexander platzierte sorgfältig die ersten Stücke auf dem Grill.
Auch nach siebzehn Jahren noch liebte Nora sein feingeschnittenes Gesicht mit den Lachfältchen um die Augen, das gelockte Haar, das früher dunkelbraun gewesen, doch inzwischen mit silbergrauen Fäden durchzogen war. Im Vergleich zu Johannes, der kräftiger gebaut war und um die Hüften angesetzt hatte, wirkte Alexander fast hager.
»Hallo zusammen!« Diana Wolf stand im Eingangstor. Sie war eine sportliche Mittfünfzigerin und trug das graue Haar modisch und kurz geschnitten. In der Hand hielt sie einen bunten Strauß Dahlien.
Marlis strahlte. »Kommen Sie rein, die ersten Steaks sind gleich fertig.« Die Ärztin drückte ihnen nacheinander fest die Hand und gab Marlis die Blumen. »Noch mal vielen Dank für die Einladung.«
»Danke, die sind aber schön«, sagte Marlis, obwohl sie Nora einmal erzählt hatte, dass sie Dahlien geschmacklos finde.
Marlis machte kehrt und kam mit einer Vase und einer bauchigen Glaskaraffe zurück. »Bowle mit den letzten Erdbeeren für dieses Jahr.«
»Wunderbar«, sagte Nora. »Was kann ich denn noch tun? Soll ich Gläser holen?«
»Lass mal, ich kümmere mich darum. Und du sollst dich ja auch schonen.«
Warum musste Marlis sie behandeln wie eine Kranke? Aber...
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