Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Magnus fuhr schneller als erlaubt, er konnte es kaum erwarten anzukommen. Aus den Autoboxen schallten Guns N'Roses. Er drehte die Lautstärke hoch und sang mit: »So never mind the darkness. We still can find a way.«
Die Allee nach Rodersdorf glänzte nass vom letzten Schauer, doch der Wind vertrieb die Wolken nach Osten, und der Himmel wölbte sich in blassem Blau. Kraniche formierten sich zu einer Pfeilspitze, majestätisch zogen sie davon.
Auf dem Beifahrersitz lag die Zeitungsannonce, die er heute Morgen aus den Kieler Nachrichten herausgerissen hatte. Klassischer 30 qm Schärenkreuzer, Rumpf massiv Mahagoni, Teakholzdeck . Er wusste bereits jetzt, dass er das Segelboot kaufen wollte. Es gab keinen schöneren Bootstyp auf dieser Welt und keinen, den er so genau kannte. Der Kaufpreis war lächerlich gering, das Schiff musste in einem üblen Zustand sein, aber das schreckte ihn nicht ab. Im Gegenteil. Es wäre eine Aufgabe, die ihn reizen würde. Endlich wieder mit seinen Händen arbeiten. Etwas herrichten und heil machen. Edles Mahagoniholz, in mindestens sieben Arbeitsgängen abwechselnd anschleifen und lackieren. Bis es so glatt und glänzend war, dass Licht und Wasser sich darin spiegelten.
Hinter einer Reihe windgebeugter Kopfweiden tauchte eine Wellblechhalle auf. Er ging vom Gas. War er hier richtig? Von Schwanbek nach Rodersdorf, dann in Richtung Weckendorf . irgendwo zwischen den beiden Ortschaften sollte die Adresse liegen, die ihm der Mann am Telefon genannt hatte. Mit einer merkwürdigen Stimme, krächzend und unfreundlich. Magnus hatte ein unangenehmes Gefühl gehabt, aber es gleich beiseitegedrängt. Ein Segelboot dieser Klasse wurde nicht alle Tage angeboten.
Er kannte jeden Busch in der Gegend, zumindest war er in diesem Glauben losgefahren. Jetzt musste er sich eingestehen, dass er nicht genau wusste, wo er sich gerade befand. Früher hatte es diese ganzen Kreisverkehre nicht gegeben. Vielleicht war er vorhin falsch abgebogen?
Es war alles zu lange her . Plötzlich kam er sich fremd und verloren vor.
Er drehte die Musik lauter und schaltete nun doch das Navi ein. Es zeigte an, dass er auf dem richtigen Weg war. Er nahm das als gutes Omen. Noch etwa drei Kilometer, zwei Minuten, dann war er am Ziel.
Ein weiteres einsam gelegenes Gehöft mit Wellblechhallen. Von der Landstraße bog ein holpriger Feldweg ab zu einer offenen Toreinfahrt. Magnus parkte den Wagen davor, stieg aus und betrat den Hof. Eine Scheune und ein Wirtschaftsgebäude lagen still da. Tiere schien es hier nicht zu geben. Er schritt auf das Wohnhaus zu, ein zweigeschossiges, graues Gebäude. Eine Fensterscheibe im ersten Stock war gesprungen, der Riss mit Klebeband abgedichtet worden. Durch Wasserschäden und abbröckelnden Putz wirkte die Fassade ärmlich. Auch die Haustür hatte schon bessere Zeiten gesehen, sie hing schief in den Angeln, stand einen Spalt offen. Magnus trat näher. Es gab weder Namensschild noch Klingel.
»Hallo?«, rief er. Nichts. Er versuchte es lauter: »Ist jemand zu Hause?« Keine Antwort. Er blickte hoch zu den Fenstern. »Hallo? Ich komme wegen der Annonce!«
Er lauschte, wartete. Aber das Haus wirkte so trostlos und verlassen auf ihn, die gesamte Umgebung war alles andere als vertrauenerweckend. Er hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt.
Er drückte die Wahlwiederholung auf seinem Handy. Nach wenigen Sekunden hörte er es im Haus leise und anhaltend klingeln. Die Adresse stimmte, aber hier war niemand. Dabei hatte dieser Typ ihm versichert, die nächsten Stunden zu Hause zu sein.
Er trat den Rückweg an und blieb unschlüssig neben seinem Wagen stehen. Auf keinen Fall würde er wieder wegfahren, ohne das Boot gesehen zu haben. Er würde einfach warten. Er hatte ja Zeit.
Er beobachtete den spärlich fließenden Verkehr auf der Landstraße. Nicht ein einziges Auto bog in den Feldweg ein. Er sah auf die Uhr, eine weitere Viertelstunde war vergangen. Die Besichtigung war geplatzt, so sehr er sich auch gegen diesen Gedanken wehrte.
Wo war das Boot wohl gelagert? Wenn es in einer Halle stand, hatte er keine Chance, einen Blick darauf zu werfen. Aber vielleicht hatte er Glück . Er lief außen an der Wellblechhalle entlang auf die Rückseite des Gehöftes. Hier gab es zwei weitere Scheunen, die durch eine betonierte Fläche verbunden waren. Und dort fand er es. Unter freiem Himmel auf einem Trailer, mit einer dreckigen und zerrissenen Plastikplane notdürftig abgedeckt. Er trat näher heran. Die Lackierung des Mahagonirumpfes war so verwittert, dass das dunkle Holz fast nicht mehr erkennbar war. Wie konnte man ein so wertvolles Boot derart verkommen lassen? Er betrachtete das Unterwasserschiff genauer. Zwischen Kiel und Rumpf hatte sich ein Spalt gebildet.
»Was machen Sie da?«
Magnus fuhr herum. Ein älterer Mann war wie aus dem Nichts aufgetaucht, er stand etwa zehn Meter entfernt und starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Er sah mager aus, sein Hals ragte aus dem speckigen Kragen einer Barbourjacke hervor wie ein knotiges Stück Holz.
Magnus machte einige Schritte auf ihn zu. »Moin. Ich hatte vorhin angerufen. Wegen des Bootes.«
Der Mann verharrte unbeweglich.
»Haben Sie es inseriert?«, hakte Magnus nach.
»Hab ich. Wollen Sie es?«
Magnus lächelte. »Na ja . Nicht so schnell. Ehrlich gesagt hatte ich mir den Zustand nicht so schlimm vorgestellt. Wie viele Jahre liegt das Schiff schon hier? Und was ist mit der Kielaufhängung? Ist die noch zu retten?«
Der Mann machte eine abwehrende Handbewegung. »Alles halb so wild.«
Magnus nahm nun eine Alkoholfahne und einen muffigen Geruch wahr. Er betrachtete die verschlissene Cordhose des Mannes.
»Haben Sie das Boot selbst gesegelt?«, fragte er, so freundlich er konnte.
Für einen Moment entspannten sich die Gesichtszüge des Alten. Eine schöne Erinnerung? Doch das Leuchten in seinen Augen verschwand sofort wieder. Er verzog den Mund zu einem angestrengten Lächeln, Magnus sah die bräunlichen Verfärbungen seiner Zähne. »Es segelt perfekt. Schnell, wendig, aber auch sehr stabil. Durch den Langkiel.« Er atmete schwer, als wäre er gerannt. Das Verkaufsgespräch strengte ihn offensichtlich an. Vielleicht war er es nicht mehr gewohnt, sich zu unterhalten?
»Ich kenne den Bootstyp gut.« Magnus blickte sich um und entdeckte eine hölzerne Leiter, die in der Nähe an einer Scheunenwand lehnte. Es waren zwar Sprossen herausgebrochen, aber das würde schon gehen. »Darf ich mir mal alles genauer ansehen?«
Der Mann verschränkte die Arme. »Muss das sein?«
Was dachte sich der Alte? Dass Magnus ein Boot kaufte, von dessen Gesamtzustand er sich kein detailliertes Bild machen durfte? Wenn es im Inneren des Schiffes so roch wie .
»Als meine Frau noch lebte, bin ich viel damit unterwegs gewesen.« Der Alte trat zu dem Rumpf und brach ein paar vertrocknete Seepocken ab.
»Das ist schön, dass Sie dieses wunderbare Hobby teilen konnten.«
Der Mann zog die Augenbrauen zusammen. »Teilen? Nein. Sie ist nicht mitgekommen. Sie hatte Angst.« Er räusperte sich und spuckte aus. »Aber ist schon komisch .«
Er steckte die Hände in die Jackentaschen und starrte auf einen Punkt in der Ferne. Magnus wurde langsam ungeduldig, doch dann sprach der Mann weiter. »Seit sie tot ist, habe ich keinen Spaß mehr dran.«
Dieses Segelboot und der Trailer waren ewig nicht bewegt worden. Der Tod seiner Frau musste lange zurückliegen.
Magnus war unschlüssig. Die ganze Situation gefiel ihm nicht. Der marode Hof. Dieser verwahrloste Mann. Und das Boot selbst. Er wusste nicht mal, ob es zu retten war. Und falls ja, würde da verdammt viel Arbeit drinstecken. Weitaus mehr, als er erwartet hatte. Konnte er das überhaupt schaffen, neben der Kanzlei, die er erst mal zum Laufen bringen musste?
Er holte sich die Leiter, ignorierte das finstere Gesicht des Alten. Als er nach oben stieg, hoffte er, dass die verrotteten Sprossen ihn tragen würden.
Der Alte beobachtete ihn. Ab und zu spuckte er zur Seite aus.
Magnus hob die Plane an, blickte in die Plicht. Die Sitzbänke waren aus Teakholz. Dreckstarrende Taue und Schoten lagen in einem wilden Durcheinander auf dem Boden. Die Ruderpinne war aus Mahagonisperrholz gebaut. Sie war länger als gewöhnlich bei diesem Bootstyp und in einem wunderschön gebogenen Schwung gefertigt. Magnus' Atem stockte. Er tauchte mit dem ganzen Oberkörper unter die Plane, damit der Alte nicht sah, wie ihn die Entdeckung aufwühlte.
Diese Ruderpinne war ein Meisterstück. Er konnte das beurteilen. Weil er sie selbst geschaffen hatte.
Das hier war der Schärenkreuzer, an dem er vor neunzehn Jahren als Lehrling mitgebaut hatte.
Was hätte er damals dafür getan, das Boot zu besitzen! Er war im zweiten Lehrjahr gewesen, mit einem bescheidenen Lohn. Wie sehr hatte er den Kunden beneidet, der es in Auftrag gegeben hatte, obwohl er ihn nicht leiden konnte: Berthold Lütjes, der Bademeister des Schwanbeker Hallenbades, der durch eine Erbschaft zu Geld gekommen war.
Magnus schob die Plane weg, drehte sich um und sah den Mann plötzlich mit neuen Augen. Es war kaum möglich . oder doch? Lütjes durfte nicht viel älter als Mitte sechzig sein. Dieses dürre Männchen hingegen wirkte greisenhaft. Auch die krächzende Stimme war ihm vollkommen fremd vorgekommen. Und hätte der Alte ihn nicht erkennen müssen? Als Jugendlicher war Magnus fast täglich im Bad gewesen. Lütjes hatte ihre ganze Clique gehasst. Sie hatten ihm das Leben auch weiß Gott schwer gemacht, seine Regeln ignoriert, waren immer zu laut gewesen, unerlaubt vom Beckenrand gesprungen, heimlich auf...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.