Schweitzer Fachinformationen
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»Komm, Bobo, stoßen wir an«
Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps. Er schüttete das rote süße Zeug in zwei kleine Plastikstamperl und reichte mir eines davon. »Komm, Bobo, stoßen wir an! Hoffentlich ist das nicht nur ein Traum«, sagte Bachler, und wäre der Corona-Irrsinn nicht gewesen, wir hätten uns vermutlich umarmt.
Ich erinnere mich, dass es saukalt war, dass mir trotz Schnaps vor Kälte alle Glieder zitterten und dass wir zum Stamperl zwei Packungen Mannerschnitten und eine Wurstsemmel verdrückt haben. So wie wir das oben am Berg gemacht haben, bei ihm zu Hause in der Steiermark, nach dem steilen und anstrengenden Aufstieg über die Lärchenwiesen hinauf zur Alm.
Bachler und ich standen jetzt aber auf keinem Gipfel, wir prosteten uns am Küniglberg zu, vor der Zentrale des Österreichischen Rundfunks, im noblen Wiener Bezirk Hietzing. Wir konnten es kaum fassen. 12.829 Menschen hatten 416.811 Euro und 25 Cent gespendet und Christian Bachlers Bergbauernhof gerettet. Und das innerhalb von etwas mehr als 48 Stunden.
Wir beide waren noch geschminkt im Gesicht, Bachler trug außerdem eine etwas gewagte Wollmütze mit der Aufschrift »Honk«. Die Talkmasterin Barbara Stöckl hatte uns bereits zum zweiten Mal in die nach ihr benannte Show geladen, ein bisschen hat sie uns wohl ins Herz geschlossen.
Dieses Mal trug Bachler aber nicht seinen steifen, schwarzen Trachtenanzug wie beim ersten Treffen, er war auch nicht mehr so frisch gekampelt und rasiert wie damals, sondern er hatte einen Kaputzenpullover mit der Aufschrift »Ackerdemiker mit Niveau« an. Unrasiert war er und so, wie er eigentlich immer schon sein wollte: frei.
Ursprünglich waren das die uns zugedachten Rollen: Bachler, der Wutbauer vom Land, und ich, der »Oberbobo« vom Falter, der feine Pinkel, der arrogante »Bourgeois Bohemian«, der von nichts eine Ahnung hat, schon gar nicht vom Leben auf dem Bergbauernhof, von seinem, Bachlers, Leben. Das wäre ihr wohl so recht gewesen.
Wir sind aber aus unseren Rollen ausgebrochen. Zwar kommen wir aus komplett verschiedenen Welten, aber aus solchen mit gleichen Werten. Zwei Typen, die sich im Internet via Facebook hätten bekriegen und mit Hass überschütten können, so wie es die Gesetzmäßigkeiten unserer gegenwärtigen gereizten Gesellschaft vorgeben. Wir hätten auch den digitalen Heugabelmob aufeinander loslassen können, unversöhnlich wären wir dann auseinandergegangen, hinter uns unsere Fans und Follower aus Stadt und Land. Wir hätten weitere Follower generiert und wären jeweils die Sieger in unserer Bubble gewesen.
Es kam aber ganz anders. Und deshalb froren wir uns in dieser eisigen Kälte die Finger ab, als wir beim Lärchenschnaps über unsere Displays scrollten. Bachler zeigte mir die Eingänge der Spenden auf seinem Paypal-Account, ungläubig immer wieder. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
Ich wiederum zeigte Bachler eine SMS von Andreas Gabalier, diesem steirischen Volks-Rock-'n'-Roller, der ausgerechnet mir dabei geholfen hatte, Bachler zu helfen. Gabalier, der mich vor Weihnachten 2019 in der Stadthalle vor seiner johlenden »Hulapalu«-Masse als Ochs beschimpft hatte, als dummes Rindvieh, das ihm noch in seiner Weihnachtskrippe fehle. Er tat das so, dass seine mit rot-weiß-rot karierten Hemden kostümierten Fans schon bedrohlich aufjaulten. Doch auch dieser Kulturkampf pausierte.
Weil ich nämlich für Menschen, die mich beschimpfen, öffentlich beschimpfen, ein gewisses Interesse aufbringe - und weil Gabalier 800.000 Facebook-Follower hat, fast so viel wie Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz -, habe ich ihn am Mobiltelefon angerufen, an diesem ersten Adventsonntagvormittag, mir war es wurscht.
»Hier spricht der Ochs«, stellte ich mich am Telefon vor, »wir brauchen Hilfe für einen jener Bauern, deren schöne Welt du gerne besingst.« Gabalier lachte, hörte zu und sagte, er werde ein Video aufnehmen. Er sei doch gar nicht so, wie »ihr Linke glaubt«. In Wahrheit vermutete ich das, denn er, der sehr früh seinen Vater und damit beinahe seine Existenz verloren hatte, war kein »Nazi«, wie der Spiegel einmal suggerierte. Sonst hätte er nicht der Flüchtlingsorganisation Hemayat gespendet. Er will halt das Olympiastadion füllen, und zwar viermal. Da braucht es für die Vermarktung eben ein bisschen reaktionären, antifeministischen Geist.
»Ich bin endlich freigeschlagen«, sagte Bachler also und kippte den scharfen Schnaps runter. Auch viele Leute aus seinem Dorf hätten ihm geholfen, erzählte er, obwohl ihn dort einige als Spinner sehen, mit seinen Yaks und Alpenschweinen, mit seinen verrückten Facebook-Videos. Aber viele meinen auch, man müsse sich mit diesem Sturschädel aus der Krakauhintermühlen wieder versöhnen. Und er möge jetzt auch einen Schritt hinunter ins Dorf tun und auf die anderen Bauern zugehen, denen er oft grob auf die Zehen gestiegen ist, nicht nur in seinen Facebook-Videos.
Mit so einem Facebook-Video hat auch unsere gemeinsame Geschichte begonnen, von der ich hier erzählen will, eine Geschichte, die mich verändert hat. Auf seiner Seite hatte er mich beschimpft und zum Gespött gemacht und das Ganze so verdammt gut inszeniert, dass es von einer Viertelmillion Leuten angeklickt wurde. Das war im Frühjahr 2019, das Video ging viral. Er stand da mit seiner Wollhaube und seinem Stallgewand im Verschlag seiner Mangalitza-Schweine, positionierte seine Handykamera und legte los gegen den »Oberfalter«, der von nichts eine Ahnung habe, schon gar nicht von der Almwirtschaft.
Fast eine Viertelstunde lang zog er über mich vom Leder, weil er sich über einen Auftritt von mir in einer Talkshow geärgert hatte. Dort hatte ich das sogenannte »Kuhurteil« gelobt, also die Verurteilung eines Bauern, der seine wildgewordenen Kühe nicht ordentlich beaufsichtigte. Einer Frau kostete das das Leben.
Weil aber Bachler in Wahrheit kein dumpfer Wutbauer ist, sondern ein gewitzter Kerl, hat er nach seinem Zornausbruch eine versöhnliche Geste gesetzt und mich zu einem Praktikum auf seinen Bergbauernhof eingeladen, damit ich endlich weiß, wovon ich da spreche. Mich, der ich ja »noch nie Existenzangst verspürt« hätte.
Ich gebe es zu: Das hat mich getroffen. Denn da hatte er recht. Ich komme aus einer anderen, aus einer wohlhabenden Welt. Ich komme aus der Stadt. Ich bin auf die Butterseite des Lebens gefallen. Bachlers Geist und sein Mut haben mich herausgefordert, und deshalb habe ich ihn sofort angerufen. »Gut«, hab ich gesagt, »dann komme ich zu Ihnen, Herr Bachler.« Seine Antwort: »Per Sie samma bei uns heroben nur mit die Oaschlecha.«
Drei Tage habe ich ihn dann auf der Alm begleitet und viel über Landwirtschaft, Fleischindustrie und Bauernbürokratie erfahren. Diese Zeit werde ich nie vergessen. Selten habe ich in so kurzer Zeit so viel gelernt, über die Agrarwirtschaft, den Klimawandel, aber auch über die gereizte digitale Gesellschaft. Und auch Bachler wird das Praktikum hoffentlich nicht vergessen. Denn aus seiner Wut ist Freundschaft geworden. Und unsere gemeinsame Freundschaft brachte Glück.
Auf der Alm mit Christian Bachler
Denn damals waren die Bank und ein paar Nachbarn bereits hinter seinem Hof und seinen Jagdgründen her. Bachler konnte seine Schulden nicht mehr bezahlen und steckte jahrelang den Kopf in den Sand. Und man kann sich vorstellen, wie das bei der bereits richterlich genehmigten Versteigerung im Gerichtssaal seiner Heimatgemeinde Murau ausgegangen wäre, hätten ihm nicht so viele Menschen geholfen. Bachler würde jetzt womöglich mit seinem übergewichtigen Cattle Dog Nessi in irgendeiner Murauer Notfallwohnung sitzen, seine Mutter, eine stolze Bäuerin, wäre ohne Ausgedinge. Seine Yaks, Schweine, Gänse, Truthähne, Hühner, Pferde und Kühe wären versteigert oder geschlachtet.
Das ist das Schicksal, das Tausende Bauernfamilien teilen, die von der industrialisierten Landwirtschaft überrollt werden, so wie einst die Handwerker am Beginn der Industrialisierung. Als Bachler gerettet war, haben sich Dutzende Bauern bei mir gemeldet und gefragt, ob ich auch ihnen helfen könne. Bauern, deren Almen zu Golfplätzen wurden, nachdem sie zwangsversteigert waren. Bauernkinder, deren Eltern sich erhängten und die vor Schulden standen.
Natürlich überforderte mich das. Ich kann die Welt nicht retten, schon gar nicht die Welt der Bauern. Ich kann keine Bewegung gründen, ich bin Journalist und kein Politiker oder Aktivist.
Aber ich kann aufschreiben, was mich angetrieben hat, einem Mann wie Bachler stundenlang ...
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