Schweitzer Fachinformationen
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Wien, Anfang August
Adrian weiß, wie man ein gutes Frühstück zubereitet, eines, das auch gegessen wird. Vorsichtig schließt er die Flügeltür zum Schlafzimmer. Körperliches Engagement kommt gut an: Orangen pressen, Saft kalt stellen, Obst und Gemüse schälen, schneiden und schön auf einem Teller anrichten. Schuhe anziehen und zum Bäcker gehen. Frauen mögen Dienstleistungen. Da manifestiert sich die Zuneigung, da wird sie greifbar.
Er überlegt, das Fahrrad zu nehmen, geht dann aber lieber zu Fuß. So oft ist er frühmorgens nicht unterwegs. Auf der Straße ist es noch ruhig. Die Luft vom Regen der Nacht nassfrisch. Endlich, nach diesen heißen Tagen. Keine Autos, die Fluchten der Straßenbahnschienen verlieren sich perspektivisch ungestört gegen Osten. Fast ärgerlich, dass er nicht nackt gehen kann an so einem Tag. Er fühlt sich wie auf einer leeren Bühne, die frisch aufgewischt ist, aber niemand sieht ihm zu, wie er sein Leben spielt. Heute spielt er das Stück: Der siegreiche Eroberer macht Frühstück. Denn heute hat er etwas zu feiern. Zu Hause schläft Katalyn in seinem Bett. Gestern Nacht hat er sie, nach so vielen Monaten, zu sich ins Bett geholt und endlich mit ihr geschlafen.
Adrian genießt die Stille, aber eigentlich sehnt er sich nach Städten, an denen es am Sonntag nicht ruhig sein muss. Städte, die nicht jedes Wochenende ins wohlverdiente Koma fallen, weil Gott, an den niemand mehr so richtig glaubt, an diesem einen Tag zu ruhen befiehlt. Wo Sonntagsmärkte aufgestellt werden und wo Schönwetter, Wochenende und Urlaub keine Lebensziele sind. Wo nicht immer der Sonntag angebetet wird, das Nicht-Arbeiten und der Sonnenschein. Irgendwie hat das Unglück der Österreicher mit dem Sonntag zu tun. Mit diesem Nine-to-five, Montag bis Freitag, und mit diesen gesetzlichen Feier- und Urlaubstagen. Von einem Feiertag wird zum nächsten gejammert, im Winter zum Frühling hingejammert, im Frühling wird der Sonnenschein herbeigesehnt, und wenn es mal im Mai heiß ist, jammern alle wegen des Klimawandels. Die Menschen vor den Fernsehern und Radios haben immer den Freitag im Blick, damit endlich Samstag und Sonntag folgen. So will er niemals werden. So wird er niemals werden. So kann er niemals werden, weil seine Arbeit keine Wochenenden und kein Schlechtwetter kennt, nur gute oder schlechte Auftragslage und Fristen. Er stellt sich beim Bäcker in die Reihe, vor ihm wird Dinkelkuchen gekauft, dann Vollkornwecken, hefefreies Brot. Er nimmt sich vor, niemals auf einen Nahrungsallergietrend aufzuspringen, wie um das zu besiegeln, kauft er zwei fettig glänzende Krapfen, Laugengebäck und drei Semmeln, alles aus Weißmehl. Und dann gibt er der Verkäuferin zwei Cent Trinkgeld, wobei er sich gleich blöd vorkommt.
Als er aus der Bäckerei tritt, scheint die Luft ein paar Grad heißer geworden zu sein. Morgen Früh muss er nach Vorarlberg. Er muss den ersten Zug nehmen, im Auto ist kein Platz für ihn. Dort sitzen schon die Tiertrainer und ihr kleiner dressierter Zoo in Transportboxen: ein Biber, eine Ratte, zwei Füchse, ein paar dressierte Krähen und Raubvögel. Oder sonst irgendetwas, damit sie auch gutes Material zusammenbringen, falls Flora und Fauna des »Naturjuwels Bodensee« sich rar machen. Naturfilmen ist die Königsdisziplin, nichts ist so anfällig für Totalversagen wie diese wilden Tiere, die sich nie ans Drehbuch halten. Deswegen muss der Regisseur immer eine Geschichte im Ärmel haben, die auch mit vierbeinigen Schauspielern, die mit Brekkies, Wurst und Hundefutter in Stellung gebracht werden, erzählt werden kann.
Und obwohl er das alles weiß und jetzt schon seit zwei Jahren dabei ist, deprimiert ihn immer mehr, wie viel Illusion erzeugt werden muss, um die Zuschauer für eine Naturdokumentation bei Laune zu halten. Vogelkinder mussten ihre Mütter verlieren, Löwenmütter ihren Kindern beim Gefressenwerden zusehen, die Elemente mussten rebellieren und der Lebenskampf toben. Erst wenn Natur mit Storytelling und Mitleidhaschen gespickt wird, ist sie so richtig essfertig für den Durchschnittstrottel vor dem Bildschirm.
Aber noch ist Sonntag und noch liegt Katalyn in seinem Bett. Adrian wird zuerst ein Frühstück für sie beide machen, und es wird sich lohnen. Katalyn ist keine, die anorektisch an einem bisschen Obst und Gemüse herumschnäbelt. So viel Erfahrung hat er mit Frauen: Salat und Obst gehen fast immer. Weißmehl und Zucker wird schon schwieriger. Und mit Frittiertem, allem voran frittiertem Schweinefleisch, kann man diese Frauengeneration garantiert verjagen. Ätherische Speisen, so nennt Adrian all die Salate und Smoothies, die er schon in Frauen verschwinden gesehen hat, und die er nie mit Sättigung in Verbindung bringen würde, es sei denn, man isst den ganzen Tag davon, wie ein Rind.
Katalyn mag am liebsten dick gebutterte Semmeln mit Auflage und Kakao. Sie mag Leberkäse, Käsekrainer, Pizza. Gegessen haben sie schon oft miteinander, meist nachts zwischen zwei Clubbesuchen. Aber Frühstück hatte er erst einmal für sie machen dürfen. Und auch nur, weil Katalyn plötzlich Fieber bekommen hatte. Sie waren unterwegs gewesen, erst in einem Club und dann an einem Würstelstand und dann in einer Bar, als sie plötzlich über Kopfschmerzen klagte. Er bot an, sie nach Hause zu begleiten, und auf dem Weg in den 17. Bezirk kamen sie durch den 15. und er hat sich ein Herz gefasst und vorgeschlagen, dass sie noch ein Bier bei ihm trinken könnten. War es nur Faulheit oder doch das Fieber, das sie mitkommen und sich in seinem Bett zusammenrollen ließ? Aber der Schlaf kam schnell und mit feinem Schnarchen, das ihn eigenartigerweise in den Schlaf wiegte und nicht störte, genauso wenig wie ihre ausladende Körperhaltung. Katalyn hatte sich nur die Jeans ausgezogen, sie lag auf dem Bauch, das linke Bein war gerade aus dem Bett herausgestanden, auf der Hinterseite der Oberschenkel ein paar vereinzelte, lange, krause Haare. In der Früh war sie wieder gesund gewesen und Adrian hatte Hoffnung geschöpft, eine Zuneigung hätte sich über Nacht aufgebaut. Aber sie räkelte sich nur wohlig, setzte sich mit nackten Beinen an den gemachten Tisch und verschlang eine Honigsemmel, eine Salamisemmel und ein weich gekochtes Ei, kommentarlos, als wäre Adrians Küchentisch ein Frühstücksbuffet. Und dann ging sie, ohne Danke zu sagen und ohne ihren Teller zum Waschbecken zu tragen. Nur einen trockenen Wangenkuss hatte sie ihm gegeben.
Diesmal würde er sie vielleicht überreden, noch den Vormittag, vielleicht auch den Nachmittag miteinander zu verbringen. Jetzt, nach dem wirklich passablen Sex, wie zumindest er fand. Mit den Rädern in die Lobau fahren, Nacktbaden und danach einen Steckerlfisch essen. Einen Sonntag, von dem er ein bisschen würde zehren können. Etwas, an dem er sich festhalten könnte, wenn er morgen im Zug saß und den Leuten beim Jausen zusehen und beim Telefonieren zuhören musste. Den Geschäftsmännern in ihren Anzügen vor ihren Laptops. Oder, schlimmer noch, den Pensionistenehepaaren.
Wenn Ehepaare miteinander altern, wachsen die Frauen über sich hinaus und über ihre Zuständigkeiten. Dann wachsen sie um die Männer herum und ersticken sie mit ihrer Fürsorglichkeit, damit sie im Alter noch jemanden haben, den sie dank günstiger Seniorentickets durch die Welt schleifen können. Frauen schicken ihre Männer zur Arbeit, zum Arzt, sie untersagen ihnen das Rauchen, sie ernähren sie mit Gemüse und Getreide und rationieren den Alkohol. Zur Belohnung für die Beschneidungen ihrer Bedürfnisse können jene Männer ein paar Jahre älter werden als die ohne Partnerin. Er sieht das bei seinen Eltern und bei den Eltern seiner Freunde und auch bei Fremden. Überall schwingt die Kontrolle der Ehefrauen mit. Diese paar Jahre zusätzliche Lebenserwartung bezahlen die Ehemänner mit Bemuttertwerden und Quasikastration. Sie müssen sich sagen lassen, wie und wo sie ihre Schuhe hinstellen, ihr Sakko aufhängen, wie oft sie Blutdruck messen müssen, und im Zug müssen sie sich Jausenbrote in Alufolie aushändigen lassen und halbe Äpfel, aus denen die Frauen vorsorglich das Kerngehäuse mit dem kleinen Taschenmesser, das sie ja immer dabeihaben, herausschneiden und mit einem Stück Küchenrolle auffangen. Nie im Leben möchte Adrian so enden wie diese pensionierten Ehepaare, nie möchte er solche kleinen Reisen machen, die immer mit einer Mahlzeit eröffnet werden. Nie möchte er alle paar Stunden essen müssen. Diese regelmäßigen Mahlzeiten sind der Anfang vom Ende. Bevor der Bauch leer wird und eine Hungerkatastrophe eintritt, bevor das Bausparkonto leer wird, immer muss oben nachgestopft werden. Das wird ihm alles nicht passieren, denn in seinem Leben ist das Essen Nebensache. Außer man holt Frühstück für Katalyn.
Das Ungute am Leben ist das Altern, denkt er, als er das Haustor aufsperrt, und das hat schon etwas mit den Frauen zu tun. Mit ihnen kommen die Kinder ins Spiel, und mit den Kindern kommt das ganze Uhrwerk ins Laufen, regelmäßiges Einkommen,...
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