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Freitag, 23. Oktober 2009, 0.23 Uhr
Ich war 16, als ich aus meinem Schlaf schreckte. Und im Bett hochfuhr.
Was .?
Erst begriff ich nicht, weshalb ich aufgewacht war. Hatte ich geträumt?
Einen kurzen Moment lang, vielleicht zwei, höchstens drei Sekunden, starrte ich ins Dunkel. Und lauschte der Stille.
Plötzlich ein Schrei. Gefolgt von einem heftigen Rumpeln.
Kein Albtraum! Der Lärm kam aus dem Erdgeschoss.
Jetzt war ich hellwach.
»Mama?«, rief ich.
Keine Antwort.
Stattdessen Gekreische. Ein Krachen. Ein Poltern. Und wieder ein Schrei, der eindeutig von meiner Mutter kam.
Mein Puls schoss in die Höhe. Ich schwang die Beine aus dem Bett. Wollte aufspringen und hinunterlaufen. Hielt dann aber doch inne. Und krallte mich stattdessen in die Bettdecke. Weil die Angst mich gepackt hatte.
»Raus hier!«, glaubte ich, meine Mutter zu hören. Und: »Verschwinde!«
Ein Klirren. Etwas ging offenbar zu Bruch.
»Mama?« Deutlich leiser als zuvor.
Ein letzter Schrei. Ein dumpfer Krach.
Stille.
Viel zu lange.
Dann hastige Schritte.
Und wieder Stille. Gespenstische Stille.
Sekunden verstrichen.
Jetzt war es kaum noch mehr als ein Flüstern, das mir über die Lippen kam: »Mama?«
Keine Antwort. Stattdessen dieses unheilgetränkte Nichts.
Vielleicht sollte ich ja .
Halt, da!
Waren das eben wieder Schritte?
Mein Herz pochte wild.
Erst jetzt kam mir mein Vater in den Sinn. Wie spät war es überhaupt? War er schon daheim?
Ich schaffte es endlich, mich aus meiner Schockstarre zu lösen. Biss die Zähne zusammen, als das Bett unter der Gewichtsverlagerung zu knarren begann. Tastete nach meinem Mobiltelefon auf dem Nachtkästchen und aktivierte das Display.
Grelle schrie mir entgegen.
Ich musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zu erkennen.
0.24 Uhr.
Gut möglich, dass er schon zurück war.
Ich zögerte. Traute mich nicht.
Dann viel zu leise: »Papa?«
Mir schwirrte der Kopf. Ich hatte mich in meine Unterlippe gebissen, nahm den Schmerz erst jetzt wahr, schmeckte Blut.
Was sollte ich bloß tun?
Es fiel mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Angst lähmte und verwirrte mich zugleich. Aber dann, auf einmal, begriff ich. Ja, natürlich! Ich musste meinen Vater anrufen! Ihm sagen, dass etwas nicht stimmte. Dass ich Angst hatte. Und er so schnell wie möglich nach Hause kommen musste. Weil da jemand in unserem Haus war. Und Mama nicht mehr antwortete.
Mit zitternden Fingern tippte ich auf meinem Telefon und wählte seine Nummer.
Die Zeit schien stehen geblieben.
Nichts passierte.
Dann doch: »Willkommen in der Sprachbox der Nummer .«
Bitte nicht!
Ich wollte es nicht wahrhaben. Legte auf. Versuchte es ein zweites Mal. Wieder sprang nur die Sprachbox an.
Mist!
Und jetzt?
Unbewusst hatte ich zu atmen aufgehört. In meinen Ohren rauschte das Blut wie ein reißender Strom. Und das Klappern meiner Zähne dröhnte durch meinen Schädel.
Ansonsten herrschte weiter Stille.
Ich legte das Telefon beiseite. Atmete tief durch, dann noch einmal. Zog die Nase hoch. Fasste Mut. Und erhob mich. Aber als der Holzboden unter meinem Gewicht aufknarzte, erstarrte ich sofort wieder. Und hielt abermals die Luft an.
In diesem Augenblick begriff ich nicht, wie absurd mein Gedanke war, dass das Aufknarzen des Bodens mich verraten haben konnte. Wenn jemand im Haus war, hatte er mich ohnehin schon rufen hören.
Komm schon, sei kein Feigling!
Ich nahm all meinen Mut zusammen. Hob das Bein an, setzte einen ersten kleinen Schritt, zögerlich, fast wie in Zeitlupe. Dann einen zweiten. Und noch einen. Aber die Zimmertür schien auf einmal viel weiter entfernt als sonst, fast schon unerreichbar, und der blöde Holzboden viel zu laut. Jedes Knarren glich einem Donnerschlag. Doch ich durfte nicht stehen bleiben! Tapste weiter, immer weiter.
Als ich die Tür endlich erreicht hatte, presste ich mein Ohr dagegen und horchte. Ich sehnte mich nach einem Anzeichen dafür, dass alles in Ordnung war. Dass Mama und Papa miteinander sprachen und lachten. Und die Welt noch heil war.
Doch da war nichts.
Ich war den Tränen nahe. Griff die Klinke mit beiden schweißnassen Händen. Umklammerte sie mit aller Kraft, wie einen rettenden Anker. Und spürte, wie die Verkrampfung plötzlich von meinen Händen aus auf meinen gesamten Körper ausstrahlte. In meinem Nacken zog es schmerzhaft. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als es zu ignorieren. Ich drückte die Klinke ganz sachte nach unten, Millimeter für Millimeter. Und zog die Tür vorsichtig auf.
Ich war auf einen Angriff gefasst. Erwartete, dass jeden Moment eine finstere Gestalt um die Ecke springen, die Tür noch weiter aufdrücken, mich zu Boden werfen und sich auf mich stürzen würde.
Aber nichts passierte.
Erst jetzt fiel mir Chris ein, und ich konnte nicht glauben, dass ich bisher nicht an ihn gedacht hatte. Mein Gott, ich war so blöd!
Ich blickte zurück zu meinem Bett, versuchte, mein Telefon dort oder auf dem Nachtkästchen auszumachen. Aber es war so finster, dass ich es nicht entdecken konnte.
Sollte ich zurückschleichen und ihn anrufen?
Ich zögerte, wusste nicht weiter. Und fürchtete, dass ich dadurch wertvolle Zeit verlor.
Später konnte ich nicht mehr sagen, was mich davon abgehalten hatte, Chris um Hilfe zu bitten. Jedenfalls entschied ich mich dagegen. Ich holte tief Luft. Ließ die Klinke los, um die ich mich immer noch verkrampft hatte. Streckte den Kopf durch den schmalen Spalt hinaus in den Flur.
Und lauschte.
Nichts zu hören.
»Mama?«, flüsterte ich, und von all der Stille umgeben, hörte es sich an, als brüllte ich regelrecht.
Keine Reaktion.
»Papa?«
Nichts.
Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief, und wischte sie mit dem Handrücken weg. Aus Reflex zog ich wieder die Nase hoch. Und erschrak darüber, wie laut es sich angehört hatte.
Ich horchte weiter starr, um Anzeichen dafür auszumachen, dass mich jemand gehört hatte. Oder die Treppe hochkam und sich mir näherte. Dabei löste sich eine weitere Träne aus einem meiner Lider, und noch eine. Und auch die Nase hörte nicht mehr auf zu laufen. Mehrmals wischte ich sie mir mit dem Unterarm trocken.
Mir war klar, dass ich etwas unternehmen musste, ich konnte ja nicht ewig im Türrahmen stehen bleiben. Also zog ich die Tür noch ein kleines Stück weiter auf. Und bemerkte dabei, dass es ungewöhnlich kühl im Flur war.
Ich machte einen behutsamen Schritt hinaus. Und verharrte auch dort einen Augenblick. Bis ich mich überwinden konnte und in Richtung Treppe schlich.
Der Teppich im Flur ließ mich nahezu geräuschlos vorwärtskommen. Aber trotz meiner Anspannung wusste ich: Die Stufen würden ein Problem werden, die knarrten bei jedem Schritt. Mama hatte sich oft darüber beschwert und Papa gefragt, ob es denn wirklich nichts gäbe, was man dagegen tun könnte. Es würde unmöglich sein, unbemerkt nach unten zu kommen.
Am Absatz wartete ich deshalb.
Und blickte hinunter.
Wie in einen bedrohlichen Schlund.
Ein Lichtschimmer fiel in den Eingangsbereich, vermutlich aus der Küche. Oder dem Wohnzimmer. Der Boden glitzerte nass, Schmutz klebte auf den weißen Fliesen. Und die Eingangstür stand sperrangelweit offen.
Die Kälte zog zu mir hoch, packte mich und ließ mich frösteln.
Ich hatte keine Ahnung, was hier los war. Aber mit jeder Sekunde, die verstrich, breitete sich die Angst davor, dass es etwas ganz, ganz Schlimmes war, weiter in mir aus. Mein Herz klopfte jetzt so heftig gegen meinen Brustkorb, dass es schon fast wehtat. Immer mehr Tränen liefen mir über die Wangen, sammelten sich am Kinn und tropften zu Boden. Ich zitterte am ganzen Körper, fühlte mich wackelig auf den Beinen. Konnte nicht einschätzen, ob sie mich bis ganz nach unten tragen würden. Und auch meine Zähne klapperten immer heftiger.
»Mama?«
Ich rief mehr, um mich abzulenken. Hatte die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen, längst aufgegeben. Doch plötzlich glaubte ich ein Wimmern zu hören.
Konnte das sein?
Ich horchte konzentriert. Versuchte, das rauschende Trommeln in meinen Ohren auszublenden. Aber ich war mir nicht sicher.
Etwas lauter: »Mama?«
Vergeblich.
»Bist du hier?«
Sollte ich vielleicht doch lieber Chris anrufen?
Auf einmal wieder dieses Wimmern. Ja, eindeutig!
Ich hielt mich am Geländer zu meiner Rechten fest. Nahm die erste Stufe, ohne dass ich dies so richtig wahrgenommen hatte. Das Knarren zerschnitt die Stille. Aber es war mir gleich. Ich musste runter. Musste wissen, was da los war. Und ob Mama vielleicht meine Hilfe brauchte.
»Bist du da?«
Die nächste Stufe.
Endlich eine Antwort, wie ein heftiger Stromschlag: »Komm nicht weiter, Jana!«
Die Stimme meines Vaters schien aus dem Wohnzimmer gekommen zu sein. Und löste so viel und gleichzeitig zutiefst Widersprüchliches in mir aus. Da war auf einmal diese unglaubliche Erleichterung. Darüber, dass er schon zu Hause war. Dass er mich beschützen konnte - vor wem oder...
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