Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Freitag, 5. Mai, 19:52 Uhr
Langsam, aber sicher bekam Svenja es mit der Angst zu tun. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Die feinen Härchen in ihrem Nacken regten sich. Ihr Puls zog an. Irgendetwas stimmte nicht. Auch wenn sie sich das Gegenteil einzureden versuchte.
Dabei war ihr völlig klar, wie lächerlich ihre Furcht war - einsetzende Dunkelheit hin oder her. Wie oft war sie diese Abkürzung in ihrem knapp 16-jährigen Leben schon gegangen? Hunderte Male sicher, fast täglich jedenfalls, zumindest in den letzten Jahren. Auch spät nachts und bloß mit ihrer Handy-Taschenlampe ausgestattet. Das hier war ihr Schulweg. Die schnellste Möglichkeit, um in die Stadt zu kommen. Oder so wie jetzt: wieder nach Hause. Wäre der Weg nicht sicher, hätten ihre Eltern ihr doch verboten, hier durchzulaufen. Außerdem waren es doch bloß an die 500 Meter diesen unbefestigten Forstweg entlang durch den Waldausläufer. Würde sie die Strecke durchlaufen, bräuchte sie keine drei Minuten dafür. Und dennoch kam sie ihr heute endlos vor.
Svenja hatte gerade die Stelle erreicht, an der man den weiteren Weg nur noch wenige Meter weit einsehen konnte, weil er leicht nach rechts abbog. Das hieß, sie hatte noch ziemlich genau die Hälfte vor sich. Dann würde sie endlich aus dem Wald raus sein. Sie würde dort den Weg verlassen und das angrenzende Weizenfeld den von ihr bereits abgetretenen Pfad entlang zur Rechten durchqueren. Und so auf dem schnellsten Weg zurück zur Straße gelangen. Von dort aus würde sie in weniger als fünf Minuten zu Hause sein. In Sicherheit.
Also komm schon, mach dich nicht verrückt! Alles ist gut!, versuchte sie, sich Mut zuzusprechen. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie sich selbst nicht glauben. Sie konnte nicht sagen, was es war, das sie störte. Doch sie fühlte es in ihrem tiefsten Inneren: Irgendetwas stimmte hier nicht.
Ihr wurde erst jetzt klar, dass sie stehen geblieben war. Sie kam sich deshalb blöd vor. Wollte weitergehen. Wäre am liebsten sogar losgelaufen - denn das war doch ihre größte Stärke: das Laufen. Sie hatte es erst letzte Woche in der Schule bewiesen, als sie den ersten Platz bei dem Wettbewerb im Rahmen des Frühlingsfests belegt hatte. Sie war mit Abstand die Schnellste gewesen. Nicht nur in ihrer Altersgruppe - nein, auch unter den älteren Mädchen hatte es niemanden gegeben, der an ihre Zeit herangekommen war. Sie würde auch jetzt jedem davonlaufen können, trotz ihrer weichen Knie. Sie musste sich bloß endlich in Bewegung setzen.
Doch sie wagte es nicht.
Stattdessen hielt sie jetzt auch noch den Atem an. Starrte ins Leere. Und lauschte ihrer Umgebung.
Da war ein leichter Wind, der durch die Äste und Zweige strich und die Tausenden und Abertausenden Blätter um sie herum sanft zum Rascheln brachte. Da war kaum wahrnehmbares Vogelgezwitscher und das leise Brummen eines Flugzeugs in weiter Ferne. Aber sonst nichts. Kein Tier, das durch das Unterholz brach. Kein Knarren von Ästen oder Baumstämmen. Und vor allem: auch kein Knirschen von Kies auf dem nicht einsehbaren Weg vor ihr.
Da hast du's! Hier ist niemand, du bist bloß paranoid!, sagte sie sich in Gedanken und holte Luft.
Aber ihre Zweifel wollten einfach nicht verschwinden. Ganz im Gegenteil: Ihr Herz schlug immer schneller. Ihr wurde ganz heiß. Und das flaue Gefühl in ihrem Magen war auf dem besten Weg, zu einem Krampf zu werden.
Sie ließ ihren Blick durch die angrenzenden Baumreihen streifen. Erst durch die zu ihrer Rechten, dann auf der linken Seite. Doch das Licht war schon zu düster. Sie konnte kaum etwas erkennen. Also kniff sie die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sie suchte nach einem Schatten, der da nicht hingehörte. Nach einem Farbklecks. Einer Bewegung. Nach irgendetwas. Aber so hatte das keinen Sinn. Sie holte ihr Handy aus der Tasche, aktivierte die Taschenlampenapp und leuchtete damit ihre Umgebung aus. Doch auch jetzt konnte sie nichts Auffälliges entdecken. Und vor allem niemanden!
Natürlich! Wer sollte da auch sein, du Memme?
Jetzt mach schon, und geh endlich weiter!
Doch Svenja schaffte es nicht.
Warum konnte sie nicht akzeptieren, dass alles in Ordnung war? Und sie gerade dabei war, sich lächerlich zu machen?
Svenja wollte es nicht wahrhaben und sich ihre Angst nicht eingestehen. Doch insgeheim glaubte sie, die Antwort darauf zu kennen. Der Spanner, der seit einigen Tagen das große Gesprächsthema in der Schule war. Er machte ihr offenbar mehr zu schaffen, als ihr lieb war.
Diese Maria aus der Achten hatte den Perversen am Badfenster entdeckt, als sie gerade unter der Dusche gewesen war. Angeblich hatte sie so laut geschrien, dass ihr Vater sofort ins Badezimmer und dann, als er erfuhr, was los war, gleich nach draußen vors Haus gestürmt war. Doch er hatte niemanden in der Dunkelheit hören oder sehen können. Der Spanner war längst über alle Berge verschwunden gewesen.
Svenja fröstelte es. Nicht auszudenken, wenn ihr so etwas passieren würde. Sie bekäme wohl den Schock ihres Lebens.
Andererseits: Was hatte sie schon mit dieser Maria gemein? Die war bildhübsch, selbstbewusst und bei allen beliebt. Außerdem zwei Jahre älter und somit viel reifer als sie. Sie hatte große Brüste, wahrscheinlich die größten an der ganzen Schule, und auch sonst einen super Körper. Sie trug ständig neue teure Klamotten und kleidete sich sexy. Die Jungs scharten sich um sie. Nicht erst einmal hatte Svenja sie vor oder nach der Schule mit einem von ihnen herumknutschen gesehen. Laufend hatte sie einen neuen Freund.
Svenja hingegen hatte noch nie einen Jungen geküsst - so sehr sie sich das auch wünschte. Sie war eine ausgezeichnete Läuferin und Sportlerin, ja. Außerdem hatte sie stets die besten Noten - kaum einmal, dass sie nicht eine Eins schrieb. Aber sie war immer schon eine Außenseiterin gewesen. Freunde hatte sie kaum. Teure Kleider besaß sie nicht. Ihr Vater würde ihr ohnehin niemals erlauben, sich so sexy wie Maria zu kleiden. Und selbst wenn: Sie hatte keine Brüste, die sie hätte betonen können. Als »Bienenstiche« hatten die Jungs und sogar einige der Mädchen in ihrer Klasse sie bezeichnet, als sie es mal gewagt hatte, ein enges Top anzuziehen. Und »Ameisenhügel«. Sogar Lena, ihre Cousine, hatte mitgemacht. Das hatte sie am schwersten getroffen. Damals wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. Das Top hatte sie gleich, als sie daheim gewesen war, in den Mülleimer geworfen.
Gemeinsamkeiten mit Maria hatte sie also kaum.
So schmerzhaft diese Tatsache für sie im Normalfall auch war, so beruhigend war sie in den letzten Tagen für sie gewesen. Dieser Stalker oder Spanner oder was auch immer er war, würde ganz bestimmt nichts von ihr wollen. Da gab es viele weit hübschere und beliebtere Mädchen in der Gegend.
So hatte Svenja bisher gedacht. Doch jetzt, alleine bei fortschreitender Dunkelheit in diesem Waldstück, fühlte sich die Gefahr auf einmal ganz real an. Sie war sich fast schon sicher, einen fremden Blick auf ihrer Haut zu spüren.
Oder konnte er sie noch gar nicht sehen? Sondern nur hören? Weil er nach der Biegung lauerte? Wusste er, dass sie hier vorbeikommen würde? Weil er sie schon längere Zeit beobachtet hatte und ihre Routinen kannte? Und wartete er in seinem Versteck darauf, sie endlich anspringen zu können?
Sollte sie also besser kehrtmachen? Aus dem Wald laufen? Und den Umweg in Kauf nehmen? Aber was, wenn er gar nicht vor ihr wartete? Was, wenn er ihr gefolgt war und irgendwo hinter ihr lauerte? Dann würde sie ihm doch direkt in die Arme laufen.
Drehte sie gerade durch?
Sie wusste nicht weiter. Wandte sich um. Blickte den scheinbar menschenleeren Weg zurück. Kaute an ihrer Unterlippe. Und versuchte mit aller Macht, ihre Angst als lächerlich abzutun. Dabei konnte sie fast schon fühlen, wie sie ihr in jeden einzelnen Knochen kroch und sich darin breitmachte.
Bienenstiche! Du hast Bienenstiche! Er interessiert sich nicht für dich!
Sekunden verstrichen.
Da kam ihr ein Gedanke. Vielleicht sollte sie ja .
Knack.
Hinter ihr.
Svenja schrie auf vor Schreck. Und wirbelte herum. Weil sie sich sicher war, dass da jemand hinter ihr stand. Sie riss die Arme zur Verteidigung hoch. Aber als sie die Drehung vollendet hatte, war da niemand. Ungläubig und mit erhobenen Armen hetzte ihr Blick hin und her. Sie versuchte herauszufinden, woher das Geräusch gekommen war. Doch auch im Wald war nichts zu entdecken.
Ihr Herz hämmerte jetzt hart gegen die Innenseite ihres Brustkorbs. Ihre Gedanken rasten.
Wie konnte das sein? War es etwa ein Tier gewesen, das auf einen Zweig auf dem Boden getreten war und ihn zum Brechen gebracht hatte? Wenn ja, wo war es so schnell und ohne ein weiteres Geräusch hin? Hatte es sie womöglich entdeckt und war jetzt vor Schreck erstarrt? So wie sie selbst gerade?
Nein, ihre Angst sagte Svenja, dass es kein Tier gewesen war.
Sie zögerte noch einen Augenblick lang.
Dann rief sie: »Hallo?« Zumindest wollte sie das. Tatsächlich aber hatte sie kaum mehr als ein ängstliches Flüstern über die Lippen gebracht.
Sie horchte konzentriert.
Doch nichts als Stille schrie ihr entgegen. Das Flugzeug war längst verschwunden und selbst die Blätter regten sich nicht mehr. Nur in ihrem Kopf trommelte es wild.
MAMA!, hätte sie am liebsten aus voller Kehle gerufen. MAMA, bitte hilf mir! Die Furcht machte sie wieder zu einem Kind. Sie sehnte sich in die Zeit zurück, in...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.