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»Weck mich auf« vom Hamburger Rapper Samy Deluxe, veröffentlicht am 10. September 2001, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Pop Deutschland erzählt und wie Musik sowie Zeitgeschichte ineinandergreifen. »Weck mich auf« zieht eine Bilanz, die auch heute noch relevant ist. Diese Aktualität bezieht sich nicht auf tagespolitische Ereignisse, sondern darauf, dass sich Geschichte wiederholt.
Die Frage, die der Song formuliert, lautet: Was bedeutet es für Jugendliche, in Deutschland zu leben? »Weck mich auf« ist ein zeitloser politischer Rap-Song, der in drei Strophen eine vernichtende Deutschlandkritik formuliert. Und darüber hinaus die Grundstruktur eines Generationenkonflikts beschreibt.
Samy Deluxe, 2001
Was erzählt der Song? Deutschland wird in allen drei Strophen durch eine assoziative Themenaufzählung als ein Albtraum beschrieben, der jeden Tag von Neuem in einer Sackgasse endet.
»Weck mich auf« schildert in der ersten Strophe, wie das Leben in Deutschland von Beschränkungen und durch Verbote bestimmt wird, die die Wege zueinander und die Brücken zwischen unterschiedlichen Positionen oder Menschen verdrängen beziehungsweise zum Einsturz bringen. Das Miteinander-Reden und das Aufeinander-Zugehen werden damit ebenso verunmöglicht, wie das Gehört-und-gesehen-Werden von Jugendlichen durch die Politik oder durch die älteren Generationen.
Dieses Nicht-gehört-und-gesehen-Werden durch die älteren Generationen ist ein Grundthema in Generationenkonflikten, von der jede Generation immer wieder von Neuem betroffen ist.
Die 2003 geborene deutsch-indonesische Autorin und Aktivistin Ananda Klaar hat zu diesem Thema 2022 ein Buch veröffentlicht: Nehmt uns endlich ernst! Ein Aufschrei gegen die Übermacht der Alten. Klaar fordert mehr politische Teilhabe für junge Menschen und weniger Politik von Alten für Alte, die die jungen Menschen übergeht, systematisch benachteiligt und sich den Folgen ihrer politischen Entscheidungen nicht mehr stellen muss, etwa mit Blick auf den Klimawandel.
Die Welt, die in »Weck mich auf« beschrieben wird, ist allerdings anders als die, die Ananda Klaar fordert: Die junge Generation wird als passiv beschrieben, steht der Politik gleichgültig gegenüber und engagiert sich nicht für eine bessere Zukunft. Durch Drogenkonsum entflieht sie dem Alltag, und als Psychopathologie des Alltagslebens entstehen Depressionen. Es handelt sich um einen klassischen Generationenkonflikt, der, etwa im Unterschied zu den 1968ern, nicht von den jüngeren Generationen selbstbestimmt verändert wird. Die Grundhaltungen sind passiv oder, wie in der dritten Strophe beschrieben, eskapistisch.
Als zweite Personengruppe, die in der ersten Strophe eingeführt wird, treten Menschen auf, die marginalisiert, aber auch rassistisch diskriminiert und verfolgt werden. Konkret werden »Türken« und »Afrikaner« genannt, die von rechtsradikalen »Skinheads« bedroht werden. Die Polizei ist, das legt die erste Strophe nahe, auf dem rechten Auge blind. Dieser Alltagsrassismus und der tief verwurzelte strukturelle Rassismus in Deutschland werden durch verschiedene Personengruppen lebendig gehalten: durch Rechtsextreme, Patriot:innen, Konservative und Angepasste, die Ja zum Eigenen und Nein zum Fremden sagen.
Es sind aber nicht nur rassistische und rechtsextreme Einstellungen und Handlungen, die kritisiert werden. Vielmehr hat Deutschland ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus, vor allem, weil diese nationalistische Vergangenheit immer wieder von Neuem zeitgeschichtliche Gegenwart wird. Die Deutschen, die in der ersten Strophe beschrieben werden, sind allesamt negativ gekennzeichnet: kalte Patriot:innen ohne Mitgefühl; Konformist:innen, die Angst vor Veränderung haben; »Hackfressen«, die das hässliche Deutschland verkörpern; und politische Eliten, die sich nur um die eigenen Vorteile kümmern. Die »Die da oben«-Perspektive trifft auf die »Wir hier unten«-Perspektive: Minderheiten regieren, und Mehrheiten werden abgehängt.
In der Hookline, das ist der musikalische, zumeist melodische und zugleich textliche Aufhänger bzw. das Wiedererkennungsmerkmal eines Songs, an dem die Hörer:innen hängen bleiben sollen, werden drei Reaktionen auf die beschriebene Situation genannt: erstens das Aufwachen aus dem Albtraum; zweitens ein unglaubhaft bzw. manipulativ gewordenes Freiheitsversprechen, ohne klar zu benennen, wer dieses Freiheitsversprechen gibt; und drittens, weil es im Song kein richtiges Leben im falschen, also im Albtraum Deutschland gibt, die Notwendigkeit von Selbstreflexion und selbstbestimmtem Handeln.
Insofern stellt der Song einen Weckruf dar, der zu den zuletzt genannten Themen aufrufen will, weil den meisten Menschen die Klarsicht und der Mut zum Handeln fehlt. In »Weck mich auf« werden keine konkreten Hinweise gegeben, wie gehandelt werden und wer konkret handeln soll. Die Hookline wird nach der zweiten und der dritten Strophe wiederholt.
In der zweiten Strophe wird die Schilderung der deutschen Zustände drastischer und dramatischer. Deutschland wird mit der Metapher »Babylon« beschrieben. In Hip-Hop- und Reggae-Texten ist Babylon häufig ein negatives Bild für die westliche Zivilisation und steht für die Anmaßung des Menschen gegen Gott. In der Bibel wird Babylon in der neutestamentlichen Offenbarung des Apostels Johannes (Offb. 17) als »die große Hure« bezeichnet, die die »Mutter aller Gräuel auf Erden« sei. Die Offenbarung des Johannes ist der Schlüsseltext der christlichen Apokalyptik und beschreibt die Vorstellungen vom Endkampf zwischen Gut und Böse, bevor das tausendjährige Reich Gottes und damit das Ende der Zeit anbricht.
In »Weck mich auf« wird die Metapher bzw. Textfigur »Babylon« gesellschaftskritisch, aber assoziativ verwendet, denn im Songtext gibt es keine weiteren christlichen Bezüge oder Perspektiven. Und es gibt auch keinen Kampf zwischen Gut und Böse, denn die beiden beschriebenen Welten, die der jungen Generation und die der älteren Generationen, leben aneinander vorbei. Insofern wird auch nicht konkret beschrieben, was nach dem Ende von »Babylon« geschieht, also nach dem Untergang von Deutschland in der gegenwärtigen Verfasstheit. Deutschland als »Babylon« wird ausschließlich von destruktiven Personengruppen regiert, die in der zweiten Strophe so personifiziert werden: Politiker:innen werden als Psychopath:innen bezeichnet, die intellektuell beschränkt seien und zudem auch noch »der dunklen Seite« dienten, womit Banken und Wirtschaftskonzerne gemeint sein könnten. Darüber hinaus sind die Politiker:innen abhängig von Berater:innen und nicht in der Lage, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Die Bürger:innen sind für die Politiker:innen nur als Steuerzahler:innen und Wähler:innen von Bedeutung. Deutschland wird von gefühlskalten und nicht empathischen Bürokrat:innen verwaltet. Die Polizei handelt sadistisch und rassistisch. Dementsprechend wird die Verbrechensbekämpfung in Deutschland rassifiziert.
Ein weiterer Kritikpunkt, der im Song »Weck mich auf« geäußert wird, ist, dass die Menschen von Medien manipuliert und nicht objektiv informiert werden. Großkonzerne produzieren gesundheitsgefährdende Nahrungsmittel, daher haben »bald alle BSE«. Nicht zuletzt fördert die Regierung nicht den Klimaschutz, sondern, im Gegenteil, die Zerstörung der Umwelt. Die Reaktion der Menschen in Deutschland bleibt, wie in der ersten Strophe, passiv und eskapistisch: feiern und Drogen nehmen anstatt politisch aktiv zu werden und selbstbestimmt zu leben.
Zudem herrscht die unvernünftige Haltung »Nach uns die Sintflut« vor, worauf die Hinweise auf einen Herzinfarkt oder das Weitermachen in einer Gesellschaft, die so nicht weitermachen sollte, verweisen. Das Handeln wider besseres Wissen wird zum Wesenszug der Deutschen.
Vor der Wiederholung der Hookline wird als Intention des Songs hervorgehoben: »Doch ich bin hier, um Alarm zu schlagen, wie'n Feuermelder«.
Die zuvor beschriebene Benennung von Schuldigen erzeugt eine Grauzone, denn die im Text geäußerte Kritik wird, abgesehen von der Kritik am Rassismus, in Deutschland in den letzten Jahren verstärkt auch von rechtskonservativen und rechtsextremen Gruppen und Parteien geäußert, ebenso oft von Verschwörungserzähler:innen und Reichsbürger:innen, die wiederum zumeist rechtskonservativ und rechtsextrem sind.
In der dritten Strophe verändert sich die Perspektive. Es soll eine Vermittlung zwischen der Politik, die durch »Gerhard Schröder« personifiziert wird, der von 1998 bis 2005 der siebte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war, und der jungen Generation stattfinden. Das Ergebnis soll eine politische Perspektivenveränderung sein. Die Kernfragen hierbei lauten: Wie kann die Perspektivlosigkeit der Jugend verändert werden? Welche neuen, zukunftsfähigen Perspektiven können entstehen?
In der Gegenwart des Songtextes verspielen und verfeiern die Jugendlichen aber weiter planlos, ideenlos und apathisch die eigene Lebenszeit. Die Hoffnung auf ein langes und glückliches Leben haben sie ebenso aufgegeben wie die Vorstellung, dass...
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