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Wir als Individuen sind ebenso von Trauma betroffen wie die Gesellschaft als Ganzes.
Normalerweise wird unter Trauma ein einziges schockartiges Erlebnis verstanden, wie zum Beispiel ein Autounfall oder die Nachricht, dass ein nahestehender Mensch gestorben ist. Das ist es, was sich die meisten Menschen unter Trauma vorstellen. Es beleuchtet jedoch nur einen speziellen Aspekt dieses Themenkomplexes: das Schocktrauma.
Das äußere Ereignis selbst ist aber gar nicht das Schocktrauma. Von Schocktrauma sprechen wir erst dann, wenn der Körper aus der Reaktion, die auf ein solch erschütterndes Ereignis natürlicherweise folgt, nicht mehr herauskommt. Also: Ein Schocktrauma ist nicht das Ereignis, sondern bestimmte körperliche und psychische Folgezustände, unter denen wir dann leiden.
Bei einem singulären schweren schockartigen Erlebnis wechselt der Körper völlig automatisch, ob wir das wollen oder nicht, in einen Zustand, in dem er maximal verteidigungsbereit ist. Dies bedeutet, dass alle verfügbare Energie für eine extreme Körperbelastung (Kampf oder Flucht) bereitgestellt wird. Das ist der natürliche Vorgang, der richtig und sinnvoll ist, denn ohne Energie hätten wir nicht die Kraft, unser Leben in lebensgefährlichen Situationen zu retten. Um diese Leistungsfähigkeit zu erzeugen, initiiert der Körper blitzartig tiefgreifende Änderungen bezüglich Reizverarbeitung im Gehirn, Ausschüttung von Hormonen, Muskeltonus, Durchblutung und vieles mehr. Der ganze Körper inklusive Gehirn wird in Sekundenbruchteilen umgestellt. Jeder kennt das aus eigener Erfahrung, wenn man sich zum Beispiel stark erschreckt. Das autonome Nervensystem reagiert und macht den Körper bereit für extrem schnelle Handlungen und einen Kampf auf Leben und Tod. Das alles passiert schlagartig in dem Moment, in dem der Schock erfolgt.
Die Kampf-/Flucht-Aktivierung ist nicht das Problem (und noch kein Trauma), sondern die gesunde Reaktion unseres Organismus.
Dieser ganze Komplex an unmittelbaren Reaktionen ist gut und richtig so. Er ist die natürliche Folge bei hochgradiger Gefahr: Wenn wir uns beispielsweise gegen ein wildes Tier wehren, dann muss der Körper in einen anderen Modus kommen, als wenn wir einfach so durch den Wald spazieren. Es gibt völlig andere biologische Anforderungen. Unser Organismus muss alle verfügbare Energie bereitstellen, um die Begegnung mit dem Raubtier zu überleben. Das ist ganz normale Biologie und hat noch nichts mit einem Schocktrauma zu tun.
Von Schocktrauma sprechen wir erst dann, wenn der Organismus nicht mehr aus dem hochgradig aktivierten Zustand herausfindet, nachdem die Gefahr längst vorüber ist. Wenn er also weiterhin die Umgebung als gefährlich oder lebensgefährlich einstuft, obwohl dies längst nicht mehr der Fall ist, weil das Ereignis lange vorüber ist. Der natürliche Weg ist: Wir haben ein schockartiges Erlebnis erfahren, der Körper fährt alle Systeme hoch und macht sich bereit für Kampf oder Flucht. Wir überleben das Ereignis, der Organismus realisiert nach einiger Zeit, dass die Gefahr vorbei ist und schaltet wieder in den Alltagsmodus zurück. Er lässt den Kampf-/Flucht-Modus (hochgradige Wachheit und Reaktionsbereitschaft) los und wir können entspannen (Regeneration, soziale Interaktion). In dieser ganz natürlichen Art und Weise gibt es kein Problem und es entsteht kein Schocktrauma.
Problematisch wird es erst, wenn die Kampf-/Flucht-Aktivierung bestehen bleibt und wir uns weiterhin höchst unsicher und gestresst fühlen. Unser Körper ist nicht für eine solch extreme Aktivierung über längere Zeit ausgelegt. Sie dient dazu, uns kurzzeitig aus lebensgefährlichen Situationen zu retten. Nach einem dramatischen Autounfall zum Beispiel kommen wir vielleicht nach einer Zeit in der Klinik wieder nach Hause, die physischen Wunden heilen - der Körper begreift aber möglicherweise nicht, dass wir jetzt tatsächlich wieder sicher sind. Der extrem hohe Stresspegel bleibt folglich über Tage, über Wochen oder gar Monate bestehen. Das ist so, als würden wir mit einem Ferrari ständig das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten und tage- oder wochenlang Vollgas fahren. Das System ist vollkommen überreizt und entwickelt irgendwann Symptome, weil unser Körper für eine derartige Dauerbelastung nicht gemacht ist. Vielleicht werden wir physisch krank, möglicherweise werden wir von Gefühlen und Bildern überflutet, erleben Panikattacken, brauchen Substanzen, um uns zu betäuben, oder entwickeln eine Depression.
Wir können die unterschiedlichsten Symptome ausbilden und erst jetzt spricht man von einem Schocktrauma. Der Körperzustand entspricht nicht mehr der realen Umgebung, die ja keine Bedrohung mehr darstellt. Ab diesem Punkt braucht unser Körper Hilfe. Wir können das Problem nicht durch einfache Dinge wie Ausruhen, Urlaub oder schöne Aktivitäten lösen, da der beschriebene Körperzustand auf einer Veränderung im autonomen Nervensystem basiert und dieses nicht unserem direkten Willen unterliegt. Es braucht stattdessen spezielles Wissen und eine darauf beruhende spezielle Vorgehensweise.
Die traumatische Zange
Es gibt ein Kriterium, das ein Trauma durch ein schweres schockartiges Ereignis sehr viel wahrscheinlicher macht. Es handelt sich dabei um das Zusammentreffen von Lebensgefahr und Ohnmacht gleichzeitig. Wir sind beispielsweise nach einem Autounfall im Fahrzeug eingeklemmt, es brennt und wir können nicht weg. Wir werden überfallen, bedroht und können nicht fliehen. In solchen Fällen spricht man von der traumatischen Zange: reale oder befürchtete Lebensgefahr und gleichzeitig das Erleben von Ohnmacht. Dies führt zu einer weiteren Stufe von Körperveränderungen. Während wir bis jetzt »nur« von der Aktivierung für Kampf oder Flucht gesprochen haben, kommt es nun zum Erstarren (Totstellreflex): Lebensgefahr, aber ich kann nichts tun. Der Körper versucht, sich taub und unsichtbar zu machen. Es kann ein Gefühl von geistiger Vernebelung dazukommen (Dissoziation). Aber auch hier: Dies ist die natürliche, biologisch sinnvolle Reaktion in derartigen Situationen. Erst wenn unser Körper nach dem Ereignis nicht mehr in seinen Normalzustand zurückfindet, sprechen wir von Schocktrauma.
Wie kommt es, dass wir nach einschneidenden Erlebnissen manchmal nicht mehr zurück in unseren gesunden Normalzustand finden? Es ist schließlich kein Automatismus - manche Menschen erleben etwas, was sie als traumatisch bezeichnen, können sich daraus aber wieder lösen.
Wenn wir ein Schockereignis erleben, auch mit der Erfahrung von Ohnmacht, findet der Körper oft von allein über sogenannte Release-Prozesse wieder heraus - er fängt, sobald er wieder in Sicherheit ist, nach einiger Zeit an zu zittern, es fließen Tränen, es kommt zu Wutausbrüchen und Ähnlichem. Man könnte sagen, dass der Organismus die überschüssige Energie, die für Kampf oder Flucht bereitgestellt wurde, nun nachträglich freisetzt. Dadurch wird das Ereignis für ihn biochemisch komplettiert und abgeschlossen. Es wird quasi nachträglich das simuliert, was der Körper mitten in der Situation nicht oder nicht vollständig machen konnte - kämpfen oder fliehen. Der Körper befreit sich damit von dem, was in der Ausnahmesituation an Anspannung aufgebaut wurde.
Auch wenn es in der Folge von Schocktrauma zu psychischen Symptomen kommen kann, liegt die zugrunde liegende Ursache ausschließlich in einem nicht mehr aufhörenden körperlichen Stresszustand!
Schocktrauma heißt, dass unser Körper nicht mehr aus seiner zunächst gesunden Körperreaktion auf eine subjektiv oder real gefährliche Situation herausfindet.
In unserer Gesellschaft werden die genannten Release-Mechanismen meist als befremdlich wahrgenommen. Sehr häufig wurden wir bereits in der Kindheit so konditioniert, dass wir solche Reaktionen unterdrücken, weil sie in unserem Umfeld nicht akzeptiert wurden.
Ob der Körper in einer traumatischen Reaktion hängen bleibt, hängt auch von den Ressourcen ab, die ein Mensch in seinem Leben entwickeln konnte. Je mehr Ressourcen, desto mehr Sicherheit und Stabilität im Leben hat ein Betroffener. Der Körper kann letztlich erst mit seinem Release-Prozess anfangen, wenn er genug Eindrücke von Sicherheit hat. Du kannst es dir damit gut verdeutlichen: Wenn du um dein Leben rennst, dann lässt du dich erst erschöpft fallen, wenn du das Gefühl hast, der Gefahr entkommen zu sein. Hier beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz: Da der Körper im Traumazustand festhängt, realisiert er genau das nicht, nämlich dass er inzwischen in Sicherheit ist, sondern glaubt weiterhin, in Gefahr zu sein, und hält die Aktivierung beziehungsweise Erstarrung aufrecht. Das ist der Grund, warum wir an diesem Punkt gezielt Hilfe benötigen, um diese Schleife zu durchbrechen.
Kommen wir aber zunächst noch einmal auf die bereits erwähnte traumatische Zange zurück: Dass unser Körper bei der Erfahrung von Lebensgefahr alle Reserven für Kampf oder Flucht mobilisiert, ist gesund und sinnvoll. Wenn nun die Situation länger andauert, ohne dass es eine Handlungsmöglichkeit gibt, dann weiß der Körper irgendwann nicht mehr, wohin mit der enormen Menge an aktivierter Energie. Der Sympathikus, der Teil unseres autonomen Nervensystems, der uns aktiviert, ist maximal hochgefahren. Wenn dies aber in der gegebenen Situation zu keiner Lösung führt, sprich wenn diese...
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