Schweitzer Fachinformationen
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Charlotte Arbro öffnete langsam die Augen. Sie wollte weiterschlafen, aber der Piepser in der Brusttasche des OP-Hemds gab auf- und abschwellende Kreischlaute von sich. Sie konnte nicht schon wieder arbeiten, es durfte nicht sein, sie wollte den Piepser ausschalten, Ruhe haben.
Nach einer Sekunde begriff sie, fuhr vom Sofa auf, ihre Schienbeine schlugen mit lautem Krachen an die Kante des niedrigen Tisches. Sie hatte im Sitzen vor dem laufenden Fernseher geschlafen. Keine halbe Stunde war vergangen, seit sie den letzten Patienten auf die Intensivstation gebracht hatte. Ein Verkehrsunfall. »Scheiße.« Ihre Zunge löste sich schwer vom trockenen Gaumen. Sie fuhr sich durch die roten Locken, die Kopfhaut juckte vom kalten Schweiß, der mit dem Aufwachen ausgebrochen war. Sie zog den Funker aus der Tasche. Ihr Finger verhakte sich im Kettchen mit dem Generalschlüssel, und sie fand den Knopf auf dem Gerät nicht sofort. Ein Druck, die Nummer wurde angezeigt.
Strauchelnd sprang sie auf, stieß ihre Schuhe von den Füßen, die weißen Holzpantinen krachten gegen die Wand. Sie rannte den Krankenhausgang hinunter. Mist, dachte sie, Notkaiserschnitt.
Die Neonröhren erhellten rhythmisch ihren Weg. Keuchender Atem, das Geräusch nackter Füße, der wahnsinnige Piepser. Notkaiserschnitt. Eine Mutter oder ein Kind starb.
Sie bog links ab, der rechte Fuß stieß sich an der Glastür ab wie in einer Steilkurve. Sie sprang die Treppe hinab. Jetzt nur nicht umknicken, dachte sie. Ein Absatz - noch einer - die Metalltür des Treppenhauses schlug scheppernd gegen die Wand. Ein weiterer langer, von Neonröhren beleuchteter Gang flog an ihr vorbei.
Sie hörte ihren keuchenden Atem, ein scharfes Putzmittel lag in der Luft, der Geschmack des Schlafes war noch auf der Zunge. Sieben, fünf, sieben, vier. Ihre Finger zitterten, während sie die Tasten antippte. Der Boden war kalt, sie spürte die Fugen der Kacheln unter den Sohlen. Ein Summer gab die Tür frei, sie flog auf, Charlotte stürzte hinein - ihr Zeh stieß gegen den Türrahmen -, ein dumpfes, hartes Geräusch, ein Knacken. Zischend saugte sie Luft ein. »Verdammt. Alles geht schief.«
»>Guten Morgen< heißt das«, sagte eine dicke Frau mit weißblond gebleichtem Lockenkopf.
»So ein Mist, verflucht . wo muss ich hin?«
»Kreißsaal Mitte, Frau Doktor. Man wartet schon auf Sie.«
Sie humpelte zur schweren Holztür des Kreißsaals. Ihr Zeh pochte vor Schmerz. Klappern von OP-Besteck erfüllte den Raum. Der Geruch von Blut lag in der Luft. Sie atmete noch schwer - das süßlich widerliche Aroma von Fruchtwasser stieg ihr in die Nase, sie verzog die Mundwinkel.
»Guten Morgen, ich heiße Arbro, ich bin die Narkoseärztin.« Sie wandte sich der Patientin zu, holte tief Luft. »Wir müssen eine Narkose machen, die Frauenärzte müssen Ihr Baby holen, haben Sie das verstanden?« Ihr Atem wollte sich nicht beruhigen. Sie spürte ihren Puls im Hals.
Die Frau stöhnte und nickte schwach.
»Guten Morgen, Charlotte. Alles fertig. Starten wir?«
Charlotte drehte sich um, schaute zum Anästhesiepfleger Knut Tarler auf. »Knut. Mann, gut, dass du da bist. Los geht's.«
Sie fuhr herum, ein Mann hatte sie an der Schulter berührt und sagte: »Was machen Sie mit meiner Frau?«
Sie sah in die panischen Augen im runden Gesicht des Mannes. Angehörige machen immer Probleme, dachte sie. »Das ist nichts für Sie, bitte gehen Sie jetzt hinaus. Ihr Kind muss geholt werden, Ihre Frau bekommt eine Narkose, ich passe gut auf sie auf, bitte gehen Sie jetzt.« Sie fasste seinen Oberarm und versuchte, ihn in Richtung Tür zu schieben.
Er wehrte sich gegen ihren Griff. »Nein. Ich bleibe hier, bei meiner Frau.«
»Lassen Sie den Unsinn, gehen Sie jetzt, wir haben keine Zeit für Diskussionen.«
»Nein, ich bleibe hier, fangen Sie an, ich bleibe hier.«
Knut ging an Charlotte vorbei und baute sich vor dem Mann auf. Sie konnte mit ihm streiten und Zeit verlieren, sie konnte Knut bitten, ihn hinauszuwerfen. »Ihre letzte Chance.« Sie nahm die Atemmaske. »Gehen Sie, es ist besser für Sie.«
Er schüttelte den Kopf, stand breitbeinig neben seiner Frau und hatte ihre Hand in seinen breiten Händen verborgen. Er konnte nicht helfen, störte nur, aber es war keine Zeit mehr, sich mit ihm zu beschäftigen.
»Frau Arbro, jetzt los. Die Frau hat eine Menge Blut verloren. Eine vorstehende Plazenta, wenn wir das Kind jetzt nicht rausholen, verblutet sie. Ich brauche eine Narkose. Jetzt.« Gerhard Dobrindt stand im Operationskittel und sterilen Handschuhen zwischen den erhobenen Beinen der Schwangeren und bewegte hektisch die Hände.
»Bin schon dabei. In zwei Minuten können Sie schneiden, Herr Dobrindt. Alles fertig?« Er antwortete nicht. »Knut, gib ihr Thiopental, Ketamin, beides volle Dosis.«
Der Mann stand in Knuts Weg. Knut war mehr als einen Kopf größer, es sah leicht aus, als er ihn mit einer Bewegung seines Armes zur Seite schob.
»Lass ihn, Knut, wir haben keine Zeit für ihn. Gut. Succinylcholin, 100 Milligramm.« Sie nahm die Atemmaske vom Gesicht der Frau, führte den Beatmungsschlauch in die Luftröhre ein. »Schnitt!«
Dobrindt setzte das Skalpell an, sah noch einmal unter sich auf den Boden. »Frau Arbro, sie verliert eine Menge Blut. Ich meine, wirklich verdammt viel.«
»Ich bin nicht blind. Ich kann keinen Druck mehr messen. Knut, hast du Ephedrin dabei?« Er nickte und zeigte auf die angesetzte Spritze. »Noch mal. Es reicht nicht. Haben wir Blut?«
»Nein, Charlotte.« Knut stöhnte, als er den Mann bei den Schultern nahm und einen Meter zur Seite trug. Seine Augen waren aufgerissen, sein Gesicht hatte die Farbe von verdünnter Milch angenommen. »Wir können es anfordern, dauert 15 Minuten, wenn wir Lebensgefahr ankreuzen.«
Ein Rumpeln ließ Charlotte sich umdrehen. Der Mann lag auf dem Rücken, sein rechter Arm klemmte verdreht unter ihm, das rechte Bein lag in einem schmerzhaften Winkel. Sie konnte sich jetzt nicht um ihn kümmern. Dummer Kerl, sie hatte ihn gewarnt.
»15 Minuten sind zu lange. Wir bestellen, sobald Zeit ist. Wir geben ihr konzentrierte Kochsalzlösung und eine Volumenersatzlösung.« Sie wusste, dass es nichts bedeutete, Lebensgefahr anzukreuzen. Sie tat es immer, wenn sie im OP Blut brauchte, sonst dauerte es Stunden.
»Machen Sie irgendetwas, Frau Arbro«, sagte Dobrindt, »hier unten spritzt es raus wie aus einer Wasserleitung. Ich hol jetzt das Kind, ich weiß nicht, was wir noch tun können.«
Knut riss die Verpackung zweier Infusionsbeutel auf. Papier und Plastik fielen vor seine Füße.
»Mach schnell, sie hat keinen Kreislauf mehr. Gib mir das Zeug. Spritz ihr ein Milligramm Adrenalin. Her damit.« Charlotte tippte der Hebammenschülerin vor die Brust. »Gehen Sie zum Telefon, wählen Sie neun, drei, fünf und sagen Sie, wir brauchen zehn Einheiten Blut im Kreißsaal. Blutgruppe null negativ. Jetzt. Wiederholen Sie das.« Das Mädchen schaffte es stockend, Charlotte schob sie aus der Tür. »Los, Mädel, renn.«
Charlotte schloss beide Leitungen an, band eine Blutdruckmanschette um die Beutel und pumpte.
Auf Dobrindts hellgrünem Operationsmantel waren bis zum Hals große, rote Flecken. Die Raste einer Edelstahlklemme knackte, er sagte: »Hypertone Kochsalzlösung ist nicht zugelassen für Schwangere.«
Muss er sich einmischen, dachte sie, ein Frauenarzt, der sich um Medikamente kümmert, das kann nicht gut gehen. Zum Glück konnte der Mann am Boden sie nicht hören. »Zugelassen oder nicht, sie ist ausgeblutet«, rief sie. »Wenn sie das jetzt nicht bekommt, haben wir keine Chance auf eine lebende Patientin, die uns verklagen kann!« Sie drehte sich um und pumpte weiter. Mit jedem Druck ihrer Hand spritzte mehr Lösung durch die Leitungen in die Venen der Frau. Der Klettverschluss der Blutdruckmanschette knirschte unter dem Druck.
»Überlegen Sie sich, was Sie tun.« Dobrindt stöhnte, während er eine weitere Klemme im Bauch zudrückte. »Niemand wird hinter Ihnen stehen, wenn dieses Kind behindert ist. Egal, ob Sie schuld sind oder nicht.«
Charlotte schüttelte den Kopf. Der Mann ist verrückt, dachte sie, der spinnt. Warum kümmerte er sich jetzt um die Zulassung hypertoner Kochsalzlösung? Sie musste diese Frau retten. Das Kind würde durch keine Infusion behindert sein - es würde sterben, wenn sie den Kreislauf der Frau nicht mehr herstellen konnte. »Schuld an was?« Ihr Unterarm schmerzte vom Pumpen.
»Schuld an einem behinderten Kind, an einer toten Mutter.« Blut und Fruchtwasser spritzten in Dobrindts Gesicht.
»Unsinn«, sagte sie.
»Ich kann wieder einen Blutdruck messen.« Knut Tarler stand neben der Patientin und tastete ihren Puls.
Ein krächzender Schrei ließ Charlotte zu Dobrindt sehen, während er der Hebamme ein blaues, blutiges Baby in die gewärmten Tücher legte.
»Ich muss die Gebärmutterarterien abklemmen, die Blutung ist noch nicht gestoppt. Wahrscheinlich verliert sie ihren Uterus, aber sie wird leben, sie hat Glück, dass sie bei uns ist.«
»Hey, Sie Held, vorhin klangen Sie noch ganz anders. Hast du ein Danke gehört, Knut?«
»Sie vergreifen sich im Ton, Frau Arbro, Ihre Chefin wird das nicht gerne hören.« Dobrindt beugte sich wieder über die Operationswunde.
Charlotte winkte ab und sah auf ihren nackten Fuß. Der Zeh schmerzte, er war blutverschmiert. Trocknende und frische Blutspuren bedeckten den Linoleumboden um ihren Platz am Kopfende.
»Sie...
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