Schweitzer Fachinformationen
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Berlin-Mitte, Dircksenstraße
08:16 Uhr
»Geben Sie es doch zu, Sydow. Sie stecken ziemlich in der Klemme. Also ganz ehrlich, ich wollte nicht in Ihrer Haut stecken.«
Nichts ging mehr.
Wie wahr.
So sehr er sich dagegen sträubte, die Tatsachen sprachen für sich.
Der Finsterling hinter dem Steuer, den Rangabzeichen zufolge Untersturmführer der SS, dazu die motorisierten Leibwächter, die ihn mit Argusaugen musterten, und dann auch noch der Zeremonienmeister des Schreckens, dessen Stimme vor Hohn aus den Fugen geriet. Eine Stimme, die er aus Tausenden heraushören konnte - im Extremfall schrill, zumeist jedoch hart wie Stahl.
Die Stimme eines Mannes, der kein Erbarmen kannte.
Erbarmen, Gnade, Mitgefühl. Im Vokabular des SS-Gruppenführers kamen die Begriffe nicht vor. Wie auch. Besaß er doch keine Skrupel, auch nicht einen Hauch davon. Wehe denjenigen, die ihm in die Quere kamen, ihr Leben hing am seidenen Faden. So ihnen denn Zeit blieb, sich daran zu klammern.
Allein, den Mut hatten nur die wenigsten. Und wenn doch, fand er Mittel und Wege, seine Widersacher geräuschlos aus dem Weg zu räumen.
Egal, wie man es drehte oder wendete, Tom Sydow hatte denkbar schlechte Karten. Unnütz, sich überflüssigen Illusionen hinzugeben.
Vier gegen einen.
Schöne Aussichten, Herr Kommissar.
Da blieb nur eins, die Flucht nach vorn. Und das hieß, er musste aufs Ganze gehen. Jetzt oder nie, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch wenn er dabei auf der Strecke blieb.
Anders wusste er sich nicht zu helfen.
»Lassen Sie die Waffe stecken, das bringt doch nichts.«
Auch wieder wahr.
Er musste sich etwas einfallen lassen. Dringend. Miras Leben stand auf dem Spiel. Das bedeutete, reden führte zu nichts.
Er musste handeln.
Jetzt gleich.
»Die geringste Bewegung, und Sie sind ein toter Mann. Ein Prachtkerl von Polizist unter der Erde, man stelle sich das mal vor. Ihr Betthäschen wäre untröstlich - woher so schnell Ersatz nehmen - und nicht stehlen!«
»Wie mitfühlend von Ihnen, mir kommen die Tränen.«
Kein Zweifel, die Operation Werwolf stand auf der Kippe. Und er, Tom Sydow, stand mit einem Bein im Grab. So weit der momentane Stand der Dinge. All die Anstrengungen der vergangenen drei Tage, sie hatten ihn seinem Ziel nicht nähergebracht. War doch der Preis, den er für die Enttarnung des S-Bahn-Mörders zahlen musste, sehr hoch gewesen.
Zu hoch, um ganz ehrlich zu sein.
Der Serienmörder gefasst, die Jagd nach dem Phantom beendet, der Mitwisser im Hintergrund enttarnt. Na, wer sagte es denn. Wenigstens das hatten der Dicke und er erreicht.
Fünf Opfer in nur wenigen Monaten, und das sechste, eine 17-Jährige aus Karlshorst, dem Tod nur um Haaresbreite entronnen. Der spektakulärste Fall seit Langem, in der Kriminalhistorie ohne Beispiel. Und was noch schlimmer war, die Kripo hatte eine denkbar schlechte Figur abgegeben, hatte sich bis auf die Knochen blamiert. Hätte es da nicht Kalinke, seines Zeichens Kriminalassistent bei der Mordinspektion Berlin, und seinen blaublütigen Freund und Kollegen nicht gegeben. Ein, wenngleich spärlicher, Trost für ihn. Denn damit, das kristallisierte sich immer mehr heraus, war das Duell mit der Gestapo noch nicht ausgestanden.
Im Gegenteil.
Er hatte sich zu früh gefreut.
Der Schlamassel, er hatte gerade erst begonnen. Und ein Ende war längst noch nicht in Sicht.
Hopp oder Top.
Darauf lief es hinaus.
»Warum so wortkarg, Herr Kollege? Ihnen hat es doch nicht etwa die Sprache verschlagen?«
Aber so war das nun mal. Wer seine Gegner unterschätzte, durfte sich nicht wundern, wenn er den Kürzeren zog. Speziell, wenn es sich um die Bluthunde von der Gestapo handelte. Ein falsches Wort, und die Schlinge, die man um den Hals trug, zog sich zu.
Immer fester, bis einem am Ende die Luft ausging.
Bis sie einen dort hatten, wo sie wollten. Entweder am Galgen oder in einem Kellerverlies in der Prinz-Albrecht-Straße 8, je nachdem.
Folterkeller oder Plötze, er hatte die Wahl.
»Keineswegs, Gruppenführer. Man macht sich eben so seine Gedanken, das ist alles.«
»Freut mich zu hören. Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen, wenn man fragen darf?«
Sydow blieb die Antwort schuldig. Die Luft im Innern des Mercedes-Benz W 142 mit dem Kennzeichen SS-3 war zum Schneiden dick, und wie um seine Gemütslage zu illustrieren, fegte ein Unwetter über den menschenleeren Alexanderplatz hinweg. Hagelkörner so groß wie Projektile prasselten vom teerfarbenen Himmel, im Duett mit wild zuckenden Blitzbündeln, die sich wie Phosphorgeschosse über dem Dächermeer entluden. Fast schien es, als nehme das Inferno kein Ende, wohin man auch blickte, das Gewitter schien überall gleichzeitig zu sein. Je länger es anhielt, desto zahlreicher die explosionsartigen Einschläge, desto lauter das ohrenbetäubende Grollen, vergleichbar mit dem Motorengeräusch von Bombern, die ihre todbringende Fracht über der Stadt entluden. Schier endlos auch die Regenschleier, die wie eine Sturzwoge aus dem Nichts heranbrandeten, schier übermächtig der orkanartige Wind, der alles, was sich ihm in den Weg stellte, beiseite zu fegen schien. »Zur Sache, Gruppenführer. Worauf wollen Sie hinaus?«
Der Mann, der wie kaum ein anderer Angst und Schrecken verbreitete, griente amüsiert, beugte sich nach vorn zum Beifahrersitz und flüsterte in mephistophelischer Manier: »Auf die Gefahr, mich zu wiederholen, Herr Kommissar: Ich fürchte, Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als die in Ihrem Besitz befindlichen Dokumente rauszurücken. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, machen wir uns nichts vor. Andernfalls, das sei in aller Deutlichkeit gesagt, sehe ich mich gezwungen, Ihrem Lebensglück ein jähes Ende zu bereiten.«
Pause.
Ein kurzes Innehalten, um zu zeigen, wie ernst es Heydrich mit seiner Drohung war. Danach die Pointe, nahezu im Flüsterton: »Mit anderen Worten, sollten Sie sich weigern, mit mir zu kooperieren, werde ich dafür sorgen, dass Ihre Gespielin für immer aus dem Verkehr gezogen wird. KZ Sachsenhausen oder eine Verurteilung auf Bewährung, Sie haben es in der Hand.« Der Uniformierte im Fond kehrte zu seinem normalen Tonfall zurück, die Gesichtszüge, in denen die nach unten abknickende Nase dominierte, wie in geschliffenen Granit gehauen. »Reicht das, Herr Kommissar, oder muss ich etwa noch deutlicher werden?«
»Mira trifft keine Schuld, das wissen Sie so gut wie ich.«
Reinhard Heydrich, Chef des RSHA und Himmlers rechte Hand, lachte gehässig auf. »Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, was Sie unter dem Verrat von Staatsgeheimnissen verstehen, von Sydow, aber was mich betrifft, reichen die mir vorliegenden Informationen aus, um Fräulein . Wie lautete doch gleich der werte Name?«
»Mira Schultz.«
»Genau.« Sichtlich entspannt ließ sich Heydrich in den mit Rosshaar gepolsterten Rücksitz sinken, griff nach seinem silbernen Zigarettenetui und zündete sich eine weitere Juno ohne Filter an, der Tonfall so gleichmütig, als handele es sich um einen Plausch unter Freunden. »Sie haben Geschmack, Herr Kommissar - mein Kompliment!«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun ja, nach allem, was man so hört, hat die Dame einiges zu bieten. Zumindest optisch, wenn ich das mal so sagen darf. Dumm nur, dass Sie nichts mehr davon haben werden. Denn wie es aussieht, sind die Tage der Verräterin gezählt. Es sei denn, Sie nehmen Vernunft an. Sollte dies der Fall sein, wäre ich bereit, ein gutes Wort für sie einzulegen. Man ist ja schließlich kein Unmensch, eine Hand wäscht bekanntlich die andere. Und Ihrem Glück im Wege stehen möchte ich auch nicht, wo kämen wir da hin.«
»Die Schuld liegt bei mir, wenn ich es Ihnen doch sage!«
»Schuld oder nicht, Ihr Betthäschen befindet sich in Haft. Für wie lange, hängt von Ihrer Kooperationsbereitschaft ab. Und darum nochmals, zum Mitschreiben: Entweder Sie springen über Ihren Schatten und ringen sich dazu durch, mir das in Ihrem Besitz befindliche Kriegstagebuch der Einsatzgruppe Werwolf vom September '39 zu übergeben, oder es bleibt Ihnen nichts weiter übrig, als sich eine andere Gespielin zu suchen. Ein wenig Abwechslung kann bekanntlich nicht schaden, oder was meinen Sie dazu?«
»Mira hat nichts mit der Sache zu tun, mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Um es drastisch zu formulieren, Herr Kommissar: Wer hier wen vor wessen Karren gespannt hat, interessiert mich nicht im Geringsten. Fakt ist, Fräulein Schultz wurde dabei beobachtet, als sie im Archivraum zugange war, um die Personalakte Ihres Vorgesetzten abzulichten. Mit dem Sie, wie jedermann im Präsidium weiß, eine innige Abneigung verbindet. Beziehungsweise verband. Falls Sie verstehen, was ich damit andeuten möchte.«
Und ob Sydow verstand.
Der Wink mit dem Zaunpfahl war deutlich genug.
Heydrichs Schnüffler waren bekanntlich überall. Vor allem dort, wo man sie nicht vermutete.
»Damit wir uns nicht falsch verstehen, Sydow: Ich persönlich weine Schultze-Maybach keine Träne nach. Was diesen Speichellecker betrifft, halten sich meine Emotionen in Grenzen. Sie wissen ja, man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.«
»Julius Cäsar.«
»Eine weitere Gemeinsamkeit, wie mich das freut!«
»Die worin bestünde?«
»Ich will es mal so...
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