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Buenos Aires/Argentinien, Stadtteil San Fernando, Garibaldistraße 14 │ 19:55 h
Kurz vor acht. Und von Klement keine Spur.
Zvi Aharoni, Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad[1], unterdrückte einen Fluch und ließ das Haus mit der Nummer 14 nicht aus den Augen. Keine Stimmen, kein Geräusch, keine Schritte. Der eingezäunte Flachbau aus unverputzten Ziegelsteinen wirkte trostlos und verlassen. Doch Hermann Aronheim alias Zvi Aharoni, 1921 in Frankfurt an der Oder geborener Sohn eines wohlhabenden Anwalts, wusste es besser. Das Haus in der Garibaldistraße stand nicht leer. Es diente als Versteck. Als Versteck eines Mannes, auf dessen Fährte er war. Ein Mann, der zu den meistgesuchten Verbrechern seiner Zeit zählte.
Einsatz beenden? Kein Gedanke daran. Nicht jetzt, nach monatelangen Ermittlungen, Recherchen und bis ins Detail geplanten Operationen, bei denen nichts dem Zufall überlassen worden war. Und das alles auf dem Boden eines souveränen Staates, dessen Behörden, allen voran die Polizei, keinen blassen Schimmer davon besaßen. Riskanter, um nicht zu sagen wahnwitziger, ging es wirklich nicht. Nur ein winziger Fehler, nur ein einziges unbedachtes Wort, nur eine einzige, zum falschen Zeitpunkt stattfindende Ausweiskontrolle - und er, Zvi Aharoni, wäre geliefert. Und mit ihm ein knappes Dutzend Agenten, die Teil der geplanten Kommandoaktion waren.
Acht Uhr. Auf die Minute genau. Um sich abzulenken, warf Aharoni einen Blick hinüber zur Haltestelle, an der, so hoffte er, das Objekt seiner Bemühungen demnächst aus dem Bus steigen würde. Fehlanzeige. Alles, aber auch alles schien sich gegen ihn und die drei Agenten, mit denen er hier Position bezogen hatte, verschworen zu haben.
Rückzug oder alles auf ein Karte setzen, Risiko oder auf Nummer sicher gehen? Genau das war momentan die Frage. Die Chancen standen fifty-fifty, das Unternehmen auf Messers Schneide. Aharoni rutschte nervös hin und her. Und was, wenn es fehlschlagen würde? So schnell würde die Gelegenheit, den Buchhalter des Todes zu fassen, nicht wiederkommen. Wer weiß, am Ende hatte die argentinische Polizei vielleicht Lunte gerochen. In einem Land, wo es von Nazi-Größen wimmelte, war auf nichts und niemanden Verlass. Leute wie Mengele[2], Roschmann[3] und Schwammberger[4] konnten sich hier frei bewegen. Verfügten über ausgezeichnete Verbindungen, bis in den Präsidentenpalast. Oder bis in die deutsche Botschaft. Und wer, fragte er sich, garantiert mir, dass unsere Tarnung hält? Kein Mensch. An Kleinigkeiten, das wusste er nur zu gut, waren schon ganz andere gescheitert als er. In der Hauptsache am Faktor Zufall. Ein brandgefährlicher, wenn nicht gar der Widersacher überhaupt.
Dennoch: Aufgeben kam nicht infrage.
Das waren er, Zvi Malchin, Zeev Keren und Rafi Eitan, der auf dem Rücksitz der Limousine kauerte, ihrem Volk schuldig. Ihrem Volk und den Millionen Toten, die der Biedermann, hinter dem sie her waren, auf dem Gewissen hatte.
»Wird allmählich Zeit!«, murmelte Aharoni, eher an die eigene als an die Adresse seines Vorgesetzten gerichtet, dem die Leitung der Operation übertragen worden war. »Was machen wir eigentlich, wenn er nicht .«
»Er wird kommen!«, knirschte Rafi Eitan, geboren in einem Kibbuz und fünf Jahre jünger als der mit 17 nach Palästina emigrierte deutsche Gymnasiast, »warte!«.
Aharoni nickte, nahm die Bushaltestelle erneut ins Visier - und war plötzlich hellwach. »Da drüben!«, stieß er hervor, tastete nach dem Zündschlüssel und ließ den Mann, der dem Bus der Linie 23 entstieg, nicht aus den Augen. »Zielperson im Anmarsch!«
Zvi Aharoni, Fahrer, Personenfahnder und Verhörspezialist in einer Person, zwang sich zur Ruhe. Von nun an war er zum Zusehen verdammt. Keren und Malchin waren an der Reihe. Die waren kräftiger als er. Laut Plan würde Letzterer, am linken Kotflügel über die geöffnete Kühlerhaube gebeugt, so tun, als versuche er eine Panne zu beheben. Keren, durch die Kühlerhaube verdeckt, befand sich ebenfalls in Wartestellung. Beim Herannahen von Klement, so der Plan, würde sich Malchin aufrichten, ihn ansprechen, packen, auf den Rücksitz bugsiern und zusammen mit Eitan in Schach halten. Und er, Aharoni, würde Vollgas geben. Und zusehen, dass ihnen niemand folgte.
Falls Klement, nur noch 80 Meter von der startbereiten Limousine entfernt, keinen Verdacht schöpfte. Und falls ihnen der Zufall keinen Strich durch die Rechnung machte.
Doch dem schien nicht so. Alles lief nach Plan. Das zweite, unweit der Einmündung in die Garibaldistraße geparkte Einsatzfahrzeug schaltete das Fernlicht an. Klement reagierte nicht darauf, setzte seinen Weg unbeirrt fort. Aharonis Atem ging rascher. 20, maximal 30 Sekunden. Dann war es so weit.
Und was, wenn es sich um eine Verwechslung handelte? Um ganz sicher zu sein, nahm der Mossad-Agent sein Fernglas zur Hand und richtete es auf den Mann, der im selben Moment die Staatsstraße 202 überquerte. Im gleißenden Licht, gegen das er sich mit erhobener Hand abschirmte, konnte ihn Aharoni jetzt ganz deutlich sehen. Mittelgroß, Mitte 50, leicht vornübergebeugter Gang. Hornbrille, hager, dünnes Haar, sehr hohe Stirn. Kein Zweifel. Es war sein Mann.
Noch 30 Meter. Dann war Zvika[5] an der Reihe.
Verdammt. Aharoni wurde aschfahl. Die linke Hand des Mannes steckte in der Manteltasche. Bloßer Zufall oder Angewohnheit?
Oder ein Indiz, dass er eine Waffe bei sich trug?
Einerlei. Er musste Zvika warnen. »Pass auf, die linke Hand!«, raunte er ihm zu und umklammerte das Steuer, während ihm der Schweiß aus den Poren quoll. »Vielleicht hat er eine Waffe!«
Das polnische Muskelpaket, von Haus aus Sprengstoffexperte und Ex-Mitglied der Haganah[6], gab keine Antwort. Dafür war es jetzt zu spät. Der Mittfünfziger, auf den er es abgesehen hatte, war nur noch wenige Meter von der am Straßenrand geparkten Limousine entfernt. Alles war gesagt, immer und immer wieder durchgesprochen, mit einem Höchstmaß an Akribie geplant worden. Jetzt, um fünf nach acht argentinischer Zeit, würden die Dinge ihren Lauf nehmen. Und der Gerechtigkeit, so es sie gab, zum Sieg verhelfen.
Aharoni hielt den Atem an. Dann startete er den Motor. Kurz darauf tauchte linker Hand ein Schatten auf. Und dann, als er die Fahrertür bereits passiert hatte, richtete sich Zvika auf, wandte sich nach rechts und trat dem Mann in den Weg. »Momentito, Señor!«, herrschte er ihn mit unverkennbar fremdländischem Zungenschlag an.
Der Mann blieb wie angewurzelt stehen.
Im gleichen Moment sprang Malchin auf ihn zu.
*
Er hatte es kommen sehen. All die Jahre, in denen er auf der Flucht gewesen war, hatte er es kommen sehen. Auf die Idee, dass es ihn ausgerechnet hier treffen würde, war er dennoch nie gekommen. Ausgerechnet hier, nur einen Katzensprung von seiner Haustür entfernt. Und ausgerechnet heute, nachdem seine Frau wieder einmal Kassandra[7] gespielt und ihn beschworen hatte, nicht zur Arbeit zu gehen.
Er hatte ihre Warnungen in den Wind geschlagen. Disziplin ging ihm nun einmal über alles. Ohne sie, die Kardinaltugend schlechthin, konnte man es im Leben zu nichts bringen. Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Ordnungsliebe und Gehorsam natürlich nicht zu vergessen. Tugenden, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen und die hier, fern der Heimat, bedeutsamer denn je geworden waren.
>Meine Ehre heißt Treue.<[8] Damit war alles gesagt. Auf ihn, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer, war stets Verlass gewesen. Gerade dann, wenn es ans Eingemachte ging. >Rasche Auffassungsgabe und Gewissenhaftigkeit haben seine Arbeit ausgezeichnet.<[9] Besser hätte man es nicht ausdrücken können. Ohne ihn, den Mann der Tat, wären sie damals glatt aufgeschmissen gewesen. Ob in Österreich, der Tschechei, Ungarn oder Berlin: Er hatte Tabula rasa gemacht, binnen eines halben Jahres 50.000 Wiener Juden in die Emigration getrieben, die Prager das Fürchten gelehrt, den Ungarn die Drecksarbeit abgenommen, indem er 200.000 Volksschädlinge deportieren ließ. Überhaupt - die Deportationen! Ohne seinen rastlosen Einsatz, seine Zähigkeit, die Unerbittlichkeit, mit der er den Willen des Führers in die Tat umgesetzt hatte, wäre die Endlösung ein glatter Reinfall geworden. Daran hegte er keinen Zweifel. Schade nur, dass aus den geplanten elf Millionen nichts geworden und lediglich sechs Millionen liquidiert worden waren.
Schwamm drüber, seine Schuld war es nicht gewesen. Er hatte sein Möglichstes getan, mit der Reichsbahn um jeden gottverdammten Güterwaggon gefeilscht. Er hatte gedroht, geschuftet, geackert. Rund um die Uhr. Und er hatte sich, im Gegensatz zu manch anderem Parteigenossen, an Ort und Stelle von der Effektivität seiner Maßnahmen überzeugt. Hatte den Schneid besessen, die Vernichtungslager zu inspizieren. Dass er Haltung bewahrt hatte, verstand sich von selbst, es sei denn, die Transporte kamen ins Stocken. Dann war er aus der Haut gefahren, hatte die Verantwortlichen zusammengestaucht, dass ihnen Hören und Sehen verging. Hasste er doch nichts mehr als...
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