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Prätorianerkaserne in Rom, am frühen Abend | 16:10 h
»Was ist dein Begehr, Tribun?«, rief ihm der greise Fährmann zu, die Ruderstange in der Hand, mit der er den Nachen durch die nebelverhangenen Fluten steuerte. »Du kommst früher als erwartet.«
Allein, er hüllte sich in Schweigen. Der Weg war weit und beschwerlich gewesen, wie weit genau, vermochte er nicht zu sagen. Alles, was ihn an sein früheres Leben erinnerte, war aus dem Gedächtnis getilgt worden, unwiderruflich, für alle Zeiten. Vergangenheit und Gegenwart waren eins, Erwachsenenalter und Kindheit nicht viel mehr als ein ferner Traum, den zu erhaschen die Mühe nicht lohnte. Es war ein Pfad ohne Wiederkehr, auf dem er wandelte, kein Grund zur Trauer, sondern zum Wohlbehagen. Einmal unterwegs, hatte er es verschmäht, einen Blick über die Schulter zu werfen, nichts anderes im Sinn als das Ende seiner Reise.
Und so, wie befreit von einer schweren Bürde, war er dem Verlauf des unwegsamen Pfades gefolgt, vorbei an hoch aufragenden Felsen, an deren Wänden sich das fahle Mondlicht brach. Kein Baum oder Strauch, keine Geräusche, kein Anzeichen von Leben, wohin er auch blickte oder die schwerfälligen Schritte lenkte. Je weiter er sich von Zuhause entfernt hatte, desto unwirtlicher die Gegend und desto bedrückender das Schweigen, welches sich tonnenschwer auf seine Seele legte.
Doch was auch geschah, er würde nicht umkehren, schon gar nicht jetzt, da das Ziel seiner Wanderschaft zum Greifen nah schien. Nur noch wenige Schritte und er war am Ziel, befreit von dem Schmerz, der ihn jäh aufstöhnen und die Hand vor das linke Auge pressen ließ. »Bist du der, den ich suche?«, fragte er, während sich der Bug des Nachens der Stelle näherte, wo der Pfad auf die anthrazitfarbenen Fluten stieß. »Sprich, alter Mann, weshalb zögerst du?«
Der Greis setzte ein vielsagendes Lächeln auf. »Wozu die Eile, Tribun?«, nuschelte er, die Ruderstange in der Rechten, während er ihm die Fläche seiner linken Hand darbot. »Und überhaupt: Wo bleibt mein Obolus?«
»Daran wird es nicht fehlen, keine Sorge.« Um keine Zeit zu verlieren, griff Rufius in seine Börse, kramte einen Solidus hervor und drückte ihn dem Fährmann in die Hand. »Hier, nimm - ich hoffe, du bist zufrieden.«
»Du weißt, wer ich bin?«
Rufius nickte, die Handfläche auf der Wunde, welche sein Gesicht entstellte. Natürlich wusste er, um wen es sich bei dem ausgemergelten Greis handelte. Dort drüben, in Sichtweite des Ufers, lag das Totenreich, regiert von Hades, Herr über die Gefilde der Schatten. In Kürze würde er seinen Fuß auf das von Dunstschwaden verhüllte Ufer setzen, Charon für seine Dienste Dank sagen und sich auf den Weg zu dem Schlund machen, in dem die Seelen der Dahingeschiedenen hausten. Anders als befürchtet, war ihm davor jedoch nicht bange. Er würde die gefallenen Kameraden treffen, das war Ansporn genug. Und er würde Drusilla wiedersehen, ihr Antlitz schauen und sich vom Klang ihrer sirenenhaften Stimme betören lassen. Alles würde wieder so sein wie früher, wie vor drei Jahren, als die Welt des Quintus Aurelius Rufius noch in Ordnung gewesen war. »Natürlich weiß ich, wer du bist.«
»Wenn du den Nachen besteigst, gibt es kein Zurück mehr für dich.« Die Münze in der knochigen Hand, verharrte der Fährmann auf der Stelle. »Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren.«
»Voll und ganz.« Rufius atmete befreit auf. »Wieso fragst du?«
Anstatt zu antworten, stieß der Alte die Ruderstange in den Morast, welcher die Gestade des Flusses Styx säumte, kletterte aus dem Kahn und schleifte das Tau hinter sich her, um den Nachen zu vertäuen. Dann wies er mit dem Daumen über die linke Schulter. »Deshalb.«
Auf Anhieb ratlos, folgte Rufius der Richtung, in die der Daumen zeigte.
Und erstarrte.
Die Szenerie jenseits des Styx hatte sich jäh verändert. Verschwunden waren die Dunstschleier, verschwunden auch die unwirtliche Einöde, welche die Grenze des Totenreiches markierte.
Der Tribun konnte nicht glauben, was er sah. Dort drüben, nur einen Steinwurf entfernt, tobte eine Schlacht, und je länger er das Getümmel beobachtete, desto rascher kehrte seine Erinnerung zurück. Doch plötzlich, genauso schnell, wie er gekommen war, fand der Spuk ein Ende. Das Gemetzel war vorüber, die Kämpfenden wie vom Erdboden verschluckt. Rufius fehlten die Worte. Der Geruch, welchen der Wind zu ihm herübertrug, raubte ihm den Atem, weckte Erinnerungen, die ihn jäh aufstöhnen ließen. Jetzt, da die Schlacht geschlagen war, schlug die Stunde der Leichenfledderer, argwöhnisch beäugt von den Aasvögeln, die über ihren Häuptern kreisten. Doch damit, das wusste der Tribun, war das Grauen längst noch nicht vorüber. Die Leichenfledderer waren noch am Werk, als die Trossknechte auf den Plan traten und die Dahingeschlachteten zu mannshohen Haufen aufschichteten. Der Waffengang hatte einen hohen Blutzoll gefordert, dementsprechend zahlreich waren die Scheiterhaufen, welche die Wallstatt vor den Toren Roms bedeckten.
Wie gebannt von dem grausigen Spektakel, konnte Rufius den Blick nicht abwenden. Kein Zweifel, das waren seine Kameraden, die da lagen, das waren Leichen, die zu Hunderten flussabwärts trieben. Und das war der Kopf des Imperators, der auf eine Lanze gespießt, bespuckt und mit Zoten und Spottversen bedacht wurde.
Angewidert bis ins Mark, sah Rufius dem widerwärtigen Treiben zu. Stets war es die gleiche Prozedur, die das Ende einer Schlacht markierte, wenngleich es ihm jetzt, da er zum Zuschauen verdammt war, umso ekelerregender erschien. Scheiterhaufen, so weit das Auge reichte, Hunderte von Aasvögeln, Leichen, welche kopfüber in den Fluten trieben. Und dazu dieser stechende Geruch, bei dem ihm plötzlich speiübel wurde. Das war zu viel, weit mehr, als er ertragen konnte.
Im Begriff, sich abzuwenden, blieb der Blick des Tribunen auf einem Scheiterhaufen in Ufernähe haften. Die Trossknechte waren gerade dabei, ihn mit Reisigbündeln zu bedecken, doch war es nicht das, was seine Aufmerksamkeit erregte. Es war die Hand, welche zwischen den Bündeln hervorragte, eine Hand, an der ein goldener Siegelring steckte.
Wie vom Blitz getroffen, starrte der Tribun auf seine Rechte, konnte den Blick auch dann nicht abwenden, als seine Vermutung zur Gewissheit wurde. Kein Zweifel, dies war seine Hand, sein Finger, sein Ring. Außerdem war das sein Umhang, welcher auf den Scheiterhaufen geworfen wurde. Und natürlich waren dies die Trossknechte seiner Kohorte, im Begriff, die zu einer Pyramide aufgeschichteten Leichen in Brand zu stecken.
Der Atem des Tribunen ging rascher und während sein Blick zwischen dem Fährmann und dem Scheiterhaufen hin und her irrte, wurde er von lähmendem Entsetzen gepackt. War dies am Ende nur ein Traum, ein Trugbild, welches ihn narrte und die Schmerzen, die seine Augenhöhle verursachte, zu einer Nebensächlichkeit degradierte? Oder war er längst tot, unterwegs, die Reise ins Schattenreich zu vollenden?
»Entscheide dich, Tribun. Ich habe nicht ewig Zeit.« Die Stimme im Ohr, deren Krächzen in die hintersten Winkel seines Bewusstseins drang, wurde Rufius von Panik gepackt. Er musste eine Entscheidung treffen, hier, jetzt und heute. Und er musste sie schnell treffen, sonst war es um ihn geschehen.
»Was ist? Hast du die Sprache verloren, Rufius?«
Die Hand vor dem linken Auge, während sich das rechte schreckerfüllt weitete, verharrte Rufius auf der Stelle. Und dann geschah es. Einer der Trossknechte nahm die Fackel, welche er zuvor entzündet hatte, spie aus und setzte den hoch aufragenden Scheiterhaufen in Brand.
Die Beklemmung des Tribunen wuchs, steigerte sich bis zu dem Punkt, wo sie in schrankenlose Panik umschlug. Nicht lange, und seine Atemzüge wurden kürzer, wurden zu einem Schnauben, einem Keuchen, einem Hecheln, einem unkontrollierten Röcheln. Doch was er auch tat, so sehr er sich bemühte, die Traumgesichter zu vertreiben: Es war vergebens. Die Flammen, welche zum Nachthimmel emporloderten, wuchsen und wuchsen, schlugen umso höher, je mehr sich seine Sinne verwirrten. Rufius würgte und röchelte, japste und keuchte, geiferte und gestikulierte. Der Schrei aber, welchen er ausstoßen wollte, klebte ihm förmlich auf der Zunge, löste sich auch dann nicht, als die Hand von den wild züngelnden Flammen verzehrt wurde.
»Ich bin es, Tribun - Ursus!« Kurz davor, den Verstand zu verlieren, schnellte Rufius in die Höhe. Traum oder Wirklichkeit, das war die Frage. Eine Frage, deren Beantwortung nicht lange auf sich warten ließ. Die Leinenbinde, welche er über dem linken Auge trug, war Beweis genug, der brennende Schmerz in der Augenhöhle tat ein Übriges. Der Tribun stöhnte verzweifelt auf. Er würde nie wieder richtig sehen und nie mehr Gardist oder Legionär sein können. Er würde ein Nichts sein, einer von Tausenden, den der Krieg zum Krüppel gemacht hatte. »Kopf hoch, Kommandant, es wird alles gut.«
Der Tribun zwang sich zu einem Lächeln. Der gute alte Ursus, Treuster der Treuen. Mehr als einmal hatte ihn der Gefährte vor dem Tod bewahrt, wenn er jemandem Dank schuldete, dann ihm. »Und wie geht es den .?«
»Den Männern geht es gut«, vollendete der Zenturio, dessen Spitzname treffender nicht hätte sein können. Ursus, zunächst Kriegsgefangener, dann Gladiator und seit seiner Freilassung vor zehn Jahren Soldat, hatte es dank seiner Fähigkeiten zum Zenturio gebracht und Rom wie auch seinem Kaiser treu gedient. Während all der Jahre, in denen er Seite an Seite mit Rufius gekämpft hatte, war der mehr als sechs...
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