Schweitzer Fachinformationen
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Langsam trägt uns die Strömung flussabwärts, vorbei an majestätischen tropischen Bäumen und einer grünen, undurchdringlichen Wand aus dichtem Regenwald. Wir können nur vermuten, welche Geheimnisse sich dahinter verbergen.
Von Lisa und Julia Hermes
Obwohl ich bis auf die Unterhose nass bin und mir der Regen in Kaskaden über den Körper rinnt, habe ich das Gefühl zu schwitzen. »Wo ist Julia nur, wenn ich sie brauche?!«, fluche ich, während ich wankend mit zwei Händen und einem Fuß versuche, die zwischen Holzpfählen aufgespannte Plastikplane zu stabilisieren. Mit der Konstruktion wollen wir eigentlich den kostbaren Regen als Trinkwasservorrat aufsammeln, aber sie fällt unter dem Gewicht der Wassermassen, die aus dem Himmel stürzen, immer wieder in sich zusammen. Das monotone Rauschen des Tropenregens wird plötzlich von einem schrillen Ruf durchbrochen: »Lisa! Komm schnell!«
Ich lasse von meinen mittlerweile sowieso sinnlos gewordenen Bemühungen ab, drehe mich um und sehe Julia von der anderen Seite der Sandbank in meine Richtung rennen. Sie wirft mir eine der zwei Macheten, die sie in der Hand hält, rüber und schreit durch das Dröhnen des Regens: »Das Zelt geht mit all unserem Zeug in den Wassermassen unter!« Wir sprinten zum Zelt und buddeln einen tiefen Graben drum herum, damit das Wasser ablaufen kann.
Kaum ist die Arbeit getan, hört auch der Regen so plötzlich auf, wie er eben begonnen hatte. Erschöpft lassen wir uns in den Matsch plumpsen und schauen uns erst ungläubig, dann amüsiert an. Bald können wir uns kaum mehr halten vor Lachen. Über und über mit Schlamm bedeckt, mit den Macheten in der Hand und einer Spur Wahnsinn in den Augen sehen wir aus wie zwei der Mythenwelt des Amazonas entsprungene Irre.
Drei Wochen ist es jetzt ungefähr her, dass wir in der schäbigen Ölstadt Puerto Francisco de Orellana in Ecuador aufgebrochen sind, um die sagenumwobene Welt des Amazonas auf eigene Faust zu erkunden.
Die Stadt ist flussabwärts vorerst der letzte Ort, der an ein reguläres Straßennetz angebunden ist. Bis zum 3000 Kilometer entfernten Manaus in Brasilien gelangt man nur mit Booten und Schiffen, durch die unzähligen Haupt- und Seitenarme des Amazonas.
Wie ein riesiges Kapillarsystem erstreckt sich das Flussnetz des Amazonas über eine Fläche so groß wie Australien. Wie sollten wir dieses Gebiet auf unserer Reise ohne Flugzeug um die Welt durchqueren? Unsere Entscheidung stand ziemlich schnell fest.
Wir wollten so reisen, wie die Menschen es dort seit Jahrhunderten tun: mit dem Kanu.
Also kauften wir uns kurzerhand in der am Fluss gelegenen Kichwa-Gemeinschaft Arunyaya ein Fischerboot. Dort verbrachten wir ein paar Tage, und die Einheimischen machten uns mit dem Leben am und auf dem Fluss vertraut.
Ausgerüstet mit Karten, Kompass, Gummistiefeln gegen die Schlangen, Macheten, Angelmaterial und etlichen wasserdichten Kisten, die unsere Kleidung, Schlafsäcke und Nahrung vor den tropischen Regenfällen schützen sollten, paddelten wir schließlich am Morgen eines nebligen Apriltages los.
Mittlerweile sind wir in Peru, ein paar Tagesreisen von dem Dreiländereck Peru-Kolumbien-Brasilien entfernt. Die Grenze zu Brasilien markiert die Hälfte unserer Strecke, von dort sind es noch mal 1500 Kilometer bis zur Dschungelmetropole Manaus.
Nach unserer letzten, nicht sehr erholsamen Nacht auf der Sandbank gehen wir den Tag heute eher ruhig an. Unsere Paddel haben wir an den Rand geklemmt, und die Strömung trägt unser Kanu langsam flussabwärts. Wir haben es uns auf dem kleinen Boot gemütlich gemacht - sofern man in einer Umgebung, in der man von Moskitos leer gesaugt und von der Sonne verbrannt wird, von Gemütlichkeit sprechen kann. Aus Bananen, Haferflocken, Erdnüssen und Zimt haben wir eine Teigmasse geknetet, die wir in kleinen Häufchen auf der schwarzen Plastikfolie in der ofenheißen Sonne trocknen lassen. Eine genussvolle Abwechslung zu der sonst ziemlich eintönigen Diät aus Reis, Maniokwurzeln und Kochbananen. Auf dem Campingkocher hat Jule uns einen Schwarztee zubereitet. So treiben wir dahin, Tee und Kekse in der Hand, die Beine hochgelegt, und lauschen den Brüllaffen in der Ferne. Kaffeeklatsch mitten im Amazonas .
Ein merkwürdiges Geräusch, so als hätte jemand Wasser aus seinem Mund gepustet, lässt uns hochschrecken. Nur wenige Meter von uns entfernt taucht ein rosafarbener Rücken aus dem braun-grünen Wasser. Ein Flussdelfin! Anders als ihre Verwandten in den Meeren ist der pinke Süßwasserdelfin eigentlich eher scheu und lässt sich nur selten blicken. Deshalb bin ich über diesen unerwarteten Besuch richtig aufgeregt vor Freude. Vielleicht hat er unsere Kekse gerochen.
Um diese riesigen Säugetiere, die ein bisschen aussehen wie Unterwasserschweine, ranken sich hier im Amazonas einige Legenden. Zum Beispiel, dass sie nachts in Gestalt von attraktiven Männern aus dem Wasser steigen, die Frauen aus den Flussgemeinschaften schwängern und sie dann für immer mit in ihre Unterwasserwelt Encante nehmen. Deshalb ist es für viele Frauen aus der Gegend ein ungeschriebenes Gesetz, nach Einbruch der Dunkelheit die Hütte nicht mehr zu verlassen - zumindest nicht allein.
Unser Delfin macht zum Glück keine Anstalten, sich zu verwandeln, sondern verschwindet so plötzlich, wie er aufgetaucht ist, wieder in sein Unterwasserreich.
Manchmal - so wie jetzt - offenbart der Dschungel ein paar seiner Geheimnisse. Meist aber umgibt er uns als grüne, undurchdringliche Wand.
Die Vielfalt der Pflanzen vermischt sich zu einem einzigen diffusen Grün, hinter dem auch die meisten Tiere unsichtbar bleiben. Wir paddeln mitten hindurch, und trotzdem zeigt sich uns nur ein Bruchteil dieser mystischen Welt .
Die Sonne steht schon tief und erinnert uns daran, dass es an der Zeit ist, unser abendliches Ritual zu beginnen: einen geeigneten Platz zum Schlafen ansteuern, Kanu festbinden, ausladen, Zelt aufbauen, Angel auswerfen, Feuer machen, Abendessen kochen.
Wir paddeln näher ans Ufer heran, um einen potenziellen Lagerplatz ausfindig zu machen. Das Ufer steuern wir eigentlich nur zur Schlafplatzsuche an, denn dort lauern mehr Gefahren als in der Mitte des Flusses. Vor allem die gefährlichen Strudel und plötzlich einstürzenden Bäume könnten uns im schlimmsten Fall das Leben kosten.
Außerdem durchqueren wir gerade einen Abschnitt, den die Flussbewohner Silencio nennen, also Stille. So werden Gebiete genannt, die kaum besiedelt sind, in denen statt des Menschen noch die Natur regiert. Oft machen sich Flusspiraten diese Abgelegenheit zunutze und überfallen vorbeifahrende Kanus und Schiffe. Nomen est omen: Hier scheint es gerade tatsächlich sehr still zu sein. Obwohl es wirklich eindrucksvoll ist, durch die unberührte Natur zu fahren, bereitet uns die dichte Uferböschung Probleme. Wir könnten mit unseren Macheten eine Lichtung freischlagen, aber das würde womöglich einige Stunden dauern.
Wir paddeln also weiter und hoffen, dass sich doch noch eine lichtere Uferstelle auftut. Doch die Zeit drängt. Die Sonne ist dem Horizont schon ziemlich nahe, und es bleibt höchstens noch eine halbe Stunde, bis die Nacht ihren schwarzen Mantel über uns ausbreitet. In der Dunkelheit wären wir dem wilden Dschungel schutzlos ausgeliefert.
Welche Möglichkeit hätten wir im Notfall? Das Kanu an einem Baum festbinden und auf dem Wasser schlafen? Als wir gerade anfangen, diese Option ernsthaft in Betracht zu ziehen, werden wir von einem ohrenbetäubenden Krachen aus unseren Überlegungen gerissen. Nur wenige Meter hinter uns sehen wir einen Urwaldriesen, der wohl den Halt im schlammigen Ufergrund verloren hat, mit einem dröhnenden Grollen ins Wasser stürzen. An dem Stamm drücken sich die Wassermassen zur Seite und schlagen hohe Wellen, die unser kleines Boot hin und her tanzen lassen. Mit einem schnellen Paddelschlag drehen wir das Kanu so, dass die Wellen uns von vorne treffen und wir nicht seitlich von den Wogen zum Kentern gebracht werden können. Glück gehabt! Da sind wir noch mal mit dem Schrecken davongekommen .
Der Schock steckt uns noch in den Knochen, doch unser Schlafplatzproblem wird immer drängender.
Hinter der nächsten Flussbiegung dann ein Hoffnungsschimmer! In der Ferne zeichnen sich im blauen Dämmerlicht zwei Kanus ab, die an der Uferböschung festgebunden sind. Zuversichtlich steuern wir sie an und erkennen bald zwei dunkle Silhouetten. Es sind zwei Frauen, die sich gerade im Fluss waschen. Als sie uns bemerken, sind sie kurz wie versteinert und starren uns mit entsetzten, aufgerissenen Augen an. Nur wenige Sekunden später sind sie schon im Gestrüpp des schützenden Dschungels verschwunden.
Wir sind etwas verunsichert von der Reaktion, paddeln in der Hoffnung auf einen Schlafplatz aber trotzdem zum Ufer. Vielleicht finden wir ja jemanden, mit dem wir über unsere heikle Lage reden können. Vom Ufer aus führt ein kleiner Trampelpfad zu einer Lichtung. Dort stehen im Halbkreis mehrere, auf lange Holzpfähle gestützte Hütten mit Palmdächern, die nur vom Schein des Mondes beleuchtet werden. Ein paar Schweine grunzen glücklich im Schlamm, und eine Handvoll Hühner sucht sich gackernd einen geschützten Schlafplatz auf den Ästen der umliegenden Bäume.
Bevor wir eines der Häuser erreichen, kommt uns schon ein alter Mann entgegen und ruft uns freundlich etwas auf Kichwa zu, der Sprache, die die Einheimischen hier sprechen. Zu unserer Erleichterung spricht er auch ganz gut Spanisch und lädt uns zu seiner Familie in die Hütte ein. Seine Frau bereitet gerade das Abendessen vor und begrüßt uns mit einem erfrischenden Chicha (ein...
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