Schweitzer Fachinformationen
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Im Treppenhaus tanzte der Staub in den Strahlen der untergehenden Sonne. Klaus schleppte seinen Koffer die Treppe hinauf, rollte ihn über die welligen Holzdielen, hievte ihn den letzten Absatz nach oben. Der Schlüssel knackte im Schloss und die alte Holztür knarzte, als er die Tür aufstieß. Der schwere Geruch von gebratenem Fleisch schlug ihm entgegen, sofort knurrte sein Magen. Klaus sog den Duft ein und dachte an Lammbraten und Rinderhack mit Zimt. Er hob den Koffer über die Türschwelle, dann stellte er seinen Rucksack neben das schwarze Ungetüm. Endlich angekommen. Sein neues Zuhause auf Zeit. Endlich. Tief atmete er ein. Die Zugfahrt hatte ewig gedauert, zwischendurch eine Weichenstörung und Kriechgeschwindigkeit. Klaus wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Hallo", rief er in die Stille. Von dem breiten, hellen Gang führten sieben Türen weg. Vier davon standen offen, der Rest war verschlossen. "Hallo?" Er spähte in die erste offenstehende Tür, offensichtlich war es die Küche. Sie war klein, quadratisch, an zwei Wänden Küchenschränke, eine hellbraune Kunststoffarbeitsplatte, ein Ofen. Auf dem Herd stand ein großer Topf, abgedeckt mit einem Glasdeckel. Der Kühlschrank ratterte neben einer mit Stickern zugeklebten Tür. Generationen von Studenten hatten hier wohl ihr Revier markiert.
"Hi." Hinter ihm erklang eine Frauenstimme.
Klaus drehte sich um. Eine schlanke Frau stand ihm gegenüber, die Haare kurz zu einem Bob geschnitten. Sie zog ihren grobmaschigen Strickcardigan enger um ihren zierlichen Oberkörper. Mit nackten Füßen kam sie auf ihn zu. Eine Tür auf der anderen Seite des Ganges stand offen.
"Maria." Sie streckte ihm die Hand entgegen.
"Klaus." Ihr Händedruck war warm und schlaff. Wie ein fleischgewordenes Kuscheltier.
"Du bist grade angekommen?" Sie lächelte ihn unverbindlich an. "Es sind noch zwei Zimmer frei. Da ." Sie deutete ans Ende der Wohnung. "Eins zur Straße und eins auf die andere Seite. Such dir was aus."
"Danke." Er nickte.
In der offenen Zimmertür hinter ihr stand ein Mann. Er war bullig, trug ein enges Shirt, die schwarzen Barthaare waren so adrett gestutzt, als wäre die Linie mit dem Rasiermesser gezogen. Er war einen Kopf größer als Klaus, sah ihn von oben herab an.
Maria drehte sich um. "Das ist Sinan. Mein Freund. Sinan."
"Klaus", sagte er und ging auf Sinan zu. Der Freund. Er roch nach Knoblauch und Fleisch und Moschus. Ein tiefer, dunkler Geruch zu einem festen Händedruck. Klaus hatte das süßliche Raucharoma von Shisha-Bars erwartet. Das zumindest verband er mit Männern arabischer Abstammung. Shisha-Bars und schnelle Autos.
"Du bist auch für das Seminar da?" Sinans Stimme klang rau.
"Ja", Klaus schob seine Hände in die Hosentaschen. Der würde hoffentlich bald abhauen. Er betrachtete Maria. Eine so zarte Frau, so schlank, so feingliedrig gebaut und ein solches Vieh von einem Kerl.
"Dann komm mal an", sagte sie. "Wenn was ist, klopf einfach." Ihr Lächeln wieder unverbindlich.
Als die beiden in ihrem Zimmer verschwunden waren, ging Klaus über den knarzenden Dielenboden zurück zu seinem Koffer. Er zog den Henkel aus, rollte ihn hinter sich her, in das Zimmer neben der Küche. Es war kleiner als das gegenüber, aber hoffentlich ruhiger. Er mochte keinen Straßenlärm. Deswegen hatten sie Lore und Jan in München auch das Zimmer zur Straße aufgedrückt.
Draußen war zwei Meter vor dem Fenster eine rote Backsteinmauer. Kein Baum, an dem die Blätter im Wind tanzten. Kein Grün, nur Grau, keine Evi, nur Arbeit. Und nicht einmal schöne Arbeit. Stattdessen anbiedernder Mist. Hörte es nie auf? War das Studium nicht genug gewesen? Er seufzte. Unter dem Fenster standen ein Jugendheimschreibtisch und daneben ein neunzig Zentimeter breites Jugendheimbett. Gegenüber Jugendheimbücherschrank und Jugendheimkleiderschrank. Er ließ sich auf die harte Matratze fallen, das helle Birkenholz knarzte. Wie damals in der zehnten Klasse beim einwöchigen Wanderausflug.
Klaus starrte die Wand an. Weißer Rauputz, langweiliger ging nicht - und als er davon genug hatte, stand er auf und öffnete das Fenster. Gedämpfte Autogeräusche klangen an der Backsteinwand wider. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Wohnung, die ihnen vermittelt worden war, großartig wäre. Er hatte nicht mal damit gerechnet, dass sie schön eingerichtet oder komfortabel wäre. Aber von etwas Besserem als dem hier war er schon ausgegangen. Immerhin knöpfte ihm die Uni Miete ab, und das nicht zu wenig. Er lauschte für einen Moment dem ununterbrochenen Rauschen der Großstadt, dann legte er seinen Koffer vor dem Kleiderschrank auf den Boden, klappte ihn auf und versperrte damit die Türen des Schrankes. Er hatte nicht vor, auszupacken. Warum auch? Gab es etwas Sinnloseres als hier tatsächlich einzuziehen?
Als er so vor dem Koffer kniete und in den Klamottenberg starrte, auf die sauber gefalteten Shirts, auf die zusammengelegten Socken, da wurde ihm klar: Er war wirklich allein. Keine Evi, die ihm erklärte, er solle seine Klamotten einsortieren, und zwar T-Shirts in die Mitte und Pullover drüber und Hosen nach unten und Socken in die Schublade und auf keinen Fall anders, denn nur so machte es Sinn. Keine Evi, die ihm einbläuen wollte, er solle die Dreckwäsche in den Wäschekorb legen und keine alten Socken im Gemeinschaftswohnzimmer unter der Couch liegen lassen. Keine Evi, die ihm vorwarf, dass der Teller mit dem halb gegessenen Sandwich in seinem Atelier zu schimmeln begann. Was ging es sie an? Es waren seine Klamotten, sein Atelier, und er konnte Essen darin vergammeln lassen, wie er wollte.
Er zog sein Telefon aus der Jeanstasche. Keine Nachrichten von ihr, natürlich nicht. Um sich abzulenken, ging er in die Küche.
Maria stand an der Küchenzeile, zupfte Teebeutel aus einer hölzernen Box.
"Hey." Er lehnte sich an die Wand. "Wie lange seid ihr denn schon da?" Jede Unterhaltung war besser, als alleine rum zu hocken und über Evi nachzudenken. Selbst eine mit der schlaffen Hand.
"Seit letzter Woche. Wir sind schon etwas früher angekommen und verbringen ein verlängertes Wochenende hier. Es ist unglaublich, was man alles in Berlin machen kann. Ist schon ein Unterschied zu Heidelberg, das muss man echt sagen." Sie entwirrte zwei Teebeutelfäden, ließ den Holzdeckel der Box mit einem Knall zufallen.
Klaus nickte und setzte sich an den Esstisch neben der mit Stickern dekorierten Tür.
"Willst du auch Tee?"
"Gerne", sagte er und beobachtete sie, wie sie Wasser aufgoss und den Deckel auf die Teekanne setzte. Lieber hätte er was von dem Essen gehabt. Von dem Eintopf oder was auch immer da in dem Topf war.
"Montag geht es los." Aus dem Hängeschrank nahm sie einen Karton mit Würfelzucker. "Ich bin schon gespannt. Er hat einen guten Ruf", sagte sie.
"Mhm." Einen guten Ruf, dass er nicht lachte. Der Prof war ein Konsumjunkie. Kunst und Geld. Klaus sah aus dem Fenster, davor hing ein kleiner kahler Betonbalkon.
"Also, Klaus, richtig?" Sinan stand in der Tür.
Klaus nickte.
"Was ist dein Fokus?"
Klaus wandte sich dem Hünen zu. Was meinte er? Seine Kunst? "Radierungen", sagte er.
Sinan nickte. "Maria macht Portraits."
Konnte sie nicht für sich selbst sprechen? Klaus sah von Sinan zu ihr, wie sie auf Zehenspitzen nach Tassen im Hängeschrank kramte.
Klaus nickte. Warum auch nicht Portraits. Im Grunde genommen war es ihm egal.
"Wichtige Frauen der jüngsten Geschichte, neu interpretiert." Maria stellte eine weiße Tasse auf die Arbeitsplatte. "Es ist echt schwierig, hier passendes Geschirr zu finden. Ist alles total durcheinandergewürfelt. Da hat bestimmt jeder was dagelassen. Hier steht eine Tasse von einer Firma, die irgendwas mit Autos macht. Und überall sind die Ecken abgeschlagen." Mit dem Zeigefinger fuhr sie über abgeplatztes Porzellan.
Sie streckte sich wieder, stand auf den Zehenspitzen. Schob Tasse für Tasse von links nach rechts, von rechts nach links, die Stirn in Falten gelegt. Von ganz hinten zog sie eine weiße Tasse hervor, betrachtete sie von allen Seiten, stellte sie neben die erste. Sie waren nicht ganz gleich, aber anscheinend gleich genug.
"Ich mag deine Arbeiten", sagte sie über die Schulter in seine Richtung, als sie sich wieder streckte.
"Du kennst meine Arbeiten?", fragte Klaus. Die Irritation konnte er nicht verbergen.
"Wir waren auf...
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