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"Alles, was man ihrem Gestotter entnehmen kann, ist, dass sie Francesca heißt und es einen tödlichen Unfall gegeben haben muss", erklärte Lord Lyndon.
So viel hatte Gloria bereits selbst herausgehört.
"Im Übrigen", lächelte er vornehm und wandte sich an Gloria, "ist es mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen." Er machte eine Verbeugung. "Sie mögen sich erinnern, dass wir uns bereits in Trient begegneten."
"Natürlich", erwiderte Gloria kühl und wandte sich mit einem knappen Lächeln ab und der noch immer weinenden Francesca zu.
"Ich sage ihr, wir fahren nach Verona, holen Polizei", erklärte der Postillion in gebrochenem Englisch. "Sie will nicht. Aber wir müssen weiter." Ungehalten nahm er seine Mütze ab und kratzte sich am Kopf.
"Guter Mann", antwortete Lord Lyndon gewichtig, "Sie sehen doch, dass das Mädchen für Vernunft nicht zugänglich ist." Er schenkte der jungen Frau ein Lächeln, das er wohl für aufmunternd hielt und ihr zeigen sollte, dass er sich ihrer Sache annehmen und alles zum Besten verrichten würde, doch Gloria kannte diese Art Lächeln zur Genüge. Ein Männerlächeln voller Selbstgefälligkeit, steif und herablassend. Das erkannte wohl auch Francesca, kopfschüttelnd wich sie zurück, ließ dabei Glorias Ärmel nicht los und zog sie mit sich.
"Mi lasci!", rief sie mit Blick auf den Viscount. Und etwas verzweifelter, indem sie sich mit beiden Händen an Gloria klammerte: "Signora, venga!"
"Aber gutes Kind!", lachte Lord Lyndon ungläubig auf. "Wie soll Ihnen eine englische Lady helfen?" Er wandte sich an den Postillion und bestimmte: "Sie fahren Ihre Route zu Ende, mit den Damen. Dieser ehrwürdige Herr - ein Kaufmann, wenn ich mich recht erinnere? - und ich werden ihr folgen und nach dem Rechten sehen."
Kaufmann Fromm starrte ihn entsetzt an. "Mit Verlaub, verehrter Viscount, dringliche Geschäfte ..."
"Papperlapapp!", unterbrach ihn Lord Lyndon und wischte den Einwand des Österreichers mit einer Handbewegung zur Seite. "Ich biete Ihnen anschließend die Mitfahrt in meiner Kalesche. Kommen Sie." Er gab seinem Kutscher mit einem Armschlenker Anweisung, den leichten vierrädrigen Einspänner an den Straßenrand zu lenken, fasste Francesca wohlwollend an den Ellbogen und bedeutete ihr, ihn zu führen.
"Signora!", stieß Francesca hervor, indem sie sich Gloria zuwandte, und schüttelte seine Hand ab.
Irritiert starrte Lord Lyndon sie an. Wäre die Lage nicht so dramatisch gewesen, hätte sich Gloria vielleicht ein spöttisches Schmunzeln gestattet, denn der verdutzte Blick Lord Lyndons machte mehr als deutlich, dass ein Wesen, das nicht auf ihn hören wollte, ja, sich ihm nachgerade widersetzte, in seiner Welt nicht vorkam. Aber die Lage war dramatisch und Gloria begriff nicht nur, dass Francesca weiblichen Beistand suchte, sondern dass es sich bei deren Gezeter um keine jener lauten und gestenreichen Übertreibungen handelte, wie sie vielen Italienern eigen war. Hinter ihrer Verzweiflung steckte tödlicher Ernst. Denn Francesca machte Gloria im Verborgenen eine Geste, sie streckte den Zeigefinger aus, spreizte den Daumen hochkant ab und deutete damit einen Pistolenschuss an. "Duello", flüsterte sie und "un cadavere" und "fidanzato scomparso", und Gloria spürte das Blut aus ihren Wangen weichen. Wie ein Anprall kam die Erinnerung. Für einen Augenblick wusste sie nicht, ob nicht sie es war, die sich an Francesca festklammerte, als diese sie mit sich fortzog, während Gloria benommen hinterherstolperte.
"Gloria!", rief Tante Jo, und Gloria drehte sich zu ihr um. Die Tante hatte den Kaufmann stehen lassen und lief ihr nach.
"Venga, venga!", rief Francesca und zerrte an Glorias Ärmel.
"Mein Kind, du wirst ihr doch nicht folgen wollen!", rief Tante Jo entsetzt. "Überlasse diese Sache den Herren."
"Ich muss!", entgegnete Gloria. Sie fasste beruhigend nach Francescas Hand, bedeutete ihr, sich einen Augenblick zu gedulden, und wandte sich ihrer Großtante zu. "Hier geht es nicht um einen Unfall, Tante Jo." Sie hörte, wie gepresst diese Worte aus ihr hervorkamen, Worte, die sie schon einmal ausgesprochen hatte, vor nicht allzu langer Zeit. Sie sah die Tante eindringlich an. "Ein Duell, ein Toter ... und ihr Verlobter ist verschwunden."
"Gott behüte, Kind!", rief Tante Jo verstehend und fasste Glorias Hände. "Da solltest du erst recht nicht mit ihr gehen!"
"Natürlich sollte sie das nicht!", befand Lord Lyndon, der zusammen mit dem Kaufmann zu ihnen trat und wohl gehört hatte, was sie gesagt hatte. "Auch wenn ein Toter nach einem Zweikampf samt verschwundenem Geliebten sich für Damenohren romantisch nach Romeo und Julia anhört", ergänzte er mit süffisantem Lächeln.
Gloria bedachte ihn mit einem eisigen Blick und zu ihrer Überraschung erstarb das überhebliche Lächeln.
Wortlos drehte sie sich um und folgte Francesca.
Francesca stand zitternd neben Gloria am Rand einer Lichtung und deutete hinüber zu einem Leblosen im Gras. "Luigi", sagte sie tonlos.
Lord Lyndon setzte sich in Bewegung und erklärte selbstgefällig über die Schulter: "Hier kann es sich keinesfalls um ein Duell handeln! Wo sind die Sekundanten, der Arzt?"
Gloria hob ihre Röcke, warf einen Blick auf Kaufmann Fromm, der zögerlich stehen blieb, und folgte mit klopfendem Herzen und Schweißperlchen auf der Oberlippe Lord Lyndon durch knöchelhohe Gräser.
"Bleiben Sie zurück, Madam. Das ist nichts für Damen", rief er prompt.
Nein, war es vermutlich nicht. Und doch kauerten seit mehr als tausend Jahren Mütter, Schwestern und Ehefrauen wehklagend vor Schmerz bei verwundeten oder getöteten Söhnen, Brüdern und Ehemännern. Oder eine Lady, zerrissen von Herzeleid, neben ihrem ermordeten Geliebten. Was wusste er schon?!
"Ich sagte doch, Sie sollen zurückbleiben, Madam. Ersparen Sie sich den Anblick", wiederholte Lord Lyndon und hob abwehrend den Arm, um sie am Nähertreten zu hindern.
Gewiss, er tat nur seine Pflicht als Gentleman, dennoch reizte seine Art sie bis aufs Blut, und so legte sie absichtlich eine deutliche Kühle in ihre Stimme, als sie erwiderte: "Ich weiß zu schätzen, dass Sie um mein Wohlergehen besorgt sind, Lord Lyndon, doch seien Sie versichert, dass ..." Beim Anblick des Leblosen stockte sie und legte unwillkürlich die Hand auf den Busen.
Dunkle Locken, schwarze Hose, ein weißes Hemd, halb offen, auf Herzhöhe blutgetränkt und zerfetzt. Sie starrte darauf, und unversehens entstand vor ihrem geistigen Auge das Bild jenes anderen Körpers, der tot und verrenkt dalag mit einer Kugel in der Brust ...
"Dass was? Sie die Courage eines Mannes besitzen und ..." Er hatte dem Toten die Augen geschlossen, erhob sich nun und drehte sich zu ihr um, unterbrach sich aber, als er ihren Gesichtsausdruck sah. "Nein, tun Sie nicht. Es geht Ihnen nahe, natürlich, ich wusste es. Aber Sie mussten ja unbedingt mitkommen!"
Gloria schloss kurz die Augen, sammelte sich. Keinesfalls sollte er ihre Schwäche sehen. Sie straffte die Schultern, blickte ihn an und sagte: "Es geht mir gut, Lord Lyndon, vielen Dank." Und sie zwang sich, noch einmal zur Leiche hinzusehen. Es war ein hübscher junger Mann, der da tot auf der Erde lag. Rechts von ihm, keine Armlänge von seinem Körper entfernt, lag die Pistole. Lord Lyndon hatte sie ebenfalls bemerkt. Er kam um den Leichnam herum, nahm sie an sich und roch daran.
"Eine schöne Waffe", sagte er. "Eine alte Duellpistole. Eindeutig wurde aus ihr geschossen."
Gloria streckte die Hand aus, wie von selbst strich ihr behandschuhter Finger über die Mündung, sie starrte auf den kreisrunden, mittelgrauen Schmauchring, den die Berührung auf ihrem hellen Sommerhandschuh hinterlassen hatte, starrte auf das dunkle, gemaserte Holz der Pistole, das mit tief geschnitzten Ranken und Blattwerk verziert war, und schwankte. Ein Jahr war es her, dass sie eine ähnliche Waffe zum ersten Mal aus der Nähe gesehen hatte. Nahezu ebenso kostbar gefertigt und doch für einen grausamen Zweck bestimmt.
"Bitte gestatten Sie", sagte Lord Lyndon, nachdem er ihr einen Blick zugeworfen hatte, und nahm fürsorglich Glorias Arm. Er deutete auf Francesca und Kaufmann Fromm und sie ließ sich zu ihnen führen.
Dort angekommen, befragte der Viscount Francesca nach den genaueren Umständen. Francesca gab sich Mühe, sprach ein langsames und einfaches Italienisch und sie erfuhren das Folgende: Luigi, der dort tot im Grase lag, und Francescas Verlobter Giulio hatten zusammen mit ihren Kameraden ein übliches Gelage abgehalten. Nach den Worten eines Freundes, der Francesca die Nachricht heute Morgen überbracht hatte, war es zwischen Luigi und Giulio später wohl zu Frotzeleien gekommen. Nur Spaß, wie meist in solcher Stimmung, erst recht, als diese Duellpistolen ins Spiel kamen. Die Nacht war vorangeschritten, wer nicht ging, war eingeschlafen. Aber als man am Morgen erwacht sei und Luigi und Giulio samt Pistolen fort waren ... sie habe nicht abgewartet, bis der Freund zu Ende gesprochen hatte, sondern sei sogleich losgerannt zum altbekannten Duellplatz vor der Stadt. Als sie ankam, fand sie Luigi tot, Giulio war nirgends zu sehen. Aber sie hatte eine Blutspur bemerkt, die auf den Wald zulief, und nun bangte sie um das Leben ihres sicherlich schwer verwundeten Verlobten.
"Diese hitzköpfigen Italiener", schnaubte der Viscount, und Gloria, die während Francescas Bericht Zeit gehabt hatte, sich zu sammeln, sagte: "Eine Blutspur?"
Der Kaufmann...
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